Als Pilger in Asien unterwegs und wie mir diese Erfahrung heute hilft!

Je länger es dauert, umso mehr Gedanken und Erinnerungen an früher kommen hoch. Ich bereiste 2014 zusammen mit Silvia die Insel Sri Lanka. Die Besteigung des Adams Peak, der auch Sri Pada genannt wird, war eines unserer Ziele. Er ist auch für viele Pilger das Ziel.

Dieser 2243m hohe Berg gilt für vier Religionen als heilig. Diesen Pilgerweg sehe ich heute mit anderen Augen. Ich kann die Pilger jetzt besser verstehen und das damals Erlebte neu einordnen.

Selbstbestimmt durch das Land

Wir lernten das Land mit Zug, Bus, Tuktuk und per Pedes in all seinen Facetten kennen. In vielen Gesprächen lernten wir die Einheimischen kennen. So erfuhren wir ihre Nöte, aber auch ihre positive Einstellung dem Leben gegenüber. Jahrelang wurden die Menschen durch Krieg schwer gebeutelt. Erst seit einigen Jahren herrscht wieder Frieden.

Für mich als Trailrunner war einer der Höhepunkte das Hochland. Hier thront der Adams Peak hoch über dem Dorf Delhouse. Es war eine Herausforderung die über 6000 Stufen zum Gipfel zu bewältigen. Ja, Stufen! In allen Variationen. Mal höher, mal weniger hoch.

Ich sah es spirituell und meditativ, allerdings fehlte die Zeit, um mich darauf richtig einzulassen. Auf- und Abstieg war an einem Tag zu bewältigen. Meditation und Innehalten blieben da auf der Strecke. Mein Meditieren war das Gehen und Stufen steigen.

Silvia vor dem Adams Peak

Der Adams Peak - Pilgern für alle Religionen

Wir fahren mit dem Zug von Kandy nach Hatton. Dort angekommen, finden wir einen Bus nach Delhouse. Er ist bummvoll und wir sind eingequetscht wie Ölsardinen. Über eine kurvige Straße geht es weiter. In jeder Kurve werden wir hin und her geschmissen, aber da er so voll ist, ist umfallen nicht möglich. Nach eineinhalb Stunden Fahrt kommen wir am Ausgangspunkt für die Besteigung des Adams Peak komplett fertig an.

Der Adams Peak zieht Pilger und Touristen aus aller Welt an. Es heißt im Buddhismus,  Buddha habe den Abdruck bei seinem letzten Besuch auf Sri Lanka hinterlassen. Hindus verehren die Vertiefung im Gestein als den Fußabdruck des Gottes Shiva, während die Muslime glauben, dass Adam dort seinen Fuß auf die Erde setzte, nachdem er aus dem Paradies verstoßen wurde. Christen sehen den Abdruck des Apostels Thomas, der ihre Religion nach Südindien brachte.

So ist dieser Pilgerweg für viele Religionen interessant, besonders aber für Buddhisten, die einmal in ihrem Leben am Gipfel stehen sollen. Das gilt im Besonderen für die Einheimischen. Außerdem gibt es nur wenige Stätten auf dieser Welt, die für vier Weltreligionen gleichzeitig als heilig gelten.

Zunächst keine Eile

Für uns ist zunächst keine Eile angesagt. Ich möchte das Hochland nutzen, um die Gegend ein wenig läuferisch zu entdecken. Ich bereitete mich ja auf den Eiger Ultra Trail vor und möchte die Höhenlage für ein Training nutzen.

Unser Hotel liegt gleich neben der Aufstiegsstrecke auf den Adams Peak. Das Green House ist ein einfaches Guesthouse, aber in traumhafter Lage. Dort lernen wir die 90-jährige Miss Brenda kennen, die uns aus ihrem bewegten Leben erzählt. Sie war bereits rund 100 mal am Gipfel, wie sie uns erzählt.

Buddhistische Pilger glauben unter anderem daran, mit der Besteigung ein Jahr länger zu leben. Deswegen sieht man auch so viele ältere Pilger. Die Zeit bekommt für sie mehr Gewichtigkeit. Sie möchten durch die Besteigung ein Jahr mehr Lebenszeit erkaufen.

Laufen im Hochland

Delhouse, am Fuß des Adams Peak

Vorbei an Teeplantagen, laufe ich einen Weg in die Höhe. Eine traumhafte Aussicht über die Bergwelt von Sri Lanka entschädigt für die Anstrengung, denn ich spüre die Höhe. Soweit das Auge reicht, ziehen sich die Teeplantagen hin. Nur zwischendurch komme ich durch Waldgebiet. Es gefällt mir so gut hier, dass ich mir vorstelle, ein Trainingslager hier abzuhalten.

Nach zwei Tagen, in denen ich dem Trailrunning fröne, heißt es umdenken. Der Weg auf den Adams Peak wartet. Er ist spirituell und meditativ zu sehen, nicht leistungsorientiert. Obwohl die rund 6000 Stufen hinauf auch körperlich einiges abverlangen, haben wir nicht die notwendige Zeit um uns ausreichend spirituell darauf einzulassen. Es bleibt ein Hinauf und Hinunter laufen. Im Nachhinein tut es mir leid, mir nicht mehr Zeit dafür genommen zu haben.

