Seit 2 Jahren geht es für mich nun schon zurück ins Leben. Ein langer Atem ist dafür notwendig geworden. Aber was heißt das genau? Was und wohin ist mit diesem "zurück" gemeint?
Verändert hat sich vieles in den letzten eineinhalb Jahren. Ich war bisher täglich mit Üben und Training konfrontiert und es gab keinen Tag Stillstand. Trotzdem kommt es mir wie Stillstand vor. Ich musste immer wieder mein "zurück" anpassen, nämlich wohin will ich zurück?
In der ersten Zeit war der Gedanke nach meinem alten Leben präsent in mir. Natürlich nicht ins gleiche Leben, aber zumindest die gleichen Fähigkeiten wie früher wieder zu beherrschen. Das gleiche Leben konnte es nicht mehr werden, denn dann hätte ich nicht verstanden, was mir der Hirnabszess sagen wollte.
Ich habe zu ändern, bzw. es wurde dafür gesorgt, dass ich verändert bin. Für alles weitere muss ich noch warten, bis mein Denkvermögen es wieder zulässt, oder auch nicht!
Zurückzukehren bedeutet, zurück in etwas, dass ich verlassen habe. Ich gebe mir manchmal selber Druck, muss aber aufpassen, nicht frustriert zu sein. Frustriert kann ich nur werden, wenn ich meinen eigenen Erwartungen nicht entspreche. Warum sich also Erwartungen hingeben, die ich im Moment nicht erfüllen kann?
Ich lerne derzeit viel über mich und das Leben. Neue Perspektiven kennen zu lernen zum Beispiel. Mich Beruflich neu zu orientieren. Der Hirnabszess hinterließ auch in der Partnerschaft Spuren. Viele Diskussionen drehen sich um das Zusammenleben. Silvia leidet noch immer unter den Nachwirkungen der fünf Monate, wo ich im Krankenhaus lag.
Diskussionen um diese Zeit sind bei mir allerdings zwecklos. Ich bin noch immer im HIER und JETZT gehalten. Daher fruchten solche Diskussionen nicht. Ebenso die Berufsfrage. Es ist noch zu weit weg, als das ich mir darüber Gedanken machen könnte.
Aber weiter mit "zurück ins Leben". Ich möchte wieder ein selbstbestimmtes Leben führen können. Ich brauche eigentlich nicht zurückkommen, weil ich doch nie gegangen bin. Es hat sich nur verändert. Woran ich auch arbeite, es ist neu und ich entdecke, was ich schon konnte, mit neuen Augen.
Auch die Beziehung darf neu entdeckt werden. Wie schon einmal gesagt, es ist nichts wie früher. Alles ist neu zu betrachten. Das ist für das Umfeld oft nicht einfach. Monica Lierhaus bringt es auf den Punkt, als sie meinte:
"Ich bin noch immer ich, aber nur eine andere!".
Ja, die Rückkehr ins Leben verändert sich dauernd. Langsam kommt wieder mein Denken und damit kommen wieder mehr Einsichten aufs Leben. Auf dem kann ich aufbauen. Allerdings bleibt mir vieles noch verborgen und ich kann oft die Dimension des Geschehen nicht erfassen. Mein Kurzzeitgedächtnis ist noch immer beschränkt, wie das Denken allgemein.
In einem Video des MDR tätigt der ehemalige Ministerpräsident von Thüringen, Dieter Althaus, eine für mich nachvollziehbare Aussage. Bei einer Kollision mit einer Skifahrerin kam sie ums Leben und er wurde schuldig gesprochen. Er weiß das er schuld war, kann es aber nicht nachvollziehen. Er hat einfach keinen Bezug dazu und kann keine Emotion dazu aufbauen, so leid es ihm auch tut. Es erklärt für mich vieles, weil auch ich verschiedene Vorkommnisse nicht Emotional realisieren oder einordnen kann.
Silvia musste zum Beispiel meine Buchhaltung aufarbeiten, meine Erwerbsunfähigkeit-Pension für mich beantragen, meine Firmen auflassen und vieles mehr. Sie hat dadurch das Gefühl bekommen hat, ich hätte sie mit meiner "Flucht" auf die Intensivstation im Stich gelassen und die Arbeit an sie abgegeben.
