28. Zurück ins Leben - aber wie lange noch?

27. Oktober 2017
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6 Minuten Lesezeit

Mein Weg "zurück ins Leben" ist noch lange nicht vorbei. Es ändert sich derzeit laufend etwas. Jeden Tag, jede Woche, jedes Monat erlebe ich neu oder denke ich neu.

Mein "unmögliches" Ziel

Eiger Ultra Trail
Filmen beim Eiger Ultra Trail

Manchmal fällt es mir schwer, auf diese Veränderungen zu reagieren. Noch im Krankenhaus habe ich mich entschieden, meinen "Weg zurück ins Leben", über den Sport zu schaffen. Mir war klar, ich muss motiviert sein, um die Therapien durchzustehen. In meinen bisherigen Trainingslagern trainierte ich für ein Ziel. Ein gewisses Rennen, eine Rundfahrt oder einen Lauf. So sollte für mich der Eiger Ultra Trail das neues Ziel sein, mit einem ernsten Hintergrund.

So wie es 2013 utopisch war in einem Jahr, an diesem Ultralauf teilzunehmen, so utopisch ist dieses  Ziel auch heute. Wenn ich mir jetzt, nach 18 Monaten, meinen körperlichen Zustand anschaue, bin ich vom Trailrunning noch weit weg. So weit, dass ich es noch nicht richtig fassen kann. Trotzdem ist und bleibt der Lauf in der Schweiz mein Ziel.

In meiner Lage an Sport denken?

Mit Sport zurück ins Leben
Eiger Ultra Trail, First

Immer wieder sind Menschen irritiert darüber, dass ich vom Laufen spreche oder gar zum Eiger Ultra Trail möchte. Und das in meinem Zustand. Das ist verständlich, denn eigentlich stehen andere Ziele an. Gehen lernen, wieder zusammenhängend denken lernen und folglich, was mache ich beruflich weiter? Außerdem, wie kann ich mich wieder in die Gesellschaft integrieren?

Natürlich arbeite ich auch an diesen Dingen. Sogar vorrangig. Sie sind ja essentiell wichtig für mich. Aber an dem Ziel "Eiger Ultra Trail" hängt ja mehr, als viele glauben. Wenn ich dort wieder laufen kann, beinhaltet das mehrere Dinge. Mein Schwindel, bzw. das Gleichgewicht, muss dort wieder funktionieren. Ich muss bis zu 20 Stunden belastbar sein und auch noch nach Stunden konzentriert über schmale Trails bergab laufen können. Das Wetter einschätzen und noch vieles mehr gehört dazu.

Das heißt, umgelegt auf den normalen Alltag, dass ich auch diesen wieder bewältigen und beruflichen Herausforderungen trotzen kann. In einem Beratungsgespräch im Juli dieses Jahres waren auch meine beruflichen Aussichten ein Thema. Mir wurde erklärt, dass es auch Einrichtungen gibt, wo ich einfache Tätigkeiten ausüben kann. Damit kann und will ich mich aber nicht abfinden.

Seit 1996 bin ich selbständig und habe gemacht, was mir Sinn gab. Die letzten 10 Jahre war ich mit Videoproduktionen über interessante Themen beschäftigt. Unter anderem auch Berichte über "Jugend am Werk" oder die "Lebenshilfe". Dort lernte ich Menschen mit Handicap kennen und den achtsamen Umgang mit Ihnen. Es waren für mich lehrreiche Beiträge. Jetzt bin ich plötzlich einer von Ihnen, einer mit Handicap.

Wie geht es weiter mit "Zurück ins Leben"?

Meine Gehirn kann sich noch immer nicht mit der Zukunft beschäftigen. Aber eines weiß es. Ich kann nicht Kisten zusammen bauen, etwas anmalen oder ähnliche einfache Tätigkeiten machen.

Darum hat der Sport für mich einen besonderen Stellenwert. Es klingt ja irgendwie absurd. Da befinde ich mich mitten in den Vorbereitungen für einen Ultra-Lauf, bekomme ein Hirnabszess und möchte danach wieder einen Ultra-Lauf laufen. Eigentlich ein Blödsinn. Aber mein Ziel bleibt ein Ultra-Lauf und das macht für mich sehr wohl  Sinn.

Denn daran hängt mein restliches Leben. Denn in Wirklichkeit geht es nicht um den Lauf, sondern darum, dass ich es körperlich schaffen kann - nicht muss. Denn wenn ich soweit bin, den Eiger zu schaffen, dann habe ich wieder die Möglichkeit, meinen Part in der Familie, als Partner und Vater, aber auch beruflich, wieder einzunehmen. Deswegen nimmt dieses Ziel einen so großen Platz ein. Gehen und Laufen lernen sind somit Zwischenziele auf dem Weg zum Hauptziel.

