Das Gehen brachte mich mittlerweile viermal zum Jakobsweg nach Spanien. Dort konnte ich die für mich wichtigsten Emotionen, nämlich Glück und Freude, in einem guten Umfeld kultivieren. Corona hat das verändert und so bin ich zu Hause unterwegs, am Mariazellerweg.
Es ist zwar nicht dasselbe wie in Spanien, aber zumindest versuche ich das Glücklichsein und die Freude auch hier zu Leben. Aus Budgetären Gründen übernachte ich im Zelt oder Biwaksack und investiere das Geld lieber in Essen und Verpflegung.
Mitte Juni war ich das letzte Mal für mehrere Tage am Weststeirischen Jakobsweg unterwegs. Es wurde wieder einmal Zeit, dem Alltag zu entkommen und etwas anderes zu machen. Nur so bleibt mir die Motivation erhalten, dranzubleiben.
Mitte Juni war ich das letzte Mal für mehrere Tage am Weststeirischen Jakobsweg unterwegs. Es wurde wieder einmal Zeit, dem Alltag zu entkommen und etwas anderes zu machen. Nur so bleibt mir die Motivation erhalten, dranzubleiben.
Ich habe mich sehr kurzfristig dafür entschieden, dass ich losgehen wollte. Zurzeit sind immer sehr viele Gewitter, so nutze ich mögliche Tage dazwischen, die nach Möglichkeit Gewitter frei sind.
Da ich von meinem Zuhause den Weststeirischen Jakobsweg oder nach Mariazell Pilgern kann, war diesmal der Mariazellerweg dran. Ob ich ganz nach Mariazell gehen wollte, entschied ich erst unterwegs, da gemischtes Wetter vorhergesagt wurde.
Der Mariazellerweg führt über die Berge, die 1000 bis 2000 Meter hoch sind. Mein Gesundheitszustand ist noch nicht so, dass ich genug Reserven habe, um für schlechtes Wetter in alpinen Gelände gerüstet zu sein. Dazu kommt das Gewöhnen an das Schlafen im Freien. So toll es ist, es kostet in Kombination mit dem Gehen zu viel Energie.
Ich wollte einfach losgehen, denn jeder Schritt und jeder Meter, den ich gehe, hilft mit in der Rehabilitation. Nicht Bewegen bedeutet bei mir Rückschritt. Wenn ich nicht mehr weiter kann oder möchte, gehe oder fahre ich eben wieder nach Hause. Das wichtigste ist Freude zu haben.
Im ersten Licht gehe ich los. Mein erstes Ziel ist Semriach, von dem mich aber zwei Berge trennen. Ich kenne die Gegend noch vom Radfahren, trotzdem ist es zu Fuß anders, denn man erhält einen völlig anderen Blickwinkel. So genieße ich den erwachenden Morgen und gehe unter dem Zwitschern der Vögel, bei blauem Himmel, durch die Hügel hinter Gratkorn.
Nach etwa drei Stunden bin ich in Semriach angelangt. Am Brunnen neben der Kirche fülle ich meine Wasserflaschen auf, denn mittlerweile ist es schon sehr warm. Auf der Straße geht es weiter zum Rechberg, dem nächsten Zwischenziel.
Am Weg ziehen schwarze Wolken auf und für 13 Uhr ist ein Gewitter vorausgesagt. Ab dem Pass geht es meist auf Forststraßen in Richtung Teichalm weiter. Unterwegs bereite ich mich darauf vor, mich irgendwo unterzustellen zu können. Um Punkt 13 Uhr fängt es an zu Regnen und ein komischer Donner beginnt, nicht mehr aufhörend.
Ich stelle mich unter, um vom ersten Regenguss nicht durchnässt zu werden. Blitze sehe ich keine, nur der Donner begleitet mich noch lange, auf dem Weg zur Teichalm. Es regnet nur leicht und so gehe ich weiter, auf ein schwarzes Wolkenmeer zu, dass nichts Gutes erhoffen lässt. Kaum habe ich die Teichalm erreicht, beginnt es wie aus Kübeln zu schütten.
Mit einem so langanhaltenden Gewitter habe ich nicht gerechnet, denn über drei Stunden zieht es sich jetzt schon hin. Ich setze mich in den dortigen Gasthof, um das Unwetter abzuwarten.
Nach über einer Stunde breche ich beim ersten Aufhellen auf und überlege was ich jetzt mache. Die nächste Busstation ist über zwei Stunden entfernt und den letzten Bus erreichte ich dort somit nicht mehrt. So bleibt mir nichts anderes übrig, als weiterzugehen und es schaut gar nicht so schlecht aus.
Es klart auf und wird wieder schön. Die Wiesen, Almen und Wege sind zwar nass, aber gut begehbar. Einzig der Wetterbericht macht mir Sorgen, denn er sieht für die Nacht noch ein Gewitter um ein Uhr früh vor. Es ist aber die den ganzen Tag herrschende Schwüle weg und mein Gefühl sagt mir, dass es eine Nacht ohne Gewitter wird.
Da ich zum Gasthof ein paar Meter vom Weg abgewichen bin, bin ich nach einem kurzen Umweg wieder am Mariazellerweg. Eine tolle Lichtstimmung genieße ich und lasse mir Zeit.
Mit was ich nicht gerechnet habe, zeigt mir gnadenlos die Defizite auf. Der Weg ist übersät mit Kuhfladen. Ich komme nicht umhin, immer wieder über einige drüber zusteigen. Wenn ich dann nicht sauber den Fuß hebe, streife ich unweigerlich mit dem Schuh durch den Dreck.
Da ist es vorbei mit dem automatischen Gehen. Ich muss genau auf die Füße schauen und das Anheben beobachten und willentlich steuern. Durch das nasse Gras bleiben meine Schuhe einigermaßen sauber, allerdings riechen sie streng. So komme ich immer wieder in Situationen, in denen mich meine Defizite behindern. Lieber hätte ich Augen für die Schönheit der Landschaft gehabt, aber wieder einmal klebt meine Sicht am Boden.
Ich habe noch keinen Weg in Österreich erlebt, wo so viele Kreuze und Marterln stehen. Das ist halt ein richtiger Wallfahrerweg.
Ich war mir unschlüssig, soll ich biwakieren oder die Nacht durchgehen. Es war die Nacht der Perseiden und sicher sehenswert. Trotzdem stoppte ich um 21 Uhr und legte mich hin. Es war bereits finster. Der Tag war schwerer als gedacht und kostete mir mehr Energie, als angenommen.
An einem Rastplatz unter Bäumen legte ich meinen Biwaksack hin, blies die Matte auf und stieg in den Schlafsack. Augenblicklich schloss ich die Augen und dämmerte dahin. Ich war neugierig, wie ich auf das Schlafen im Freien reagierte. Denn soviel ich Gehen konnte, es bedarf noch viel Erholung, die ich im Zelt oder Biwaksack bisher nicht fand.
Nach Mitternacht wachte ich auf und obwohl ich unter Bäumen lag, war der mit Sternen überhäufte Himmel zu sehen. Ich war aber so gerädert vom Vortag, dass ich nicht aufstand, um die Sternschnuppen der Perseiden zu beobachten. Da der Himmel recht klar war, brauchte ich mich nicht um die vorhergesagten Gewitter in der Nacht zu sorgen.
So blieb ich im Biwaksack liegen und fand einen unruhigen Schlaf, der bis in die Früh hinaus dauerte. Um fünf Uhr stand ich auf, packte zusammen und war nach 15 Minuten wieder unterwegs.
Da ich recht hoch oben war, sah ich die Sonne zwischen den Bäumen sehr früh aufgehen. Die Täler unter mir waren im Schatten, unter einer dicken Nebeldecke.
Am Berg war es traumhaft schön und erzeugte eine glückliche Stimmung in mir. Trotz der Mühen und Müdigkeit, war ich voller Freude, das erleben zu dürfen. In solchen Momenten spüre ich Demut, denn es ist nicht selbstverständlich, an dieser Stelle zu stehen. In solchen Momenten bin ich dankbar dafür, in der Rehabilitation immer weiter gemacht zu haben, auch wenn alles dagegen sprach.
So schön der Morgen bisher war, sollte mir noch allerhand bevorstehen. Die Wanderwege wurden steiniger und es wurde ein Sensomotorik-Training daraus. Konzentriert stieg ich über die den felsigen Weg.
Ich erinnerte mich an meinen ersten Camino Frances. Auch dort hatte ich felsigen Untergrund, über den ich damals mehr stolperte, als das ich gehen konnte. Noch spürt mein Fuß nicht die Stellung am Boden, aber es geht besser als vor zwei Jahren. Viel bringt mehr, das habe ich mittlerweile gelernt.
Nach einer kurzen Pause kam das nächste, der Abstieg nach Mitterdorf. Er war sehr lang und bedeutete Schwerstarbeit für meine Oberschenkel. Der Weg brachte mich an die Grenze, aber ich schaute darauf, dass es mir trotz der Anstrengung guttat. Dieses Gespür, was mein Körper verträgt, habe ich in den letzten Jahren optimiert.
Manchmal muss ich auch über diese Grenze gehen, denn nur dort ist Fortschritt möglich. An diesen beiden Tagen war es wieder einmal soweit. Mehrere Tage Erholung sind dann notwendig, aber dann habe ich wieder einen weiteren Schritt auf meinem Weg zurück ins Leben erklommen.
Am Schluss tauchte ich dann im Wald in den Nebel und war bald darauf in Mitterdorf. Ich hatte mich schon in der Nacht entschlossen, von hier nach Hause zu fahren. Die beiden Tage waren gut dafür, mich an diese Verhältnisse zu gewöhnen. Ich hatte ungefähr den halben Weg am Mariazellerweg von Graz nach Mariazell geschafft.
So steht in erster Linie das Gewöhnen an die hiesigen Verhältnisse am Programm. Im Moment konzentriere ich mich voll und ganz auf die Natur und versuche hier Verbesserungen zu erzielen. Jeder Schritt und Tritt ist dafür da, wieder ein einigermaßen "normales" Leben führen zu können. Der Weg dorthin ist oft steinig, aber ich bin mehr als froh und dankbar, schon so weit gekommen zu sein.
Das Pferd hat mich schon immer fasziniert, dabei bin ich erst einmal im Leben geritten. Großen Respekt fühle ich vor diesen kraftvollen Tieren. Neben dem Krafttier Pferd bin ich laut chinesischem Horoskop sogar ein "Feuerpferd".
Auf meinem letzten Camino, im Jänner/Februar dieses Jahres, nahm ich einen alten Talisman mit, den ich mir 1995 in den USA, auf einer meiner zahlreichen Reisen, gekauft hatte.
Diese Halskette wollte ich am Crux de Ferro lassen, einem historisch wichtigen Punkt auf dem Camino Frances. Normalerweise bringt man einen Stein von Zuhause mit, als Repräsentant für seine am Lebensweg angehäuften Sünden, um deren Vergebung man bittet. Je mehr Sünden, umso größer sollte der Stein sein.
Dieses Ritual erledigte ich schon auf meinem ersten Camino Frances 2018, diesmal sollte es allerdings etwas für die Bedeutung meines neuen Lebens sein.
Der Talisman erinnert mich an meine Zeit im Extremsport. Gekauft habe ich ihn in Leadville, bei meiner Teilnahme am zweiten Leadville Trail 100, dem damals höchstgelegenen Mountainbike-Rennen der Welt, im Jahre 1995.
Eine indianische Zeichnung auf einem Stein stellt ein Pferd dar, welches wiederum als Symbol für verschiedenste Eigenschaften zählt. Es hat mich angesprochen und in der Folge auf vielen weiteren Reisen begleitet.
Die wichtigsten Symbole wären da:
Eigenschaften, die für mein neues Leben wichtig geworden sind.
Es hat mich damals in vielerlei Richtung angesprochen, aber noch mehr wurden diese Eigenschaften nach dem Hirnabszess für mich wichtig. Besonders wichtig jetzt für mich, diese wiederzuerlangen.
Das Pferd bittet dich, dich mit deinem Körper als Tempel deiner Seele, zu beschäftigen. Öffne dein Herz für deinen Körper. Sie nehmen uns mit auf eine Reise in die Innenwelt.
Es weist uns darauf hin, dass wir hin und wieder unser ungezähmtes Wildpferd freilassen sollen, um uns aus Abhängigkeiten zu befreien.
