Die Bewegung hat für mich noch immer Vorrang. Wobei das andere, das Denken und Greifen, dabei sowieso mittrainiert wird.
Ich bewege mich noch immer Schritt für Schritt weiter. Wie auch seinerzeit beim Gipfelgang auf den Denali. Auf 6000 Meter geht alles langsamer, wie auch heute. Darum beschreibt es meinen derzeitigen Zustand sehr gut mit diesem Vergleich. Mein jetziger Gipfelgang dauert allerdings länger und ist mit nichts bisherigem vergleichbar.
Körperlich fühle ich mich schnell außer Atem, brauche viele Pausen, die Langsamkeit beherrscht mich - eben wie Höhenbergsteigen. Dort ist auch Ausdauer gefragt. Wobei es diesmal mehr um die mentale Ausdauer geht. Man braucht einen langen Atem, um das durchzustehen. Ein Projekt von so langer Dauer hatte ich noch nie.
Bis zum Laufen ist es noch ein weiter Weg. Ich musste anfangen wie ein Baby, mit dem Vorteil, schon einmal gegangen und gelaufen zu sein. Es war im wahrsten Sinne des Wortes ein schrittweiser Beginn. Mein derzeitiger Stand mit Gehen und Laufen ist ähnlich jemandem, der mit starkem Übergewicht beginnt oder der lange Zeit überhaupt keinen Sport machte.
Im Krankenhaus ging es erstmals darum gehen zu lernen. Am Anfang war es schon schwer nur aufzustehen, später hantelte ich mich am Bett entlang, bis ich frei gehen konnte, ohne mich anzuhalten. Es dauerte Monate bis zu den ersten Schritten im Freien. Nach 5 Monaten konnte ich gerade 50 - 100 Meter am Stück gehen. Dann war die Kraft zu Ende, ich brauchte eine Pause und musste mich hinsetzen.
Meinen geduldigen Therapeutinnen gehört dafür großes Lob, dass sie mir wieder Gehen beibrachten. Es war ungewohnt für mich, als Sportler gesagt zu bekommen, was man zum Gehen alles braucht. Welche Muskeln, auf was ich achten soll, Abstände der Schritte, richtiges Abrollen und vieles mehr. Meine ganze Kraft und die Gedanken waren auf das wieder Erlernen von Gehen und auf die Bewegung ausgerichtet.
Meine Beine waren damals um die Hälfte dünner als vorher. Nur Haut und Knochen, gestützt durch Thrombose-Strümpfe. Erst nach meinem ersten Reha Aufenthalt nahmen meine Beine an Umfang wieder zu und das Gehen konnte wirklich beginnen. Auch den Puls musste ich erst in Schwung bringen. Ein einziger schneller Schritt brachte mich zum Schnaufen und bergauf gehen war sowieso nicht möglich.
Es änderte sich dann vieles ab Februar 2017. Der Schleier der Krankheit begann langsam zu verschwinden und meine Defizite wurden ersichtlicher. Ich musste akzeptieren, dass mir nicht einfach nur die Kraft und die Ausdauer fehlten, sondern dass die neurologischen Defizite doch stärker als gedacht waren. Immer wieder auftretender Schwindel und Gleichgewichtsstörungen stehen bis heute an der Tagesordnung. Es bessert sich, aber eben nur sehr langsam.
Diese neurologischen Defizite beinhalten auch mein Denken. Bisher habe ich diese Defizite immer nur am Rande erwähnt. Das körperliche Handicap stand für mich im Vordergrund, weil es mich offensichtlicher behindert. Aber das Denken ist trotzdem entscheidend, auch für die Bewegung, weil die eben nur mit Multitasking funktioniert.
Meine Denk-Defizite sind aber auch, dass ich leicht Sachen zum Erledigen vergesse oder etwas verschieben muss, weil es mir zu viel wird. Es ist mir oft gar nicht bewusst, dass es so ist.
Ich habe ein Computer Programm für das Üben des Gehirns. Damit steigere ich meine Merkfähigkeit und Reaktionsfähigkeit. Auch das gehört zu meinem "Gipfelgang" dazu.
Lieber sind mir oft die praktischen Dinge im Alltag. Schauen, wie viele Dinge ich mir von der Einkaufsliste merke oder was ich zum Erledigen habe. Auch das Bloggen oder mich an verschiedenste Dinge von früher wieder erinnern, ist Teil meiner "Therapie". Der Alltag ist Therapie.
Alles an mir ist stark verlangsamt. Die Reaktionsfähigkeit, die Bewegung und das Denken. Das Hirn hat eine wichtige Funktion. Es steuert die Bewegungen, was früher hauptsächlich automatisch geschah. Diese Automatisation funktioniert bei mir aber nicht mehr oder nur eingeschränkt. Muskeln, Bewegungsabläufe - alles muss ich andenken und steuern lernen.
Zumindest auf Asphalt kann ich schon mehrere Meter automatisiert gehen. Es ist wie eine Erlösung, einmal nicht denken zu müssen. Dieses dauernde Konzentrieren kostet nämlich enorm viel Energie. Daher bin ich am Ende des Tages (oder meist früher) erschöpft. Die Gehirnleistung fordert mich gleich wie die Körperliche.
Worüber ich früher nie nachdachte, nämlich das Gehen, kostet jetzt unheimlich viel Energie. Laufen ist noch immer weit weg, erst muss ich gehen lernen, die Technik verbessern. Das ist aber nur im Kleinen möglich. Es gibt keine großen Sprünge.
Es war für mich immer klar, wieder gehen zu können. Das dies aber nicht selbstverständlich sein sollte, musste ich erst erkennen. Meine Zwischenziele ändern sich immer wieder, da sich so viel an mir ständig ändert.
Meine kleinen Ziele sind vielfältig. Einen neuen Score am Computer Programm erreichen, balancieren auf einem Baum lernen, eine weitere Strecke automatisiert zu gehen schaffen und noch vieles mehr. Anhand dieser kleinen Schritte kann ich auf Zwischenzielen aufbauen.
Eines ist für nächstes Jahr, auf einem Pilgerweg unterwegs sein. Einen Teil des Franziskusweges von Florenz weg zu gehen, wäre schön. Der Jakobsweg wird mir zu lang sein, wenngleich es eine Herausforderung wäre.
Dass alles so lange dauert, hat auch einen anderen Grund. Ich habe von vielen Betroffenen gehört, die denselben Problemen ausgesetzt sind. Zunächst auf Reha, tut sich viel. Man hat den ganzen Tag Zeit, sich mit sich selbst auseinander zu setzen. Kaum zu Hause hat man zusätzlich zu einem selbst, noch mit den Herausforderungen des Alltags zu tun. Auch ich versuche beides unter einen Hut zu bekommen, was aber selten gelingt.
Ich muss am Morgen genau überlegen, was ansteht und was erledigt gehört. Da bleibt nicht immer Zeit und Kraft für's Training über.
So sieht es bei mir derzeit aus. Auf jeden Fall mache ich das Beste aus allem!
Diese Woche stand mein erster Besuch in der Kraftkammer oder, wie man heute sagt, im Fitness Studio auf dem Programm.
Ich erinnere mich an meine Zeit als aktiver Straßenradrennfahrer Ende der 80-iger Jahre zurück. In den Katakomben des Liebenauer Fußballstadion stemmte ich meine ersten Gewichte. Vor uns waren immer die Spieler des SK Sturm dran, danach hatten mein Radteam und ich 90 min. Zeit fürs Training.
Es war noch eine der alten Kraftkammern, mit Gewichten aus Eisen, wie es sie heute kaum noch gibt. Schon Arnold Schwarzenegger trainierte hier in seinen jungen Jahren. Das war meine erste Bekanntschaft mit Krafttraining. Diesmal kam ich allerdings unter anderen Vorzeichen und es hieß nicht mehr Kraftkammer, sondern Fitness Studio.
Ich brauchte recht lange Zeit für das Lernen der Geh-Technik und machte dabei, vor allem im Sommer, diverse Kräftigungsübungen im Wald. Das ging lange miteinander einher. Ein Sturz auf der Stiege zeigte mir vor kurzem aber mein Kraftdefizit unweigerlich auf. Unter punktueller Belastung auf einem Bein knickte ich ein. Daher werde ich wieder mehr Augenmerk auf Kraft und Beweglichkeit legen.
Das letzte Mal war es im Juni, im Zuge der Reha in Judendorf, dass ich Geräte für Krafttraining und ein Laufband (Gehband) zur Verfügung hatte. Die Reha war anstrengend, brachte mir aber viele Übungen, wie ich den Sommer über meine Standfestigkeit verbessern konnte.
Danach benötigte ich eineinhalb Monate, um mich zu Erholen. Ich war allerdings motiviert, soviel Zeit wie möglich, in der Natur zu verbringen. Das auf der Reha gelernte, habe ich versucht, im Wald umzusetzen, was auch ganz gut gelang.
Dazu zählte das Gehen auf unebenen Untergrund im Wald und besonders die Ausdauer. Ich habe heute zwar noch das Problem, dass ich oftmalige Pausen brauche, aber ich kann mich, zeitlich gesehen, schon länger belasten. Nach dem Krankenhaus waren es vielleicht 100 Meter, die ich gehen konnte. Heute schaffe ich, an besonders guten Tagen, 5 Kilometer.
Im November wurden die Tage immer kälter. Minus Grade in der Nacht und nur wenige Plusgrade am Tag. Wenn ich am Morgen aufstehe oder wenn ich wo länger sitze, brauche ich ein paar Meter, um die Steifigkeit aus dem Körper und den Gelenken zu bekommen. Die Muskeln und Bänder behindern meine Beweglichkeit und die ersten Meter mühe ich mich ab, wie einer von den Teletubbies. Die Sprunggelenke sind besonders betroffen. Keine guten Voraussetzungen für mein Training, da mir die Kälte im Freien es nicht einfach macht.
Aus diesem Grund der Entschluss, mich endlich im Fitness Studio anzumelden. Ich bin ja an für sich kein Freund davon, in Innenräumen zu trainieren. Die Vorzüge sind aber diesmal da. Ich kann spezifisch die Muskeln ansprechen und aufbauen. Obwohl ich lange im Leistungssport tätig war, waren nach meinem 5-monatigen Krankenhausaufenthalt Muskeln beeinträchtigt, die ich noch nie gespürt bzw. gar nicht gewusst hatte, dass sie existieren. Es ist in dieser Beziehung ein wirkliches von Null an.
Allerdings sind nicht NUR die fehlenden Muskeln das Problem, sondern auch die neurologischen Defizite. Deswegen erwarte ich mir jetzt keine Wunder. Es ist aber an der Zeit, einen Ausgleich zu meiner anderen Bewegung zu machen oder besser gesagt, meiner Nichtbewegung. Mein ganzes Bindegewebe hat abgebaut und die Muskeln sind schlaff und locker. Ich spüre das besonders in der Rückenmuskulatur, die von der Schlaffheit sehr betroffen ist und Schmerzen verursacht.
Da heißt es Schritt für Schritt vorgehen. Langsames steigern und nur auf mich schauen. Mich nicht von anderen beeindrucken lassen. Meine Gewichte, die ich auflege, sind nicht mit dem zu vergleichen was andere verwenden. Habe ich früher bei der Beinpresse 220 kg gedrückt, sind es im Moment 80 kg. Begonnen habe ich mit 20 kg in der ersten Reha. Dasselbe beim Rückentraining. 10 bis 15 kg verwende ich zurzeit.