Aufstehen um 1 Uhr morgens

Handy läuten weckt uns aus den Träumen und es ist zum ersten Mal kühl in Sri Lanka. In unseren kleinen Rucksäcken nehmen wir nur das notwendigste mit. Eine Fleecejacke, eine Haube und ein Regenschutz gehören zum Standard. Dazu ausreichend Flüssigkeit und eine Packung Schnitten.

So starten wir um 2 Uhr morgens. Die Laternen  lassen Holz- und Wellblechhütten dunkel erahnen. Vor uns erhebt sich mächtig der Berg im Mondlicht. Eine Lichterkette zieht sich in den Himmel. Es ist die Beleuchtung der Stiegen, erkennbar an der langen Lichterschnur von unten weg.

Lichterkette am Adams Peak, Pilger Weg
Lichterkette

Es geht los...!

Unterwegs lassen wir uns an einem Teestand nieder und beobachten im Mondlicht die vorbeiziehenden Pilger. Auf den ersten Metern steht Bude an Bude, in denen auch warme Bekleidung angeboten wird. Unsere Jacken hätten wir getrost zu Hause lassen können. Alles was man braucht, bekommt man hier. Nach der Besteigung verschenkt man es weiter, zumeist an bedürftige. Nachhaltigkeit pur.

Teestation am Adams Peak,
Pilger werden verköstigt
Teestation am Adams Peak
Stiegen am Adams Peak
Stufen in allen Größen

Stufe um Stufe geht es höher. Manche sind fast einen halben Meter hoch. Nach jeder Kurve schaut es anders aus. Einmal sind die Stufen flach und langgezogen, um im nächsten Augenblick steil nach oben zu führen. Heute, nach dem Hirnabszess, hätte ich Probleme damit. Die unterschiedliche Höhe der Stufen würde mir Probleme bereiten, besonders beim runter gehen.

Die Stufen am Adams Peak
Die Stufen am Adams Peak

Pilger mit Behinderung "quälen" sich hinauf

Vorbei an rastenden Menschen geht es höher. Menschen mit Behinderung schleppen sich im wahrsten Sinn des Wortes, Stück für Stück höher. Jede Stufe ist ein Hindernis. Heute kann ich es nachempfinden was es bedeutet, mit Handicap dort hochzusteigen.

Ich empfand damals schon eine unglaubliche Hochachtung vor Ihnen. Erst jetzt kann ich es wirklich einordnen, was Sie leisten. Für mich in meinem Zustand wäre es unmöglich, dort hoch zukommen. Ich bin mir aber sicher, manch ältere Pilger ist nicht besser drauf wie ich im Moment. Aber diese heilige Stätte zu erreichen, verleiht Ihnen Kraft für den Aufstieg. Manche brauchen bis zu drei Tage nur hinauf.

Das letzte Drittel

Am Gipfel des Adams Peak,
Pilger aus aller Welt.

Es wird immer steiler. Der Weg ist zwischendurch mit Stahlgeländer getrennt, um die Absteigenden von den Aufsteigenden zu trennen. Immer öfter wird man durch langsam Aufsteigende gestoppt, da es sehr eng ist. Ruhig wartet man auf einen passenden Augenblick, um zu überholen. Da kommt allerdings wieder das Getrieben sein der Europäer zum Vorschein.

Nach den letzten steilen Treppen steht das Kloster vor uns. Zahlreiche Pilger warten bereits auf den überall beschriebenen Sonnenaufgang. Es herrscht großes Gedränge. Touristen und Einheimische werden getrennt. Es ist kalt und ähnelt dem Anstellen auf dem Jahrmarkt.

Die Glocke

Oben angekommen, schlägt man eine Glocke, so oft, wie man bisher den Berg erklommen hat. Manche schlagen öfter an, einige bis zu Zehnmal.

Der Sonnenaufgang

Aussicht vom Adams Peak

An der östlichen Seite des Klosters drängen sich Einheimische und Touristen, um den Sonnenaufgang zu erwarten. Wenige Plusgrade lassen jeden frösteln, aber in der Menge wird es nicht zu kalt.

Plötzlich taucht ein erster sanfter Lichtstrahl auf. In allen Farben beginnt es zu leuchten. Ein erhebendes Naturschauspiel beginnt. Die Stimmung ist beeindruckend. So beobachten wir den beginnenden Morgen, staunend die unter uns liegende Landschaft bewundernd.

Der Fußabdruck des Buddha

Es ist aber noch nicht vorbei. In einer langen Schlange stellen sich die Leute an, um den Fußabdruck des Buddhas zu sehen und zu beten. Wir kommen an die Reihe, können aber vor lauter Tüchern am Boden nichts erkennen. Ein kurzes Gebet und der nächste ist dran.