Das Pferd bedeutet auch Balance zwischen instinktivem und gezähmten Teil der Persönlichkeit. Das Krafttier ist auch Symbol der Lebenslust.
Es symbolisiert die Fähigkeit, im Leben Hindernisse zu überwinden und sein Ziel zu verfolgen, egal was sich einem in den Weg stellt.
Dies ist die Zeit, in der du an deine Grenzen gehen solltest, auch wenn du dir des Ergebnisses nicht sicher bist.
Du hast die Gabe der sicheren Bewegung, also erlaube deinem Pferde-Totem, dir zu helfen.
Lass dein Pferde-Totem deinen inneren Mut wecken, um dir durch diese schwierige Phase zu helfen.
Dein Geist-Tier kann dir helfen, deine innere Kraft zu entfalten.
Der Gebirgszug "Montes de Leon", ist auf dem Weg nach Ponferrada zu überqueren. Am Crux de Ferro, mit seinen 1.500 m Seehöhe, erreicht man den höchsten Punkt am Camino Frances.
Der Original-Haufen aus der Römerzeit soll 300 Meter abseits der Straße liegen, mittlerweile hat sich aber der Pfahl aus Holz, oben mit einem Kreuz aus Eisen, an der Straße durchgesetzt. Es ist bereits Tradition, dass jeder Pilger einen Stein von Zuhause mitbringt und hier ablegt.
Ich war Mitte Februar alleine am Kreuz und konnte ungestörte 30 Minuten dort verbringen. Meine Gedanken waren durcheinander, aber vorherrschend war eine Dankbarkeit, wie ich mein körperliches Befinden seit dem Hirnabszess verbessern konnte.
Auf einer Bank nahe dem Kreuz setzte ich mich nieder. Alles war still, nur der Wind pfiff durch die Bäume. Nur eineinhalb Jahre später saß ich wieder hier. Es war schwierig einen Gedanken fassen zu können, wie Blitze kamen mir Stationen aus den letzten vier Jahren kurz ins Bewusstsein. Wie in einem Film spielten sich verschiedene Gedanken und Erlebnisse kurz in mir ab.
Im Unterschied zu meinem ersten Aufstieg 2018, konnte ich diesmal den Weg besser wahrnehmen. Damals war ich so aufs Gehen konzentriert, dass ich die Landschaft um mich herum nur selten aufnehmen konnte. Das Crux de Ferro lag damals wie ein unüberwindbarer, hoher Gebirgspass vor mir.
Ich war noch beeinträchtigt von der Halbseitenlähmung und die Aufmerksamkeit lag auf jedem Schritt. So kämpfte ich mich langsam höher, wirklich Schritt für Schritt. Die 700 Höhenmeter von Astorga aus, bewältigte ich in zwei Tagen. Für einen Abschnitt von 5 Kilometern, benötigte ich vier Stunden.
Das und noch viel mehr kam mir hoch. Wie sollte ich diesmal mit den Emotionen umgehen? Da ich Angst davor hatte, dass mich die Emotionen überwältigen und ich sie nicht handhaben konnte, versuchte ich sie rational wegzudenken. Das war aber gar nicht so einfach.
Die Bilder und Gefühle in mir waren ja da. Besonders einzelne Stationen des Gehen lernen, im Krankenhaus oder wie ich mich vor zwei Jahren hier hochgewunden hatte. Ich war überglücklich, diese Zeit überstanden zu haben. Ein Jauchzer nach dem anderen entfuhr mir und das tägliche Training der letzten Jahre bekam einen Sinn, den ich zwischenzeitlich angezweifelt hatte, denn objektiv ging bei mir nichts weiter. Allerdings sind es die vielen, vielen keinen Schritte, die oft nicht erkennbar sind, aber in Summe etwas bringen. Das war schön, es auf diese Weise zu erleben!
Dass ich mit meinen Gefühlen und Emotionen noch nicht umgehen kann, war zweitrangig. Es herrschte eine unglaubliche Freude in mir vor und das ist das wichtigste. Ich saß zu Mittag alleine auf dem höchsten Punkt des Camino Frances. Ich wusste, dass hinter mir niemand mehr nachkam und vor mir auch niemand war. Alleine das ich mich dieser Situation aussetzen konnte, war einzigartig. Wer hätte sich vor drei Jahren das gedacht? Sicher nicht die Ärztin, die mich damals darauf vorbereiten wollte, dass sich nicht mehr viel verbessern ließe und ich mich mit dem Zustand abfinden sollte.
Da kommt auch wieder das Pferd ins Spiel. Es vermittelt einem starke Emotionen und man braucht nur ein Pferd zu betrachten, um innerlich ruhiger zu werden. Es vermittelt einem, mit den Beinen fest am Boden verankert zu sein und das Leben mit eigener Kraft zu meistern. Vom Krafttier Pferd lernte ich viel, begleitet es mich doch schon viele Jahre.
Und die Kraft eines Pferdes brauchte ich auch, für den langen Abstieg nach Ponferrada. Auf diesem Weg zeigte sich das unermüdliche Training der Fußgelenke, denn auf steinigem Weg geht es oft steil hinab und ich knickte, im Gegensatz zu 2018, kein einziges Mal um. Ich spürte reines Glücklichsein im Gehen und wäre am liebsten weiter um die Welt gegangen.
Diese Einstellung wurde zu einem der wichtigsten Faktoren in meinem Gesund werden. Dafür nehme ich alles zu Hilfe, was dem dient. Meine Krafttiere sind dazu eine große Hilfe, wenn ich auf sie achte. Für den einen oder anderen mag das befremdlich und nach Hokuspokus klingen, für mich ist es aber ein weiterer kleiner Teil für die Gesamtheit.
Denn es gibt keine Wunderpille, um all meine Defizite zu kurieren. Es sind vielmehr die kleinen Dinge, die meinen Körper wieder in Harmonie bringen und deshalb tue ich alles dafür, Balance und Harmonie in meinen Körper zu bringen. Entscheidungshilfe ist vor allem:
"Bringt es mich weiter oder nicht?"
Ein US-Schwimmer fragte sich immer: "Macht es mich schneller, oder nicht?". Diese Frage hilft ungemein, wenn man sich nicht sicher ist.
Wobei, das hat natürlich nicht immer mit angenehmen Dingen zu tun oder die keinen "Schmerz" bedeuten. Wenn man jedoch ein Ziel vor Augen hat, wird Schmerz zu einem Bestandteil, was einen weiter bringt. "Bringt es mich weiter...?" kann auch sein, tausendmal dieselbe Bewegung zu machen. Ich bin mir, quasi, die Halbseitenlähmung weggegangen.
Nach über 2500 Pilgerkilometern und unzähligen Kilometern Zuhause, behindert sie mich heute kaum noch, obwohl sie noch da ist und in manchen Situationen spürbar ist. Das viele Gehen hat mir wieder Lebensqualität gebracht.
Und das Krafttier Pferd hat mir, wie so viele andere Tiere bisher auch, auf meinem Weg zurück ins Leben geholfen!
Die Folgen des Hirnabszesses haben mich mehr Hochsensibel gemacht, die in der Kombination mit dem Hirnabszess schwer zu handhaben ist. Alle meine Filter im Gehirn wurden geöffnet und jeder Reiz dringt ungefiltert in mich. Wichtiges von Unwichtigen zu unterscheiden lernen, ist gar nicht so leicht.
Mein "Weg zurück ins Leben" scheint mit dem Jakobsweg und mit dem Beginn des Radfahrens für viele Vollzogen, aber dem ist noch nicht so. Solange der Tag von meinen Defiziten geprägt ist, solange werde ich an mir weiterarbeiten.
Die Kunst wird es wieder werden, trotz dieser Defizite Leben zu können. Ich war schon auf einem guten Weg, allerdings hat Corona sehr viel für mich verändert. Im Moment lenke ich mich ab und es ist kein Problem, in eigentlich allem was ich mache, Therapie zu sehen und nicht nach Graz zu fahren. Durch die Stadt zu spazieren, Straßenbahn fahren lernen oder ins Kino zu gehen, habe ich derzeit aufgegeben. Damit fällt vieles weg, an was ich mich in den letzten eineinhalb Jahre gewöhnen wollte.
Hochsensible Menschen nehmen Dinge einfach anders wahr. Die Filter im Gehirn sind durchlässiger und das Gehirn muss mehr verarbeiten. Man nimmt mehr wahr, wie Gerüche, Stimmungen oder die Gestik in den Gesichtern von Mensch und Tier. Das kann mit der Zeit sehr anstrengend und auslaugend sein, wenn man nicht gelernt hat, alles in entsprechende Kanäle fließen zu lassen.
Das alles ist bei mir zu einer Herausforderung geworden, es unter einen Hut zu bekommen. Der Hirnabszess lässt mich nur auf eines Fokussieren, meistens auf die Bewegung. Rede ich während beim Hinunter- oder Hinaufgehen über eine Stiege, wäre die Gefahr eines Sturzes groß. Meine Konzentration gilt dort nur der Bewegung, denn es gibt keine Automatik mehr. Deswegen stresst jeder zusätzliche Eindruck.
Die Menge an Eindrücken erschwert mir das Gehen lernen. Ich habe mehr Reize im Gehirn zu verarbeiten, zusätzlich zur Technik des Gehens und das macht es nicht einfach. Deshalb ist auch das therapeutische Tanzen so gut für mich.
Klar, ich bin mittlerweile drei Caminos in Spanien gegangen. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich deswegen Gehen kann. Noch immer ist es mein Ziel, automatisch Gehen zu können. Es funktioniert nur in Teilbereichen, in anderen aber gar nicht. Gerade der Lockdown hat mir ohne zu wissen warum, viel an dieser Automatik gekostet.
Beim Tanzen kann ich experimentieren und meine neurologischen Probleme kombinieren mit der Hochsensibilität. In meinem Tempo und mit ruhigen Bewegungen, an schneller tanzenden Vorbeibewegen. Wie nehme ich das wahr? Was strengt mich dabei an und wie kann ich mich wieder wahrnehmen, trotz der Bewegung um mich. So lerne ich in einem geschütztem Rahmen, mich diesem Stress auszusetzen.
Das Gehen lernen hat durch das therapeutische Tanzen eine neue Qualität bekommen.
Meine Filter sind durchlässiger als bei anderen. Das kann Fluch oder Seegen sein. Die Jahre vor dem Hirnabszess war es ein Seegen und von mir gar nicht so anders wahrgenommen. Es artete nie in Reizüberflutung oder Stresssymptome aus.
Jetzt ist es anders und seit Corona nochmals anders. Seit Anfang März war ich zweimal in Graz, also in der Stadt. Mein Gewöhnen an den Stress in der Stadt hat ein jähes Ende damals genommen. Aber dieses Nicht-Aussetzen hat meinen Körper ruhiger gemacht.
Reize setze ich sehr dosiert ein, besonders stressige. Diese ermüden mich sehr schnell. Andererseits setze ich täglich viele Trainingsreize, aber nur mir zuträgliche. Ich habe Radfahren begonnen, das war bisher wegen der Reizüberflutung nicht möglich. Es ist wie beim Gehen lernen, Step by Step, verschiebe ich immer weiter die Grenzen. Nach zwei Monaten konnte ich beginnen, dass Straßenrad zu verwenden. Bisher war nur das Mountainbike im Einsatz,
Dazu therapiere ich sehr viel zu Hause, mit diversen Geräten oder gehe in den Wald. Diese positiv gesetzten Reize ermüden mich zwar auch, aber alle schädlichen Nebenwirkungen fallen weg. Das Ziel ist es, jeden Tag glücklich schlafen zu gehen.
Viel Schlaf und Erholung sind das andere. HSPs brauchen mehr Zeit zum Regenerieren und müssen sich die Kraft genau einteilen. Mein Akku an Energie reicht nur für eine gewisse Zeit. Daher spreche ich oft von "...der Tag ist länger, als meine Energie reicht". Ich spüre regelrecht, wie mein Batteriestand fällt.
Durch die Feinfühligkeit, die schon mein Leben lang habe, spüre ich genau, wann es genug ist für meinen Körper und wann ich eine Pause brauche. Es ist vergleichbar mit einem Grenzgang, wie früher ein Extremrennen. Damals schon legte ich es in mir an, meine Grenzen zu kennen. Es war immer gut, ein wenig besser trainiert zu sein, als meine Gegner oder die Herausforderung. Damit brauchte ich mich nie in einen für mich negativen Stress begeben oder besser gesagt, sehr selten.