Man muss schon sagen, es ist gut, dass ich den Schritt wagte, endlich ins Fitness Studio zu gehen. Für mich steht die Rehabilitation am Programm und in erster Linie möchte ich meinem durch 5-monatiges Liegen geschwächten Körper wieder mehr Stabilität geben. Außerdem tut die neue Umgebung wohl und ich bin motivierter für Stretching.
Neue Reize setzen spielt ja eine große Rolle bei mir. Auch wenn man es mir optisch nicht ansieht, ich bin noch in Reha und baue meinen Körper völlig neu auf. Das merke ich auch an den Gewichten. Ich lasse alles in Ruhe auf mich zukommen und werde auf mich schauen.
Einen Ablaufplan habe ich mir geschrieben, die Wiederholungsanzahl lasse ich noch offen. Mal schauen was ich vertrage. Am Anfang steht sicher mehr das Stretching im Vordergrund, die Gewichte werde ich sehr vorsichtig behandeln. Der Anfang ist jetzt einmal gemacht, ich habe es in der Hand daraus etwas zu machen.
Am 17. November gab es einen Bericht auf Puls4 über mein Schicksal zu sehen. Dazu besuchte mich ein Kamerateam zu Hause. Hier könnt ihr den Bericht anschauen.
Gestaltet hat ihn meine ehemalige Kollegin Nadja El-Gedawi bei Puls4. Es war ein Beitrag für "Starke Menschen", im Rahmen der Puls4 News.
Es war komisch für mich, einmal auf der anderen Seite der Kamera zu stehen. In den letzten Jahren machte ich genau diese Art von Beiträgen. Für mich lag die Herausforderung im Interview, wo mir mehrmals die Wörter oder was ich sagen wollte, entfallen ist. Dazu konnte ich mich zum ersten Mal selbst auf Filmaufnahmen sehen. Ein bisschen bin ich erschrocken, mich so zu sehen. Es hat mich aber motiviert, mich auch mal mit der Filmkamera festzuhalten. Bisher war es mir aber nicht möglich. Ich muss mich erst wieder langsam daran gewöhnen.
Meine Message "Nicht aufgeben" war der Aufhänger für den Film. Selbst in scheinbar aussichtslosen Situationen nicht aufzugeben. Das war nicht immer klar. Denn gerade am Anfang wäre es leicht gewesen nicht mehr zu wollen. Diesen Gedanken hatte ich aber nicht in mir. Es wird noch lange dauern, bis ich wieder ein selbständiges, selbstbestimmtes Leben führen kann. Bis dahin heißt es weitermachen.
"Als ehemaliger Postler gibt man nur einen Brief auf, nicht sich selbst!"
In meinem nunmehr 31. Blogbeitrag, seit April 2017, geht es um mein gesundheitliches Resümee nach dem Hirnabszess. 1 Jahr und 9 Monaten sind seit der Krankheit vergangen. Ich habe diverse Reha-Aufenthalte hinter mir und es stehen mir noch einige bevor. Derzeit trainiere täglich zu Hause, hauptsächlich Bewegung und Ergo.
Diese Fragen beschäftigen mich. Antworten fand ich bisher nur vage. Ich lerne noch immer, damit klar zukommen, dass es so lange dauern wird. Die dauernden Veränderungen meines körperlichen Zustandes machen es mir schwer, mich selbst einzuschätzen.
Manch einer hat das Ausmaß der Krankheit gar nicht mitbekommen, mir allerdings inklusive. Ich kann mich erst seit kurzem intensiver mit der Krankheit auseinandersetzen. Bisher fehlte mir diese Eigenschaft. Mein Gehirn-Training zeigt aber Früchte. Ich kann hin und wieder schon mehrere Dinge andenken und zusammen fügen. Zumindest im Bereich der Krankheit, mit der ich mich ja, gezwungenermaßen, oft beschäftige.
Daher zunächst einmal die Erklärung, was ein Hirnabszess überhaupt ist und was es für Folgen für mich hatte.
Ein Hirnabszess ist eine seltene Infektion des Gehirns. Dabei sammelt sich Eiter in einer Kapsel an. Verantwortlich sind in der Regel Bakterien, die auf verschiedene Weise ins Gehirn gelangen. Oft sind in der Nähe befindliche Infektionen, wie in den Nebenhöhlen oder den Zähnen die Ursache.
In meinem Fall waren es die Zähne. Keime und Erreger gelangten durch die Blut-Hirnschranke ins Gehirn.
Ein Gehirnabszess kann epileptische Anfälle auslösen und ist häufig von Übelkeit und Erbrechen begleitet.
Bei mir waren die Kopfschmerzen und der Schwindel so stark, dass ich von einer zur nächsten Stunde nicht mehr aufstehen konnte. Der Abszess lag am Thalamus, der Steuerzentrale des Körpers. Viele Bereiche wurden beschädigt oder beeinträchtigt.
Rechtsseitig war ich komplett gelähmt, selbst der Mund und die Gesichtsmuskeln waren betroffen. Dazu hatte ich Sprachstörungen. Für mich waren sie in meinem Zustand weniger auffällig, als für mein Gegenüber. Oft kamen nur unzusammenhängende Wörter heraus, die keinen Sinn ergaben. Mir selbst fiel das gar nicht auf.
Dazu kam eine körperliche Schwäche. Einen Arm heben, war Schwerarbeit. Sich im Bett auf die Seite legen, fast unmöglich. Auch die Denkfähigkeit war sehr eingeschränkt. Es gab nur das HIER und JETZT.
Nach zwei Monaten entschloss man sich für die Operation, die bei vollem Bewusstsein ablief. Da der Thalamus recht tief lag, eine nicht ganz ungefährliche Operation, die aber an und für sich recht gut verlief. Nachlesen über die OP, hier klicken.
Wenn du krank bist - sollst du nicht denken: "Ich bin krank", sondern - "Ich befinde mich in einem Heilungsprozess" - Die Krankheit ist die Heilung.
Safi Nidiaye
So war es auch bei mir. Auch ich hatte das Empfinden, vom ersten Tag an im Heilungsprozess zu sein.
Die Aussichten vor einem Jahr waren ganz gut. Aber die Rehabilitation würde dauern, meinten die Ärzte. Ich soll mich auf einen längeren Zeitraum einstellen. Wie recht sie hatten!
Meine größte Herausforderung besteht darin, mein Denken mit meiner Bewegung zu verbinden. Am Anfang der Krankheit war das schon so und ist es jetzt noch immer. Bewegung hat für mich im Leben eine wichtige Bedeutung, daher nimmt es einen großen Teil meiner Therapie ein. Wieder unbeschwert gehen zu können, eine Runde im Wald laufen. Im Moment Wunschträume!
Kurz gesagt, ich kann schon weiter gehen als noch vor einem Jahr. Wenn ich über einen Platz gehe, merkt man mir fast nichts an. Leider ist das nur optisch. Noch immer muss ich die einzelnen Bewegungen vorab andenken. In mir drinnen schaut es anders aus. Das Gehirn arbeitet auf Hochtouren.
Mein Versuch, die Bewegungen zu automatisieren, habe ich nur bedingt erreicht. Am ehesten auf Asphalt. Wenige Meter kann ich dann ohne nachdenken gehen. Aber sofort holt mich die Unsicherheit und das fehlende Gleichgewicht ein. Das Denken ist sofort wieder bei der Bewegung.
Eine Übung von mir ist das in die Höhe werfen von Bällen, während dem Gehen. Ich muss schauen, dass ich mich ablenke und die Bewegung trotzdem mache. Jonglieren geht noch kaum, vor allem während des Gehens. Die Hände sind noch zu ungelenkig und die Reaktionszeit fürs Fangen zu langsam. Es wäre der nächste Schritt, mal schauen, wann es so weit ist?
Aus oben genannten Gründen ist Laufen eben noch nicht möglich. Es geht mir zu schnell. Laufen passiert größtenteils automatisch. Ich komme mit der Koordination nicht mit, da ich nicht so schnell denken kann. Stürze wären die Folge und bei meiner Ungelenkigkeit zurzeit auch gefährlich. Das stresst mich. Deswegen bleibe ich beim Gehen. Laufen oder Trailrunning wird noch kommen, gut Ding braucht eben Weile.
Ich habe nie damit gerechnet, dass das Gleichgewicht eine so große Rolle spielt. Aber es ist so. Zusammen mit meiner verlangsamten Fähigkeit auf Reize zu reagieren, lässt es mich nur langsam vorankommen.
In den letzten Monaten habe ich Fortschritte mit meiner Standfestigkeit gemacht. Löcher oder Unebenheiten im Boden sind kein so großes Problem mehr, wie am Anfang. Auch anrempeln vertrage ich jetzt besser und falle nicht gleich um. Begonnen habe ich in der Reha im Juni damit und dann damit fleißig weiter trainiert. Das Ergebnis freut mich, denn damit ist es mir leichter, wieder unter Menschen zu gehen. Ein Erfolg, den ich diesmal auch selbst mitbekommen habe.
Ergotherapeutisch habe ich noch Aufholbedarf. Es geht zwar schon besser, aber mir ist klar, dass noch mehr geht. Das Gefühl, die Hände gehören nicht zu mir, habe ich leider noch oft.
Es fühlt sich an, als seien sie Computer gesteuert. Kleine pingelige Arbeiten sind noch immer schwer, wie zum Beispiel eine Nadel aufheben oder mit dem Schraubenzieher hantieren.
Mit der Hand schreiben tue ich mir noch immer schwer. Sehr langsam geht es ganz gut. Aber ich ermüde doch recht schnell mit der Hand. Eine halbe Seite DIN A2 voll schreiben ist das Maximum. Dann wird es unleserlicher. Deswegen bevorzuge ich den Computer, da geht mehr. Die Zweifingertechnik geht schon ganz gut.
Besonders die Kraft fehlt mir in den Händen. Eine Flasche aufschrauben oder hantieren mit Werkzeug geht nicht gut. Das ist für mich schwer zu verkraften. Ich habe Probleme, die Fahrräder der Kinder zu reparieren oder in der Wohnung kleinere Reparaturen zu machen.
Das Denken ist eine eigene Sache. Ich brauche viel Ruhe, dann kann ich über gewisse Dinge nachdenken. Was nicht heißt, dass ich auch zu einem Ergebnis komme. Unter Stress geht gar nichts. Die Reaktionsfähigkeit hat sich verbessert, ist aber noch immer langsam. Denken heißt aber auch, einzelne Körperfunktionen andenken, um sie ausführen zu können. Es ist sehr komplex und für mich schwer zu beschreiben.
Das Denken spielt jedenfalls in jeder Situation eine große Rolle. Multitasking zum Beispiel. Früher war das für mich, beruflich gesehen, ein Interview zu führen. Gleichzeitig die Kamera bedienen - das Bild im Auge zu behalten und auf die Antworten zu hören, um darauf reagieren zu können.
Heute ist Multitasking für mich anderes. Darüber habe ich früher gar nicht nachgedacht. Ein Beispiel - Gehen. Zum Gehen gehört so vieles. Ich muss jeden Muskel andenken, jede Bewegung, die Körperneigung, eventuelle Richtungsänderungen und, und, und...!
Diese Art Multitasking war früher selbstverständlich. Heute ist es das nicht mehr. Ich muss wieder lernen, alle Körperfunktionen zu automatisieren, eben Multitasking in Urform. Der Hirnabszess veränderte mein Leben.
Oft kommt es mir vor, als wäre alles ein Traum. Aber es ist umgekehrt. Der Traum ist Wirklichkeit.
