54. Meine Wahrnehmung - gut oder schlecht?

13. April 2018
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5 Minuten Lesezeit

Seit dem Hirnabszess habe ich eine neue Wahrnehmung in vielen Bereichen. Es ist faszinierend, die Funktion des Gehirns in dieser Art kennen zu lernen und zu erleben was es eigentlich kann.

Ist es aber gut oder schlecht, diese Art der neuen Wahrnehmung? Nun, es ist keines von beiden. Weil es einfach IST. Es ist eine neue Art des Bewusstseins. Gezwungenermaßen beschäftige ich mich viel mit meiner Wahrnehmung, deren Veränderung und wie ich es erlebe.

Definiert wird Wahrnehmung mit:

"...das, was man mit den Sinnen bemerkt",...

wahrnehmung

...und da hat sich einiges verändert. Manches hatte ich bereits vorher gespürt und anderes spüre ich jetzt verstärkt. Es ist oft nicht leicht diese neue Art der Wahrnehmung ins Leben zu integrieren. Verschiedenes macht mir Angst, weil ich es noch nicht verstehe oder es belastet auch die Beziehung.

Das mit dem neuen Leben ist nicht nur so dahergeredet. Es hat in jeder Beziehung für mich ein neues Leben begonnen. Die Wahrnehmung spielt darin eine große Rolle.

Der Thalamusabszess

Mit dem Abszess, dass auf den Thalamus drückte, hat alles begonnen. Die Auswirkungen waren, dass ich mich plötzlich durchlässig fühlte, wie ein Schweizer Käse. Es prallten alle möglichen Informationen auf mich ein. Ich konnte nicht unterscheiden zwischen wichtig und unwichtig. Es war wie ein Dauerbeschuss des Raumschiff Enterprise.

Was geschieht dabei?

Es geht um Informationen, die auf den Körper treffen. Die Menge ist unglaublich. Aus ihnen selektionieren wir und nur einige wenige gelangen normalerweise ins Bewusstsein. Diese bilden die Grundlage für unsere Entscheidungen oder wie wir etwas wahrnehmen. Untersuchungen ergaben unglaubliche Zahlen:

  • 26 Milliarden Bits treffen pro Sekunde bei uns ein
  • 10 - 11 Millionen kann das Gehirn davon aufnehmen
  • 40 - 50 Stück können wir bewusst verarbeiten wahrnehmung

Jeder Supercomputer würde vor Neid erblassen. Solange alles funktioniert ist ja alles ok. Aber was passiert, wenn das Gehirn nicht mehr funktioniert?

Computerstörung im Gehirn

Störung

Der Körper reagiert ähnlich wie  bei einer Computerstörung. Er funktioniert noch, aber er kann die Daten nicht auslesen, weil zu viel hochgeladen wird, was gar nicht beabsichtigt war. Bei mir ist es unter anderem der Durchlass von zu vielen Daten, also von so vielen Informationen, dass ich sie nicht verarbeiten und steuern kann.

Ob es als richtig oder falsch bezeichnet werden kann, so zu funktionieren, sei dahin gestellt. Viele Erkenntnisse, Erfahrungen oder Erfindungen wurden nur unter solchem Funktionieren gemacht. Viele bekannte Persönlichkeiten erlebten diese Art der erhöhten Wahrnehmung. Die Schwierigkeit für mich liegt darin, diese erhöhte Wahrnehmung auch richtig einordnen zu können.

Die Auswirkungen

Einkaufszentrum

Bestes und einfachstes Beispiel für Wahrnehmung ist ein Einkaufszentrum. Betrete ich eines, strömen Unmengen von Eindrücken auf mich ein und das alles gleichzeitig. Ich bin überfordert damit und kann diese Eindrücke nicht voneinander trennen.

Wir sind normalerweise so programmiert, dass wir unwichtiges aussortieren. 40 bis 50 Eindrücke bleiben übrig und die können wir dann bewusst verarbeiten. Lärm und Umfeldgeräusche, Menschen um uns herum und vieles mehr, belastet uns so nicht.

Auf einen Bruchteil reagieren wir sofort, der Rest kommt in eine Schublade. Bei mir sind es um ein vielfaches mehr an Informationen, die auf mich eintreffen. Vielfach ist noch gelinde ausgedrückt. Es sind so viele, dass ich es nicht mehr verarbeiten kann. Überforderung und in der Folge Schwindel ist in der Regel die Auswirkung. Augen zu und hinsetzen ist oft die einzige Hilfe.

Roboterhaft irre ich dann meinem Ziel zu. Ein Einkaufszentrum ist noch immer eine immense Herausforderung für mich. Das ist aber nur ein kleines Beispiel, dass wahrscheinlich viele nachvollziehen können. Denn von einem Einkaufszentrum sind viele überfordert. Meine Wahrnehmung geht aber noch weit darüber hinaus. Man spricht dann auch von Hochsensibilität oder Hellsichtigkeit.