Ich verbringe sehr viel Zeit im Bett, um zu dösen oder zu schlafen. 10 Stunden in der Nacht durchzuschlafen sind keine Seltenheit. Ab Nachmittag geht es mit mir bergab. Alle Aktivitäten setze ich daher an den Anfang des Tages und ich kann regelrecht beobachten, wie mein Akku im Verlauf des Tages weniger wird.
Darin habe ich die meiste Arbeit noch vor mir, denn damit ich den Hirnabszess überstehen konnte, wurden alle Gefühle und Emotionen vom Thalamus quasi ausgeschaltet. Ich spürte aber weiterhin die Zustände anderer Menschen. Allerdings konnte ich sie nicht benennen, dafür waren die Wortfindungsstörungen zu groß. Im Gehirn war alles klar, aber die Verbindung zur Sprache war gestört. Ich konnte nur schauen, beobachten und spüren. Ich konnte es nicht einordnen und daher schwieg ich.
Manchmal wollte ich mich Besuchern im Krankenhaus gegenüber mitteilen, aber es kamen für sie nur undefinierbare Wortversuche heraus. Mir fiel das gar nicht auf, denn ich hatte mir die Wörter im Kopf zurechtgelegt. Das etwas anderes aus meinem Mund herauskommt, konnte ich nicht erfassen.
Dieses einfühlen in andere Menschen kann auf Dauer sehr anstrengend sein. Nach der Zeit als Rennfahrer übte ich mehrere Jahre lang den Beruf als Energetiker aus. Es ist eigentlich eine Gabe, dafür hochsensibel zu sein. Abgrenzung ist sehr wichtig und das beherrschte ich sehr gut.
Ich verwendete ein Gerät, dass die Energieströme im Körper sichtbar machte. Anhand der Grafiken wurde sichtbar gemacht, wo es im Körper zu Energieüberschuss oder Defiziten kam. Im Grunde brauchte ich dieses Gerät gar nicht, aber es war für andere leichter nachvollziehbar, wo die Problematik liegt.
Wenn der Kunde bei der Tür hereinkam und ich ihn sah, wusste ich sofort, was Sache ist. Man nimmt alles wahr und verarbeitet es in Sekundenbruchteilen. Den Gang, den Gesichtsausdruck und feinste Konturen im Gesicht. Die Messung war nur mehr eine Überprüfung, von dem, was ich spürte.
Gleich fühlte und spürte ich auch gegenüber mir selbst, leider hörte ich nicht immer darauf. Denn diese Gabe wurde zu meinem Fluch. Für mich selbst fand ich immer weniger Lösungen und mein Umfeld verstand mich nicht, wie auch ich mich nicht oft zu artikulieren wusste. So entstand mit der Zeit der Hirnabszess. Ich implodierte, anstatt zu explodieren.
Statt mein Herz zu kultivieren, konnte oder wollte ich nur mehr alles mit dem Denken analysieren. Immer öfter verlernte ich auf mein Herz zu hören. Perfektionismus stand für mich weit vorne, eine weitere Sache für Hochsensible. Es war nie etwas zu Ende und immer hatte ich noch was zu verbessern oder wollte etwas noch besser machen.
Besonders beim Filmen kam das hervor. Mein Gehirn arbeitete auf Hochtouren, denn es gab immer noch eine bessere Bildeinstellung oder eine andere Idee. Es dauerte lange, bis ich ein Ende, ein Ende sein lassen konnte.
Am schwersten ist mir die Empathie in der Beziehung gefallen und sie ist schlussendlich auch daran zerbrochen. Nach dem Hirnabszess stand ich in allem auf null, hatte alles neu zu lernen. Der Thalamus störte nicht nur meine Bewegung, er hatte auch großen Einfluss auf meine Gefühle und Emotionen.
Dass das Auswirkungen sein können, hat mir nie jemand gesagt. Nach dem Krankenhaus war ich alleine auf mich gestellt. Alles musste ich mir selbst erarbeiten. Ich musste erst lernen, Entscheidungen zu fällen, was auch dem Bereich des Thalamus zufällt. Zur Idee mir Hilfe zu holen, kam ich erst spät. Mein Gehirn funktionierte ja nicht, es gab keinen Gedanken dazu, was mir helfen könnte. Erst wenn ich mir dessen bewusst war, konnte ich einen Schritt weitergehen.
So begann ich erst im letzten Jahr eine Traumatherapie, weil ich erkennen durfte, nicht alles alleine bewältigen zu können. Ich las viele Bücher und Zeitschriften über das Gehirn, über Lebensführung und anderes. Aber mir fehlte das selbständige Denken. Es fehlt die Fähigkeit, etwas alleine durchzudenken oder noch besser, gleich meinem Gefühl vertrauen zu können.
Mit dem Hirnabszess hatte ich alles Vertrauen in mich verloren, wie sollte ich da jemanden anderem vertrauen. Ein erster Schritt war im Krankenhaus, jedem dahingehend zu Vertrauen, dass dort alles nur zu meinem besten geschieht. Ich konnte nicht an Hochsensibilität denken, aber ich lernte meinem Instinkt zu vertrauen, der die Sensibilität mit einschloss.
Die Trennung brachte mich wieder an den Anfang zurück. Es war ein Vertrauensbruch, in einer Zeit, wo ich um jeden Millimeter Fortschritt kämpfte. Meine Hochsensibilität war Fluch und Seegen zugleich.
Das Ende der Beziehung war auch das Ende einer Struktur, die mir Halt gegeben hat. Mein Harmoniebedürfnis war empfindlich gestört und ich konnte nicht verstehen, was gerade passiert ist. Noch heute fehlen mir angemessene Worte und Handlungsmuster. Das überforderte mich, denn Handlungsmuster hatte ich keine, habe ich doch das Leben neu zu lernen und bin gerade bei den Basics.
Wir Hochsensiblen vertragen es nicht, wenn es ungerecht oder respektlos zugeht. Dazu kommt noch, dass ich wie ein Kind, nicht verbal für mich eintreten kann. Die Wortfindungsstörungen überrollten mich. Ich hatte mit mehreren Fronten zugleich zu kämpfen. Nur langsam beginne ich mich zurechtzufinden.
Für Hochsensible kann es gut sein, sich ihre Wut zu erlauben. Der Hirnabszess war ja nichts anderes als eine in sich gekehrte Wut, die sich lange aufgestaut hatte. Zu lange habe ich selbstzerstörerisch gehandelt, fand aber keinen Ausweg daraus. Hätte ich früh genug hingeschaut und gehandelt, hätte ich mir den Hirnabszess ersparen können.
So heißt es jetzt damit zurechtkommen, wie es ist und das Beste daraus zu lernen. Und so wie ich tagtäglich an meinen Defiziten arbeite, habe ich auch geistig, mental an mir zu arbeiten.
Zum Beispiel dieser Blog. Ich hatte zum Lernen, dass ich etwas sein lassen muss. Kein endloses überarbeiten, schreiben und nicht perfekt sein. So wie es ist, ist es.
Ich darf glücklich darüber sein, was ich bisher schon erreicht habe.
Anfang Mai konnte ich wieder erstmals mit dem Radfahren beginnen. Es wurde ein herantasten an eine Bewegung, die ich Jahre zuvor verinnerlicht habe. Daher erwartete ich mir einiges davon und wie es scheint, auch nicht unberechtigt.
Es hilft mir, meine Reaktion und Wahrnehmung zu steigern. Die brauche ich für den "normalen" Alltag, egal ob fürs über die Straße gehen oder in besonders stressigen Situationen. Seit dem Lockdown bin ich wesentlich anfälliger dafür und habe körperlich abgebaut. Das Radfahren kann mir neue Impulse dazu bringen und die Schnelligkeit meiner Wahrnehmung hinaufsetzen.
Nachdem das Pilgern unter den derzeitigen Verhältnissen für mich nicht möglich ist, brauchte ich dringend Ersatz. Hatte ich das letzte Jahr noch versucht, wieder "Leben" zu lernen, besteht mein Alltag seit Corona wieder aus Therapie und einzig aus dem Ziel, meine Defizite zu verringern. Langsam finde ich mich in diesem Rhythmus zurecht.
Vor einem Jahr war mein Gehirn noch weit überfordert mit Radfahren. Nach nur wenigen Metern nahm der Schwindel überhand, dazu die Gleichgewichtsprobleme und zwangen mich schnell stehen zu bleiben und die Augen zu schließen. Es war dann ähnlich, wie wenn man betrunken vom Rad steigt und der Boden unter einem schwankt. Meist brauchte ich lange, um mich davon zu erholen.
Die muskulären Defizite waren das nächste. Ich bin innerlich so instabil, dass es mir enorme Kraft abverlangt, am Rad nur sitzen zu können. Mein Bindegewebe, die Faszien und Muskeln sind aufgrund der Muskelschwäche so stark zurückgegangen, dass ich wie eine Marionette mit schwach gespannten Fäden wirke. Das fällt nach außen hin ja nicht so auf, aber ich benötige viel Disziplin, um gerade und aufrecht stehen und gehen zu können. Gerade der Lockdown hat mir viel Automatismus gekostet, den ich mir jetzt wieder aneignen muss.
Die Nackenmuskulatur ist auch heute noch schwach und zeigt mir schnell das Limit auf. Gerade beim Radfahren ist sie sehr wichtig. Nach einer halben Stunde kann ich kaum mehr den Kopf heben. Selbst jetzt nach vier Jahren, verbessert es sich nur langsam. Mehrere Monate kein Fitnessstudio, zeigen ihre Auswirkung.
Radfahren benötigt so viele Muskelgruppen und vor allem andere als beim Gehen. Im Grunde genommen geht es mir ähnlich wie zu der Zeit, als ich wieder Gehen lernte. Vor allem die Reaktion in der Verbindung mit der Geschwindigkeit, habe ich zu lernen. Wenn mir beim Gehen etwas zu schnell ist, kann ich stehenbleiben und die Augen schließen, am Rad geht das nicht.
Dieses Zusammenspiel von mehreren Faktoren ist mein neues Ziel. Was nehme ich wie schnell wahr, das ist beim Radfahren extrem wichtig. Meine Reaktion messe ich zum Beispiel, beim über die Straße gehen. Als ich mich vor vier Jahren zum ersten Mal im Straßenverkehr bewegte, war ich heillos überfordert damit. Ich brauchte oft zehn Sekunden, um zu erkennen, ob etwas von links kommt, dann nochmals rechts und wieder zurück. So brauchte ich bis zu einer Minute, um eine freie Straße zu überqueren. Beim Radfahren ist eine noch schnellere Wahrnehmung notwendig.
Den Anfang machte ein einfaches dahinrollen auf Asphalt oder guten Wegen und abseits vom Straßenverkehr. 10 Minuten waren mehr als genug und das nicht jeden Tag, sondern maximal jeden zweiten bis dritten Tag. Dazwischen brauche ich Erholung und diese Zeit musste ich mir geben. Zuviel des Guten erfordert mehrere Tage Erholung. Langsam konnte ich so Tag für Tag die Zeitdauer hinausschieben.
Mir kommt mein gutes Körpergefühl zugute, dass ich in vielen Jahren Leistungssport antrainiert habe. Es half mir dabei, nicht aufzugeben und genau auf meinen Körper zu hören, was er braucht. Die später gelernten Erfahrungen als Energetiker im Energiebereich des Menschen, zusammen mit den Jahren im Sport, waren heute gesehen wichtige Lehrjahre, für ein weiterleben nach dem Hirnabszess.
Ich hatte als Radfahrer zwar einen Trainingsplan, trainierte aber trotzdem nach Gefühl. Dieses Gespür für den Körper, das ich damals lernte, ist heute meine wichtigste Ressource. Es lässt mich genau spüren, welche Belastung gut tut und welche nicht.
Wenn ich vom Rad absteige, schwanke ich, als ob ich von einem schaukelnden Schiff komme. Der Gleichgewichtssinn benötigt seine Zeit, um sich wieder einzupendeln und mein Körpersystem braucht lange, bis es sich wieder stabilisiert. Langsam beginne ich mich daran zu gewöhnen und das Allgemeinbefinden verbessert sich.