Diese Wirklichkeit heißt es jetzt zu meistern. Das Schicksal annehmen, gehört zu den wahrlich nicht einfachen Dingen dieser Welt.
Aber zum Glück zeigen mir viele vor, dass es geht. Die Trailrunning- und Skitourenläuferin Gela Allmann, die Fernsehmoderatorin Monica Lierhaus oder der Skispringer Lukas Müller. Sie alle haben schwere Schicksale zu meistern.
Wie sagt Lukas Müller:
"Ich kann nur beeinflussen, was vor mir liegt, nicht das Vergangene."
Auch mein Blick ist nur vorwärts gerichtet. Nie rückwärts. Leben tue ich nur nach vorne. Manchmal fällt es aber nicht leicht. Dann muss ich mir mein Ziel vor Augen halten und ich weiß wieder, wo es lang geht.
Es gibt noch viele Sachen, die betroffen sind. Ich kann sie gar nicht alle aufzählen. Das wichtigste ist hier beschrieben.
Feinfühligkeit und Hochsensibilität dominieren meinen Alltag. Der Hirnabszess hat vieles in meiner Wahrnehmung verändert. Reizüberflutung und hohe Empathie sind die Folge. Ich muss erst wieder damit umgehen lernen.
Es geht eben nicht nur um die Bewegung, es ist auch die Psyche betroffen. Vieles schon gekonnte muss ich wieder neu lernen oder entsprechend damit umgehen lernen.
In meinem früheren Beruf als Videojournalist hat mir eine hohe Stressresistenz die Arbeit sehr erleichtert. Im Sport lernte ich sehr früh, mit Stress umzugehen. Erhöhte Anforderungen steckte ich gut weg. Meistens bewegte ich mich damit im Eustress. Erst die letzten Jahre, vor dem Hirnabszess, war ich immer öfter Disstress ausgesetzt.
Die Folge war ein Abschalten des Gehirns. Es begab sich in den Ruhemodus und war ähnlich einem Computerabsturz. Reparieren braucht Zeit und oft dauert auch die Diagnose länger damit, was überhaupt kaputt ist. Bei mir ist nicht nur die Bewegung, sondern auch das Denken und die Wahrnehmung verändert.
Was alles betroffen ist, kann ich nur schwer erfassen oder beschreiben. Aus diesem Grund habe ich begonnen, darüber Buch zu führen. Das Aufschreiben und Ergänzen dauert noch immer an. Vieles wird mir erst mit der Zeit bewusst. Mein Zustand ändert sich täglich und das nicht immer nur zum Positiven.
Das ist das Schwierige am Training und fürs Üben allgemein. Ich brauche so viele verschiedene Maßnahmen, dass ich das gar nicht alles (an)denken kann, geschweige denn durchführen. Multitasking funktioniert immer noch nicht wirklich. Im Moment versuche ich beim Gehen mit jemanden zu reden, einen Ball in die Luft zu werfen oder nebenbei Musik zu hören. Damit werde ich abgelenkt und ich denke nicht so sehr an die Bewegung des Gehens. Ziel ist noch immer, es wieder zu automatisieren.
Seit kurzem schreibe ich mir einen Wochenplan, wo ich versuche, möglichst alles abzudecken und einzubinden. Mit Schwerpunkten und aufbauenden Phasen. Ein Trainingsplan wie früher im Sport, nur soll er mich diesmal dem Leben wieder näher bringen. So einen Plan zu schreiben ist eine Herausforderung, also eigentlich wieder Therapie. Denn ich muss mehreres andenken und versuchen unter einen Hut zu bringen. Oft nicht einfach.
Heute geht es aber um die Feinfühligkeit und Hochsensibilität. Ein Phänomen, das mit der Krankheit gekommen ist oder besser gesagt, offen gelegt wurde. Ich bin löchrig wie ein Emmentaler Käse.
Feinfühlig war ich schon vorher und ich hatte auch eine gewisse Hochsensibilität. Das Kriterium ist, wie geht man damit um?
Ich hatte früher kaum Probleme damit und konnte es sehr gut ausschalten, wenn ich es nicht benötigte. Was Menschen in Einkaufszentren so stresst, konnte ich nicht wirklich verstehen. Jetzt kann ich aus eigener Erfahrung mitreden. Gerade große Kaufhäuser können eine Herausforderung sein.
Als Videojournalist meisterte ich heikle Aufträge sehr gut. Gerade Interviews mit Menschen in schwieriger Lage waren meine Spezialität. Ich brauchte nicht viel nachdenken, konnte mich gut einfühlen und tat automatisch das Richtige. Da kamen mir Feinfühligkeit und Hochsensibilität sehr recht. Ich konnte sehr gut damit leben.
Auch auf Reisen hat es mir sehr gut geholfen. Ich war in den Slums von Agadez, Mombasas und vielen anderen Städten unterwegs. Die Begegnungen dort haben mich sehr geprägt. Ich hatte nie Angst oder gefährliche Momente erlebt. Im Gegenteil, ich wurde von den Menschen immer gut aufgenommen, behandelt oder beschützt.
Heute allerdings beeinträchtigt mich diese Hochsensibilität. Was früher so einfach zu handeln war, ist für mich heute anstrengend und belastend.
Ein Erklärungsansatz ist, dass der Thalamus bei hochsensiblen Personen mehr Reize als „wichtig“ einstuft, die das Bewusstsein erreichen. Eine für mich gute und logische Erklärung, was die Empfindlichkeit auslöste. Bei mir ist ja ein Abszess am Thalamus entstanden.
Es wird von einer höheren Intensität des Empfindens von Stimmungen der anderen Menschen berichtet. Man analysiert gründlicher und intensiver, mit einer Neigung zur Spiritualität. Dieses hohe spüren mit allen Sinnen wird auch als der sechste Sinn bezeichnet. Das alles kann ich auch an mir feststellen.
Der Unterschied zu damals ist, dass ich es jetzt nicht steuern kann. Ich war unter anderem Spezialist darin, mich Abzugrenzen. In meiner Zeit als Energetiker eine besonders wichtige Fähigkeit. Einerseits feinfühlig, andererseits konnte ich mich abgrenzen. Manche Energetiker nehmen die Eindrücke und Leiden ihrer Kunden zu stark an. Das führt in der Folge zu Stress und Burn-out. Damit hatte ich keine Probleme.
Bisher behandelte ich eigentlich nur den Einfluss von außen. Ein weiterer Aspekt ist der zwischenmenschliche Bereich, bzw. was in mir innerlich vorgeht. Noch kann ich nicht viel darüber schreiben. Es ist mir zu schwer, alles gleichzeitig zu erfassen. Es belastet mich aber, so viel von meinem Gegenüber zu spüren und aufzunehmen, egal ob VerkäuferIn, Partner oder Kinder. Sich abgrenzen zu lernen ist wichtig und auch, dem etwas Positives abgewinnen zu können, um daraus zu lernen.
Neben all den körperlichen Defiziten, belastet mich die Feinfühligkeit am meisten. Ich lerne langsam damit zu leben, für alle Reize so empfänglich zu sein. Manchmal nicht leicht.
Ich kann mich gut an meinen ersten Ausflug, mit der Straßenbahn in die Stadt, erinnern. Es war Spät-Herbst vorigen Jahres. Am Jakominiplatz stieg ich aus. Es war ein Schock. Straßenbahn von links, Bus von rechts, Radfahrer von vorne und überall Fußgänger. Dazu ein Klingeln und Hupen.
Mit meinem damals noch recht engen Tunnelblick war ich überfordert. Ich ließ mich neben eine Säule bringen, machte die Augen zu und versuchte mich zu entspannen. Dann wollte ich nur mehr weg von dort. Nach einiger Zeit beruhigte ich mich und ich konnte den Platz überqueren. In den Ausläufern des Stadtparks fand ich Zuflucht.
Es war damals noch zu früh für die Innenstadt. Aber wann ist zu früh? Ich wollte es ausprobieren und mich den Reizen aussetzen, um den nächsten Level zu ersteigen. Es brauchte aber damals noch Wochen, ehe ich den nächsten Versuch wagen konnte.
Das gleiche war mit dem Konzert letztens. Auch da wollte ich neues versuchen. So schraube ich immer wieder mein Limit, Stück für Stück, höher. Oder eben auch nicht. Den Faktor Zeit kann ich kaum beeinflussen.
Heute, ungefähr ein Jahr später, ist es nur um Nuancen besser. Der Tunnelblick ist unter Stresssituationen noch immer da, aber ich kann schon besser damit umgehen. Damals wusste ich nicht, was mich erwartet, heute kann ich mich darauf schon besser einstellen.
Dasselbe war mit meinem ersten Besuch in einem Einkaufszentrum. Der Gang durch die Eintrittspforte war schrecklich. Innerhalb vonSekunden war ich zahllosen Reizen ausgesetzt. So stelle ich mir den Übertritt in die Hölle vor.
In solchen Momenten engt sich mein Blick ein und ich konzentriere mich nur mehr auf das, was direkt vor mir geschieht. Ich neh me nichts mehr von der Seite wahr und verfalle in eine Art Starre. Von der Seite querende Menschen sind der Horror. Ich will mich nicht mehr bewegen.
Einerseits erschreckend, plötzlich so auf Reize anfällig zu sein. Andererseits auch interessant, wie Dinge auf einmal wahrgenommen werden.
Zum Thema Hochsensibilität und Feinfühligkeit möchte ich auf den Youtube Kanal von Peter Beer hinweisen, der sehr gute Aspekte zum Thema findet. Seine Videos helfen mir sehr, meine momentane Situation besser zu verstehen und positive Aspekte zu finden. Wer mehr darüber wissen möchte, kann einmal hineinhören. Es zahlt sich aus.
Ich bin noch immer am Aufarbeiten der Umstände, die das Hirnabszess verursachten, dran. Das zu verstehen erfordert Zeit. Unter anderem ist auch ein Thema die Langsamkeit. Darum bin ich in der für mich richtigen "Schnelligkeit" unterwegs. Mein Gehirn legt das Tempo vor, in dem ich mich bewegen und denken kann.
Zum Schluss noch zwei Tipps, die mir helfen, damit umzugehen:
Früher oder später stellt man sich die Frage: "Wie sehr hat das Hirnabszess mein Leben verändert?"
Ich habe 11 Punkte gefunden, die mein Leben nach dem Hirnabszess veränderten.
Für einen Außenstehenden mag es nicht ersichtlich sein, aber das Hirnabszess hat mein Leben zum großen Teil positiv verändert. Ich durfte Dinge erleben und kennen lernen, die den meisten vorenthalten bleiben.
Natürlich sind ein paar Sachen dabei, die nicht angenehm sind. Aber ohne das Eine, wäre das Andere nicht möglich. Und ohne die nicht so angenehmen Sachen, hätte ich vieles nie kennengelernt.
Man beginnt die Spreu vom Weizen zu trennen. Ich kann mit meinem Schicksal hadern und alles aufzählen, was nicht mehr geht, was ich nicht mehr tun kann....oder....ich kann der Krankheit positive Seiten abgewinnen und aufzählen, was ich alles neu entdecke oder jetzt anders machen darf. Ich mache zweiteres.
Vieles habe ich in meinem Sportler-leben erfahren und kennen lernen dürfen. Ich habe Dinge erlebt und gesehen, über die habe ich noch nie oder kaum gesprochen. Einiges habe ich geglaubt zu wissen, dabei habe ich es noch nicht verstanden. Mit dem Hirnabszess durfte ich Erfahrungen machen, die mir helfen, viele Schattenseiten meines Lebens zu integrieren.
