Vier Tage Urlaub mit Silvia im Jufa Knappenberg. Mein erster Urlaub seit meinem Hirnabszess im März 2016.
Im Geburtsort von Heinrich Harrer also finden für mich diese ersten erholsamen Tage statt. Mit dem am Jufa angeschlossenen Tibet-Zentrum, wo Tibetische Medizin gelehrt wird und dem Heinrich-Harrer-Museum im nahen Hüttenberg, lässt es sich, mit viel Ruhe, gut urlauben.
2007 filmte ich hier die Grundsteinlegung des Tibetischen Zentrums, die der Dalai Lama selbst durchgeführt hat. Es konnte sicher nicht alles im damals geplanten Umfang realisiert werden, aber die Gegend ist sicher ein Mittelpunkt der Tibetischen Medizin und Kultur in Österreich geworden. Die Geschichte des Bergbaus passt hervorragend dazu und der Vergleich der Alpenländer mit Tibet zeigt, dass es nicht so anders ist.
Ich wollte einmal Ausspannen und weg vom Alltag zu Hause, aber "Therapien" lassen sich nicht ganz vermeiden. Auf 1100 Metern Seehöhe gelegen, ist Ruhe und eine langsamere Gangart in diesem ehemaligen Bergbau-Dorf zu finden. Genau das richtige für mich.
Neben Knappenberg ist Hüttenberg, mit dem Heinrich-Harrer-Museum, ein weiteres Highlight. Und in Hüttenberg fängt auch meine "Therapie" an. Aber alles der Reihe nach.
Zunächst steht ein Besuch im Heinrich-Harrer-Museum an. Seine Bücher kannte ich schon als Kind und damals war ich überzeugt, zu spät auf die Welt gekommen zu sein. Die Zeit des Entdeckens war vorbei, was ich bedauerte. Ähnliches zu erleben suchte ich dann auf Reisen durch die Sahara, in Alaska und mit dem Fahrrad in aller Welt.
Das Museum steht schon lange auf meiner Besuchsliste und endlich war es so weit. Gleich der erste Raum ist Harrer persönlich gewidmet. Die Ausrüstung bei seinen Bergbesteigungen ist beeindruckend. Allein seine Steigeisen sind wahrscheinlich gleich schwer, wie meine Mindestausrüstung beim Eiger Ultra Trail war. Was ich auch nicht wusste, er war österreichischer Meister im Golfen 1933/34. Damals lebte er in meiner Heimatstadt Graz und studierte auf der Karl Franzens-Universität ein Lehramt.
Beim Durchgang des Museums muss ich mich immer wieder hinsetzen um Pause zu machen, denn die Räume im ehemaligen Schulgebäude sind auf drei Stockwerke verteilt. Besonders mein Gehirn braucht Pausen, um alles zu verarbeiten und aufnehmen zu können. Die abgeschnittenen Yak-Schwänze bleiben besonders in Erinnerung, da sie in Amerika als Bärte für den Weihnachtsmann Verwendung fanden.
Aber auch die vielen Gebrauchsgegenstände aus natürlichen Materialien sind eindrucksvoll. Bei uns wird ja nur mehr alles aus Plastik produziert und nach Gebrauch weggeworfen. Alles in allem ein sehr interessantes Museum, das außerdem die Verbundenheit von Harrer zum Dalai Lama und dem Tibetischen Volk sehr gut zeigt.
Nach gut zwei Stunden verlassen wir das Museum und da kommt die "Therapie" ins Spiel. Gegenüber vom Museum baut sich der sogenannte "Lingkor von Hüttenberg", ein Pilgerweg, an einer Felswand auf. Pilgerpfade gibt es viele in Tibet, der bekannteste ist der Pfad rund um den Kailash oder der Lingkhor in Lhasa.
Beweggründe sind die Hoffnung auf Glück und Segen, eine bessere Wiedergeburt, die Heilung eines Leidens oder Vergebung von Sünden. Gute Gründe für einen Pilgerweg, die ja auch bei uns immer begehrter werden. Siehe den Mariazeller Weg oder der Jakobsweg. Der Hüttenberger Lingkor ist außerdem der einzige außerhalb Tibets gelegene tibetische Pilgerpfad.
Er führt auf Stiegen aus Stahl durch die Felswand, in schwindlige Höhen. An und für sich kein Problem für mich, aber jetzt nach dem Hirnabszess?
Ich entscheide mich, ihn zu wagen. Durch einen wunderschönen Eingangsbereich geht es los. Dann noch einen Helm ausgeborgt, denn ohne ihn darf man den Lingkor nicht betreten. Gleich bauen sich steile Stiegen vor mir auf. Hoch konzentriert, steige ich Stufe um Stufe höher. Gedanken ans Ausrutschen verwerfe ich sogleich, obwohl sie immer wieder da sind.