Trotzdem brauche ich noch Zeit, mich hinzulegen. Ruhe und die Horizontale ist noch immer am besten, mich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Beim Gehen legte ich mich immer wieder lang ausgestreckt auf eine Bank und dasselbe mache ich auch beim Radfahren. Ziel ist es, diese Zeitdauer Schritt für Schritt zu erweitern.
Schritt für Schritt und Kilometer um Kilometer erweiterte ich so meinen Radius. Nach zwei Wochen gelangte ich zum ersten Mal zum nahen Radweg und konnte fünf Kilometer zurücklegen. Jedes Mal kam ich weiter. Ich fühlte mich wie am Anfang mit dem Gehen lernen, wo ich mir jeden Meter mit langem Üben erkämpfte.
Vor vier Jahren lag ich im Krankenhaus und konnte nicht mehr gehen. Selbst das Aufrichten war nicht möglich. Ich verlor die Kraft in jedem Muskel und musste selbst kleinste Bewegungsabläufe neu lernen. Mein Nervensystem funktionierte nur bedingt und Bewegungen wurden durch die neurologischen Störungen fast unmöglich.
Es war wichtig, diese Störungen nicht als gegeben hinzunehmen. Ich brauchte fast zwei Jahre, bis ich wieder eine Nadel vom Tisch aufheben konnte. Ich erinnere mich noch an eine Ärztin, die mir zwei Jahre nach dem Hirnabszess sagte, ich soll mich darauf einstellen, dass sich nicht mehr viel verbessern lassen wird, denn nach zwei Jahren ist nicht viel Verbesserung mehr zu erwarten.
Hätte ich ihr geglaubt und mich mit dem damals erreichten zufriedengegeben, hätte sie recht damit gehabt. Das habe ich aber nicht und habe ausschließlich an mich geglaubt. Wer hätte damals daran geglaubt, dass ich dreimal am Camino in Spanien gehen kann und fünf Jahre später mit dem Radfahren beginne. Und das ist noch lange nicht das Ende!
Der Spruch...
"Man muss das Unmögliche versuchen, um das Mögliche zu erreichen!"
...treibt mich noch heute an, nicht aufzugeben. Dabei ist es nicht so wichtig hohe Ziele zu erreichen, als den inneren Frieden zu finden. Vielen ist das nicht möglich, meist aber, weil sie es gar nicht anstreben. Ich kann sagen, dass ich dem immer näher komme.
Da mir das Unmögliche wohl nie ausgehen wird, habe ich noch viel vor mir. Dabei darf ich aber nie den inneren Frieden vergessen, denn ihn kann ich auch mit Behinderung erreichen. Krampfhaft unbedingt etwas erreichen zu wollen, würde diesen stören.
Ich bin des Öfteren mit meinem Freund Harry unterwegs. Von ihm lernte ich in meiner Zeit als Radrennfahrer alles über Bewusstseinsbildung, dazu weiß er alles wie du den Körper und Geist trainieren kannst und ist eigentlich mein Personaltrainer, wie ich mir keinen besseren vorstellen kann.
Der Weg zurück ins Leben bekam durch das Radfahren einen neuen Schub, wie ich es mir nach Corona nicht gedacht hätte.
Die ersten zwei Monate verbrachte ich ausschließlich auf dem Mountainbike. Die dicken Reifen gaben mir eine Sicherheit und ich konnte mich langsam daran gewöhnen. Seit 10 Tagen verwende ich auch das Straßenrad. Es gibt ein Gefühl von Freiheit, so leicht dahinzurollen.
In die Stadt oder zu viel Verkehr vermeide ich noch. Die kleinen Nebenstraßen und Radwege in Graz Nord sind genau richtig für mich.
Von der Reaktion als Rennfahrer bin ich weit weg, aber ich werde besser. Geschwindigkeiten über 25 km/h sind für meine Augen allerdings noch zu schnell.
Am meisten überrascht bin ich über meine Stabilität am Rad, da hat sich in den letzten Monaten am meisten getan. Beim Sitzen auf einem Sessel habe ich allerdings noch immer das Problem, dass ich noch zu wenig Kraft habe, lange aufrecht sitzen zu können.
Mit der Entscheidung im April die Therapie in den Vordergrund zu stellen, stoße ich natürlich wieder schnell an meine Grenzen. Der Tag ist länger, als meine Energie reicht. Radfahren und einkaufen geht sich zum Beispiel nicht am selben Tag aus.
Gehen musste ich für das Radfahren wesentlich zurückstellen und mehr Zeit für die Erholung musste her. Eine dreiviertel Stunde Radfahren ist wie mehrere Stunden Gehen. Diese neuen Bewegungsmuster bringen mich wesentlich schneller ans Limit und ich ermüde schnell.
Das Gehirn ist mit den vielen Eindrücken sehr gefordert und verbraucht mehr Energie. Ich brauche deswegen viel mehr Pausen und Erholung.
In Summe bringt es mir aber so viel mehr, auch wenn ich nicht so leistungsfähig bin. Es ist nach wie vor ein Vorankommen "Step by Step" und es dauert nach wie vor länger, bis wirkliche Erfolge sichtbar werden.
Ich trainiere täglich 24 Stunden, um besser zu werden. Das Pilgern fehlt mir, aber das Training der letzten vier Jahre gibt mir recht. Ohne mein Tun in den letzten Jahren, wäre Radfahren nicht möglich geworden. Ich werde weitermachen und weiterhin auf mein Gefühl hören, was mir guttut. So komme ich meinem Ziel, "zurück ins Leben", immer näher.
Es ist wieder einmal Zeit für ein Resümee über die letzten 1570 Tage, seit dem Thalamus-Abszess im Gehirn. Ein weiterer Anlass ist mein 1000er Post auf Instagram, wo ich meinen Weg der Rehabilitation in Bildern festhalte.
Die Welt hat sich verändert und auch ich und meine Ziele, denn das Pilgern hat ein vorläufiges Ende gefunden. Das, was mir am meisten geholfen hat, um zurück ins Leben zu finden, ist für mich vorläufig zu Ende.
1570 Tage oder 4 Jahre, 3 Monate und 20 Tage, so lange dauert mittlerweile mein Weg zurück ins Leben. Auf eine gewisse Art bin ich zurück im Leben, habe ich seither doch so viel erlebt. Andererseits fehlt noch viel, um ein "normales" Leben zu führen.
Ich startete mein neues Leben am 27.3.2016. Es begann alles mit der Einlieferung ins Krankenhaus. Das Ödem drückte damals so stark auf den Thalamus, dass ich neurologische Ausfälle bekam. Innerhalb eines Tages konnte ich nicht mehr Laufen, Gehen und meine Gedanken waren verwirrt.
Nach einer Woche war ich rechtsseitig gelähmt und konnte nicht mehr klar denken. Die Lähmung betraf auch das Gesicht und das Reden wurde schwieriger. Die neurologischen Ausfälle betrafen die Gliedmaßen rechts und links, dazu kam die Hemiparese rechtsseitig.
Gedanken an die Vergangenheit oder Zukunft wurden im Gehirn unterbunden und alle Energie wurde für das Überleben gebraucht. Auf der Intensivstation war ich wie ein regungsloser Fleischklumpen, ohne Kraft und Koordination. Ich konnte mich im Bett nicht alleine aufrichten oder umlegen. Mein Gehirn schützte mich vor allem Belastenden und ließ einfachste Gedankengänge nicht zu.
Nach etwa zwei Monaten entschieden sich die Ärzte für eine Operation, alleine mit Antibiotika bekam man es nicht mehr in den Griff. Fünf Monate im Krankenhaus waren notwendig und ab September 2016 war ich wieder Zuhause.
Fünfzig bis Hundert Meter konnte ich nach dem Krankenhaus gehen. Es sollte zwei Monate dauern, bis ich den nahen Wald erreichte und zum ersten Mal darin eintauchen konnte. Der Begriff "Waldbaden" existierte damals für mich noch nicht, aber es wurde mein wichtigster Teil in der Rehabilitation und sollte mich bis heute nicht loslassen.
Der Wald ist extrem wichtig für mein Nervensystem geworden. Bildlich gesprochen erreichte ich jeden Tag einen Meter weiter, in Richtung Wald. Es war eine Steigerung, die fast nicht messbar für mich war. Wieder Gehen zu können, setzte sich in meinem Gehirn so fest, wie kaum etwas anderes.
Es war allerdings nicht nur das Gehen zu lernen, sondern wesentlich mehr. Gehen lernen bedeutet, die Technik zu beherrschen und das beanspruchte viel Zeit. Der Arzt sagte zu mir, wenn ich wieder einmal ungeduldig war: "Wie lange braucht ein Kind, bis es gehen kann? Das saß und ich gab mir die Zeit, die von nun an eine andere Bedeutung bekam.
Im Juni 2018 fuhr ich dann das erste Mal zum Camino Frances in Spanien. Meine ehemaligen Radrennkollegen sammelten für mich und ermöglichten mir die Fahrt zum Camino. Da ich nur die Berufsunfähigkeitsrente bekomme, sind viele Therapien für mich nicht bezahlbar. Dass der Camino ein so guter Ersatz dafür wurde, hoffte ich zwar, aber wusste ich nicht.
Meine damalige Lebensgefährtin trennte sich von mir und die Folge war, dass ich nur ein Monat später, im Juni, zum Jakobsweg fuhr. Vom ersten Tag an, war es ein Gehen an der Grenze. Es war aber das Beste, was mir passieren konnte. Meine Mit-Pilger waren zuerst überzeugt davon, dass ich nichts mit ihnen zu tun haben wollte, weil ich immer auf den Boden starrte und Begegnungen oft nicht wahrgenommen habe. Dabei musste ich nur so konzentriert gehen, dass ich rundum nichts wahrgenommen habe.
Erst im Laufe der folgenden Tage kam ich mit einigen ins Gespräch und sie erfuhren den Grund. Es sprach sich herum und von da an hatten sie immer ein Auge auf mich oder halfen mir über Schwierigkeiten hinweg. Ich war glücklich hier zu sein und mir rannen immer wieder Tränen der Freude herunter.
Ich merkte hier zum ersten Mal wirklich, dass ich ein Problem damit hatte, Emotionen frei zu empfinden. Es gab keine Abstufungen. 0 oder 100%, anderes war nicht möglich. Da ich nicht jedes Mal wegen allem Möglichen in Tränen ausbrechen konnte, entwickelte sich über die Zeit ein Vermeidungsverhalten. Bis heute arbeite ich daran, Gefühle wieder zuzulassen und Emotionen auszuleben.
Am Camino Norte ein Jahr später, bekam ich zum ersten Mal das Gefühl, was es bedeutet, wieder zu Leben. Bis dahin bestand mein Leben aus Therapie.
Ich musste lange üben, um wieder Schreiben zu lernen oder ein Handy zu bedienen. Im April, Mai 2017 war es dann so weit. Ich begann meinen Blog von0auf101 und postete die ersten Bilder auf Instagram.
Die ersten Monate hatte ich noch Probleme mit dem Schreiben. Ich konnte oft einen Gedanken nicht zu Ende bringen. Es war aber gleich wie mit dem Gehen. Dranbleiben hieß das Zauberwort. Langsam besserte sich alles.
Instagram wurde fast mein Tagebuch in Bildern. Ich bin dabei, es als Buch zu fassen. Denn die Bilder sind ein Zeugnis darüber, was ich alles erreicht habe und es macht Spass, es in Buchform durchzublättern.
Denn oft kann ich nicht sehen, was ich alles erreicht habe. Für mich ist behindert eben behindert sein, egal ob mehr oder weniger. Sehe ich aber, wie lange ich durchgehalten habe, um ein paar Meter mehr zu schaffen, dann kann ich es besser nachvollziehen und sehe es.
In Zukunft möchte ich wieder mehr Bloggen und Instagram nicht mehr jeden Tag bedienen. Corona hat viel verändert, besonders hat es meine Konzentrationsfähigkeit gemindert und damit auch das Schreiben.
Für Instagram brauche ich nur kurze Texte. Das ist mir speziell in den letzten Monaten zurechtgekommen. Es ging immer um den Tag, für mehr spielte mein Gehirn nicht mit. Das ist auch der Grund, warum ich kaum längere Texte verfassen konnte. Es geisterten viele Themen im Kopf herum, aber sie ließen sich nicht greifen.
Schauen wir mal, wo mich die nächste Zeit hinbringt. Langsam reifen wieder Ziele, aber Corona kann alles wieder unmöglich machen. Auf jeden Fall bin ich wieder motiviert mehr zu Schreiben und es warten eine Menge neuer Themen, da ich auch neue Therapien in Angriff genommen habe, aber dazu in einem eigenen Blog-Bericht!