Nachfolgend meine 11 Punkte, die ich als positiv bewerten kann, "trotz" Hirnabszess.
Seit dem Hirnabszess lebe ich im Hier und Jetzt, gezwungenermaßen. Es ist von Vorteil, nicht an Zukunft oder Vergangenheit zu denken. So verstehe ich es jetzt leichter, im Jetzt zu bleiben. Das Glück finde ich nur in der Gegenwart und nicht in einer fernen Zukunft.
Es war schon die letzten Jahre mein Thema. Viele Bücher habe ich darüber gelesen und mich immer wieder damit beschäftigt. Ich lebte zu viele Stunden eines Tages in der Zukunft oder der Vergangenheit. Es hat gut geklungen, aber es war mir nicht möglich aus meinem Denken auszusteigen. Was es wirklich heißt im Jetzt zu leben, habe ich erst durch das Hirnabszess eindrucksvoll erfahren.
Manches muss neu erlernt werden. Bewegungsabläufe, aber auch Verhaltensmuster. Manches war aber gar nicht so gut, wie ich im Nachhinein festgestellt habe. Daher schreibe ich es neu, wie ich es möchte und jetzt brauche. Im Prinzip funktioniert geistiges Heilen so. Die Festplatte, also das Gehirn, neu beschreiben.
Abläufe, die schon einprogrammiert waren, sind weg. Vieles davon behinderte mich aber. Jetzt kann ich das Leben neu organisieren. Warum also nicht gleich, wie ich es möchte.
Für den Blog zu schreiben hilft mir, die Krankheit aufzuarbeiten. Es hilft, meine Gedanken und mein Tun festzuhalten und zu reflektieren. Da ich noch länger Zeit bis zum Verstehen brauche, halte ich durch Schreiben meine Gedanken fest, um es dann, wenn ich soweit bin, verarbeiten zu können.
Manches halte ich für ein Buchprojekt fest. Bis zum fertigen Buch dauert es aber noch, da mir derzeit der Wortschatz noch fehlt. Für den Blog ist es egal, da bin Ich eben Ich. Ich kann es derzeit eben nicht besser. Das Schreiben ist eine gute Übung für mein Gehirn, wenn auch noch lange nicht perfekt. Für die Buchvorlage reicht es, Formulierungen kommen später. Außerdem vergesse ich manches ausreichend zu beschreiben, weil mir halt oft die notwendigen Wörter fehlen.
Das ist zwar noch weit weg, aber ich betrachte es als Möglichkeit. Da ich ja vom Film komme, ein naheliegendes Vorhaben. Derzeit fehlt mir der Überblick dafür. Ich kann noch immer schwer zusammenhängend und weiterführend denken. Für einen Film aber eine Voraussetzung. Vielleicht übernimmt diesen Part aber auch jemand anderes. Mir ist es derzeit einfach nicht möglich, mich damit zu beschäftigen. Mal schauen was die Zukunft bringt.
Das wird ein längeres Projekt. Ich war die letzten 2 Jahre vor der Krankheit Trailrunner, davor allerdings ein Leben lang Radfahrer. Jetzt muss ich in allem von 0 beginnen, wie ein Kind. Gerade die Technik beim Gehen und Laufen muss ich neu lernen. Das alles ist abhängig vom Fortschritt der Genesung. Gleichgewichts- und Koordinationsverbesserung sind der Grad meines Fortschrittes. Noch muss ich alles einzeln andenken, nichts geht automatisch. Ich kann keinen Schritt überspringen. Hier ist step by step angesagt, bis Gehen (Laufen) wieder automatisch funktioniert.
Langsames Gehen war lange Zeit nicht meines. Erst im Jahr vor der Krankheit begann ich Überlegungen über einen Pilgerweg anzustellen. Zu Silvias und meinem runden Geburtstag wollten wir uns mit dem Franziskusweg, von Florenz nach Rom, selbst beschenken. Es war ein Versuch, aus dem immer schneller werdenden Leben, auszusteigen. Es sollte nicht mehr dazu kommen.
Jetzt wird dieser Wunsch in mir wieder stärker. Die Muße für die Langsamkeit habe ich, Pilgern kann kommen. Ich lese Reiseführer und beschäftige mich mit dem Jakobsweg. Noch lässt es mein Körper nicht zu, obwohl der Plan in mir reift. Es ist ein gutes Zwischenziel auf dem Weg zum Laufen. Wobei der Jakobsweg eigentlich schon ein eigenständiges Ziel darstellt. Allerdings sollte die Kondition schon passen und da bin ich beim Gehen noch nicht so weit.
Alles geht bei mir langsam. Bewegung, Aufmerksamkeit, Denken, einfach alles. Aus dieser Not habe ich eine Tugend gemacht. Ich konnte mein Leben wegen des Hirnabszesses entschleunigen. Ich sehe das als grossen Benefit. Manch einer sieht nur mein Handicap, meine Behinderungen im täglichen Leben. Aber dass ich damit aus dem Hamsterrad aussteigen konnte, ist vielen nicht bewusst.
Hape Kerkeling hat es schon vor Jahren vorgemacht. Mit dem Spruch und seinem Buchtitel "Ich bin dann mal weg!", hat er vielen aus dem Mund gesprochen. Immer mehr Menschen suchen einen Weg um auszusteigen, aus dieser schnelllebigen Welt zu fliehen. Auch ich suchte einen solchen, sah aber keinen und hatte nicht den Mut, es trotzdem zu tun. Das Hirnabszess regelte es dann für mich. Manchmal brauchen wir eben einen ordentlichen Hinweis, bis wir begreifen, dass ein Ausstieg doch geht.
Es gilt ähnliches wie fürs Entschleunigen. Das alles auf einmal langsamer geht, habe ich erst lernen müssen. Besonders die Bewegungen. "Zu schnell" geht gar nichts. Zeit ist nicht mehr von Bedeutung. So lange wie es dauert, dauert es eben. Schneller geht einfach nicht. "Kannst du mal schnell in den Keller Kartoffeln holen gehen?". Holen kann ich sie, aber nicht schnell.
Die Langsamkeit stellt aber auch einige Fragen:
Eine davon: "Was will ich eigentlich?"
Der Knackpunkt ist, nicht mehr so weiterzumachen wie bisher. Bei mir war für diesen radikalen Schnitt eben die Krankheit nötig. Sie definierte meinen Umgang mit Gesundheit neu. Der Lebensstil wird dem Neuen angepasst. Überlegungen wie "Was will ich wirklich?", kommen jetzt öfter.
Das war etwas besonders Wichtiges für mich. Ich wollte immer für alle da sein. Habe immer "Ja" gesagt, auch wenn ich eigentlich nicht wollte. Ich durfte erkennen, dass mit einem NEIN trotzdem alles funktioniert.
Aufgrund meines Handicaps muss ich oft NEIN sagen. Es würde mich sonst überfordern und oft einfache Sachen sind nicht machbar. Ich bin ja kaum belastbar. Die Krankheit brachte mir also vieles, was ich sonst kaum verändert hätte. Zu etwas "Nein" zu sagen, ist heute kein Problem mehr für mich. Hätte ich geahnt, wie einfach das ist, hätte ich nicht krank dafür werden brauchen. 😉
Der Wald und die Natur haben einen besonderen Stellenwert bekommen. Ich war schon immer gerne in der Natur unterwegs und genoss die Stille und Einsamkeit. Mit dem Hirnabszess bekam alles eine neue Bedeutung. Viele Menschen spüren sich nicht mehr und können so die Sprache der Natur nicht mehr verstehen. Durch meine Sensibilität und die gesteigerte Wahrnehmung kann ich die Natur jetzt noch besser wahrnehmen und aufnehmen. Ohne den Wald würde es mir jetzt noch nicht so gut gehen.
Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als es im Krankenhaus zum erstenmal nach draußen, in die Nähe von Bäumen, ging. Nach über 4 Monaten im Zimmer war es endlich soweit. Ich sehe und spüre noch heute, wie es mir damals erging. Ich blühte innerlich auf. Hätte ich die Bedeutung des Waldes für meine Krankheit schon damals gewusst, ich hätte mich früher in den Wald bringen lassen. Er beschleunigt die Rehabilitation enorm. Darum gehe ich auch heute fast täglich in die Natur. Ein Tag ohne Wald ist für mich wie ein verlorener Tag.
Diese 11 Punkte umfassen großteils Punkte, die ich auch schon vor dem Hirnabszess ändern wollte. Allerdings konnte ich vieles nicht umsetzen, manches nur anreißen oder ich gestattete es mir nicht. Viel zu groß schienen mir die auferlegten Pflichten zu sein. Dafür opferte ich vieles, wenn nicht alles.
Um aus dem Hamsterrad des Lebens auszusteigen, ist Mut erforderlich. Nicht jeder braucht dafür ein Hirnabszess, so wie ich. Vielleicht kann der eine oder andere Punkt helfen, sich hin und wieder aus der schnelllebigen Zeit ein bisschen zu entziehen. Ich wünsche es Euch!
Mein Weg "zurück ins Leben" ist noch lange nicht vorbei. Es ändert sich derzeit laufend etwas. Jeden Tag, jede Woche, jedes Monat erlebe ich neu oder denke ich neu.
Manchmal fällt es mir schwer, auf diese Veränderungen zu reagieren. Noch im Krankenhaus habe ich mich entschieden, meinen "Weg zurück ins Leben", über den Sport zu schaffen. Mir war klar, ich muss motiviert sein, um die Therapien durchzustehen. In meinen bisherigen Trainingslagern trainierte ich für ein Ziel. Ein gewisses Rennen, eine Rundfahrt oder einen Lauf. So sollte für mich der Eiger Ultra Trail das neues Ziel sein, mit einem ernsten Hintergrund.
So wie es 2013 utopisch war in einem Jahr, an diesem Ultralauf teilzunehmen, so utopisch ist dieses Ziel auch heute. Wenn ich mir jetzt, nach 18 Monaten, meinen körperlichen Zustand anschaue, bin ich vom Trailrunning noch weit weg. So weit, dass ich es noch nicht richtig fassen kann. Trotzdem ist und bleibt der Lauf in der Schweiz mein Ziel.
Immer wieder sind Menschen irritiert darüber, dass ich vom Laufen spreche oder gar zum Eiger Ultra Trail möchte. Und das in meinem Zustand. Das ist verständlich, denn eigentlich stehen andere Ziele an. Gehen lernen, wieder zusammenhängend denken lernen und folglich, was mache ich beruflich weiter? Außerdem, wie kann ich mich wieder in die Gesellschaft integrieren?
Natürlich arbeite ich auch an diesen Dingen. Sogar vorrangig. Sie sind ja essentiell wichtig für mich. Aber an dem Ziel "Eiger Ultra Trail" hängt ja mehr, als viele glauben. Wenn ich dort wieder laufen kann, beinhaltet das mehrere Dinge. Mein Schwindel, bzw. das Gleichgewicht, muss dort wieder funktionieren. Ich muss bis zu 20 Stunden belastbar sein und auch noch nach Stunden konzentriert über schmale Trails bergab laufen können. Das Wetter einschätzen und noch vieles mehr gehört dazu.
Das heißt, umgelegt auf den normalen Alltag, dass ich auch diesen wieder bewältigen und beruflichen Herausforderungen trotzen kann. In einem Beratungsgespräch im Juli dieses Jahres waren auch meine beruflichen Aussichten ein Thema. Mir wurde erklärt, dass es auch Einrichtungen gibt, wo ich einfache Tätigkeiten ausüben kann. Damit kann und will ich mich aber nicht abfinden.
