Nach dem Erreichen des nördlichsten Punkt von Österreich, stand mir der lange Weg nach Vorarlberg bevor. Über 600 Kilometer, mit der Überquerung des Arlberg, als persönlichem Höhepunkt. So hoch kam ich seit dem Hirnabszess vor 5 Jahren noch nie hinaus. Am Walkabout sollte sich das ändern.
Wieder galt es, nicht zu viel nachdenken, einfach gehen und alles Weitere auf mich zukommen lassen.
Ich kam erst gegen 18h vom nördlichsten Punkt in Rottal weg. Der Plan war, über Haugschlag, Litschau, Gmünd und Karlstift, auf geradem Wege zur Donau hinab zu kommen und dann dem Jakobsweg zu folgen.
Die tägliche Suche nach dem Weg, war zu mühsam. Ich wollte möglichst ohne Navigieren gehen und das versprach mir der Jakobsweg am ehesten.
Zunächst stellte sich mir allerdings die Frage nach dem Übernachten. Es wurde immer später und die Möglichkeiten weniger. Die Entscheidung fiel mir aber leicht, ich wollte so lange gehen, wie Licht war und mich dann einfach in ein Bushäuschen legen, um dann möglichst früh wieder auf Achse zu sein.
Gesagt, getan - sehr früh bin ich wieder aufgebrochen. Die Wartehäuschen im Waldviertel sind, wahrscheinlich aufgrund der Witterung, kleine, rundum fast geschlossene Hütten und damit ideal zum Pausieren, vor allem bei schlechtem Wetter. Bestens für mich geeignet, denn das Zelt aufbauen erforderte einfach viel mehr Energie, die ich mir hier ersparte.
Durch Nebelverhangene, mystische Landschaft, ging es durch Wälder, vorbei an Seen, durch kleine Dörfer oder an einzeln gelegene Häuser vorbei.
In Gmünd nahm ich mir ein Zimmer in einer Pension, die schon viel erlebt hatte. Ein älteres Ehepaar führte sie und ich erfuhr einiges von Ihnen, ihrer Pension, der Stadt und der Eisenbahn, die hier alle verband. Wir sprachen über Dampfloks, die gemeinsam in der Früh anfeuerten und den Himmel verdunkeln ließen oder wie sich die Stadt im Laufe der Zeit veränderte.
Ich merkte, dass diese Kommunikation nicht nur mir gefehlt hat, sondern seit Corona praktisch jedem Menschen. Das machte es so wertvoll für mich, Zeit für die Menschen unterwegs zu haben, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und ihre Geschichten zu hören. Auf diese Art der Gespräche freute ich mich jederzeit.
In Karlstift war ich erneut sehr spät unterwegs. Wieder stand mir eine Übernachtung im Zelt bevor. Ich ging bei einem der letzten Häuser vorbei, als mich ein Hund anbellte. Kurz darauf kam die Besitzerin hinter einer Hecke hervor und es folgte eine Unterhaltung. Das Ergebnis war, dass ich mein Zelt auf ihrem Grund aufstellen konnte und es noch weitere spannende Unterhaltungen mit ihr und ihrem Mann gab.
Besonders die Aussage,"Wir sind jetzt über 60 Jahre verheiratet", berührte mich sehr. Was hatten die beiden nicht alles erlebt und durchlebt. Es war noch manch andere Aussage dabei, die mir die Tränen in die Augen trieb. Kurz vor dem Finster werden brachte mir die Dame noch einen Krug voll Wasser. Dankbar für diese Begegnung schlief ich ein.
Es war kühl, eigentlich sogar kalt, aber mit dem ersten Tageslicht baute ich das Zelt ab, um den Sonnenaufgang auf 1.000 Meter Seehöhe erleben zu können.
Diese Tage war ich die meiste Zeit Selbstversorger, denn fast alle Gasthäuser hatten zu. Es war immer so viel Essen in meinem Rucksack, dass ich damit über den nächsten Tag kam, im Notfall mit Müsliriegeln und Wasser. Ich konnte mich nicht darauf verlassen, ein offenes Kaufhaus anzutreffen oder eine Tankstelle, denn die waren oft abseits meiner Route, zu weit, um hinzugehen.
Nach Karlstift führte mich mein Weg entlang der tschechischen Grenze. Oft tief im Wald, begegnete ich keiner Menschenseele. Komischerweise kamen öfter Gedanken um Bären auf. Gab es denn in dieser Wildnis an der Grenze zu Tschechien welche?
Ich dachte öfter an den Appalachen Trail in Amerika, wie ich mich gegenüber Bären verhalten würde. Davonlaufen ginge sowieso nicht, also spürte ich hinein, wie groß mein Vertrauen zu mir selbst war? Es war eine gute Übung, die mir in den folgenden Wochen öfter helfen sollte. Ich spürte, dass ich immer mehr in meiner Mitte war und Tiere merken das sofort.
Vor allem Hunde, deren Besitzer mir oft sagten: "Das macht er nie!". Ich zog Hunde richtig an, aber nicht um angegriffen zu werden, sondern zuerst vorsichtiges beschnuppern, um danach gekrault zu werden.