Meine Zukunft hängt von mir ab

Zurück ins Leben, das Gehirn entscheidet

Was ich in Zukunft erreichen möchte, hängt natürlich von mir ab. Mein Denken bleibt dabei einer der wichtigsten Faktoren, neben dem Training und den Übungen. Das Denken entscheidet, nicht nur im Sport, über Sieg oder Niederlage. Denken ist meine wichtigste Therapie auf dem Weg zurück ins Leben.

Für mich geht es nicht darum, über etwas zu Siegen. Für mich geht es darum, mit einer optimistischen, positiven Lebenseinstellung, jeden Tag aufs Neue zu bewältigen. Im Hier und Jetzt zu leben und das Annehmen der Situation, was auch immer kommen mag.

Ich muss aufpassen, nicht wie früher, vermehrt in die Zukunft abzugleiten. Das ist oft nicht leicht. Denn im Denken über die Zukunft verliere ich den Gegenwärtigen Moment. Dabei lebe ich im Jetzt. Nicht nur ich bin so einem Gedanken oft nachgelaufen. Besser ist es, eine Entscheidung so zu fällen, als wäre es die letzte. Das meinen viele Mentaltrainer mit "Auf des Messers Schneide leben!".

Ich tue mich natürlich leichter damit, habe ich doch die Erfahrung machen dürfen, am Tod anzuklopfen. Da wird das Leben gleich viel mehr wert und man macht keine halbherzigen Entscheidungen mehr.

Artikel in der "Kleinen Zeitung"

Letzten Sonntag kam ein Artikel über mein Schicksal in der Kleinen Zeitung. Die Überschrift sagt aus, wie ich vom ersten Tag an mit der Erkrankung umgegangen bin.

"Ich wusste, dass ich nie aufgeben darf und will!"

Kleine Zeitung, Krasser Jörg, zurück ins Leben
Ein Danke an die Kleine Zeitung und Thomas Neffe

Ich wurde mit dem Interview wieder an die Zeit im Krankenhaus erinnert und viele Vorfälle von damals kamen hoch.
Es waren gute und weniger gute Erinnerungen. Eine war aber besonders beeindruckend für mich. Die möchte ich hier erzählen und mich damit bei allen beteiligten Personen bedanken.

Auf der Intensivstation

Es war auf der Intensivstation und ich habe alles nicht so genau wahrnehmen können. Ich kenne keine Namen mehr und an die Gesichter kann ich mich nur sehr vage erinnern, wenn überhaupt. Das Datum weiß ich ebenfalls nicht mehr genau, es dürfte aber die dritte Woche auf der Intensivstation gewesen sein.

Ich habe in einem Beitrag meine Erlebnisse auf der Intensivstation ja schon einmal beschrieben. Dieses Erlebnis war noch nicht dabei. Ich erinnere mich jetzt wieder daran und möchte es hiermit öffentlich machen.

Überraschung auf der Intensivstation

Neurologie LKH Graz

Ich konnte, praktisch gesagt, noch immer nur liegen. Mehr war mir fast nicht möglich. Hin und wieder sollte ich mich am Bett zur Mobilität aufsetzen. Den Krankenschwestern war der Stuhl dazu lieber. Ich mochte ihn gar nicht, denn dafür war ein irrer Aufwand nötig. Und das für eine Viertelstunde sitzen, denn mehr halte ich nicht aus. So war meine erste Mobilisation. Für mich entsetzlich anstrengend.

Da kommen zwei Krankenschwestern nach dem Frühstück zu mir und eine sagt: "Jetzt haben wir was besonderes vor. Sie liegen schon so lange, jetzt gehört einmal eine Dusche gemacht!".

Zuerst war ich freudig überrascht, denn seit drei Wochen wurde ich zwar fürsorglich in der Früh gewaschen, aber ich konnte noch nie baden oder duschen. Meine Haare waren schon strähnig und verklebt. Aber dann kommen mir Bedenken. Ich bin einerseits froh, aber andererseits verunsichert. Wie sollte das denn funktionieren? Aufsetzen ist schon schwer genug, aber duschen? Ich kann es mir beim besten Willen nicht vorstellen.

Ich soll mir keine Sorgen machen, dafür wären sie ja zu zweit, zerstreuen sie meine Bedenken. Leicht gesagt, ich kann ja kaum mithelfen. Schon alleine umdrehen ist mir nicht möglich. Ich lasse mich aber von Ihrer Fröhlichkeit anstecken und begebe mich vertrauensvoll in ihre Hände.

Zuerst muss ich aus dem Bett kommen. Es wird eine fahrbare Trage an mein Bett gerbracht und mit vereinten Kräften werde ich hinübergerollt. Vorbei an anderen Patienten werde ich in einen Raum gebracht, der mit weißen Kacheln verfliest ist. Auf einer erhöhten Fläche werde ich liegend geduscht, dass meine ich wörtlich. Denn mir selbst ist es kaum möglich einen Arm oder ein Bein zu heben, geschweige denn, selbst zu duschen.