Seit 1996 bin ich selbständig und habe gemacht, was mir Sinn gab. Die letzten 10 Jahre war ich mit Videoproduktionen über interessante Themen beschäftigt. Unter anderem auch Berichte über "Jugend am Werk" oder die "Lebenshilfe". Dort lernte ich Menschen mit Handicap kennen und den achtsamen Umgang mit Ihnen. Es waren für mich lehrreiche Beiträge. Jetzt bin ich plötzlich einer von Ihnen, einer mit Handicap.
Meine Gehirn kann sich noch immer nicht mit der Zukunft beschäftigen. Aber eines weiß es. Ich kann nicht Kisten zusammen bauen, etwas anmalen oder ähnliche einfache Tätigkeiten machen.
Darum hat der Sport für mich einen besonderen Stellenwert. Es klingt ja irgendwie absurd. Da befinde ich mich mitten in den Vorbereitungen für einen Ultra-Lauf, bekomme ein Hirnabszess und möchte danach wieder einen Ultra-Lauf laufen. Eigentlich ein Blödsinn. Aber mein Ziel bleibt ein Ultra-Lauf und das macht für mich sehr wohl Sinn.
Denn daran hängt mein restliches Leben. Denn in Wirklichkeit geht es nicht um den Lauf, sondern darum, dass ich es körperlich schaffen kann - nicht muss. Denn wenn ich soweit bin, den Eiger zu schaffen, dann habe ich wieder die Möglichkeit, meinen Part in der Familie, als Partner und Vater, aber auch beruflich, wieder einzunehmen. Deswegen nimmt dieses Ziel einen so großen Platz ein. Gehen und Laufen lernen sind somit Zwischenziele auf dem Weg zum Hauptziel.
Was ich in Zukunft erreichen möchte, hängt natürlich von mir ab. Mein Denken bleibt dabei einer der wichtigsten Faktoren, neben dem Training und den Übungen. Das Denken entscheidet, nicht nur im Sport, über Sieg oder Niederlage. Denken ist meine wichtigste Therapie auf dem Weg zurück ins Leben.
Für mich geht es nicht darum, über etwas zu Siegen. Für mich geht es darum, mit einer optimistischen, positiven Lebenseinstellung, jeden Tag aufs Neue zu bewältigen. Im Hier und Jetzt zu leben und das Annehmen der Situation, was auch immer kommen mag.
Ich muss aufpassen, nicht wie früher, vermehrt in die Zukunft abzugleiten. Das ist oft nicht leicht. Denn im Denken über die Zukunft verliere ich den Gegenwärtigen Moment. Dabei lebe ich im Jetzt. Nicht nur ich bin so einem Gedanken oft nachgelaufen. Besser ist es, eine Entscheidung so zu fällen, als wäre es die letzte. Das meinen viele Mentaltrainer mit "Auf des Messers Schneide leben!".
Ich tue mich natürlich leichter damit, habe ich doch die Erfahrung machen dürfen, am Tod anzuklopfen. Da wird das Leben gleich viel mehr wert und man macht keine halbherzigen Entscheidungen mehr.
Letzten Sonntag kam ein Artikel über mein Schicksal in der Kleinen Zeitung. Die Überschrift sagt aus, wie ich vom ersten Tag an mit der Erkrankung umgegangen bin.
"Ich wusste, dass ich nie aufgeben darf und will!"
Ich wurde mit dem Interview wieder an die Zeit im Krankenhaus erinnert und viele Vorfälle von damals kamen hoch.
Es waren gute und weniger gute Erinnerungen. Eine war aber besonders beeindruckend für mich. Die möchte ich hier erzählen und mich damit bei allen beteiligten Personen bedanken.
Es war auf der Intensivstation und ich habe alles nicht so genau wahrnehmen können. Ich kenne keine Namen mehr und an die Gesichter kann ich mich nur sehr vage erinnern, wenn überhaupt. Das Datum weiß ich ebenfalls nicht mehr genau, es dürfte aber die dritte Woche auf der Intensivstation gewesen sein.
Ich habe in einem Beitrag meine Erlebnisse auf der Intensivstation ja schon einmal beschrieben. Dieses Erlebnis war noch nicht dabei. Ich erinnere mich jetzt wieder daran und möchte es hiermit öffentlich machen.
Ich konnte, praktisch gesagt, noch immer nur liegen. Mehr war mir fast nicht möglich. Hin und wieder sollte ich mich am Bett zur Mobilität aufsetzen. Den Krankenschwestern war der Stuhl dazu lieber. Ich mochte ihn gar nicht, denn dafür war ein irrer Aufwand nötig. Und das für eine Viertelstunde sitzen, denn mehr halte ich nicht aus. So war meine erste Mobilisation. Für mich entsetzlich anstrengend.
Da kommen zwei Krankenschwestern nach dem Frühstück zu mir und eine sagt: "Jetzt haben wir was besonderes vor. Sie liegen schon so lange, jetzt gehört einmal eine Dusche gemacht!".
Zuerst war ich freudig überrascht, denn seit drei Wochen wurde ich zwar fürsorglich in der Früh gewaschen, aber ich konnte noch nie baden oder duschen. Meine Haare waren schon strähnig und verklebt. Aber dann kommen mir Bedenken. Ich bin einerseits froh, aber andererseits verunsichert. Wie sollte das denn funktionieren? Aufsetzen ist schon schwer genug, aber duschen? Ich kann es mir beim besten Willen nicht vorstellen.
Ich soll mir keine Sorgen machen, dafür wären sie ja zu zweit, zerstreuen sie meine Bedenken. Leicht gesagt, ich kann ja kaum mithelfen. Schon alleine umdrehen ist mir nicht möglich. Ich lasse mich aber von Ihrer Fröhlichkeit anstecken und begebe mich vertrauensvoll in ihre Hände.
Zuerst muss ich aus dem Bett kommen. Es wird eine fahrbare Trage an mein Bett gerbracht und mit vereinten Kräften werde ich hinübergerollt. Vorbei an anderen Patienten werde ich in einen Raum gebracht, der mit weißen Kacheln verfliest ist. Auf einer erhöhten Fläche werde ich liegend geduscht, dass meine ich wörtlich. Denn mir selbst ist es kaum möglich einen Arm oder ein Bein zu heben, geschweige denn, selbst zu duschen.
Mit Bedacht legen sie mich auf den Waschtisch und das angenehm temperierte Wasser rieselt über meinen Körper. Welch eine Wohltat! Das Haare waschen ist ein Gefühl, wie neu geboren zu werden. Jeder Handgriff sitzt, ich brauchte nichts tun, außer zu genießen.
Mit großer Professionalität gehen die beiden Schwestern ans Werk. Viele Emotionen überkommen mich. Ich lasse sie frei fließen. Aufregung und Motivation wechseln mit Frustration ab. Schmerzlich wird mir bewusst, dass ich mich kaum bewegen kann. Ich möchte mich aufstützen, knicke aber ein, der Arm ist zu schwach. Ich fühle mich als lebendiger Fleischkloß. Frustration über das Nicht-Gelingen des Aufrichtens überkommt mich. So wechseln sich meine Gefühle und Emotionen ab.
Ich finde mich mit der Situation nicht ab. So schwerfällig mein Gehirn und mein Körper arbeitet, so genau weiß ich, dass ich nicht resignieren werde. Dieses Wissen bringt mich über schwache Momente hinweg. Ich bin so froh, duschen zu können. Es ist ein erster Schritt zurück ins Leben, wenngleich das, was ich unter Leben verstehe, noch sehr weit weg ist.
Bei der Denali Besteigung (6190m) konnte ich mich 11 Tage nicht duschen, nur begrenzt waschen. Bei -25 Grad auch kein Wunder. Es war nicht angenehm, täglich Schwerarbeit zu verrichten und zu schwitzen. Aber es war auszuhalten, ebenso der Gestank. Hier liege ich nur im Bett und hätte man mich nicht geholt, es wäre mir gar nicht aufgefallen. Mein ganzes System ist nur auf Überleben eingestellt. Duschen ist darin nicht vorgesehen.
Danach aber war es ein Unterschied. Ich war nicht nur sauber gemacht. Mit dem Duschen wurde mir auch ein Teil der Krankheit abgewaschen. Zumindest hatte ich das Gefühl.
Den Rückweg ins Bett bekomme ich fast nicht mehr mit. Zu groß ist die Erschöpfung. Ich bin den beiden unendlich dankbar. Ihre Fröhlichkeit hat auch mich angesteckt und mir trotz meines Zustandes, wieder Optimismus gegeben.
Überhaupt waren die mich umgebenden Menschen fröhlich und freundlich. So wurde die Intensivstation kein Ort des Schreckens, sondern ich habe sie in sehr guter Erinnerung behalten.
An dieser Stelle möchte ich dem Leiter der Neurologie, Univ.-Prof. Dr.med.univ. Franz Fazekas, sehr herzlich danken. Für fünf Monate waren die diversen Stationen mein zuhause und die Betreuung war hervorragend.
Mein Dank gilt auch allen Bediensteten der Neurologischen Station. Egal ob Intensivstation, Reha- oder Normalstation, ob Arzt, Krankenschwester, Pfleger oder Putzfrau. Ich kenne fast niemanden namentlich, aber es waren alle um mich bemüht.
VIELEN HERZLICHEN DANK DAFÜR!
Ich definiere mich deswegen als behindert, weil ich es schlichtweg bin. Wenn ich sage „Ich bin behindert“, dann ist das kein Selbstmitleid und kein Eingeständnis von Schwäche, sondern es ist derzeit so.
Es ist nun an der Zeit, dass ich einmal über mein Handicap schreibe. Denn ja, ich habe eines (oder mehrere). Und Handicap meint, dass ich Behinderungen habe, die mir das Leben erschweren, besonders wenn ich in der Öffentlichkeit unterwegs bin. Ich muss damit rechnen, dass sich einiges eventuell nicht mehr viel verbessert.
Also, was versteht man unter Handicap?
Seit März 2016 kämpfe ich um meine Rückkehr in ein selbstbestimmtes Leben. Von einem Tag auf den anderen war nichts mehr wie zuvor. Ich musste von 0 anfangen.
Ich hatte 2014 ein Projekt vor, dass sich mit dem Beginn von 0 an beschäftigte. Damals wurde von mir die Idee des "von 0 auf 101" geboren. Es sollte meinen Weg zum Trailrunner zeigen. Mein Leben war bestimmt vom Radfahren und ich hatte mit Laufen nichts am Hut. 2013 dann der Wendepunkt. Ich filmte beim Eiger Ultra Trail für eine Werbeagentur. Die lockere Atmosphäre gefiel mir und ich entschied mich, ein Jahr später am Start zu stehen.
Mein Trailrunning-Fieber war ausgebrochen. Ich lief zwar kaum Wettkämpfe, war aber viel in den Bergen unterwegs. Für 2016 hatte ich die Teilnahme am Großglockner Ultra-Trail (GGUT) geplant. Doch es kam anders.
Ab März 2016 stand mir ein 5-monatiger Krankenhausaufenthalt bevor. Erst Ende August kam ich mit den Nachwehen eines Hirnabszess aus dem Krankenhaus.
Die folgenden Monate musste ich mein Leben komplett von vorne beginnen. Wie ein Kind lernte ich wieder Gehen, Greifen und sogar Denken. Ich war noch viel mit dem Rollstuhl unterwegs, da ich nur wenige Meter zu Fuß zurücklegen konnte. In der letzten Woche machte man mich darauf aufmerksam, dass ich einen Behinderten Ausweis beantragen soll.