Fußabdruck des Buddha
Kloster am Gipfel des Adams Peak, Pilger warten.

Wieder draußen, setzen wir uns auf die Stufen und lassen uns von den Sonnenstrahlen erwärmen. Meine Gedanken fliegen dahin und ich lasse das Treiben der Pilger und die Landschaft  auf mich wirken. Auch Silvia genießt die wärmende Sonne, bevor es die 6000 Stufen zurück nach unten geht.

Resümee

Es war ein beeindruckendes Schauspiel, fast ein mystisches Erlebnis. Am imponierendsten waren aber für mich die Menschen, die diesen Berg erklommen. Stufe für Stufe schleppen sich viele empor und brauchen mehrere Tage nur für den Aufstieg.

Tiefgläubig murmeln sie Mantras und erhalten dadurch Kraft. In Meditation versunken, vergessen sie die Schwierigkeiten. So kommen sie ihrem Lebensziel, einmal am Berg oben zu stehen, näher.

Annehmen, Anerkennen und akzeptieren!

Wenn es mir heute einmal nicht so gut geht, dann denke ich an diese Menschen. Das relativiert vieles. Es gibt mir wiederum Kraft, mein Schicksal anzunehmen.

Erst einmal anerkennen und akzeptieren was IST (Ich muss es nicht gut heißen). Wir können eine Situation nur verändern, wenn wir sie akzeptieren wie sie nun mal im Moment ist.
Erst dann kann ich darangehen es zu ändern.

  • Was könnte ich aus der Situation lernen?
  • Was für Chancen bietet diese Situation?
  • Was für Schritte sind notwendig, um die Situation zu verändern?
  • Bis wann will ich das tun?

Fragen über Fragen, die mich weiterbringen. Noch fehlen mir oft die Zusammenhänge. Mein Denken verbessert sich langsam, neue Synapsen gebildet. So werden sich mit der Zeit meine Fragen beantworten.

Die Pilger am Adams Peak leben es mir vor. Diese Erfahrungen haben Spuren in Silvia und mir hinterlassen.


Den Jahreswechsel nutzte ich zur Gelegenheit, einmal am Blog Rückschau zu halten. Im April 2017 habe ich zu Schreiben begonnen und seither ist viel passiert. Eines steht aber über allem. Die Rekonvaleszenz wird noch länger dauern, als bisher angenommen. So viel steht fest.

Das zu verkraften war nicht leicht im letzten Jahr. So optimistisch ich  von Grund auf bin, es änderte sich zwar dauernd etwas, aber alles in allem sehr langsam. Damit war schwer klar zukommen.

Meine Rehabilitation bedeutete nie Stillstand. Was an für sich ja gut ist, denn Stillstand würde bedeuten, dass alles so bleibt wie es ist und das soll es nicht. Nur das ich es nicht gewohnt war, dass alles so langsam geht. An diese Langsamkeit musste ich mich erst gewöhnen.

Jörg beim Spazieren gehen, Rückschau 2017
Langsames gehen!

Die Defizite dauern noch länger zur Behebung

Bis die Defizite klar zu Tage kamen, verging viel Zeit. Auch heute noch kann niemand sagen, wie lange oder ob überhaupt wieder eine Wiederherstellung möglich ist. Deswegen gebe ich aber nicht auf. Ich gebe jeden Tag mein Bestes, um wieder leistungsfähig zu werden, auch wenn es noch länger dauert.

Aufgrund verschiedener körperlicher Mängel ist es noch immer nicht möglich, weiter voraus in die Zukunft zu schauen. Ich habe Ziele, aber ich bewege mich nur von Tag zu Tag. Die Krankheit hat mir eigentlich das gebracht, was viele Menschen fast verzweifelt suchen. Im Hier und Jetzt zu leben und den Augenblick zu genießen.

Rückschau ins letzte Jahr

Für mich ist es wichtig, eine kurze Rückschau zu halten. Was hat sich getan seit dem Beginn des Hirnabszesses. Begonnen hat alles im März 2016. Meinen Blog "von0auf101", begann ich ein Jahr später, im April 2017. Es zeigt mir sehr gut, was sich seither getan hat. Im Folgenden gebe ich einen Überblick darüber.

April/Mai

Rückschau Krankenhaus

In diese beiden Monaten stand die Zeit im Krankenhaus an. Meine Erlebnisse von der Intensivstation bis zum Ende der Krankenhauszeit. Es wurde eine bewegende Zeit für mich. Das Niederschreiben brachte mir viele Erinnerungen zum Vorschein. Der 1.Blog war eine große Überwindung. Mein Denken war beschränkt und es war mir nicht möglich, die Übersicht zu behalten. Ich hatte große Bedenken zu starten.

Teilweise musste man mir viel erzählen, da ich vieles, speziell am Anfang, nicht mitbekommen habe.  Meine Themen waren die Intensivstation, die Reha-Station, die Operation, nach der OP Zähne ziehen, dass Gehen und Schreiben lernen und meine ersten Eindrücke in einer für mich neuen Welt.