Ich kann dazu einfach keine Emotion aufbauen, obwohl ich es weiß. Irgendwas hält mich ab davon. Silvia hatte enormes geleistet und ich kann mich zwar bedanken, aber es fehlt mir, Emotion einzubringen. Ich habe keinen Bezug dazu. Ich kann mich dafür entschuldigen, aber es fehlt die Emotion dazu. Das macht es mir nicht leicht, damit umzugehen.
Es gibt einiges, was immer wieder Konflikte bringt. Damit muss ich umgehen lernen. Zunächst, meine Welt ist nicht die der anderen. Es ist oft nicht verständlich und nicht nachvollziehbar, wie ich auf manches reagiere oder damit umgehe. Das braucht noch viel Verständnis.
Vom Krankenhaus sind wir darauf nicht vorbereitet geworden. Weder ich, wie ich damit umgehe, noch Silvia, das sie Verständnis dafür aufbringen kann. In dieser Sache sind wir alleine gelassen worden.
Selbst jetzt noch kommt es immer wieder hoch, dass wir uns alleine gelassen gefühlt haben. Wir waren in so einem Ausnahmezustand, dass einfachste Denkvorgänge schwer geworden sind. Es fehlte Information darüber, was wir tun könnten. Wir waren mit allem überfordert.
Aus diesen Schwierigkeiten heraus soll man den Weg zurück ins Leben finden? Da fragt man sich oft, wo ist er denn, der Weg? Wann kann ich sagen, ich bin zurück im Leben. Denn eigentlich war ich bereits durch das Überleben des Hirnabszesses zurück im Leben!
Ich bin zurück, ja! Aber es gibt eben auch ein anderes "Zurück im Leben". Ein selbstbestimmtes, eigenständiges Leben. Und das ist noch ein ganzes Stück weit weg. Mein erster Versuch, alleine mit dem Bus zu fahren, ist ziemlich schief gelaufen.
Dieses Erlebnis zeigte mir, wo ich wirklich stehe. Normalerweise fahre ich nicht ohne Begleitung fort. Diesmal war es aber nicht anders möglich. Es hat eigentlich ganz einfach ausgeschaut, ist dann aber anders gekommen. Damit war ich überfordert, trotzdem wollte ich es ausprobieren.
Ich hatte einen Termin in Stallhofen in der Weststeiermark. Auf der BusBahnBim App kann man ganz einfach sein Ziel eingeben und es werden die Verbindungen mit Uhrzeit angezeigt. Sah ganz einfach aus und nach keiner großen Herausforderung. Doch das sollte sich bald ändern.
Es geht mir in erster Linie um die Behandlung als Fahrgast. Schon beim Einsteigen war ich mir nicht sicher ob ich richtig bin. Daher fragte ich den Busfahrer, ob das der richtige Weg nach Stallhofen sei. Er murmelte nur was und verkaufte mir dann eine Karte. Dann redete er was von Zonen und das passt schon.
Es war noch Zeit bis zur Abfahrt, daher ging ich nochmals nach vorne zum Fahrer und fragte ihn noch einmal. Er sagte wieder, das passt schon. Andere Leute, die vorbeikamen und etwas fragten, wurden genauso unfreundlich behandelt und weiter geschickt.
Dann bei der Haltestelle in Gratwein, rief er zurück zu mir und fragte, wo ich eigentlich hin möchte. Fragend sah ich ihn an, denn ich hatte ja schon mindestens dreimal gesagt, wo ich hinwollte. Ich ging nach vor und da sagte er mir, er fahre gar nicht nach Stallhofen. Ich merkte wie Ärger in mir hoch kam und das ich aufpassen musste, meine Emotionen unter Kontrolle zu halten.
Er stieg mit mir aus dem Bus, deutete auf das Schild vorne am Bus und sagte: "Können sie nicht lesen. Der Bus fährt nach Stiwoll. Da müssen sie schon selber schauen."
Ich war nur mehr verdutzt. Warum fragte ich dann mehrmals nach, ob das der Bus nach Stallhofen ist. Ich konnte es nicht abschätzen, was das jetzt bedeutet. Es gab noch ein kurzes hin und her, dann stieg er in den Bus, ließ mich stehen und weg war er.