Im Gegensatz dazu die Natur

Wald, Stattegg

So wie es diese eine Wahrnehmung gibt, gibt es auch eine andere, eine positivere. Was im Einkaufszentrum so schwer ist, ist in der Natur anders. Denn die Natur ist natürlich. Das Gehirn unterscheidet zwischen natürlich und unnatürlich. Industriell hergestelltes Essen ist oft so. Es ist unnatürlich. Allerdings haben wir verlernt unserer Intuition zu vertrauen, ja, sie überhaupt zu spüren.

In der Natur fühle ich mich wohl und habe eine ganz andere Wahrnehmung als in der Stadt. Es ist interessant den Unterschied zu spüren, ob ich von der Stadt in den Wald oder umgekehrt komme. Ob ich in der Stadt spazieren gehe oder im Wald und der Natur.

In der Natur ist alles anders

In der Natur wurde mein Blick fürs Detail geschärft. Ich hatte ihn schon vorher, besonders beim Filmen. Ob es um Details bei einem Interview ging, eine stimmige Bildkomposition zu erreichen oder die verschiedensten Blickwinkel, die jeder was anderes aussagen, obwohl das gleiche gefilmt. Dieses Gefühl war da, es hat sich aber jetzt auch verschoben.

Man könnte sagen, ich habe jetzt Muße und Zeit einer Blume beim Wachsen zuzusehen. Ich sehe Details, die sonst an vielen vorübergehen. Das ist im Moment meine Welt. Früher habe ich es genossen, fremde Länder, Menschen und Kulturen kennen zu lernen. Jetzt freue ich mich auf die Details während einem Spaziergang rund um mein Haus.

Dadurch das ich so langsam unterwegs bin, kann ich auch mehr wahrnehmen. Und nicht nur wahrnehmen, ich beschäftige mich auch damit.

Schlossberg in Graz

Schlossberg

Der Schlossberg in Graz ist ein Biotop inmitten der Stadt. Ich übe und trainiere jetzt öfters dort, auch um eine Ortsänderung zu haben. Es gibt so viele Details zu entdecken, es ist unerschöpflich. Die Aussicht, die Flora und Fauna, es ist herrlich dort. Für mich auch ideal, weil es überall Parkbänke zum Ausrasten gibt.

Die Wege sind steil und so brauche ich, noch öfter als normal, eine Rast. Die wiederum nutze ich, um mich den Details zu widmen. Eben um Details wie Ameisen, Vögel oder Pflanzen, aber auch Bauwerke, Tafeln und anderes.

Wie nehme ich die Krankheit wahr?

Eine Art der Wahrnehmung ist auch: Wie nehme ich meine Krankheit wahr! Denn das kann auch den Heilungsverlauf beeinflussen. Habe ich die Krankheit angenommen oder stehe ich ihr negativ gegenüber. Kann ich daraus lernen oder verteufle ich sie?

Eine Hilfe kann auch sein, dass das medizinische Personal nicht nur auf die körperlichen Krankheitszeichen Rücksicht nimmt, sondern auch die Wahrnehmung der PatientInnen bezüglich ihrer Krankheit beachtet. Ist man positiv oder negativ gestimmt. Denn darauf entsprechend reagiert, kann eine möglichst gute Zeit nach dem Krankenhaus und eine schnellere Heilung erreicht werden.

Ich habe immer wieder von meinem Pflegepersonal ermunternde Worte sowie auch Antworten bekommen. Umso mehr, weil ich selbst zeigte, dass ich gesund werden wollte. Die Unterhaltungen mit Putzfrauen und anderen Helferinnen (wenn ich heute darüber nachdenke, waren es nur Frauen), waren positiv geprägt und haben mir sehr geholfen, meine positive Stimmung zu behalten.

Nach der OP
Nach der OP

Meine Wahrnehmung gegenüber anderen

Das ist ein eigenes Kapitel, dass ich ein andermal in einem eigenen Blogbeitrag behandeln werde. Es ist so komplex, dass mir dafür noch die Worte fehlen. Allerdings ist es spannend, das zu beobachten. Entsprechende Literatur gibt es dazu, aber ich muss mir das erst Schritt für Schritt erarbeiten. Wenn ich mich lange genug damit beschäftige, dann kommen auch die Worte dazu.

Mein Gehirn schützt mich davor, wenn ich einmal zu viel möchte. Und DAS ist eben noch zu viel. Ich werde früh genug auch das Erfassen lernen. Nämlich dann, wenn ich soweit bin.

Wahrnehmung auch für andere eine Herausforderung

Wie nehmt Ihr eigentlich alles so wahr? Seid Ihr auch überfordert und wenn ja, womit oder warum? Findet Ihr einen Weg aus der Überforderung auszusteigen? Erkennt Ihr die Überforderung früh genug und könnt reagieren?
 


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Ich bin Jörg, wohne in der Nähe von Graz und blogge hier über meinen Weg zurück ins Leben, das ein Hirnabszess 2016 völlig auf den Kopf gestellt hat.
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