Es war schwierig für mich, den Antrag zu stellen, stand dann doch schwarz auf weiß fest, dass ich behindert bin. Damit wollte ich mich nicht abfinden. Es sollte noch drei Monate dauern, bis ich soweit war. Denn ich brauchte lange, um zu realisieren, dass ich mit meiner Rehabilitation noch länger brauche werde.
Meine Blogbeiträge behandeln in erster Linie, was ich im Krankenhaus erlebte oder was ich daraus lernen konnte. Was meine Defizite für Auswirkungen auf mich im Alltag und in der Öffentlichkeit haben, dieses Thema behandelte ich kaum. Die Öffentlichkeit eigentlich nie, denn dort halte ich mich ja kaum auf.
Und dann war er da. Mit dem Erhalt des Behindertenausweises wurde mir schwarz auf weiß bestätigt, dass ich behindert bin. Ein komisches Gefühl. Am Ausweis steht, dass mir das Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zumutbar ist. Dafür darf ich gratis in Kurzparkzonen parken. Allerdings, seit März 2016 bin ich nicht mehr Auto gefahren.
Es ist zurzeit so, dass ich reaktionsfähig noch nicht in der Lage dafür bin. Es ist schwer für mich, darauf angewiesen zu sein, dass ich einen Chauffeur brauche, um wohin zu gelangen. Das war sicher die größte Herausforderung für mich, nicht mehr selbständig unterwegs zu sein, wann und wohin ich will.
Man sieht mir eigentlich kaum etwas an. Hätte ich ein Gipsbein, würde mir in der Straßenbahn jeder Platz machen oder auf der Straße ausweichen. Bei mir ist es anders. Rein äußerlich kann man kaum was erkennen. Trotzdem sind die Defizite da. Sie sind kaum sichtbar.
Die ARD Moderatorin Monica Lierhaus, von einer Hirnblutung betroffen, sagte einmal:
"Es gibt nicht nur den äußeren Teil einer Behinderung, den jeder außenstehende sofort erkennt. Von den unsichtbaren Behinderungen bekommen die wenigsten etwas mit."
Wie recht sie hat. So geht es auch mir. Man sieht es mir nicht an, dass ich Handicaps habe. Den sie sitzen im Gehirn, schränken mich zwar ein, sind aber kaum zu sehen. Schon im Sport war ich ein eher nicht so kräftiger Typ. Daher versuchte ich mit einer perfekten Technik, die fehlende Kraft auszugleichen.
Beim Gehen lernen versuchte ich möglichst schnell, die perfekte Technik zu lernen. Die Kraft fehlt mir heute noch, aber die gute Technik bewahrt mich vorm Stürzen. Deswegen sieht man mir beim Gehen auch fast nicht an.
Zum Glück bin ich ein positiver Mensch und kann in jeder Widrigkeit etwas Gutes finden. Ich genieße es, dass alles langsamer geht. Natürlich fehlt mir das Laufen, aber die Langsamkeit konnte damit wieder in meinem Leben Einzug halten. Ich arbeite noch an meinem Ziel, laufen zu können. Aber es ist nicht mehr mein vorrangiges Ziel. Da alles so lange dauert, orientiere ich mich mehr an den Zwischenzielen. Das Laufen kommt damit automatisch.
Es ist ungewohnt, mich als Behinderten zu sehen und auch so zu behandeln. Besonders unter Menschen fällt es mir auf. In der Natur bin ich ich. Da ist es egal, ob ich ein Handicap habe oder nicht. Aber unter Menschen ist das nicht so. Da zählen Äußerlichkeiten sehr wohl und man fühlt sich beobachtet, wenn man sich nicht so verhält, wie es erwartet wird.
Es kann passieren, dass ich am Gehsteig nicht so schnell ausweichen kann oder langsam über die Straße gehe. Dazu ist meine Reaktion noch stark verlangsamt. Viele glauben dann, dass ich das absichtlich mache. Besonders Autofahrer fühlen sich schnell geärgert und reagieren sauer. Dabei gehe ich am Limit über die Strasse. Das mein Limit aber noch so langsam ist, können Sie ja nicht wissen. Mittlerweile habe ich mich gut unter Kontrolle und reagiere nicht darauf.
Vor einem halben Jahr war das anders. Mein Thalamus ist betroffen. Das hat zur Folge, dass ich meine Emotionen nicht leicht abstufen kann. Es gibt nur 0% oder 100% Emotion. Das war nicht leicht für mich. Deswegen bin ich auch kaum alleine auf die Straße gegangen. Drängte mich wer mit Hupen, schrie ich lautstark zurück. Heute geht es schon besser, weil mein Denken langsam zurück kommt. Dafür dauert alles länger, weil ich eine verzögerte Reaktionsfähigkeit habe.
Ich weiß, dass ich nur begrenzte Kraft-Ressourcen besitze, die einem Menschen ohne Behinderung nur schwer zu vermitteln sind.
Ich bin ein bisschen konfus derzeit. Ich musste ausbrechen. Neues wagen. An die Grenze gehen, schauen wie weit ich komme. Dieser Test ging nicht unbedingt in die Hose, aber mir wurden meine Defizite eindringlich sichtbar gemacht. Im Wald geht es oft schon ganz gut, besonders die Aufmerksamkeit. Das mit der Stadt werde ich auch noch hinbekommen, noch stresst es mich sehr.
Letzte Woche ging ich mit Silvia auf ein Konzert. Da es mir die letzten Tage im Wald sehr gut ging, dachte ich mir, dass möchte ich jetzt auch unter Menschen ausprobieren. Gesagt getan. Es war das Konzert "Laut gegen Armut", veranstaltet von der Volkshilfe.
Verbindung hatte ich nur zu einer Band, den Gnackwatschn. In meiner Zeit bei Puls4 habe ich sie Interviewt und als sehr angenehme Band kennen gelernt.
Ich wollte das Durchziehen und mir zumuten. Ich kann mich doch nicht ewig vor anderen Menschen verstecken. Bisher wollte ich zwar das ein oder andere Mal eine Veranstaltung besuchen, habe aber jedes Mal einen Rückzieher gemacht. Es ging mir nicht gut im Vorfeld. Im Wissen, dass ich eine Sitzgelegenheit brauche, hält mich immer wieder zurück. Muss ich zu lange stehen, wird mir schwindlig und die Kraft fehlt auch noch.
Was mich auch stört, dass ich in einer Unterhaltung plötzlich nicht mehr weiter weiß. Dann fange ich zum Überlegen an und weiß nicht einmal mehr, worum es im Gespräch überhaupt ging. Früher war es mir peinlich. Jetzt frage ich einfach nach, worüber wir gerade gesprochen haben. So komisch das auch klingt. Meine Freunde haben sich daran bereits gewöhnt. Wer mich nicht kennt, ist verwundert darüber und fragt sich, was soll das denn jetzt.
Kurze Ausflüge in die Stadt mache ich ja immer wieder, um mich an den Lärm und die Hektik der Stadt zu gewöhnen. Es ist aber noch immer Grenzwertig. Ich ziehe mich sofort in mich zurück und wirke dann abwesend.
Beim Konzert wollte ich mich erstmals den vielen Menschen aussetzen. Ich war neugierig, wie ich auf das und die laute Musik reagieren werde.
Nervös und aufgeregt fuhren wir hin. Das kannte ich nicht von mir. Ich habe schon bei vielen großen Konzerten gefilmt und mit weltweit bekannten Gruppen Interviews geführt. Nervosität hatte ich nie. Diesmal war es anders. Ich kam mit dem Bewusstsein, dass ich ein Handicap habe. Meine Wahrnehmungen sind komplett gestört und werden von außen beeinflusst.
Die guten Tage im Wald konnten mir nur bedingt helfen. Das war eine neue Situation. Dem wollte ich mich aber aussetzen. Ich muss immer wieder meine Grenzen neu ausloten und verschieben. Mit dem Konzert war es ein neuer Schritt, den ich bisher noch nie wagte.
Bereits beim Hingehen hatte ich einen unsicheren Gang. Vor der Halle waren bereits viele Leute und beim Einlass hatte ich bereits einen einsetzenden Tunnelblick. Fixiert auf Silvia, ging ich hinter ihr nach. An der Wand sah ich Sitzwürfel. Das war mein Ziel, auf das ich zusteuerte. Da ich nicht lange stehen kann, war eine Sitzgelegenheit vonnöten. Erst als ich mich hinsetzte, fühlte mich in Sicherheit. Gleich vor mir, war der Behindertenbereich. Mehrere Rollstuhlfahrer waren da.
Die Laute Musik war gar nicht so schlimm. Da hatte ich die meiste Angst davor und das ich womöglich noch während des Konzerts gehen musste. Auch der Rhythmus der Musik setzte bei mir ein. Lustigerweise mehr bei meiner rechten Hand, wo ich die Lähmungen hatte. Ich merkte eine Unbeholfenheit, denn ganz hatte ich die Hand nicht unter Kontrolle. Es war aber interessant, das ich so stark auf Musik reagierte. Ich werde in Zukunft mehr mit Musik arbeiten.
Das Denken war allerdings ein Problem. Ich muss noch zu viele Sachen einzeln Andenken. Deswegen war meine Hand zwar im Rhythmus unterwegs, aber es fiel mir erst auf, wenn ich daran dachte. Zu viel anderes wollte kontrolliert sein.
Als die Gnackwatschen vorbei waren, war genug. Wir brachen auf. Durch so viele Menschen zu gehen, war der pure Stress für mich. Nur reagieren, nicht agieren zu können. Es waren zu viele. Ausweichen zum Beispiel. Ich muss es erst einzeln andenken, dass ich das Bein, den Arm wegziehe, mich versuche seitlich durchzuschlängeln. Wobei, seitlich gehen, ist fast nicht möglich, da muss ich noch mehr trainieren.
Ich war meist zu spät dran. Ich laufe gegen Beine, ramme andere Menschen. Alles geht mir zu schnell. Das ist auch der Grund, warum ich noch nicht Laufen oder Trailrunning machen kann. Meine Reaktionszeit ist zu langsam. Laufen geht mir zu schnell. Ich kann nicht so schnell denken, wie ich für die Koordination dazu bräuchte.
Meine Denkkraft war aufs Äußerste angespannt und ich funktionierte nur mehr mechanisch. Das war das schlimmste für mich. Alleine hätte ich das nicht geschafft. Ich war trotzdem froh, alles so gut überstanden zu haben. Das Gehen über Asphalt zum Auto, war schleppend. Es hatte mich doch mehr mitgenommen, als gedacht.
Einmal mehr wurden mir meine Defizite wieder bewusst gemacht.
Ja, diesmal war ich als Behinderter unterwegs. Steht auch so in meinem Behinderten Ausweis drinnen. 60% Beeinträchtigung. Und es ist noch immer so.
Da komme ich nicht dran vorbei.
Aber ich werde weiter trainieren und üben, dass wieder mehr möglich sein wird.
Das Thema Wald, Baum und Gesundheit beschäftigt mich schon länger. Noch vor'm Hirnabszess war es mein Freund Bernd, der mir ein Buch von Erwin Thoma in die Hand drückte, "Die geheime Sprache der Bäume".
Es hat mich sehr angesprochen, aber auch nachdenklich gemacht.
Seit dem Hirnabszess hat der Wald für mich eine besondere Bedeutung bekommen. Er ist Ruhebringer, Therapeut und Kraftkammer in einem.