In Enns führt der Hauptweg des Jakobsweges durch Österreich vorbei. Ein mehr oder weniger gut markierter Weg, der mich bis nach Vorarlberg bringen sollte. Zum ersten Mal war wirklich schönes und warmes Wetter.
Oberösterreich war das Land der Erinnerungen ans Radfahren. Fast in jedem Städtchen bin ich schon Radrennen gefahren. Ansfelden, Wels, Lambach, Schwanenstadt und viele mehr, lagen auf meinem Weg. Obwohl ich schon oft hier war, war für mich alles neu. Mit der Langsamkeit der Füße entdeckte ich jeden Meter und hatte Zeit, die Eindrücke zu verarbeiten.
Es waren aber nicht nur die Erlebnisse im Außen, die mich beschäftigten, die Inneren waren besonders stark. Stand der erste Teil des Walkabout unter dem Aufarbeiten vom Krankenhaus, so war es diesmal die Zeit danach.
Pfeifend, singend und tanzend zog ich dahin und muss für manchen ein recht komisches Bild abgegeben haben. Das war mir aber egal, denn durch die Tanztherapie hatte ich gelernt, meinen Körperimpulsen nachzugeben und mich darin nicht stören zu lassen. Die Hände fuchtelten oft umher und ein manchmal schwankender Gang ließen mich aussehen wie betrunken. Das half mir, mehr Lockerheit in den Körper zu bekommen, auch wenn es von Außen komisch aussah.
Das schwere Gewicht des Rucksacks und der Vorwärtsdrang lassen mich oft starr werden. Seitliche Schritte und bewegen der Arme brachten wieder mehr Lockerheit. So wechselte ich oft ab, mit dem Ergebnis, dass ich wesentlich leichter und lockerer Gehen kann.
Obwohl ich oft langsam ging, legte ich Kilometer um Kilometer zurück und war am Abend verblüfft, so weit gekommen zu sein. Ich buchte nie im Voraus ein Quartier, sondern schaute ab 17 Uhr, wo ich war und welche Gasthöfe am Weg lagen. So hatte ich zwölf Stunden am Tag fürs unterwegs sein und so kamen auch die Kilometer zusammen.
Ein wichtiger Punkt waren die Teststraßen, die es nur in den größeren Städten gab. Sonst nahm ich auch Apotheken in Anspruch oder was am Weg lag. Manchmal bedeutete das auch einen Umweg, den ich nur dann machte, wenn er nicht zu groß war.
Die Umstellung von "Negativ" auf "Nicht nachgewiesen" am Test, habe ich nie erfahren. Das erste Mal sah ich das in Sankt Johann in Tirol. Ich konnte das Ergebnis natürlich nicht abwarten und ging weiter. Irgendwann kam das SMS und ich schaute darauf. "Nicht nachgewiesen"???
Was war das jetzt? War mein Test ungültig oder fehlerhaft?
Zurückgehen nach Sankt Johann war mir nicht mehr möglich, daher wollte ich in der nächsten Stadt nachfragen. Zum Glück war der alte Test noch für diesen Tag gültig.Erst später sollte ich erfahren, dass die Bezeichnung geändert wurde.
Das Testen bekam ich dann immer besser in den Griff, allerdings waren die Teststraßen oft zu weit auseinander. Apotheken waren meist nur mit einem großen Umweg möglich, hatten Öffnungszeiten oder nur spezielle Termine für die Testung, die in meinen Weg nicht hineinpassten. Für solche Fälle musste dann eine Selbsttestung her, die aber nur einen Tag gültig war.
Das immer zu bedenken, stellte mein Gehirn vor eine große Herausforderung. Ein anderer Aspekt war die große Ansammlung von Tests. Normalerweise verwendet man beim Pilgern einen Pilgerpass, worin die Stempel der Herbergen und Kirchen unterwegs dazu dienen, den Weg nachzuverfolgen. Mein Pilgerpass war die Sammlung der Tests, anhand derer ich meinen Weg durch Österreich verfolgen konnte.
Es war lange für mich fraglich, ob ich über das Deutsche Eck gehen konnte oder innerhalb von Österreich bleiben musste? Zweiteres hätte einen Umweg von 150 km bedeutet und das über die Berge. Die Situation um Corona beruhigte sich aber so weit, dass ich neben dem Deutschen Eck sogar erstmals den Jakobsweg retour durch Südtirol ins Auge fasste, um nach Kärnten zu gelangen. Mit diesen beiden Alternativen konnte ich die hohen Berge meiden, die für mich eigentlich noch nicht möglich waren.
Eine Nacht verbrachte ich auf einem Campingplatz im Deutschen Eck und am nächsten Tag war mein Ausflug nach Deutschland wieder vorbei.
Das Salz in der Suppe waren aber nach wie vor die Begegnungen für mich. Wie unterschiedlich die Charaktere durch Österreich waren, dass konnte ich auf jedem Meter, den ich vorwärtskam, bemerken. Zu Fuß unterwegs, bekam ich einen anderen Zugang zu den Menschen.