Seit dem Lockdown wurde die Natur für mich noch wichtiger, als je zuvor. Eine Biwak-Nacht am Schöckl war der Startschuss zu neuen Zielen.
Automatisches Gehen zum Beispiel. Ich habe viel von meinen kognitiven Eigenschaften in den letzten Monaten verloren. Zum Glück ist Radfahren endlich wieder möglich, denn das schult meine kognitiven Fähigkeiten sehr. Außerdem hilft mir die Natur, auf meinem Weg zurück ins Leben.
Die Natur ist schon lange meine beste Medizin und seit der Corona-Krise besonders. Das im letzten Jahr hart erarbeitete Angewöhnen an die Stadt, an den Trubel oder ins Kino gehen und wieder zu Leben lernen, ist ab März in wenigen Wochen wieder verschwunden.
Ich fühle mich derzeit wie am Beginn. In der Natur fühle ich mich wohl, aber nur ein Tag unter stressigen Bedingungen lässt mich mehrere Tage flachliegen und nur das notwendigste unternehmen. Deshalb habe ich mich entschieden, im Moment nicht in die Stadt zu fahren oder mich stressigen Situationen auszusetzen.
Lieber gehe ich in den Wald oder versuche mich ans Radfahren zu gewöhnen. Das Pilgern tut mir gut, aber die Anforderungen in Österreich sind größer, nicht nur körperlich, auch finanzieller Natur. Am Weststeirischen Jakobsweg hat es mir gut gefallen, besonders mit Zelt ist es toll, allerdings muss ich erst meinen Körper langsam daran gewöhnen, es kostet mir noch zu viel Energie.
Diese mussten dringend her. Ohne ein Ziel fehlt die Motivation etwas zu erreichen. Ein Ziel gibt mir den Sinn, warum ich so viel trainiere. Viele Ziele sind mir in der Corona-Zeit abhanden gekommen. Da fehlt dann auch der Antrieb, etwas zu erreichen.
Von mir daheim schaue ich direkt auf den Gipfel des Schöckl. Seit dem Hirnabszess im März 2016 war ich nicht mehr oben. Es führt zwar eine Seilbahn nach oben, aber ich wollte nur zu Fuß hinauf.
Von Judendorf sind es etwa 17 Kilometer und ziemlich genau 1000 Höhenmeter.
Am Weststeirischen Jakobsweg habe ich schon gesehen, dass meine körperliche Konstitution im Moment nicht die beste ist und mir die 17 Kilometer zu weit sind. Daher habe ich beschlossen, es von St.Radegund anzugehen. Es war auch organisatorisch leichter, da mich mein Freund Bernd begleitete.
Von St.Radegung aus sind es trotzdem noch ca. 700 Höhenmeter hinauf. Wir konnte uns dafür Zeit nehmen, denn als Highlight wollten wir oben übernachten. Denn wo kommt man der Natur näher, als bei einem Biwak unter Sternenhimmel.
Wir wählten den normalen Aufstieg, nicht den direkten Weg unter der Gondel. Die vielen Steine ließen großteils nur ein Steigen zu, kaum ein Gehen. Das war gut für das Training, aber es strengt enorm an.
Ich habe schon am Camino in Spanien an verschiedenen Tagen über 1000 Höhenmeter täglich zurückgelegt, aber noch nie durchgehend so weit bergauf. Es ist doch was anderes, wenn es ständig auf und ab geht, als in einem bergauf.
Der Körper kann sich in den unterschiedlichen Belastungen immer wieder erholen, was für mich wegen der Muskelschwäche wichtig ist. Deshalb sind die hohen Berge für mich noch tabu, ich habe keinerlei Reserven dafür.
Daher war der Schöckl ein toller Anfang und ich war motiviert, es durchzuziehen. Bisher hatte ich Scheu davor, denn es war mir zu anstrengend. Solch eine Überanstrengung soll ich vermeiden, um wegen der Muskelschwäche nicht Kraft zu verlieren. Es ist mir fast nicht möglich, verlorene Kraft aufzubauen.
Deshalb vermeide ich noch so viele Dinge, dass für Außenstehende oft nicht verständlich ist. Es ist wichtig da bei mir zu bleiben. Ich kenne mich mittlerweile so genau, dass ich genau weiß, was mir guttut und was nicht.
Ab dem Losgehen erfasst mich eine Anspannung, die bis zum Ende angehalten hat. Danach braucht mein Körper allerdings einige Tage Erholung.
Wir konnten einen wunderschönen Sonnenuntergang beobachten. Langsam verschwand die Sonne in allen Rottönen. Gleichzeitig überraschte uns in der entgegengesetzten Richtung ein roter Fast-Vollmond, tief unter uns am Horizont.
Es war ein bewegendes Schauspiel der Natur. Ein Glücksgefühl und eine Dankbarkeit machte sich in mir breit, dass Erleben zu dürfen. Die fünf Monate im Krankenhaus kamen mir immer wieder in den Sinn. Damals konnte ich es nicht erwarten, wieder das Gras zu berühren oder in der Sonne im Freien zu liegen. Jetzt hier am Schöckl zu liegen und so etwas beobachten zu dürfen, war einmalig.
Solche Erlebnisse wie das Biwak am Berg, lassen mich vergessen, nicht mehr Arbeiten oder etwas anderes Produktives machen zu können. Ständig mit Rehabilitation beschäftigt zu sein, es quasi als meine Arbeit zu sehen, ist manchmal belastend. Solche Ausbrüche aus meinem Reha-Alltag lassen mich wieder versuchen ein normales Leben, allerdings mit Reha und Behinderung, zu leben.
Mit den Sternen über mir, fühlte ich mich in etwas Großes eingebettet zu sein und ich lag lange wach, um den Himmel zu beobachten.
"Die Zukunft steht in den Sternen!"
, sagt man.
Es verweist auf etwas, das uns im Inneren beschäftigt. Diese unendliche Weite über mir und die Frage nach dem Sinn des Lebens, kam mir in den Sinn.
Das Gehirn verweigert über die Antwort nachzudenken, so genoss ich es einfach, hier liegen zu dürfen. Der Mond schien so hell, dass ich im Sitzen einen langen Schatten warf und mich später zum Schlafen tief in den Schlafsack verkroch.
Bei beginnendem Licht erwachte ich und konnte nicht davon ablassen zuzuschauen, wie der Morgen langsam hervorkam. Eine traumhafte Kulisse erwartete Bernd und mich mit dem Aufgang der Sonne.
Es zeigte mir wieder, wie wichtig der Aufenthalt in der Natur ist. Es tut meinem Nervensystem gut, das merke ich besonders in der Bewegung. Meine Feinmotorik und Koordination sind dann besser und ich fühle mich auch so. Nicht umsonst symbolisiert die Sonne Vitalität und Lebensfreude und steht auch für Ausdauer, Standhaftigkeit und Fortschritt.
Wenn ich auf die letzten Jahre zurückblicke, dann war es oft nicht einfach. Zu viel ist passiert, was ich noch nicht im Gehirn verarbeiten kann, aber in mir herumschwirrt. Seit dem Hirnabszess lebe ich nur im JETZT und jegliche Gedanken an Vergangenes verweigert mein Gehirn.
Den Gehirnabszess überlebt zu haben, stellt alles andere meines Lebens in den Schatten. Ich beginne jeden Tag neu, aber dieser Morgen war einer der schönsten seit langem.
Gerade solche Emotionen sind sehr wertvoll für die Gesundheit und die finde ich derzeit am ehesten in der Natur. Der Stadt, vielen Menschen und Trubel weiche ich bewusst aus und konzentriere mich nur auf das, was mir guttut. Allem anderen setze ich mich einfach nicht aus.
Diese Biwak-Nacht war mein bisheriges Highlight in der Corona-Krise.
Mein Fazit ist sehr positiv. Näher kann man der Natur kaum kommen. Speziell mein Nervensystem reagiert besonders gut darauf. Allerdings muss ich meinen Körper erst daran gewöhnen und das geht nicht von heute auf morgen.
Ich werde auch in Zukunft öfter im Zelt oder Biwaksack nächtigen. Es hilft mir sehr, in der Wahrnehmung stabiler zu werden und auch der Schwindel ist geringer. Zurück in der "Zivilisation" trifft es mich noch schwer, Verkehr und Menschen belasten mein System. Die Wochen des Lockdown haben mich wieder mehr sensibel gemacht. Der Schöckl hat mir gezeigt, wie sehr mir die Natur hilft.
Am nächsten Tag war ich sehr müde und alles tat mir weh. Die Tour war grenzwertig und zeigte mir, dass das Pilgern mit Zelt noch eine Zeitlang warten muss. Trotzdem war es ein Erfolg, denn es hat mich neurologisch weiter gebracht und ich konnte viele neue Erkenntnisse gewinnen!
Bei Bernd bedanke ich mich recht herzlich für die tolle Unterstützung, es war ein einzigartiges Erlebnis!
Nach der langen Auszeit durch den Lockdown, wurde es wieder mal ein Neustart. Der Weststeirische Jakobsweg war das Ziel und damit eine Überprüfung, wo ich nach Corona jetzt stehe.
Diese Zeit war auch die Gelegenheit meinem jüngeren Sohn das Pilgern näherzubringen und Zeit mit ihm zu verbringen. Erst hatte ich vor, im Mai mit ihm zum Camino Frances zu fahren, aber Corona hat das verhindert.
Nach meinem Camino im Jänner/Februar, war ich nun bereit für das Pilgern mit meinem Sohn. Es hat noch immer mit Rehabilitation zu tun, aber ich traute mir zu, zusammen mit ihm zu gehen. Spanien war plötzlich nicht mehr möglich und so entschied ich mich durch Österreich zu Pilgern, nicht wissend was uns erwarten wird.
Die ersten fünf Tage begleitete mich mein Sohn Elvin auf dem Weststeirischen Jakobsweg.
Es macht einen Unterschied, ob man in Spanien oder Österreich pilgern geht. Spanien bietet mit seinem ausgebauten Netz von Herbergen eine unglaublich größere Möglichkeit und unterstützt mich damit in der Rehabilitation vom Hirnabszess.
Spanien war allerdings plötzlich nicht mehr erreichbar und ist derzeit nur unter großen Sicherheitsvorkehrungen zu bereisen. Die Reise mit Elvin zum Camino Frances wurde damit unmöglich. Haben mich die Regeln schon in Österreich überfordert, so ist es mir in Spanien derzeit unmöglich. Zu groß sind die Auflagen und Regeln.
Die Frage ist nur auf welchem Weg. Ich wollte die Südroute gehen, denn von mir Zuhause geht der Weststeirische Jakobsweg los. Damit geht aber auch die Überquerung von einigen hohen Bergen einher. Es war die Frage, ob ich mir das schon zutrauen konnte. Mit Zelt erhöht sich das Gewicht zum Tragen und ob ich dafür schon bereit bin, sollte sich erst zeigen.
Es geht aber nichts über das Probieren. Für mich stellt sich immer wieder die Frage nach meiner Grenze. Sie hinauf zu setzen ist immer wieder mein Ziel. Dazu habe ich erst dieser Tage etwas übers Trailrunning gelesen, dass mir seit dem Hirnabszess ständig vorschwebt.
"Das zentrale Nervensystem wird gnadenlos ignoriert, denn der Läufer weiß längst viel besser als seine eigenen Synapsen, was er von seinem Körper verlangen kann und was nicht. Der Läufer gerät fast täglich in physische Grenzsituationen, die der Nichtläufer nur in Notlagen kennenlernt!"
Trail Magazin, 04/2020
Ja, ich bin seit über vier Jahren nicht mehr gelaufen, trotzdem sehe ich mich noch als Sportler und stelle mir täglich das Trailrunning vor und wie ich von Stein zu Stein hüpfe. Visualisieren und geistiges Training machen einen großen Teil meiner Arbeit aus.
Dieses jahrelange Denken und Auseinandersetzen im und mit dem Sport hat mich nach der Gehirn-OP gerettet. Es wurde mein Anker in dieser Zeit und ist es bis heute, an dem ich mich festhalten kann. Denn die körperlichen Defizite sind das Eine, aber "nicht denken können", dass andere. Und dieses "Nicht denken können" sollte mich auch diesmal ans Limit bringen.