Juni

Der Juni war geprägt von meinem zweiten Reha-Aufenthalt in Judendorf. Dort wurde mir klar, dass es nicht damit getan ist, nur meine Muskeln aufzubauen. Es waren größere neurologische Defizite vorhanden, die eine entsprechende Zeit zur Genesung brauchen. Warum mir Sport und Trailrunning so wichtig sind, behandle ich in Blog9. Der Abschluss der Reha ist Thema in Blog10. Meine Ziele werden im Blog11 erläutert.

Juli

Rückschau, Gehen im Wald nach dem Hirnabszess

Über "Tage wie diese...", schreibe ich in Blog12 . Im Juli erinnerte ich mich an die letzten Tage im Krankenhaus (Blog13). Weiters fuhr ich zum ersten Mal auf Urlaub, war mir aber nicht sicher, ob es Urlaub oder Therapie ist (Blog14). Den Trail rocke ich auf meine Art in Blog15.

August

Blog16 handelt von meinen Gedanken, von 1.0 auf 2.0.  In Blog17 nahm ich mein Workout zum Thema. Gleichgewichts- und Stabilitätsübungen bildeten den Schwerpunkt.  Der Blog18 ist meinem Zwischenziel, dem Pilgern, gewidmet und was ich für mein Leben dort lernen kann. Blog19 hat mein Leben 2.0 zum Thema, mein Leben NACH dem Hirnabszess.

September

Silvia und ich vor der Basilika

In Blog20 beschäftige ich mich damit, wie ich wieder Laufen lernen kann. Ich übe die dort beschriebene Methode immer wieder und bekomme so langsam ein besseres Gefühl. Laufen geht aber noch immer nicht.

Blog21 beschreibt mein "Pilgern light", auf dem Weg von Graz nach Mariatrost. Eine Woche später habe ich für mich ein "8 Punkte Programm" entwickelt, welches ich bis heute versuche einzuhalten.
Die Länge des Weges nicht zu thematisieren. Ein Punkt, den ich mir immer wieder vor Augen halten muss. Im Blog23 schreibe ich über das Bewusste gehen.

Mein Lernprozess mit dem Hirnabszess behandelt Blog24. Der Titel "Was mich der Hirnabszess über Entschleunigung lehrte", sagt eigentlich alles. Entschleunigung und Langsamkeit sind zwei Punkte, die ich suchte, aber nicht fand.

Oktober

Bewusst Gehen lernen

Der Oktober war für mich teilweise nicht so gut. Im Blog25 erzähle ich, warum mir der Sport sehr viel bedeutet und mich motiviert. Ich sehe meine Rekonvaleszenz ja beinahe wie ein Trainingslager im Sport an.

Der Blog26 behandelt die Wirkung des Waldes auf meine Gesundheit. Es ist faszinierend für mich zu sehen, wie ich mich im Wald wohlfühle. Recherchen über die Auswirkungen des Waldes auf die Gesundheit haben mich bestätigt. Darum gehe ich noch immer so oft in die Wälder rund um Stattegg.

Dann wurde es nachdenklicher. Blog27, "Wenn alles anders ist, wie es war!". Darin halte ich fest, was ich bislang vermied. Mich als "Behindert" zu bezeichnen. Es ist so, wie es ist und ich kann es derzeit akzeptieren, auch wenn es mir lange schwer gefallen ist. Für endgültig nehme ich aber nichts.

Weiter geht es mit Blog28, in dem es ums "Zurück ins Leben" geht. Die Frage war, wie lange dauert es noch? Eine nicht zu beantwortende Frage!

November

In Blog29 geht es darum, wie der Hirnabszess mein Leben verändert hat und in Blog30 erzähle ich, wie Feinfühligkeit und Sensibilität meinen Alltag dominieren. Ich war schon immer sensibel, aber der Thalamusabszess verursachte eine erhöhte Durchlässigkeit des Filters, der Informationen vor selektioniert. Hochsensibilität und erhöhte Feinfühligkeit waren die Folge. Damit umzugehen, musste ich erst lernen.

In Blog31 halte ich ein Zwischen Resümee und in Blog32 geht es darum, wieso ich jetzt doch ins Fitnessstudio gehe.

Dezember

Der Dezember war geprägt von Puls4, die einen Fernsehbericht über mein Schicksal brachten.

Schrittweise zur Bewegung Blog33 - Über die Langsamkeit mit der alles vorangeht. Das Gehen zu automatisieren möchte ich als Nächstes erreichen.
Blog34 ist sehr emotional. Erstmals war ich in der Lage über die Auswirkungen auf meine Familie und mein Umfeld zu schreiben. Ich habe nicht oft darüber gesprochen oder geschrieben, aber meine Familie und ich leiden noch immer unter den Auswirkungen.

Mental-Training spielt eine große Rolle auf meinem "Weg zurück ins Leben" und darüber berichte ich in Blog35.

Im Vorletzten Blog36, für das Jahr 2017, berichte ich über meine Sehnsucht nach dem Gehen und im letzten Blog, dem 37., berichte ich, was der Film "Lieber Leben" in mir ausgelöst hat. Ein absolut empfehlenswerter Film im Kino.

