Mein vierter Geburtstag, nach dem Hirnabszess 2016

27. März 2020
 · 
4 Minuten Lesezeit

Heute, dem 27.03.2020, feiere ich meinen vierten Geburtstag nach dem Hirnabszess. Das Datum steht für meinen Neubeginn und der Einlieferung ins Krankenhaus. Mit dem Corona Virus hat sich allerdings viel verändert. Seit der Krise gelten meine mühsam Erlernten Routinen nicht mehr und ich muss einiges neu zulassen und lernen. 

Es gibt zur Zeit keine Therapien und die Rehabilitation findet ausschließlich bei mir zu Hause in Eigenregie statt. Ein wichtiger Anker fehlt somit und ohne Anleitung muss ich mir ein Programm zusammen stellen, mit dem ich zurecht komme. Für mein Gehirn eine Herausforderung, denn die Unterstützung von Außen fehlt. Langsam und Schritt für Schritt beginne ich erneut, mich und das Leben auszuloten.

Gehen

Was geschah bisher?

Es begann am 27.März 2016. An diesem Tag wurde ich mit der Diagnose Hirnabszess ins Krankenhaus eingeliefert. Einen Monat wurde ich auf der Intensivstation behandelt. An diese Zeit habe ich nur bruchstückhafte Erinnerungen. Sehr viel später erfuhr ich erst, was sich alles zugetragen hat.

Noch weitere vier Monate verbrachte ich auf der Normal- oder Reha-Station. Praktisch rund um die Uhr bekam ich Infusionen mit Antibiotica, fünfmal am Tag, jeweils drei Flaschen. In den kurzen Pausen dazwischen bekam ich Mobilisation und wurden erste Reha-Maßnahmen gesetzt. Ich lernte die Basis des Gehen und der Bewegung.

ich auf der intensivstation

September 2016

Ab September war ich wieder Zuhause, im vertrauten Umfeld der Familie. Schwach und Kraftlos war mein Tagespensum 50 - 100 Meter gehen, danach ging nichts mehr.

Statt wieder daheim, war ich das dritte "Kind". Alles neu zu lernen, war auch für meine Familie eine Belastung. Jede Bewegung war gleichzeitig Therapie. Darum tue ich mich auch heute noch schwer, nicht in allem was ich mache, Therapie zu sehen.

Im Dezember ging es auf Reha, wo ich meinen 50. Geburtstag "feierte". Nach vier Wochen Stationärer Therapie war ich am Limit. Ich brauchte vier Monate, bis ich mich davon erfangen habe. Allerdings benutzte ich danach nie mehr einen Rollstuhl.

In der Reha feierte ich meinen 50. Geburtstag

2017

Im Mai 2017 begann ich meinen Blog und auf Instagram zu schreiben, was auch ein Teil meiner Rehabilitation war. Das Schreiben hilft mir bis heute. Allerdings ist es mir noch nicht gelungen, das eine oder andere Trauma aufzulösen.

Im Sommer machte ich dann meine zweite stationäre Rehabilitation. Im Herbst konnte ich bereits zwei bis drei Kilometer weit gehen, allerdings mit vielen Pausen. Ich kämpfte, bildlich gesehen, um jeden Milimeter.

In den 200 Meter entfernten Wald ging es bergauf und ich versuchte jedesmal ein paar Meter höher zu kommen. "Never give up", entstand in diesen Tagen.

Ende des Jahres begann ich wieder zu Denken, allerdings hatte ich kein Kurzzeitgedächtnis mehr und konnte nichts aufbauendes Denken.

Geburtstag in der Reha

2018

Es wurde ein sehr gemischtes Jahr. Die Trennung von meiner Lebensgefährtin, mit der ich immerhin zwanzig Jahre zusammen lebte und zwei Kinder habe, warf mich fast an den Anfang zurück. Ich bekam große gesundheitliche Probleme, noch konnte ich es gedanklich verarbeiten.

Im Juni entschloss ich mich, trotz der gesundheitlichen Schwierigkeiten, zum Jakobsweg nach Spanien zu fahren. Ich kam weiter als gedacht, aber nach rund 500 Kilometer musste ich in Astorga abbrechen, denn Ende Juli stand mein dritter Reha-Aufenthalt bevor. Die sechs Wochen in der Reha-Klinik brachten mich wieder an, bzw. übers Limit.