Auf der Flucht vor einem Gewitter nahm ich in Scheffau Zuflucht bei einer Liftstation. Der dortige Kaffee-Automat war defekt und kurzerhand wurde ich vom dortigen Skiverleih zum Kaffee eingeladen. Eine lockeres Gespräch entstand mit dem Seniorchef und seiner Frau, was mir das Warten verkürzte und mir neue Einblicke gab. Für mich waren das Bausteine auf dem Weg, lebte ich doch durch den Hirnabszess schon seit fünf Jahren im Social Distancing.
Die Tage vergingen, abwechselnd im Zelt und in Gasthöfen verbringend. In Zams verpasste ich die Teststraße wegen einer Sperre am Weg. Ich musste Forstarbeiten abwarten, die mich viel Zeit kosteten. Ich ging noch weiter bis Landeck und verwendete den dortigen Campingplatz. Mit dem dortigen Betreiber, Lorenz, habe ich mich lange unterhalten, der als ausgebildeter Sportwissenschafter Interesse an meiner Tour hatte.
Am nächsten Tag startete ich schon besonders früh. Mein Ziel war der Arlberg, den ich, wenn möglich, an diesem Tag überqueren wollte. Die ersten Kilometer zogen sich dahin, besonders das viele auf und ab forderte mir einiges ab. Da ich am Vortag nur einen Zutrittstest machte, hatte ich heute keinen gültigen Test. Erst in Sankt Anton kam ich an der dortigen Apotheke vorbei, die ich nutzte, um mir einen Test abzuholen. Um vierzehn Uhr startete ich in den Anstieg zum Arlberg. Ich musste damit rechnen, noch vor dem Gipfel im Zelt übernachten zu müssen.
Langsam, aber stetig stieg ich höher. Eigentlich ist es ein normaler Wanderweg, aber es gab ausgesetzte Stellen, die mir alles abverlangten.Ob Brücken oder ausgesetzte Stellen, meine Wahrnehmung kam dabei ans Limit.
Erst am Abend erreichte ich den Pass und musste dabei beim Absteigen einige Schneefelder queren. Ich war glücklich, als ich das letzte hinter mir lassen konnte. Ich stieg noch bis Langen am Arlberg ab, wo ich erst spät mein Zelt aufbaute. Trotz der Höhe, wurde es meine wärmste Nacht bisher, seit ich unterwegs war. Es sollte eine Ankündigung sein, was mich in den nächsten Tagen erwarten sollte.
Über Nüziders ging es nach Feldkirch. Die Temperaturen stiegen auf 35° und die Sonne brannte nieder. Ich fühlte mich wohl dabei, denn mein Nervensystem arbeitet bei solchen Temperaturen einfach besser. In Feldkirch übernachtete ich im Kloster und wollte erst am nächsten Tag die 8 Kilometer nach Bangs gehen. Es war ein überwältigendes Gefühl, Österreich trotz meiner Handicaps durchquert zu haben. Der Walkabout hat seinen Sinn erfüllt.
Gesagt getan, am 18. Juni erreichte ich den westlichsten Ort und kurz darauf auch den westlichsten Punkt. So sehr emotional der Vortag war, so hatte ich kaum Gefühle. Es war ein Abhaken der Punkte und dann gings zurück nach Feldkirch.
Es gäbe natürlich noch 1000 andere Erlebnisse dazu zu erzählen, aber ich brauche Zeit, um alles verarbeiten zu können. Daher braucht auch mein Buch noch einige Zeit.
Im nächsten Teil des Walkabout geht es dann von Vorarlberg über Südtirol zum südlichsten Ort, Vellach/Eisenkappel in Kärnten.
(Zum ersten Teil des Walkabout)
Lieber Jörg!
Nach dem Motto:" Wo ein Wille, da auch ein Weg!" ....hast du es wahrhaft geschafft, diese weiten Stecken unter den schwierigsten Vorraussetzungen zu bewältigen.
Was soll ich sagen....mir fehlen die Worte....ich ziehe den Hut vor dir und verbeuge mich vor deiner Größe.Vor deiner physischen und psychischen Stärke.
Ich hätte gesagt du hast ein Wunder vollbracht." Go with good"....Ja ,und welche anderen Energien dich dabei noch begleitet haben....ich denke ein Danke an Alle Spirits ist an dieser Stelle passend.
Danke möchte ich auch sagen für deine exzellenten Berichte , und die Wundervollen Fotos .
Ich freue mich schon sehr auf ein Buch von dir!!!
Lebe weiterhin dein Leben nach deinem Motto:" Never give up !"
Und vielleicht auch noch:
"Go with the flow!"
Ich wünsche dir eine gute Erholungs- und Verarbeitungsphase & es warten bestimmt noch einige Abenteuer auf dich;)
Auf eine Begegnung mit dir, mit vielen Erzählungen freue ich mich;)
Liebe Grüße
Andrea Ziegler
Hallo Andrea, danke!
Ja, der Walkabout war ein Abenteuer, dass mir enorm weiter geholfen hat.
"Go with the Flow" ist ein gutes Stichwort.
Gerne auf einen Spaziergang (mit Kaffee). Telefonieren wir uns zusammen.
Danke und liebe Grüße
Jörg