Meine Zukunft

von0auf101

So verging das Jahr 2017, wo ich erstmals realisierte, dass die Folgewirkungen des Hirnabszesses größer sind als angenommen. Schmerzlich wurde mir bewusst, warum kein Arzt eine Zeitangabe darüber machte, wie lange es noch dauern wird oder dauern kann.

Ich bewerte mein Vorankommen ja mit Punkten. Von 0 bis 101. Ich war kurz schon auf gefühlten 30, aber der Winter und die Kälte strichen mir einige Punkte. Trotz mancher Rückschlägen geht es aufwärts.

Ich möchte allerdings aufpassen, dass ich meinen Zustand nicht hinnehmen lerne. Oft glaube ich, ich habe mich verbessert. In Wirklichkeit habe ich mich nur an die Situation gewöhnt. Und dieses Gewöhnen kann gefährlich sein. Ich verliere damit den Antrieb etwas zu verbessern oder weiter zu tun. Der folgende Spruch erinnert mich stets daran:

"An der Vergangenheit festzuhalten ist gefährlich. Man muss einfach weitermachen."

Robert Redford

Nach dieser Rückschau gilt einmal mehr:  Lets go on !


"Lieber Leben!" - Ein Titel, der auf mich zutrifft. Trotz des Schicksalsschlags freue ich mich aufs Leben wie nie zuvor. Lieber Leben, als damit zu Hadern. Was dazugehört, nämlich die Inklusion, haben wir allerdings noch Aufholbedarf in Österreich.

"Lieber Leben" ist aber auch der Titel eines Films, der gerade im Kino angelaufen ist. Und diesem Film ist mein heutiges Thema gewidmet.

Lieber Leben - eine Hymne an das Leben.

Er handelt von Ben, der nach einem Unfall querschnittsgelähmt ist. Die Tragikomödie konzentriert sich auf seine Zeit im Krankenhaus und seinen Umgang mit einem eingeschränkten Leben. Die Protagonisten nehmen ihr Schicksal nicht nur mit Witz, sondern mit einem tiefschwarzem Humor.

Mit genauem Blick und gutem Witz erzählt der Regisseur Fabian Marsaud viel von seiner eigenen Geschichte. Nach einer schweren Verletzung musste er durch das ganze Prozedere der Rehabilitation. Den Alltag in einer Rehaklinik, den Außenstehende meist so nicht mitbekommen, bringt er sehr authentisch und tragikomisch näher.

Mit einer perfekten Dosis Galgenhumor werden die Zuschauer mitgenommen in das Universum der kleinen Bewegungen und des großen Glücks.


Der Film spielt in Graz im Geidorf Kino. Für mich ein "Must see" Film! Kann ihn nur empfehlen.

Mein ähnlicher Weg

Der Film erinnert mich an so viel selbst erlebtes. Diesen Weg bin auch ich gegangen. Ich kann jeder Szene nachfühlen, wie es ist. Der Film brachte mich zum Lachen und Weinen. Er gibt einem die Möglichkeit, zu verstehen wie es in der Reha-Klinik zugeht und das auf  doch recht lustigen Weise. Ich habe mich mehrmals in diversen Situationen sehen können und es erinnerte mich sehr an die Zeit in der Reha.

Besuche von mir bekamen niemals mit, was ich für Therapien im Krankenhaus machte oder wie der Ablauf in der Rehaklinik vor sich geht. Wie anstrengend es war und oft auch ernüchternd. Es gab eigene Besuchszeiten, der Rest fand quasi hinter verschlossenen Türen statt. Einerseits richtig, um die Privatsphäre zu wahren und beim Training und Üben keine Ablenkung zuzulassen, andererseits  nicht so gut, da Menschen mit "Behinderung" einfach weggesperrt werden. Es ist für die Gesellschaft nicht normal, mit Behinderung oder Handicap umzugehen.

Der Film hat wieder einige Erinnerungen hochgebracht. In einer Szene kann Ben in der Nacht die Decke nicht hochziehen, seine Hände können sie nicht fassen. Es erinnerte mich ans Krankenhaus, wo ich in der ersten Zeit mit den Lähmungen ebenfalls Schwierigkeiten mit dem Hochziehen der Decke hatte. Wie mühsam etwas früher so einfaches sein kann.

"Gib mir mal das Salz bitte!"

Etwas anderes im Film, ein Running Gag sozusagen, der Zuruf beim Essen: "Gib mir mal das Salz bitte!".
Es erinnert mich zurück an den Reha Aufenthalt, an das gemeinsame Essen im Speisesaal. Da merkt man, was wirklich wichtig wird im Leben. Damals war und wurde es wieder wichtig, einen Salz- oder Zuckerstreuer weiter zu reichen. Und man lachte ungezwungen, wenn man sich potschert benahm. Am Tisch saßen wir alle im gleichen Boot.