Der Plan war, zusammen mit meinem Sohn den Weststeirischen Jakobsweg zu gehen. Für ihn ist es leichter, danach wieder nach Hause zu kommen. Mein weiterer Weg sollte mich über Kärnten, die Hohen Tauern nach Salzburg, Tirol und bis an den Bodensee bringen. Ich wollte zumindest Österreich in Corona Zeiten durchqueren.
Mein Sohn hat keinerlei Erfahrung mit dem Gehen oder Pilgern. Ich möchte aber auch ihm die Schönheit der Natur und die Erfahrungen des Pilgerns näherbringen. Dazu ist es etwas Eigenes, von daheim wegzugehen.
Nur wenige Meter von Zuhause entfernt, beginnt der Zubringer des Weges nach Lavamünd. Wir schulterten die Rucksäcke, in denen sich auch ein Zelt befand. Nach wenigen Metern waren wir bereits dem Regen erstmals ausgesetzt.
Die erste Etappe sollte uns in die Gegend von St.Pankrazen bringen. Ich merkte bereits an diesem ersten Tag, dass es nicht so einfach wie auf meinen vorangegangenen Pilgerfahrten war. Die Folgen des Lockdown, das erhöhte Gewicht und das Übernachten im Freien waren ein unbekanntes Terrain, auf das ich mich erst einstellen musste.
In Richtung Bärnbach war es großteils schönes Wetter. Das erleichterte viel. Der Weg kostete aber viel Kraft, bei weniger Kilometer als sonst. Allein das Zelten kostete mir rund ein Drittel der Gehleistung. Da es aber Elvins erste Pilgerwanderung war, achteten wir darauf, nicht zu weit zu Gehen.
Die Freude stand im Vordergrund für uns, die Elvin aber nicht oft zeigte, zu sehr hatte er mit dem Vorwärtskommen zu tun. Diese Langsamkeit tat mir aber genauso gut.
"Horse-Pilgern" stand für den heutigen Tag. Es ging durch die Heimat der Lippizaner, durch Piber und weiter nach Edelschrott.
Der Plastik Lippizaner zeigte mir wieder auf, wo ich stehe. Vom einfach in den Sattel schwingen bin ich weit entfernt. Selbst das Sitzen im Sattel wurde zur Gleichgewichtsübung. Auf einem starren Pferd, wohlgemerkt. Es waren immer wieder diese kleinen Hinweise, die mich verunsicherten, dass ich viel nachzuholen habe.
Es war einer der schönsten Tage vom Erlebniswert, denn ich versuchte mich auf die Lippizanerwelt ein wenig einzulassen. Alles aber nur in kleinen Dosen, denn ich musste sehr behutsam mit meiner Energie umgehen.
Dieser Tage kam mir das Zitat von der Autorin Renate Florl unter:
"Pilgern beinhaltet das Unterwegssein und das Herausgehobensein aus dem täglichen Leben. Pilgern bedeutet, jeden Tag aufs Neue den Aufbruch ins Ungewisse wagen, das Gehen und Ausruhen, das Ankommen. Es bringt es mit sich, sich auf das Wesentliche zu reduzieren und auskommen mit dem, was man hat - und es wird einem dabei manches geschenkt, wovon man nie zu träumen gewagt hätte!"
Renate Florl
Elvin konnte das nicht ganz nachvollziehen, zu sehr hatte er mit dem Gehen zu tun. Außerdem machten ihm die Pollen zu schaffen. Immer wieder ging es durch hohes Gras.
Waschen im Bach rundete das Zelten ab. Einerseits tat es gut, aber ich musste auf meinen Vorrat an Energie aufpassen. Die Energie ist vor dem Tag zu Ende, bedeutete genau zu überlegen was anstand oder was uns noch bevor stand.
Besonders die Orientierung war das Problem. Der Weg war oft nicht gekennzeichnet oder es galten andere Markierungen. Normalerweise kein Problem, aber ich war damit überfordert, dass alles zu unterscheiden.
Zu viele Weggabelungen ließen mein Gehirn oftmals ans Limit stoßen. Im Unterschied zum Camino in Spanien, gab es hier keine gelben Pfeile. Man mag es glauben oder nicht, das Navigieren strengte mich gleich an, wie das Gehen.
Heute war der Tag der Bäume. Bergauf, bergab ging es immer durch schöne Wälder dahin. Langsam kamen wir höher, immerhin schon an die 1.000 Meter Seehöhe.
"Sei freundlich zu Bäumen. Sie sind damit beschäftigt, die Welt zu retten."
Heute mussten wir mehrmals eine Herde von Kühen umgehen. Gerade wenn Jungtiere dabei waren, hieß es, vorsichtig zu sein. Es war manchmal ein mulmiges Gefühl dabei, wenn eine ganze Gruppe von Kühen auf das Gatter zugelaufen kam und uns misstrauisch und unruhig beäugten. Der Weg hätte geradewegs durch die Weide geführt. Zertretenes Gras um den Zaun herum ließ darauf schließen, dass bereits jemand anderes den sichereren Weg suchte. Auch Kühe wollen ihre Ruhe.
Das war aber oft mit beträchtlichen Mehraufwand verbunden, den oft führte der Weg querfeldein um den Zaun herum. Ich sah es als Training für das Steigen im unwegsamen Gelände. Einmal war auch über den Bach zu springen. Wer von meinen Problemen zu Springen weiß, kann sich vorstellen, was das Kraft gekostet hat. Es wurde oft genug zu einem Grenzgang für mich.
Denn ich hatte auch die Verantwortung für meinen Sohn. Er kann zwar auf sich selbst aufpassen, aber die väterliche Führungsrolle hatte ich trotzdem inne.
So war ich am Ende des Tages körperlich, mental und geistig fertig, immer hart an der Grenze. Die immer näher kommende Koralm wurde immer höher und wir diskutierten erstmals darüber, eventuell aufzuhören.
Wir bauten das Zelt direkt am Weg auf, soweit wir gekommen waren. Unter den Bäumen waren wir auch vom Regen etwas geschützt.
Heute siegte die Vernunft über die Unvernunft. Was schon am Vorabend begann, wurde heute Wirklichkeit. Es war keine Aufgabe, sondern ein Abbruch. Es hatte keinen Sinn weiterzugehen und uns womöglich in Gefahr zu begeben. Wegen Corona wären wir die nächsten Tage zusätzlich auf Eigenverpflegung angewiesen und das über den höchsten Punkt des Weststeirischen Jakobsweg, der 2.140 Meter hohen Koralm.
Meine körperlichen Reserven sind zu gering, als dass das ich mich dem Regen oder einem Gewitter in dieser Höhe aussetzen wollte. Elvin machten, neben den üblichen Gehproblemen, auch die Pollen zu schaffen. Das kostete ihm wertvolle Energie, die er für die Koralm gebraucht hätte.
Der Tag begann aber mit einem Verpassen des Weges. Wir frühstückten in einem Gasthaus am Weg und die Wirtin empfahl uns einen direkteren Weg, als den offiziellen Pilgerweg nach Osterwitz zu gehen. Klang gut, endete aber im Chaos, dass in sich wieder einen schönen Weg barg. Aber die Sucherei hätte ich Elvin und mir gerne erspart. Aus dem Abschneider wurde die Originallänge, zwar landschaftlich schön, aber anders als ursprünglich gedacht.
In Osterwitz entschieden wir uns dafür, den Weg nach 80 Kilometer Gesamtlänge abzubrechen. Allerdings rechneten wir nicht damit, dass uns niemand abholen konnte oder wollte. Ein Gewitter zog immer näher und eine weitere Nacht im Zelt schien nicht verlockend. Dazu sollte es die Nacht über gewittrig bleiben und stark abkühlen.
So entschieden wir uns nach Deutschlandsberg 20 Kilometer weit abzusteigen und den Zug nach Hause zu erwischen. So langes absteigen, bzw. hinuntergehen, waren wir beide nicht gewohnt. Besonders Elvin konnte vor lauter Muskelschmerzen kaum mehr gehen.
Trotz der eigentlich nicht einfachen Tage, konnte ich es positiv für mich abschließen und habe viele neue Erkenntnisse für mich mitgebracht. Das wichtigste war mir aber die Zeit mit meinem Sohn und ihm das Pilgern näherzubringen. Pilgern ist ein Abbild unseres Lebens und das es diesmal nicht so leicht ging, ist ein Hinweis darauf, dort hinzuschauen.
Für Elvin ist es natürlich nicht leicht zu erkennen, aber die Zeit wird ihm zeigen, für was es gut war.
Ich musste erkennen, dass es für die hohen Berge noch zu früh ist und werde mich an die Niederen halten. Meinen Jakobsweg werde ich auf dem Hauptweg über Nieder- und Oberösterreich fortsetzen, der geeigneter für mich ist.
Alleine hätte ich die Koralm vielleicht geschafft, aber spätestens vor den Hohen Tauern wäre Schluss gewesen. Die Überquerung wäre körperlich zu forderns geworden.
Ich weiß es nicht wirklich? Wieder einmal muss ich mich sammeln. Alles ist so unwirklich zurzeit. Besonders die Frage geistert in mir herum, warum trainiere ich, was für einen Sinn hat das, was ist meine Motivation?
Ich bin jetzt im fünften Jahr nach dem Hirnabszess, hatte meine Erfolge in der Rehabilitation und konnte viel erreichen. Allerdings ist viel von dem Erreichten in der Corona-Krise verloren gegangen.
Ich lebe Tag für Tag und jeder Tag beginnt seit 1548 Tagen immer wieder neu für mich. Die wertvollsten Siege sind nicht sportlich oder das ich 1.000 Kilometer am Camino in Spanien gehe. Nein, es sind die kleinen und unscheinbaren Erfolge, die wirklich wertvoll sind und mir wieder ein klitzekleines mehr Lebensqualität ermöglichen.
Seit vier Jahren hangele ich mich von Erfolgserlebnis zu Erfolgserlebnis. Jeder Tag erfordert Hingabe, wie ich sie früher im Sport hatte. Es ist jetzt ein Wettkampf gegen mich selbst geworden, nicht gegen andere.
Mein Ziel ist es, wieder mehr Lebensqualität zu erreichen. Dafür mache ich alles und höre nicht auf, bis ich auf über 50% meiner Leistungsfähigkeit bin. Pilgern ist meine beste Therapie und wenn ich nicht nach Spanien fahren kann, dann gehe ich eben durch Österreich.
Aber nicht über hohe Berge, sondern ich werde den Hauptweg des Jakobsweg von Krems weg zum Bodensee versuchen.
Vor dem Pilgern musste ich Gehen lernen. Das Gehen hat eine enorme Bedeutung für mich, denn es beeinflusst auch mein Denken, meine Gefühle und Emotionen.
Mit dem Hirnabszess habe ich eine Aufgabe bekommen, die noch lange nicht zu Ende ist oder besser gesagt, erst mit meinem Tod aufhören wird. Seit dem Überleben des Hirnabszesses wurde die Frage nach meinem Hiersein oder dem Sinn des Lebens immer wichtiger. Ohne Sinn hätte ich die letzten Jahre nicht überlebt.
Es ist mir nicht möglich zu Arbeiten oder kreativ tätig zu sein, um mir damit meinen Unterhalt zu verdienen. Was hat es also für einen Sinn zu existieren? Hätte ich nicht die Erwerbsunfähigkeitspension, könnte ich nicht existieren. Vor mehreren hundert Jahren hätte ich betteln gehen müssen oder wäre als Indianer alleine in die Wüste gegangen um zu sterben, damit ich für mein Volk keine Belastung darstelle.
Das sind Fragen die mich beschäftigen, die ich allerdings nicht oder nur sehr langsam weiterdenken kann. Da kommt für mich das Gehen ins Spiel. Ich brauche nur zu gehen und komme weg von den Gedanken, die ich doch nicht denken kann.
Ich lebe im Hier und Jetzt, konzentriere mich auf die Natur und spüre den für mich einzigen Sinn des Lebens, nämlich im Jetzt mit Freude zu sein. Das kann ich am besten in der Natur.
Der Lockdown hat vieles "zerstört", was ich mir mühsam in den letzten Jahren angeeignet habe. Besonders die Sensibilität hat zugenommen. Seit drei Monaten bin ich nicht mehr in der Stadt gewesen und es fühlt sich an, wie in der ersten Zeit nach dem Hirnabszess.