Nach wenigen Tagen Erholung, fuhr ich zurück zum Camino France, der eine andere Art der Reha für mich war und beendete ihn in Finesterre am Meer.

2019

Judendorf wurde meine neue Heimat und ich brauchte lange (eigentlich bis heute noch), um einen eigenen Haushalt zu gründen. Statt einer stationären Reha ging ich diesmal über drei Monate hinweg zur Physio- und Ergotherapie. Das half mir besser, wie ein sechswöchiger Reha-Aufenthalt. Das größte Problem für mich, war der noch immer auftretende Schwindel. 

Im Juni und Juli war ich wieder am Jakobsweg unterwegs, diesmal am Camino Norte. "Gehen als Medizin", bekam für mich eine immer größere Bedeutung. Wieder Zuhause trainierte ich vor allem weiter die Bewegung, denn ich merkte, dass mir die Umfänge und vielen Wiederholungen beim Gehen gut taten. Außerdem wird das Gehirn mittrainiert.

Gleichzeitig begann ich im Spätsommer eine Traumatherapie und nahm psychologische Hilfe in Anspruch. Ich hatte mich zwar in allem verbessert, musste gleichzeitig aber akzeptieren, dass Verbesserungen zwar da waren, aber nicht in dem Umfang, wie ich es mir gewünscht hätte.

Camino de Norte

Der Jakobsweg Weinviertel ließ mich noch einmal das Gehen intensiver erleben.

Anfang des Jahres bekam ich in der Ergotherapie die Aufgabe, auch öfter einmal etwas NICHT unter dem Mantel der Therapie zu machen. Hin und wieder gelang es mir, aber der Beweggrund bestand doch meist aus Therapie. Mit Behinderung das Leben wieder zulassen können, wurde immer wichtiger.

2020

Da ich Postler war, wusste ich, "Aufgeben tut man nur einen Brief!", also habe ich nie aufgegeben. Darum arbeitete ich weiter am Gehen, in der Bewegung, im Denken und besonders in der Bewusstseinsbildung. Den langsamen Fortschritt lernte ich zu akzeptieren.

Im Februar fuhr ich erneut zum Camino Frances. Gehen nicht nur als Therapie zu sehen, war meine Herausforderung. Es gelang auch oft und ich hatte große Freude am Gehen. Es ist kaum zu beschreiben und ich wollte gar nicht aufhören. In einem für meine Verhältnisse, nach dem Hirnabszess, super Zustand, kam ich zurück. 

Crux de Ferro
Crux de Ferro

Eine weitere vier Tage lange Wanderung am Wiener Wallfahrerweg nach Mariazell, ließ mich langsam wieder in der Heimat ankommen.

Gleich darauf begann die Corona Virus Krise und stellt meine mühsam und über lange Zeit erlernte Routinen auf den Kopf. Statt soziales Leben lernen, trat wieder Soziale Distanz in mein Leben. Wie auch den Hirnabszess vor vier Jahren, kann ich es nur hinnehmen und versuchen, wieder eine neue Struktur in mein Leben zu bekommen.

Geburtstag

4. Geburtstag

Ich habe den 27. März als meinen zweiten Geburtstag genommen, weil mit der Einlieferung ins Krankenhaus mein 2. Leben begann. Ich feiere diesen Geburtstag für mich, denn ich bin dankbar, ihn bereits zum vierten Mal erleben zu dürfen!

Teile meinen Blogartikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

One comment on “Mein vierter Geburtstag, nach dem Hirnabszess 2016”

Ich bin Jörg, wohne in der Nähe von Graz und blogge hier über meinen Weg zurück ins Leben, das ein Hirnabszess 2016 völlig auf den Kopf gestellt hat.
Blogheim.at Logo
Bloggerei.de
Copyright © Jörg Krasser
Konzipiert und gestaltet von noahkrasser.com
crossmenu linkedin facebook pinterest youtube rss twitter instagram facebook-blank rss-blank linkedin-blank pinterest youtube twitter instagram