Einmal ist es mir besonders aufgefallen. Anders als üblich, spazierte ich diesmal von Graz nach Hause. Sonst gehe ich meist in den Wäldern rund um Stattegg spazieren. Diesmal war es umgekehrt.
Ich fuhr mit Silvia zum Einkaufen, ließ mich dann absetzen und setzte mich in ein Café um zu Schreiben. Dann kam mir die Idee, zu Fuß nach Hause zu gehen. Das habe ich noch nie gemacht, weil mich die lärmende Stadt immer sehr viel Energie kostet. Danach noch in den Wald zu gehen, vermied ich bis dato.
In der Stadt bekomme ich immer ein beengtes Gefühl. Mein Sichtfeld engt sich ein, ich bekomme den Tunnelblick. Das heißt, rechts und links nehme ich fast nichts wahr und nur ein kleiner Ausschnitt in der Mitte ist scharf. Dazu neigen sich meine Finger zu verkrampfen. Außerdem werde ich beim Gehen unsicher. Das alles führt dazu, dass ich mich in der Stadt nicht wohl fühle.
Ich wollte schon aufgeben, da ich dachte, heute nicht gut drauf zu sein. Diese ersten Meter auf der Straße stressten mich mehr als gedacht und noch standen mir ja drei Kilometer durch den Wald bevor.
Mit Pausen schaffte ich es bis zum Anfang des Waldes. Noch wäre ein Abbruch möglich gewesen.
Aber da war mein Wille stärker. Mit der Sicherheit, jederzeit, wenn ich nicht mehr weiter konnte, den Wald verlassen zu können und den Bus nach Hause zu nehmen, ging ich in den Wald hinein.
Kaum war ich weg von all den lärmenden Autos, dem harten Asphalt und dem Grau der Straße, wurde ich lockerer und ruhiger. So intensiv war mir das bisher noch nie aufgefallen. Je weiter ich ging umso ruhiger wurde ich.
Bei etwa der Hälfte des Waldstücks fühlte ich mich weit besser als noch kurz vorher, als ich in der Stadt unterwegs war, und das trotz der Strecke die ich schon zurückgelegt habe.
Bisher baute ich mit jedem gegangenen Meter körperlich ab. Diesmal war es aber anders. Ich erholte mich vom Stress der Stadt mit jedem Meter mehr. Der Tunnelblick weitete sich, was für mich am schönsten zu beobachten war. Es war das erste Mal, dass es mir so stark aufgefallen ist. Das zeigt mir, was die Kraft der Natur für eine Rolle in der Therapie spielen kann.
Das Stresshormon Cortisol verringert sich im Wald und diese Reduktion hält über Tage hinweg an. Dafür muss man sich nicht einmal bewegen: Waldluft wirkt, auch wenn man sitzt. Abgespanntheit, Stress und Erschöpfung werden weniger. Positive Gefühle kommen auf und man wird ruhiger.
Der Kontakt mit künstlichen Materialien verursacht einen gewissen Stress-Effekt. Auch die Stadt ist großteils künstlich. Mit Entsetzen musste ich nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus feststellen, wie viele Grünflächen in Graz verschwunden sind und wie viele alte Häuser durch moderne Hochbauten ersetzt wurden. Dieses "Alles zubauen" wird uns noch auf den Kopf fallen. Wir schaden damit unserer Gesundheit, denn wir sind nun einmal Naturgeschöpfe.
In der Stadt sind wir einer unaufhörlichen Reizüberflutung ausgesetzt. Das ermüdet. In der Natur hingegen ist die Aufmerksamkeit auf nur wenige Reize gelenkt. Die mentale Erschöpfung können wir in der Natur kurieren, in der Stadt nicht. In jungen Jahren fällt uns das nicht so auf, da können wir diese Reize noch locker abwehren. Aber wenn wir älter werden, da schlägt es dann umso härter zu. Burn Out und andere psychische Erkrankungen nehmen dann zu. Alles eine Folge unseres schnellen Leben.
„Wir wurden so geschaffen, dass wir in eine natürliche Umgebung passen, wenn wir uns inmitten der Natur aufhalten, werden unsere Körper wieder zu dem, was sie einmal waren.“
Zitat: Yoshifumi Miyazaki, Direktor des Zentrums für Umwelt, Gesundheit und Agrarwissenschaft von der Universität Chiba.
Auch ich spüre, dass mir der Wald helfen kann. Gerade mit den Folgen des Thalamus-Abszesses, wie etwa Gleichgewichtsstörungen, Schwindel, aber auch der kognitiven Fähigkeiten. Im Wald ist alles mehr Lust statt Trainingseifer! Der Waldspaziergang ist ein Breitbandheilmittel, wie kaum etwas anderes.
"In einer Befragung von 355 Reha-Patienten in zehn Kurorten gaben mehr als drei Viertel der Befragten an, dass neben den ärztlichen Bemühungen das Spazieren im Grünen am meisten zu ihrer Gesundung beitrage."
In Fernost ist man gerade eifrig dabei, Wälder in Therapiezentren umzuwandeln. Eine tolle Idee. Ich weiß noch, wie ich im Aufenthaltsraum der Neurologie saß. Ich blickte durch die Fensterfront auf den Leechwald. Wie sehr habe ich mir damals gewünscht in den Wald gehen zu können. 5 Monate sah ich ihn nur durch die Glasscheibe hindurch. Doch auch das war irgendwie heilsam.
Darum kann ich nur ermuntern: Geht so oft es Euch die Zeit erlaubt in den Wald!
Welche Bedeutung hat der Sport für mich und meine Gesundheit nach der Krankheit bekommen. Ist er eine Motivation für mich?
Kann ich das, was ich mache, überhaupt Sport nennen oder ist es nur Therapie? Egal, wichtig ist, dass ich mich bewege. Motiviert bin ich, wenn ich ein Ziel sehe! Ohne Ziel, keine Motivation.
Ich bin umgeben von Hindernissen. Am Anfang ragten die Stufen überall in die Höhe und der erste Stock glich einer 8000er Besteigung. Jede kleinste Kante wurde zu einem für mich fast unüberwindbaren Hindernis. Heute, ein Jahr später, sehe ich meinen Anfang nur mehr verschwommen. Die Stufen und Kanten sind kleiner geworden, aber sie sind noch immer da. Diese Hindernisse schienen am Anfang unüberwindbar zu sein.
Deswegen setzte ich mir mit dem Eiger Ultra Trail ein großes Ziel. Es war 2014 meine erste Ultra Trail Teilnahme. Er ist noch weit weg, so weit, dass ich ihn fast nicht sehen kann. Aber er ist immer in meinem Hinterkopf. Auch in Momenten wie gerade zur Zeit. Ich habe das Gefühl, es geht nichts weiter.
Dann helfen mir die inneren Bilder und motivieren mich wieder. Objektiv darf ich nicht an meinem Zustand denken, ich würde daran verzweifeln und aufgeben. Mit einem Ziel vor Augen ist alles sinnvoller und gibt mir Mut.
Stiegen sind auch heute noch ein eigenes Kapitel. Kaum gehts wo rauf, bremst es mich ein. Stufe um Stufe muss ich erklimmen, mich auf jede einzelne konzentrieren. Schnaufend geht es hoch. Das kann frustrierend sein, denn eigentlich will ich schon weiter sein. So schwanke ich zwischen Frustration und Hoffnung, aber auch Dankbarkeit, dass ich überhaupt Gehen kann. Ein Wechselbad der Gefühle.
Ich denke immer wieder an die über 6000 Stufen auf den heiligen Adams Peak in Sri Lanka. Selbst Geh-Behinderte wagen den Aufstieg und brauchen 2 - 3 Tage. Auch hier ist Motivation ein wichtiger Punkt. In diesem Fall hat es religiöse Gründe. Nach buddhistisch-singhalesischem Glauben sollte jeder gute Buddhist diesen Berg zumindest einmal im Leben besteigen.
Bei einem Hirnabszess reagiert jeder anders, kein Fall ist gleich. Es ist entscheidend, wo das Abszess sitzt. Bei mir war es ein Thalamusabszess. Der Thalamus ist eine wichtige Schaltzentrale für Sensorik und Motorik. Er entscheidet, welche der eingehenden Informationen im Augenblick für den Organismus so wichtig sind, dass sie ins Bewusstsein gelangen sollen.
Ist der Thalamus betroffen, können Psychische Störungen mit Minderung der Aufmerksamkeit, Reizbarkeit, Ungeduld und Schreckhaftigkeit auftreten, sowie einer herabgesetzten Sensibilität der Haut und einer Störung der Tiefensensibilität. Das hat sich bei mir durch Verletzungen bemerkbar gemacht, die ich nicht bemerkte.
Der Thalamus ist verantwortlich für die Steuerung und Regelung der allgemeinen Empfindsamkeit (Sensibilität). Daher meine Probleme beim Greifen, Gehen und wieder Laufen können. Trailrunning muss noch eine Weile warten.
Ich darf nicht mehr vergleichen. Ein Vergleich zu früher hinkt eben. Das, was ich jetzt zu Leisten imstande bin, hat mich früher nicht einmal aus dem Bett hervor geholt. Sprich, was heute mein Limit ist, machte ich nicht einmal zum Aufwärmen. Aber jetzt zählt eben etwas anderes.
Der körperliche Zustand ist derzeit einer ständigen Veränderung unterworfen und das nicht immer aufwärts, wie bei einem Beinbruch. Das Training, bzw. die Fortschritte, gehen eben nicht in dem Tempo, wie ich es früher vom Rad- oder Lauftraining gewohnt war. Das ist nicht immer leicht zu verstehen.
Mein ganzes Leben wurde bisher vom Sport begleitet. Daher mache ich auch jetzt Sport, auch wenn es in nur geringem Maße möglich ist. Der Sport motiviert mich. Ich zähle auch Ausflüge in die Stadt dazu, wie ich es vor kurzem auf Instagram gepostet habe. Denn die Anstrengung ist immer die gleiche, egal was ich mache. Alles ist Training.
Am Anfang stellte schon eine Gehstrecke von 15 min. eine gewaltige Herausforderung dar. So lange dauerte es, bis ich vom ersten Stock unten war, die ersten Schritte auf der Straße machte und alles wieder zurück. 15 Minuten, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen.
Es sollte Wochen dauern, bis ich mich an die Steigung hinauf zur Landesstrasse wagen konnte. Normal ein Weg von ein paar Minuten, damals für mich 30 Minuten. Es dauerte dann wieder Wochen, bis ich auch diese Steigung schaffte. Nach mehreren Monaten war ich dann zum ersten Mal im Wald.
Wenn man der WHO glauben kann, soll man täglich 10.000 Schritte tun. Da bin ich allerdings noch weit entfernt davon. Es ist ein Richtwert, um gesund zu bleiben. Natürlich hängt es von der Intensität ab. Aber 10.000 Schritte sind ein guter Anhaltspunkt. Ich selbst habe gemerkt, wie mir die Bewegung gut tut. Wer täglich eine Stunde zu Fuß unterwegs ist, steigert die eigene Fitness spürbar. Empfohlen werden 30 bis 60 Minuten täglich. Dem kann ich mich nur anschließen.
In der Vorbereitungszeit auf die Denali Besteigung 1996, machte ich alle Besorgungen in Graz zu Fuß. Oft führte mich mein Weg quer durch die Stadt. Zusätzlich zur Bewegung in meinem Job als Landbriefträger, kam ich auf 20 bis 30 Kilometer zu Fuß am Tag, zusätzlich zum Radtraining. Gehen hat eine Vielzahl an Auswirkungen auf die Gesundheit. Deswegen ist es mir auch so wichtig.