Verkehr, Menschen und Lärm strengen mich übermäßig an. Alleine Einkaufen ist ein Horror für mich. Am Hauptplatz von Graz würde ich mich kaum zurechtfinden, weil meine Sensoren alle geöffnet sind. Das merke ich an einer Steifigkeit in mir, die alles erfasst und das geschieht derzeit beim Einkaufen. An die Stadt mag ich gar nicht denken.
Zunächst merke ich wieder eine erhöhte Vermeidungsstrategie. Ich setze mich Dingen, die mir nicht guttun, einfach nicht aus. Den Kontakt zur Natur habe ich intensiviert. Es geht mir nicht mehr ums Gewöhnen an Situationen, sondern mein Körpersystem dem Auszusetzen, was ihm guttut und es dadurch zu stärken. Alles andere vermeide ich.
Soziale Kontakte, lernen ins Kino zu gehen, Essen zu gehen und vieles mehr ist weggefallen. Es kommt zwar langsam wieder und immer mehr wird erlaubt, aber es ist neuerlich Therapie, mich daran zu gewöhnen, in die Stadt oder Essen zu gehen. Die Leichtigkeit des Lebens ging verloren. Eine Leichtigkeit, die ich mir besonders wieder im letzten Jahr anzueignen versucht habe.
Das erste Mal das Gefühl zu Leben hatte ich im vorigen Jahr am Camino Norte gemacht. Mit meinem Pilgerfreund Günter redete ich oft über, "...das Leben zelebrieren!" und ich versuchte es immer öfter. In der Gemeinschaft von vier, fünf Menschen erfuhr ich das Leben, ohne an Therapie zu denken. Es waren Momente, die mich mein behindert sein vergessen ließen.
Trotzdem wurde ich therapiert, ohne es zu merken. Ob Greifen, Hantieren, Essen, Sprechen oder meine Gedanken, ich begann all das einzusetzen, was ich mir mühsam über die letzten Jahre aufgebaut hatte. Das Gehen oder Pilgern wurde meine beste Medizin.
Noch im Februar dieses Jahres, am Camino Frances, hatte ich Pläne für das zukünftige Leben. Erstmals hatte ich es geschafft, in die Kathedrale von Santiago zu gehen, Museen zu besuchen oder durch Santiago zu schlendern. Das habe ich meinen Pilgerfreunden Effie und Pedro zu verdanken, die mich dabei begleiteten. Alleine hätte ich es noch immer nicht geschafft.
So konnte ich mich immer wieder den Reizen in vertretbaren Dosen aussetzen, die mich näher an das Leben herankommen ließen.
Was viele übersehen, zu all dem Leben lernen, habe ich trotzdem noch immer gehen zu lernen. Das klingt komisch für einen, der drei Caminos in Spanien hinter sich hat.
Ich verbrachte bisher 3.500 Kilometer auf Pilgerwegen. Dazu kommen noch rund 4000 Kilometer, die ich zu Hause gegangen bin. Das ist nur eine Schätzung, denn ich schreibe es mir nicht auf. Wahrscheinlich bin ich noch mehr gegangen.
Das Gehen setzt wichtige Impulse in mir. Zunächst war es wichtig die Technik zu lernen und diese versuchen zu automatisieren. Am Automatisieren arbeite ich noch heute, denn ich bin Single-Tasking fähig, nicht Multi-Tasking. Automatisierung hilft mir da enorm.
Einer meiner größten Erfolge der letzten Jahren ist es, mich wieder auf ebenen Wegen und Strecken unterhalten zu können. Dafür waren unzählige Kilometer notwendig, bis ich so weit war. Bis dahin musste ich mich so aufs Gehen konzentrieren, das für anderes nichts übrigblieb.
Das Gehen hat auch großen Einfluss auf mein Denken. Kann ich nicht Gehen, stockt auch mein Denken. Mit Gehen meine ich immer Bewegen, denn wäre es mir nicht mehr möglich zu gehen, würde ich alles daransetzen, mich bewegen zu können. Viele Rollstuhlfahrer zeigen es ja vor, wie wichtig Bewegung für den Geist ist.
Bisher bin ich mehrmals am Camino in Spanien gepilgert. Dabei entstand der Wunsch, von zu Hause weg zu Pilgern. Corona hat mir diese Entscheidung abgenommen. Zumindest in Österreich ist es wieder erlaubt und mein Ziel ist es, von Graz zum Bodensee zu gelangen.
Verhindert hat es bisher immer das Gewicht des Rucksacks. Ein Gehen mit Zelt und dem Zubehör zum Campieren im Freien war mir bisher zu schwer. Was also tun?
Am Camino gibt es ein engmaschiges Netz von Herbergen. Daher ist ein Zelt nicht notwendig. Auch in Österreich gibt es genug Gasthöfe und Hotels am Weg. Allerdings steigen die Mittel auf €50,- bis €100,- pro Tag. Das kann ich mir beim besten Willen nicht leisten. Als Alternative steht nur ein Zelt zur Verfügung, mit allen Vor- und Nachteilen.
Es kommt wieder mein 420g leichter Daunenschlafsack von Northland zum Einsatz, der bisher auf allen meinen Caminos dabei war. Als Isomatte nehme ich eine aufblasbare, 430g schwere Matte. Es gibt noch leichtere, aber diese eingesparten 160 Gramm werden mit €160,- erkauft. Zu teuer das Verhältnis von Gewicht zu Preis. In manchen Sachen bevorzuge ich die preislich günstigere Alternative. Der Schlaf- und Campingbereich macht somit einen großen Teil des Gewichts aus, dass ich zu tragen habe.
Dazu kommt ein superleichter Kocher ins Gepäck, um zumindest Fertiggerichte zwischendurch zubereiten zu können. Vor allem Nudeln und Suppen kommen dabei zum Einsatz. Wenn möglich, werde ich auch Essen gehen. Aber da ich mit Zelt unabhängiger bin, werde ich öfter selbst kochen, vor allem wenn es in der Nähe nichts gibt.
Natürlich muss ich beim Kochen mehr aufpassen, denn auch zu Hause ist es eine Herausforderung. Vor allem mit Brandwunden bin ich gezeichnet, unterwegs darf da nicht zu viel passieren.
Ich werde mich sehr oft mit Kaltem begnügen, wie ich es auch am Camino in Spanien gemacht habe. Studentenfutter und Obst sind ideal für unterwegs, am Abend reicht Brot, Käse, Oliven oder Tomaten, eventuell mit einem Stückchen Wurst. Kaffee im Caféhaus zu trinken, gehört zum Lifestyle dazu, denn ich möchte mich ja nicht kasteien.
Ich bin kein Veganer oder Vegetarier, esse aber sehr wenig Fleisch. Alles zu Essen habe ich mir auf meinen Reisen in den letzten dreißig Jahren angewöhnt und bin dadurch sehr genügsam geworden. Vom Luxushotel, bis zur Nacht im Dschungel, war alles dabei, dementsprechend auch das Essen. Aber das war in der Vergangenheit und jetzt heißt es alles wieder neu lernen. Immer unter dem Gesichtspunkt, wie es mein Körper vertragt oder wie ich ihn an neues gewöhne.
Ich gehe einfach los. Die erste Zeit wird mich mein Sohn Elvin begleiten. Was liegt näher, als am Weststeirischen Jakobsweg zu beginnen. Er führt in meiner Nähe vorbei, bzw. ist die Wallfahrtskirche Judendorf Straßengel ein Zubringer. Über die Koralm führt der Weg in den Süden und mündet am Ende in den Jakobsweg Kärnten.
Je nachdem, wie man Gehen möchte, geht es im Süden weiter oder man geht nördlicher, auf die Hohen Tauern zu. Das ist mein erstes Ziel, Kärnten zu durchqueren. Danach werde ich weitersehen. Der weitere Hauptweg über Sillian, Brixen und dem Brenner nach Innsbruck fällt derzeit aus. Alternativen sind nur der Weg über die Hohen Tauern, um in den Norden auf den Jakobsweg Österreich zu stoßen.
Danach geht es über den Arlberg zum Bodensee. Ihn zu erreichen ist mein zweites Ziel. Danach bleibt alles offen. Weiter ginge der Jakobsweg durch die Schweiz und Frankreich, bis an die Grenze zu Spanien. Das ist aber alles Zukunftsmusik, da Corona alles unsicher macht, aber derzeit zumindest nichts unmöglich. Der Camino del Norte, mit dem Camino Primitivo nach Santiago, wäre eine schöne Sache, aber wie bereits gesagt, derzeit nicht sicher.
Eine ebenso schöne Überlegung würde mich zu Fuß vom Bodensee zurück nach Wien und weiter in die Steiermark bringen. Entscheidend wird sein, wie ich das Übernachten im Freien vertrage.
Das Pilgern ist für mich die beste Rehabilitation. Meine Beweglichkeit, Wahrnehmung und Denken wird im Gehen verbessert, was könnte ich mir anderes wünschen.
Ich habe über zwei Jahre in Reha Zentren, bei privaten Physiotherapeut*innen, Ergotherapeut*innen und Logopäd*innen mit gezielter Therapie verbracht. Zwischendurch brauche ich es noch immer, aber die Arbeit an mir soll wieder mehr mit dem Leben zu tun haben.
Selbst zu Hause kann ich nicht so an mir arbeiten, wie auf einer Pilgerreise. Daher ist es meine beste Medizin. Gehen lernen am Weg!
Es ist die letzte Zeit, ehe Elvin ins Berufsleben eintritt. Genauso wie Noah, möchte ich ihm den Camino davor noch ermöglichen. Es wird leider nicht der Camino in Spanien, aber ich denke, wir werden auch in Österreich viel Spass haben.
Camino heißt Weg, es muss also nicht der Weg in Spanien sein. Sicher hat es dort seine Vorteile, aber Pilgern ist eine Auseinandersetzung mit seinem Inneren. Das ist überall möglich. Zur Zeit von Corona macht es zu einer besonderen Erfahrung.
Dieses Erleben am Weg spiegelt das Leben im Allgemeinen. Diese Erfahrungen sind für sein späteres Leben gewinnbringend. Ich freue mich schon auf die Zeit mit ihm.
Pilgern und Zelten, diese Herausforderung habe ich bisher gemieden oder musste ich zwangsweise meiden. Der Grund bisher, immer nach Spanien zu fahren war der, dass ich dort eine bessere Infrastruktur vorfand, die meiner Rehabilitation zugutekam.
Die Corona-Krise hat mein Leben zum Dritten mal in den letzten vier Jahren durcheinander gewürfelt und verlangt wieder einmal einen gewissen Neustart. Diese Krise hat meine gesamte Wiederherstellung stark beeinträchtigt und bereits funktionierende Dinge, wieder auf den Kopf gestellt. Neue Wege und alternative Zugänge wollen gefunden werden.
Ich fühle mich oft wie ein Tiger, der im Käfig hin und her geht. Das Denken stellt sich allerdings nicht ein, daher versuche ich mich an das zu halten, was mir bisher geholfen hat. Was nicht leicht ist, denn selbst das hat sich verändert.
Das Pilgern ist mir sehr wichtig. Das viele gehen hat positive Auswirkungen auf mein Gehirn. Nach dem Lockdown fuhr mein System extrem schnell herunter und das beinhaltete auch mein Gehirn. Denken ist wieder mehr zur Herausforderung geworden, als vorher.
Von Ende Jänner bis Anfang März war ich ja am Camino Frances unterwegs. Die gesundheitlichen Fortschritte waren für meine Verhältnisse riesig und ich freute mich auf zu Hause und auf die weiteren Therapien.
Besonders auf die Traumatherapie war ich gespannt, denn dort erhoffte ich mir einiges. Auch mein körperlicher Zustand war so gut wie nie zuvor, trotz der noch immer auftretenden Schwindelanfälle und der verminderten Koordination durch die Muskelschwäche.
Innerhalb kürzester Zeit war wieder einmal alles anders. Mein Gehirn kommt damit kaum zurecht und ich brauche lange, um das alles zu verstehen. Pilgern im herkömmlichen Sinne, ist durch die Pandemie damit für einige Zeit gestorben. Ebenso wie alle anderen Therapien, Fitnessstudio und vor allem das Gewöhnen an den Trubel in der Stadt. Seit zwei Monaten war ich nicht mehr in Graz.