Wasser - der Quell des Lebens

Baden in der Intensivstation

Mit Bedacht legen sie mich auf den Waschtisch und das angenehm temperierte Wasser rieselt über meinen Körper. Welch eine Wohltat! Das Haare waschen ist ein Gefühl, wie neu geboren zu werden. Jeder Handgriff sitzt, ich brauchte nichts tun, außer zu genießen.

Mit großer Professionalität gehen die beiden Schwestern ans Werk. Viele Emotionen überkommen mich. Ich lasse sie frei fließen. Aufregung und Motivation wechseln mit Frustration ab. Schmerzlich wird mir bewusst, dass ich mich kaum bewegen kann. Ich möchte mich aufstützen, knicke aber ein, der Arm ist zu schwach. Ich fühle mich als lebendiger Fleischkloß. Frustration über das Nicht-Gelingen des Aufrichtens überkommt mich. So wechseln sich meine Gefühle und Emotionen ab.

Ich finde mich mit der Situation nicht ab. So schwerfällig mein Gehirn und mein Körper arbeitet, so genau weiß ich, dass ich nicht resignieren werde. Dieses Wissen bringt mich über schwache Momente hinweg. Ich bin so froh, duschen zu können. Es ist ein erster Schritt zurück ins Leben, wenngleich das, was ich unter Leben verstehe, noch sehr weit weg ist.

Mehr als "Duschen"

Bei der  Denali Besteigung (6190m) konnte ich mich 11 Tage nicht duschen, nur begrenzt waschen. Bei -25 Grad auch kein Wunder. Es war nicht angenehm,  täglich Schwerarbeit zu verrichten und zu schwitzen. Aber es war auszuhalten, ebenso der Gestank. Hier liege ich nur im Bett und hätte man mich nicht geholt, es wäre mir gar nicht aufgefallen. Mein ganzes System ist nur auf Überleben eingestellt. Duschen ist darin nicht vorgesehen.

Danach aber war es ein Unterschied. Ich war nicht nur sauber gemacht. Mit dem Duschen wurde mir auch ein Teil der Krankheit abgewaschen. Zumindest hatte ich das Gefühl.
Den Rückweg ins Bett bekomme ich fast nicht mehr mit. Zu groß ist die Erschöpfung. Ich bin den beiden unendlich dankbar. Ihre Fröhlichkeit hat auch mich angesteckt und mir trotz meines Zustandes, wieder Optimismus gegeben.

Überhaupt waren die mich umgebenden Menschen fröhlich und freundlich. So wurde die Intensivstation kein Ort des Schreckens, sondern ich habe sie in sehr guter Erinnerung behalten.

Danksagung

An dieser Stelle möchte ich dem Leiter der Neurologie, Univ.-Prof. Dr.med.univ. Franz Fazekas, sehr herzlich danken. Für fünf Monate waren die diversen Stationen mein zuhause und die Betreuung war hervorragend.

Mein Dank gilt auch allen Bediensteten der Neurologischen Station. Egal ob Intensivstation, Reha- oder Normalstation, ob Arzt, Krankenschwester, Pfleger oder Putzfrau. Ich kenne fast niemanden namentlich, aber es waren alle um mich bemüht.   

VIELEN HERZLICHEN DANK  DAFÜR!


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2 comments on “28. Zurück ins Leben - aber wie lange noch?”

  1. Lieber Jörg,
    Es ist mir wirklich wichtig dir zu sagen (schreiben), wie sehr deine offenen und ganz persönlichen Beiträge mich berühren und beeindrucken. Auf diese Weise ermöglichst du einen so intimen Einblick in deine Welt (innen wie außen), die unglaublich spannend und fesselnd ist. Wenn es dir recht ist, würde ich den Link zu deinem Blog gerne an Freunde und Familie weitergeben, denn -wer dazu bereit ist- kann aus deinen Beiträgen einiges vielleicht für sich selbst mitnehmen. Deine mentale Stärke ist ein kostbares und wichtiges Werkzeug, das du als ehemaliger Extremsportler nun glücklicherweise auf deinem Weg zurück zur Verfügung hast. Obwohl du eine so schwierige Zeit durchlebst, spürt man sehr viel positive Energie, die in dir steckt! Hut ab vor dir, aber natürlich auch Silvia und den Kindern! Ich wünsch dir/euch weiter viel Kraft und Energie auf deinem Weg und freue mich schon, wenn wir euch nach Ende unserer Reise wieder einmal sehen!! Alles Liebe, Marion

Ich bin Jörg, wohne in der Nähe von Graz und blogge hier über meinen Weg zurück ins Leben, das ein Hirnabszess 2016 völlig auf den Kopf gestellt hat.
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