Ergotherapie     Ergotherapie

Es war egal, was einen behinderte. Der eine konnte kaum Greifen, weil er sich die Schulter zerstörte, der andere, weil er einen Schlaganfall hatte oder ich, weil ich aufgrund eines Hirnabszesses neurologische Störungen habe.

Der Film zeigt, wie es zugeht in der Reha. Er nimmt das Schwere weg und zeigt das Umdenken auf, dass in einem vorgeht. Dass es auch nach vermeintlichen Schicksalsschlägen ein Leben danach gibt. Es heißt nicht, dass es zwangsläufig schwerer wird. Nur eben ANDERS als vorher.

INKLUSION

Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch ganz natürlich dazu gehört und das jeder mitmachen kann. Diese Selbstverständlichkeit geht mir in Österreich ab. Jeder muss funktionieren und wenn er das nicht tut, wird er weg geschubst.

Nicht immer und überall, aber doch in der Allgemeinheit. Handicaps sind dort nicht erlaubt. Sie sind störend und halten auf. Das ist nicht erwünscht.
Abseits von der Bewegung sind meine Handicaps kaum zu sehen. Nicht so schnell denken können, langsames reagieren, zusammenhängendes begreifen, tunnelblickartiges Sehfeld. Alles braucht seine Zeit.

Beim langsamen einsteigen in die Straßenbahn fühlt man sich als Hindernis. Oft komme ich nicht bei laufender Grünphase über die Straße. Komplett alleine in der Stadt unterwegs zu sein, ist für mich eine Herausforderung. Allerdings setzte ich mich dem immer wieder aus, in der Hoffnung, mich wieder daran zu gewöhnen.

Im folgenden Video wird in 80 sec. erklärt, was Inklusion ist.


Leichter würde es mit einer funktionierenden Inklusion gehen. Der Weg dorthin ist aber noch ein weiter. Es ist zwar in der UN-Konvention  festgehalten, aber wenn man sich anschaut, wie Menschen mit Handicap behandelt werden, ist noch viel Aufklärungsarbeit notwendig, um ein miteinander zu ermöglichen.

Auf ein gutes neues Jahr

Ich wünsche allen ein gesundes und erfolgreiches neues Jahr 2018.

Euer Jörg


Ich habe eine richtige Sehnsucht nach dem Gehen. Die Kälte, das Training, das Üben, den Alltag handeln - es ist zurzeit recht viel, was auf mich einprasselt. Dann überlege ich, was mir am liebsten ist. Es ist das Gehen.

Ich muss täglich Prioritäten setzen. Das Gehen oder in Zukunft auch Laufen, ist die meine. Dafür habe ich eine Menge zu Tun. Es heißt allerdings umdenken. Nicht alles, was im Sommer gelang, geht auch jetzt.

Wenn du krank bist - sollst du nicht denken: "Ich bin krank", sondern - "Ich befinde mich in einem Heilungsprozess" - Die Krankheit ist die Heilung,

Safi Nidiaye

Über diesen Satz muss ich oft nachdenken. Ich bin noch immer in einem Heilungsprozess, der noch längere Zeit in Anspruch nehmen wird. So etwas wie Normalität kann ich noch immer nicht leben. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Familie. Wir lernen damit umzugehen, was oft nicht leicht ist oder erst gelernt sein möchte.

Gerade zur Weihnachtszeit meint man, so viel tun zu müssen. Über allem anderen steht jedoch noch immer das Gesund werden an erster Stelle. Ein gesunder Egoismus hilft mir da weiter. Nicht zu allem JA sagen. Auch einmal NEIN sagen, nicht allen Verpflichtungen nachkommen wollen. Vieles sage ich ab, weil es mir mehr Kraft kostet, als ich habe. Ich schaue auf mich und lerne bei mir zu bleiben.

Antrieb fürs weitermachen kann vieles sein

Im Buch der damaligen ARD-Moderatorin Monica Lierhaus, ist es Silvia aufgefallen, dass es ihr immens wichtig war, wieder richtig sprechen zu können und ein Interview vor der Kamera zu führen. Nur zwei Jahre nach ihrer Gehirnblutung war es so weit. Sie sprach mit Joachim Löw in Rio de Janeiro, nach dem Gewinn der Fußball WM. Das Interview zu führen war ihr so wichtig, es war ihr Antrieb zu üben. Ihr Focus lag darauf. Trotz ihrer Handicaps schaffte sie es. Das ist Bewundernswert.

Mein Antrieb ist, wieder zu gehen / laufen

Seer Konzert

Auch bei mir werden es bald zwei Jahre. Mein Antrieb ist es, wieder gehen und laufen zu können. Mein Focus liegt nicht so sehr beim Sprechen, wie bei Lierhaus. Ich könnte noch kein Interview führen, wie früher. Es ist nicht nur wegen dem Sprechen, auch meine Denkleistung ist noch verlangsamt und der Zugriff zum Wissen fehlt mir in vielen Bereichen. Gerade im Moment werde ich immer wieder daran erinnert. Als Videojournalist für Puls4, hatte ich öfter die Gelegenheit, die Politiker Kurz und Strache, zu Interviewen. Das wieder zu können, hat aber für mich keine Priorität.