Alles Punkte, die für mich wichtig sind. Gehen hat für mich einen besonderen Stellenwert bekommen. Es bedeutet für mich auch Freiheit oder besser gesagt, wieder Selbständig zu werden. Auf niemanden angewiesen zu sein, wohin gebracht zu werden.
Aber es gehört auch noch anderes dazu. Ich möchte nicht sagen, dass ich es nicht beachtet habe, aber in letzter Zeit habe ich es sicher mehr in den Hintergrund verschoben. Nämlich die Hände. Ich bin meist so beschäftigt mit dem Gehen lernen, dass ich spezielle Ergotherapie-Übungen für die Hände und Finger ausgelassen habe.
Einerseits weil ich mit den Anforderungen des Gehen voll ausgelastet bin, andererseits der Schleier der Krankheit noch immer über mir liegt und sich immer wieder etwas verändert.
Der Frust oder der Ärger, etwas nicht zu können, ist allgegenwärtig. Es sind die alltägliche Dinge, die Ungeduld auslösen, wie zum Beispiel Schuhe binden. An manchen Tagen geht es gut, an manchen nicht. Vielleicht verwende ich deshalb so gerne meine Trailrunning Schuhe, weil die Quicklace Schnürung mir das Leben leichter macht. Es geht ja auch darum, etwas zu finden, was mir den Alltag erleichtert. Dem ist aber nicht immer so.
Milch- oder Saftpackerln sind eine weiteres Herausforderung. Es reicht nicht, nur den fummeligen Schraubverschluss zu öffnen. Nein, es gibt auch noch einen zusätzlichen Plastikring, so dass man mit Sicherheit den Inhalt verschüttet. Daher gibt es bei mir die Milch vom Bauern, in einer Flasche, mit der ich klar komme. Saft besorge ich am Bauernmarkt, der zugleich hervorragendes Brot hat. Da ersparen sich Silvia und ich den Weg in den stressigen Supermarkt.
Aber auch das Kochen kann frustrierend sein. Ungelenkiges Handhaben von Schüsseln, produziert ständig einen Sauhaufen beim entleeren oder umschütten. Ich koche gerne, aber wenn nichts gelingt, benötigt man ein hohes Frustpotenzial, um damit klar zukommen.
In der Reha meldete ich mich für die Kochgruppe. Einerseits ist Kochen super Ergo-Training, andererseits darf ich nur unterstützend helfen. Backofen vergessen, Herdplatte eingeschalten lassen, anbrennen lassen, Verbrennungen an den Händen - Dinge die noch nicht in den Kopf möchten. Da hat sich seit den Rehas leider nicht viel getan. Aber ich arbeite daran.
Um zurück zum Sport zu kommen, ich sehe all diese Dinge als sportliche Herausforderungen. Sicher, die eine oder andere Frustration gibt es immer wieder. Doch im Allgemeinen kann ich sagen, dass ich immer bestrebt bin, dass Beste aus jeder Situation zu machen und oft lache ich über mich selbst und meine Ungeschicklichkeit, die ich bei meinen Kindern immer kritisiere, wenn wieder alles voll gekleckert ist.
Die Trailrunning und andere Zeitschriften helfen mir auch, mich wichtiger Dinge zu erinnern. Gerade die Beiträge über Stabilitätsübungen, die fürs Trailrunning propagiert werden, sind wichtige Impulsgeber dran zu bleiben.
So hat der Sport also noch immer eine wichtige Funktion für mich, wenn auch einige Etagen tiefer. Aus Stunden wurden eben Minuten.
Aber das wichtigste ist:
...und als ehemaliger Briefträger würde ich sagen:
"Wer die Zukunft nicht mehr absichern kann, wird gleichsam gezwungen, im Augenblick zu leben."
Entschleunigung ja, aber ich hab ja keine Zeit dafür. Das war meine Einstellung vor der Krankheit. Gerade in den letzten Monaten ist der Ruf nach Entschleunigung bei mir immer lauter geworden und das Thema war auch in den Medien immer stärker präsent.
"Mit Entschleunigung wird ein Verhalten beschrieben, aktiv der beruflichen und privaten „Beschleunigung” des Lebens entgegenzusteuern, d.h. wieder langsamer zu werden oder sogar zur Langsamkeit zurückzukehren."
Ich dachte natürlich darüber nach, fand aber keinen Weg für mich, ihn auch umzusetzen. Ich war getrieben vom System und meinem Anspruch, alles perfekt zu erledigen zu wollen.
Der Druck in der Arbeitswelt nahm die letzten 10 Jahre rapide zu. Das geschah unter anderem auch dadurch, dass immer weniger Leute mehr leisten müssen. Als Videojournalist und in der Videoproduktion tätig, kam auch ich immer öfter an meine Grenzen.
Ich hetzte durch den Arbeitstag und nahm mir nicht mehr die Zeit, Feierabend zu machen. Es gab schlichtweg keinen Feierabend mehr. Ich stellte mir auch nicht die Frage - Wofür? Ich hatte einfach keine Zeit dafür. Dachte ich!
Die Rationalisierungswellen in der Arbeitswelt erlebte ich schon vor über 20 Jahren bei der Post mit. Als Landbriefträger war der Plausch mit älteren Menschen, für die der Briefträger oft die einzige Ansprechperson war, gang und gebe. Der (Zeit-)Druck wurde aber immer größer und man hatte kaum noch Raum für Gespräche.
Es war mit ein Grund, warum ich die Post nach 14 Jahren verließ. Ich ging in den Sport und bekam damals viel zurück. Den Schritt vom Beamten in eine ungewisse Zukunft als Sportler, habe ich nie bereut.
Heute sind wir soweit, dass in der Arbeitswelt die Zeiten für Innehalten, Besinnung und Regeneration kaum existieren oder abgeschafft wurden. Yoga und Angebote für Auszeiten stehen daher besonders hoch im Kurs, um den Druck in der Arbeit und des täglichen Lebens auszuhalten.
Ganz entspannt im Hier und Jetzt zu leben, ist vielen nicht mehr möglich. Gerade das Hier und Jetzt wurde bei mir ein Thema. Es war mir bewusst, aber......! Ja, dieses ABER. Dieses Wort zeigt uns die Verhinderer auf, denen wir die Macht überlassen. Es sind einzig allein Ausreden, warum etwas nicht geht.
Total verspannt, bewegte ich mich nur mehr im WENN und ABER. Wer aber nicht inne hält, wird haltlos. Nicht nur in der Arbeit, auch in der Partnerschaft. Der Sinn fehlt und macht alles nur schwer erträglich. Da sind schon kleine Heraus- und Anforderungen schnell zu viel. Was gilt es aber zu Erkennen: Es sind nicht die hohen Anforderungen, das Arbeitstempo oder die Zeitdauer schuld, sondern es ist der Mangel an Sinn.
Ich erkannte zwar das Problem, aber das was ich tat, war für den Körper maximal Schadensbegrenzung. Und nicht einmal das, denn das Hirnabszess zeigte mir sehr machtvoll auf, dass Zuviel, eben Zuviel ist. Eindrucksvoll zeigte es mir auf, wo meine Grenze lag.
Die Krankheit zwang mich in den Augenblick. Es gab nichts anderes mehr, als das HIER und JETZT.
Naja, die fehlende Entschleunigung war nicht das einzige Problem, sie hatte aber einen wesentlichen Anteil daran. Es müssen schon mehrere Dinge zusammenfallen, damit ein Abszess entstehen kann und besonders im Gebirn. Die Entschleunigung war nur ein Teil davon.
Die letzten Jahre produzierte ich, neben Puls4, auch für einen kleinen Privatsender in der Steiermark die Sendung. Zuletzt aber nicht nur die Beiträge, nein, ich ließ mich dazu überreden, aufgrund Personalmangels, die Sendungszusammenstellung zu machen.
Das war fatal. Es artete für mich in Stress aus. Ich kam selten vor 2 Uhr Nachts ins Bett und war um 6 Uhr wieder auf. Den Moment als es kippte, habe ich übersehen. In meinem Pflichtbewusstsein tat ich weiter, weiter und immer weiter.
Für Entschleunigung hatte ich keine Zeit, oder besser gesagt, ich nahm sie mir nicht. Mein Pflichtbewusstsein war größer. Damit nahm das Unheil seinen Anfang und ich tat nichts dagegen.
Zunächst einfach einmal alles langsamer angehen. Sich Zeit lassen und keine Hektik aufkommen lassen. Ich selbst lebe seit dem Hirnabszess noch immer im Hier und Jetzt. Meine Bewegungen, meine Reflexe und mein Denken ist von Langsamkeit geprägt. Eine Auswirkung der Krankheit, dem Hirnabszess. Das Gehirn läßt auf einmal nichts anderes mehr zu. Ich befasse mich nur mit der Sache, die ich im Augenblick mache. Alles andere hat für mich Konsequenzen. Multitasking funktioniert nicht mehr.
Ich musste erst lernen, die Langsamkeit aushalten. Zum Beispiel, einmal bewusst Gehen, statt zu Laufen. Mein Ziel ist zwar wieder zu Laufen, aber ich habe die Vorteile des Gehens wieder gefunden.
Ich mahle zu Hause schon seit mehreren Jahren mit einer von Hand betriebenen, alten Kaffeemühle. Im ersten Augenblick klingt das nach mehr Mühe, aber dem ist nicht so. Es ist ein Ritual daraus geworden und zwingt oder ermahnt mich, zur Langsamkeit. Kaffee trinken bekommt eine neue Qualität, eine Qualität der Auszeit.
Auch der Sport sollte öfter mehr bewusst gemacht werden. Pulsgurt, Schrittzähler und Smart-Phone, mit den diversen Apps, lassen uns hektisch alles aufzeichnen. Wir sind mehr darum bemüht alle Daten zu bekommen, als das wir die Natur und uns selbst wahrnehmen.
Nicht nur der Körper, auch das menschliche Gehirn kann mit diesem Tempo auf Dauer nicht Schritt halten. Schon kurze Aufenthalte im Grünen lindern Stress und Depressionen, stärken das Selbstwertgefühl und hellen die Stimmung nachhaltig auf. Eine kostenlose Behandlung ohne Medikamente und langwierige Sitzungen.
Dazu ist die Natur wertfrei. In der Stadt urteilen wir nur allzu schnell in schön, hässlich, nützlich, unnütz, gut und schlecht. In der Natur gibt es das in der Regel nicht. Denn sie ist, was sie ist. Und man ist selbst Teil davon.
Diese Punkte helfen mir, das Leben besser zu leben. Und es ist besser, nur einen einzigen Punkt umzusetzen, als gar keinen. Die Abwärtsspirale gehört unterbrochen.
Für mich sind es mittlerweile wesentliche Bestandteile meines Lebens, auf die ich draufkommen soll.
Hier noch der Verweis auf einen Artikel, der die Beschleunigung und Langsamkeit der Zeit zum Thema hat. Eine sehr interessante Betrachtungsweise von Karlheinz Geißler, Soziologe "Zwischenmenschlichkeit braucht Langsamkeit"
Was sind denn Eure eigenen Verhinderer, die euch aufhalten? Mit den Worten, die nach "....,aber..." fallen, kann sich jeder diese Frage stellen und vielleicht gute Antworten bekommen.
"Langsamkeit macht Angst, Schnelligkeit auch!"
Also wünsche ich Euch, dass ihr und ich, den Mittelweg finden und sich Entschleunigung einfinden.
Alles Gute und bis bald!
Jörg