Ich stand an der Haltestelle, mitten in Gratwein und wusste zunächst nicht was tun. Es war unheimlich. Ich war isoliert und alleine. Erst musste ich meine Gedanken ordnen und sammeln. Das war meine erste alleinige Busreise und alles ging schief. Strukturiertes Denken war jetzt meine einzige Hilfe. Als erstes musste ich schauen, zurück nach Graz zu kommen, dort würde ich weiter sehen.
Da fiel mir die Eisenbahn und der Bahnhof ein. Jetzt hatte ich ein Ziel. Der nächste Zug ging in 15 Minuten. Ich setzte mich hin und rekapitulierte was gerade passiert ist. Ärger kam in mir hoch. Ich fand das Geschehen unmöglich, tat ich doch alles mir Mögliche.
Natürlich war ich auch schuld. Ich bin definitiv im falschen Bus gesessen. Aber dann fiel mir die unmögliche Art des Fahrers wieder ein. Wie er nicht nur mich behandelte, sondern auch andere, die in Graz einen Bus suchten und bei ihm nachfragten. Barsch verwies er sie woanders hin, da fiel mir zum ersten mal seine Unfreundlichkeit auf.
Mir kam wieder der Spruch von Monica Lierhaus in den Sinn, der da lautet:
“Es gibt nicht nur den äußeren Teil einer Behinderung, den jeder Außenstehende sofort erkennt. Von den unsichtbaren Behinderungen bekommen die wenigsten etwas mit!”
Auch meine Behinderung ist fast nicht erkennbar. Wenn ich langsam gehe sieht man fast nichts. Aber das Gravierendere ist das Denken, die Emotionen und die verlangsamte Wahrnehmung. Mit unfreundlichen Menschen kann ich nichts anfangen. Mein System schaltet ab und versteht nichts mehr. Das sind eben auch Auswirkungen, mit denen ich erst umgehen lernen muss.
Also alleine wegfahren ist somit immer noch tabu. Ich habe es nicht im Griff. Mir fehlt der Überblick und ich kann keine entsprechenden Schritte setzen, die zu tun wären.
Mit entsprechend freundlichen Menschen, die auf mich eingehen, wäre wahrscheinlich nichts passiert. Aber mit unfreundlichen habe ich ein Problem. Da ist zu viel Druck auf mich, etwas lösen zu müssen, wozu ich nicht imstande bin.
Ich habe um meiner nicht sichtbaren Defizite gewusst, aber nicht damit gerechnet, dass mich so etwas komplett aus der Bahn wirft. Aber das ist halt unsere Gesellschaft. Man wird nach Aussehen beurteilt. Viele gehen nicht unvoreingenommen in ein Gespräch.
Geistige und psychische Krankheiten sind nun mal nicht so leicht erkennbar. Vielleicht sollten wir uns alle mit einem großen Schild kennzeichnen, dass etwas anders ist. Wir wären verwundert, wie viele Menschen sich so ein Schild umzuhängen hätten.
Krankheit sollte nichts Diskriminierendes beinhalten. Egal welche Krankheit, sie könnte einen, wie auch immer gearteten, höheren Sinn haben. Für mich als Kranken, wie auch für meine Umgebung und wahrscheinlich auch für die Gesellschaft.
Und hier kommen wir zur alternativen Medizin. Hier geht es um den verschobenen Energiefluss. Um ihn wieder herzustellen, ist es unter anderem notwendig, geistige und spirituelle Ursachen zu beseitigen. Die haben auch Einfluss auf das Gefüge um einen herum.
Darum hat es auch eine Wirkung auf die Gesellschaft und wie wir mit Krankheit und Behinderung umgehen. Verstecken wir sie oder lernen wir damit umzugehen und können sie in unser Gesamtbild aufnehmen.
Im Moment wird bei uns noch viel versteckt und das Beispiel mit dem Busfahrer zeigt nur auf, dass unsere Gesellschaft noch weit weg von all dem ist.
Zur Richtigstellung aber soll gesagt sein, dass es sehr wohl auch Busfahrer gibt, die wirklich freundlich sind und bei denen ich mich hier einmal bedanken möchte. Leider gibt es auch schwarze Schafe unter ihnen, die aber nur das vorwiegende Verhalten unserer gesamten Gesellschaft dazu aufzeigen.