Gehen und Laufen hingegen ist mir wichtig. Mich uneingeschränkt bewegen zu können. Daran hängt mein Lebensgefühl, auch wieder mobil zu sein. Niemand kann es wirklich nachvollziehen, was es heißt, nach Monaten im Krankenhaus, zum ersten Mal wieder ins Feie zu dürfen. Ich habe den Winter, den Frühling und einen sehr heißen Sommer, im Zimmer verbracht.
Das erste Mal bin ich Mitte Juli mit dem Rollstuhl für 15 min. von Silvia vor die Neurologie geschoben worden. Ich war so happy, man kann es kaum beschreiben, was in mir vorging. Danach war ich erschöpft, aber von dem Gefühl zehrte ich noch lange. Es sollte wieder zwei Wochen bis zu meinem nächsten Ausflug dauern.

Der Winter macht es mir nicht leicht

Gehen auf dem Schlossberg

Ich muss im Freien Abstriche gegenüber zum Sommer machen. Durch den Schnee habe ich unterwegs nicht viele Sitzgelegenheiten und wegen der Kälte muss ich die Distanz verringern. Ich habe mich noch immer nicht an die Kälte gewöhnen können. Das Nervensystem reagiert sehr sensibel auf das kalte Wetter. Ob Greifen, Gehen oder eine andere Bewegung, alles wird wieder langsamer als schon gekonnt. Da heißt es umdenken und akzeptieren, dass es halt nicht so geht. Oft nicht einfach, weil ich mich ja eigentlich verbessern möchte.

Nach einem Arztbesuch in der Stadt, entschloss ich mich kurzfristig, gleich daneben auf den Schlossberg zu gehen. Eine Abwechslung zum Fitnessstudio. Statt Beinpresse, Stiegen steigen. Die Stufen hinauf sind anstrengend, aber nicht mehr unmöglich. Es war eine Herausforderung und die Möglichkeit, mich wieder im Freien zu betätigen.

Stiegen steigen ist ein sehr gutes Training. Ich muss zwar oft eine Pause einlegen, aber schön ist, dass ich es hinauf schaffte. Silvia war stolz auf mich und ich ebenso. Das Fitnessstudio zeigt Wirkung.

Gehen am Schlossberg Gehen am Schlossberg Gehen am Schlossberg

Von verschiedenen Ärzten bekam ich Lob für meine Entwicklung. Das tut gut zu hören. Sie beurteilen den Hirnabszess natürlich anders und wissen wie lange der Weg zurück dauern kann. Ich selbst sehe halt kaum die Fortschritte und sehe meist nur das, was ich noch nicht kann.

Die Ärzte sehen mich alle paar Monate und können daher Fortschritte besser erkennen. Für mich sind diese sehr klein, aber wie gesagt, Ärzte wissen um die Dauer und können das besser einschätzen, was ich schon kann. Es motiviert mich, gesagt zu bekommen, was sich gegenüber vor einigen Monaten verbessert hat.

Gehen auf dem Schlossberg

Das Pilgern ist mein nächstes Ziel

Silvia und ich vor der Basilika

Der Wunsch zu Pilgern ist noch immer da, allerdings bin ich noch immer nicht dazu fähig. Die Defizite sind zu groß. Einen Rucksack zu tragen bringt mich noch immer aus dem Gleichgewicht und ein Gewicht von 8 kg fühlt sich an wie 25. Bergauf ist mir damit nicht möglich.

In Blog 21 erzähle ich über eine fünf Kilometer lange Wanderung von Graz nach Mariatrost. Es war toll und machte Lust auf mehr. Gleichzeitig musste ich aber einsehen, dass ich zum Pilgern noch nicht fähig bin. Jetzt, 3 Monate später, habe ich kaum Verbesserungen.

Schuld war einerseits der beginnende Winter, der mir das Gehen erschwert. Aber mein Motto: "Never give up!" gilt auch hier. Was noch nicht ist, kann ja noch werden. Ich hantele mich eben von Zwischenziel zu Zwischenziel. Mein langfristiges Ziel bleibt bestehen, aber um nicht die Motivation zu verlieren, darf ich den kurzfristigen Zielen mehr Gewicht geben. Messbare, erkennbare Fortschritte werden dann auch gefeiert.

Das Fitnessstudio ist messbar

Ich im Fitnessstudio

Eines dieser Ziele ist die Beinpresse im Fitnessstudio. Erstmals habe ich 120 kg gestemmt, mit 10 Wiederholungen. Das war es Wert zu Feiern. Immerhin habe ich vor einem Jahr, noch in der Reha, mit 20 kg begonnen. Meine spindeldürren Beine vertrugen nicht mehr. Konsequentes Beintraining war notwendig, denn damit bin ich kräftiger geworden und falle nicht mehr so leicht um.