Es ist anstrengend für den Körper, so viele Stiegen zu steigen und für den Geist, das- Ausgesetzt- sein zu vertragen. Ich weiß nicht, was für mich anstrengender ist. Mir kommen die Pilger in den Sinn, die den Kailash mit Niederwerfungen umrunden. Dagegen ist mein Weg eine Lappalie, aber für mich halt auch am Limit.
Mit der Anstrengung nimmt auch der Schwindel zu. Die Hängebrücke lasse ich aus. Sie ist einer tibetanischen Hängebrücke nachempfunden. Das Schwanken der Brücke verträgt sich nicht mit meinem Schwindel. Ich habe Angst zu stürzen. Fünfjährige Kinder stürmen über die Brücke, dass alles wackelt. Ich bleibe verschämt zurück, an einen Eisenträger gestützt oder besser gesagt, geklammert. Das ist noch eine Nummer zu groß für mich.
Über die Brücke zu gehen, wage ich nicht. Ich bin schon froh, den Rundgang zu schaffen. Bald geht es wieder bergab. Vorsichtig setze ich einen Fuß vor den anderen. Bergab zu gehen ist schwieriger für mich. In die Ferne zu schauen, heißt stehen zu bleiben.
Multitasking der einfachen Art, Gehen und Schauen, ist gleichzeitig nicht möglich. Es ist Herausforderung genug, hier zu gehen. Ohne zu Stolpern, schaffe ich es bis ans Ende der Stufen. Dort setze ich mich erschöpft ins Gras. Die Anspannung lässt nur langsam nach.
Ich darf stolz auf mich sein, es geschafft zu haben und meine Grenzen wieder zu erweitern. Dieses "An- die- Grenze- gehen", habe ich immer wieder zu üben, nur so kann ich sie weiter hinauf setzen.
Ein Beispiel ist das "Iditabike" Rennen in Alaska, an dem ich dreimal teilnahm. Das heißt im Winter, mit einem Fahrrad, die Distanz von Graz nach Salzburg, auf einem Hundeschlitten-Trail zu fahren.Das war 1994 kaum vorstellbar.
Aber ich fuhr trotzdem hin und beendete dieses Rennen, einmal sogar Siegreich. Solche Erlebnisse von früher, helfen mir heute wieder in mein Leben zu finden oder mich an und über Grenzen zu wagen. Es geht vornehmlich um körperliche Grenzen, aber auch um geistige.
Und dafür ist es in Knappenberg ideal. Einmal unter anderen Bedingungen zu üben tut dem Geiste wohl. Hier gibt es viele Gelegenheiten und ich mache es gerne. Zu Hause ist es oft schon ein Muss. Hier wird es wieder spielerischer.
Gerne gehe ich einen Teil des "Weg des Dialoges". Einen Rundweg in und um Knappenberg. Hier finde ich alles, was mir gut tut. Für mich ist es ein Therapieweg.
Die Stufen durch die Bergbausiedlung stärken meine Waden, der Wiesen- und Waldweg ist uneben mit Wurzeln und beim Bergbau-Museum ist ein Spielplatz für (ältere) Kinder, den ich für mich nutze. Einfach ideal für mich.
Es ist wie früher im Trainingslager, nur mit anderen Anforderungen. Das Ziel ist das Gleiche - ich will besser werden. Da jede Bewegung für mich noch bewusst getätigt wird, verschwimmen Urlaub und Therapie sowieso miteinander.
Aber Trainingslager waren schon früher wie Urlaub für mich, also ist es heute kein großes Problem, auch im Urlaub zu trainieren. Dabei gilt (nicht nur) für mich:
"Was du aus einer Situation machst, liegt nur in deiner Einstellung!"
...und in meiner Einstellung habe ich nie aufgegeben. Ich schaue immer nach vorne und gebe zu jeder Zeit mein Bestes. Dazu war ich immer lebensbejahend.
Auch in schwierigen Phasen, als ich mich nur mit dem Rollstuhl fortbewegen konnte oder gehen lernen musste. Ich behielt meinen Optimismus bei. Natürlich gibt es auch bei mir schwierige Phasen oder Momente wo es nicht läuft, die dauern aber nie lange.
Kann ich jetzt diese vier Tage unter Urlaub einordnen oder als Therapie? Das würde ich mit teils, teils beantworten.
Positiv war auf jeden Fall die veränderte Umgebung. Ich konnte jedoch nicht abschalten, was den Rest betrifft. Die Defizite sind noch zu groß, die Konzentration zu stark für die täglichen Anforderungen. Auf der einen Seite kann ich froh sein, derart im JETZT zu leben, auf der anderen möchte ich, dass vieles wieder automatisch geht, ich nicht so viel nachdenken muss.
Die Spaziergänge waren sehr schön, aber es war auch immer gleichzeitig das Üben dabei, bei jedem Schritt. Die Museen waren interessant, aber anstrengend, und für den Lingkor Rundweg, musste ich mich sehr überwinden. Aber alles ist geschafft. Ich denke, ich habe Urlaub und Therapie bestmöglich vereinbart. In Zukunft kann es nur besser werden.