Die größten gesundheitlichen Fortschritte machte ich bisher beim Pilgern. Nach der Öffnung wurde Gehen wieder leichter möglich und zumindest, in Österreich, ist es wieder realisierbar.
Damit komme ich zum Zelten. Seit dem Hirnabszess lebe ich von der Erwerbsunfähigkeit (Mindest-)Pension. Damit sind keine großen Sprünge machbar, aber die Struktur am Camino in Spanien ist für mich leistbar. Außerdem kommt mir das tolle Herbergsnetz entgegen, welches ich nur dort kenne.
Es gibt viele tolle Wege, auch in Österreich. Bisher war ich limitiert im Tragen. Die Muskelschwäche lässt mich alles drei- bis viermal so schwer fühlen. Vom Gefühl her fühlt sich mein bisheriger 5 kg Rucksack wie 15 bis 20 kg an. Daher achtete ich bei allem auf das Gewicht und bin sehr minimalistisch unterwegs.
Die Übernachtung im Freien war bisher kein Thema, denn das Zusatzgewicht von 1,5 bis 2 kg ist mir bisher nicht möglich. Wozu auch, gibt es doch genug Herbergen in Spanien.
Auf dem letzten Camino im Februar kam mir immer öfter die Überlegung, von daheim nach Santiago de Compostela zu gehen. Dem gegenüber stand bisher immer, dass das Übernachtungsnetz nicht so gut wie in Spanien ist und mein Einkommen für Übernachtungen in Hotels nicht ausgelegt ist. Zu Zelten ist somit unumgänglich. Dazu gehören weitere Dinge, die das Gewicht des Rucksacks erhöhen.
Ursprünglich plante ich nach meinem Camino im Winter, wieder zum Camino Frances im April zurückzukehren, zusammen mit meinem Sohn Elvin. Vor seinem Einstieg ins Berufsleben wollte ich mit ihm zusammen noch die Erfahrungen des Pilgerns machen.
Die ursprünglich gedachte Version des Camino in Spanien, zusammen mit meinem Sohn, wird nicht möglich sein, daher sollte ein Ersatz her. Dieser Ersatz heißt jetzt "Pilgern in Österreich", allerdings mit Zelt. Ob es möglich ist, wird sich zeigen.
Es wird sich demnächst entscheiden, was genau erlaubt wird. Wichtig sind die Covid-Regeln, wie sie das Gehen und Reisen in Österreich erlauben oder beschränken. Entscheidend ist es aber, wie und ob mein Körper es überhaupt verträgt, mit dem Zelt im Freien zu übernachten.
Unbestritten ist, dass Pilgern mir in meiner Rehabilitation und Wiederherstellung sehr viel geholfen hat. Hätte ich es vor zwei Jahren nicht für mich gefunden, dann wäre meine weitere Rehabilitation nicht so positiv verlaufen. Das Pilgern motiviert mich und ich konnte damit bisher mehr erreichen, als ich mir erwarten konnte.
Wie lange ich es per Zelt aushalten werde, wird sich erst zeigen. Es ist mir für heuer damit eigentlich noch zu früh, aber es ist den Versuch Wert. Der Nutzen ist groß, um weiterhin Gehen zu lernen. Pilgern und Gehen gibt mir Sinn und gehört mittlerweile zu meinem Leben. Ich möchte es nicht mehr missen.
Die Streckenplanung habe ich nur grob geplant und wird uns, zunächst im Südwesten Österreichs entlangführen. Ich starte mit meinem Sohn Elvin auf dem Weststeirischen Jakobsweg und kann damit direkt von Zuhause losgehen. Ich freue mich darauf, ihm das Leben von dieser Seite zu zeigen. Zu lange war ich als Vater nach dem Hirnabszess nicht vorhanden.
Dieses befreite losgehen, es ist so wichtig für meine Rehabilitation. Ich habe keine berufliche Aussicht, weder in naher, noch in ferner Zukunft. Mein Sinn im Leben besteht derzeit darin, wieder einigermaßen Leben zu lernen. Das Pilgern beinhaltet Training und Leben in einem.
Pilgern wurde für mich eine Suche nach innerer Begegnung und einem zusammenführen von Körper und Geist. Nur so kann ich meine Identität wieder finden. Ich kann mir nichts Besseres dazu vorstellen. Nach dem Hirnabszess genau das richtige für mich.
Die größte Hilfe zum Gehen lernen, bekam ich letztes Jahr von einem Psychologen. Er empfahl mir, langsam zu gehen. So langsam, dass man das Auftreten nicht hören sollte. Es ist eine besondere Art, das Gehen zu lernen.
Am Camino Frances, heuer im Februar, legte ich immer wieder Strecken in diesem Sinne zurück. Es trainiert jeden kleinsten Muskel. Da es durch die Muskelschwäche und die gestörte Reizweiterleitung lange dauert, darf ich nicht nachlassen. Es ist vergleichbar mit einem Tropfstein, wo jeder einzelne Tropfen wichtig ist, um langsam zu wachsen.
Durch den Lockdown habe ich viel von meinen Fortschritten verloren. Die psychische Belastung der letzten Wochen ist nicht zu unterschätzen.
Besonders die Wahrnehmung hat gelitten. Das Üben im Park von Frohnleiten zeigt mir viel auf. Die ersten Schritte über die Steine am Teich waren so anders, als zuvor. Ich habe viel zum Nachholen und werde am Jakobsweg-Österreich weiter daran arbeiten.
Mit dem Beginn der Corona-Krise habe ich mich entschieden, die Therapie wieder in den Vordergrund zu stellen. Das vergangene Jahr ist wie unter einem Schleier verschwunden und das Leben lernen vorläufig in den Hintergrund getreten. Zuvor schaffte ich es schon ins Kino und fuhr des Öfteren nach Graz, um mich an Menschen in der Stadt zu gewöhnen. Das fällt zurzeit alles weg.
Am Jakobsweg, diesmal in Österreich, versuche ich mir ein Stück von all dem wieder zurückzuholen und durch den Aufenthalt in der Natur zu verbessern. Das Zelten kann mir dabei helfen, zu noch mehr Kontakt mit der Natur zu kommen, ...oder mein System überfordern. Wir werden sehen?
Demnächst werde ich über meine Schwierigkeiten, die Ausrüstung zusammenzustellen, berichten.
Die Rehabilitation hat mich wieder eingeholt oder besser gesagt, ich habe mich bewusst dafür entschieden. Durch das Erlernen von Radfahren, möchte ich meine Wahrnehmung verbessern und die Muskelschwäche besser in den Griff bekommen.
Der Lockdown hat mich schwer erwischt und ich brauchte doch lange um mein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Leben lernen, dass konnte ich erstmal streichen. Soziale Distanz spricht all dem entgegen, was ich mir mühsam in den letzten Monaten und am Camino aufgebaut hatte.
Am Camino habe ich große Fortschritte gemacht und ich freute mich schon, das Gelernte zu Hause in Anwendung zu bringen und weiter zu Verfolgen.
Im Nachhinein bin ich glücklich, mich für den Camino Frances im Jänner entschieden zu haben. Das Gefühl wieder zu leben, hatte ich noch nie so intensiv wie diesmal gespürt. Die Freude am Gehen ließ mich keinen Tag aus, es war mein neues Leben.
Langsam bekomme ich wieder einen geregelten Tagesablauf zu Hause, wie ich am Camino einen hatte. Er ist mein Vorbild und es zeigte mir, dass der Camino zu Hause erst richtig weiter geht. Was hilft es mir, wenn es mir nur unterwegs gut geht?
Viele sehen nur das Abenteuer Jakobsweg, dass zweifelsohne ein Abenteuer ist, dass es zu bestehen gilt. Aber der hauptsächliche Grund ist der, dass ich meine dort gelernten Fähigkeiten, zu Hause im Alltag einsetzen möchte.
Die ersten Wochen in der Krise war ich damit beschäftigt, mir neue Routinen anzueignen. Ohne Anleitung von einem Therapeuten, versuchte ich meinen Weg zu finden. Die Herausforderung war es, ohne zusammenhängende Gedanken führen zu können, einen Weg zu finden, der mir hilft.
Leben zu lernen, ist mir derzeit mit den alten Vorgaben praktisch nicht möglich, darum habe ich beschlossen, wieder mehr Therapie einfließen zu lassen. Es ist eine Gratwanderung, denn vor zwei Jahren war ich gedanklich knapp am Aufgeben, weil mein Leben nur aus Therapie bestand.
Ich bin schon zu weit gekommen, daher gibt es auch kein Aufgeben. Trotzdem musste ich mir etwas Neues einfallen lassen, als gleich weiterzumachen. In der Muskelschwäche bin ich praktisch nicht weiter gekommen. Sie verhindert vieles und lässt mich in vielem permanent ans Limit stoßen.
Ein Erfolg der letzten Zeit ist das Senken meines Pulses gewesen. Weniger Pulsschlag heißt weniger Arbeit für das Herz, wie bei einem Auto. Fast vier Jahre war ich zu hochtourig unterwegs. Seitdem tue alles, um ihn wieder zu beruhigen. Ein Ergebnis von mehreren tausend Kilometern gehen.
Seit kurzem ist jetzt mein Ruhepuls viel niedriger und er schnellt nicht bei jeder kleinsten Bewegung nach oben. Das viele Gehen im unteren Bereich zeigte endlich Wirkung. Darüber bin ich so glücklich, denn es ist ein wichtiger Meilenstein.
An meiner Kraftlosigkeit änderte sich bisher kaum was, trotz des vieles Gehen und Trainings. Neue Reize mussten her und ich probiere es mit Radfahren.
Was ich nicht bedachte, es ist ähnlich mit dem Gehen lernen. Ein neuer Bewegungsablauf fordert das Gehirn. Außerdem ist mein Körper darauf noch nicht vorbereitet. Mein Körper fühlt sich fragil an. Es kostet Anstrengung, bloß auf dem Rad zu sitzen.
Trotzdem habe ich erstmals ein gutes Gefühl. Ich probierte es schon öfter, aber nach wenigen Metern musste ich den Versuch bisher abbrechen. Diesmal bin ich aber dran geblieben, wenn es auch noch ein weiter Weg ist.
Zunächst möchte ich mich an die Wahrnehmung gewöhnen. Die vielen Eindrücke in der Schnelligkeit belasten mein Gehirn. Es ist wie beim Gehen, wo ich mich Schritt für Schritt herantasten musste, dasselbe gilt auch für das Radfahren.
Anfang Mai habe ich gestartet. Allerdings brauche ich noch viel Erholung, es ist nur etwa alle zwei bis drei Tage möglich. An den anderen Tagen gehe ich in den Motorik-Park, um meine Balance zu stärken.
Zunächst fahre ich nur langsam in meiner näheren Umgebung. Eine halbe Stunde (mit Pausen) reicht aus und den restlichen Tag liege ich flach, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich muss mich in die Waagrechte begeben und schlafe sehr viel. Das wird noch länger so gehen, bis ich mich daran gewöhne. Hoffentlich nicht so lange, wie ich für das Gehen brauchte.
Meine letzte Tour führte mich das erste Mal auf den nahen Radweg. Das Gefühl auf der Straße ist komisch. Es fehlt mir die Aufmerksamkeit und Reaktion. Langsames Fahren, um jederzeit reagieren zu können, ist Pflicht.
Die Konzentration ist so hoch, dass ich nach 15 Minuten erschöpft bin. Wie beim Gehen, wo ich immer wieder sitzen oder liegen muss, ist es auch beim Radfahren. Beim Hinlegen habe ich die beste Erholung.
Ob und wie es mir beim Muskelaufbau helfen kann, wird die Zeit zeigen. Es ist jedenfalls ein gutes Krafttraining, in einer Zeit, wo die Fitnessstudios geschlossen haben.
Dazu nehme ich Eiweißstoffe und andere gezielte Nahrungsergänzungen zu mir, um meinen Körper auf die neue Arbeit zu unterstützen. Besonders dem Denken tut die Bewegung gut. In der Zeit der Ausgangsbeschränkungen funktionierte das Gehirn nicht so gut, was sich auch darin niederschlug, dass ich keine Blogartikel zusammen brachte. Es war mir schlichtweg nicht möglich, Gedanken dafür zu haben.
Dies neues Ziel, dass ich durchs Radfahren erreichen möchte, lässt mich konzentrierter arbeiten und lenkt mich von den Folgen der Corona-Krise ein wenig ab.
Mal sehen, was ich in den nächsten Wochen berichten kann!