Vom Radrennfahrer zum Läufer

In den letzten Jahren wandelte ich mich vom Radrennfahrer zum Läufer. Den Sinn, aufzubrechen, habe ich, seit ich 2013 mit dem Laufen begann. Etwa zur selben Zeit begann auch die Überlegung, nach Santiago zu gehen. Pilgern bekam, neben dem Laufen, seinen Platz. Im Grunde genommen ist jeder Lauf ein Pilgern. Es ging nie wirklich um Zeiten, Kilometer oder Höhenmeter - es ging ums Erleben.

Altstadtkriterium Graz 1992, mit Guiseppe Saronni
Altstadtkriterium Graz mit Guiseppe Saronni, 1992
Mit Alexander Rüdiger am Schneeberg zur Pilger Besprechung 2016
Mit Alexander Rüdiger am Schneeberg, 2016

Der Franziskusweg von Florenz nach Rom

Eigentlich wollte ich  Silvias und meinen 50. Geburtstag auf dem Franziskusweg feiern. Der Hirnabszess kam dazwischen. Jetzt steht es als Zwischenziel vor mir, als hätte es auf mich gewartet. Es ist in der Tat ein Ansporn, in den nächsten Monaten körperlich so weit fit zu werden, wenigstens eine Woche nach Italien fahren zu können.

Mein Motto, niemals aufgeben!

Bälle für Ergotherapie

Manch einer fragt sich, wie ich das alles überstehe. Dabei fällt es mir gar nicht so schwer. Ich war im Sport gewohnt, viel zu trainieren und das täglich. Jeden Tag etwas für mich zu tun. Und wenn es nur war, daran zu denken, besser zu werden.

Daher fiel es mir auch diesmal nicht schwer, wieder vom Anfang an zu üben und zu trainieren. Schon auf der Intensivstation war klar, nur wenn ich dafür auch bereit bin, werde ich weiter kommen. Ich konnte damals nicht wirklich denken, aber mein Unterbewusstsein hatte ich schon Jahre davor darauf trainiert, nie aufzugeben.

Meine ersten Übungen, meistens Ergotherapie, dauerten 5 - 10 Minuten. Es waren Fingerübungen gegen die Lähmung, mit kleinen Bällen oder Finkerklemmen. Danach war ich für den Rest des Tages erschöpft. Genau weiß ich es gar nicht mehr, denn vieles von dieser Zeit ist mir entfallen. Ich habe zwar geglaubt alles mitzubekommen, aber in Wirklichkeit war ich oft weggetreten.

Nicht einmal den Transport zur Zahnklinik und das Ziehen eines Zahnes habe ich mitbekommen. Erst Monate später kam ich drauf, bei Gesprächen mit Silvia.

Die Leichtigkeit im Leben

Mein Weg ist auch der Weg zurück zur Leichtigkeit des Lebens, zurück zum Weg des Herzens. Ein Parameter ist für mich der körperliche Zustand. Im Moment beobachte ich mein Gangbild, die Koordination und Ausbalanciertheit, aber auch, wo ich Schmerzen und Gebrechlichkeit spüre.

Massage

Es ist wichtig dies alles in meinem Genesungsprozess mit einzubeziehen. Einseitig antrainierte Körperstrukturen schaden und entsteht Schmerz. Die 5 Monate im Krankenhaus konnte ich meist nur liegen. Das war extrem einseitig und brachte Beschwerden und Bewegungseinschränkungen. Besonders die Rückenmuskulatur erschlaffte und eine beim Radfahren erlittene Wirbelverletzung bringt Schmerzen.

Schmerzen sind aber ein Hinweis darauf, dass etwas nicht stimmt. Das gehört jetzt in Ordnung gebracht. Aber nicht nur die Muskeln oder der Rücken, auch der Bereich, der dahinter steckt. Wer den Weg des Herzens geht, geht seinen Weg mit Leichtigkeit.

Noch viel zu reparieren

Im Moment gehört an mir noch allerhand repariert. Am Anfang konnte ich mich nur Schritt für Schritt erholen. Jetzt komme ich langsam wieder in die Lage, meine körperlichen Belastungen zu beeinflussen, mein Training zu steuern. Zuerst war alles schwer. Mit zunehmenden Training wird alles leichter. Im August 2016 war es ein Kraftakt, vom Krankenzimmer in den 30 Meter entfernten Aufenthaltsraum zu gelangen. Für Außenstehende kaum vorstellbar, wenn ich davon erzähle.

Vieles geht auch heute nicht leicht. Aber manches, was so schwer war, geht heute leichter. Zähne putzen, umrühren, Stiegen steigen - vor nicht allzu langer Zeit nur schwer machbar. Es geht noch nicht perfekt, aber zumindest kann ich es wieder. So geht es in kleinen Schritten weiter.

Das Abenteuer Hirnabszess ist noch lange nicht vorbei!

Auf jeden Fall wünsche ich allen ein schönes Weihnachtsfest, viel Gesundheit und Leichtigkeit im Leben!
...und denkt immer dran:

"Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts!"

Schopenhauer Josef

Mental-Training und Hirnabszess, zwei Dinge, die mich seit März 2016 begleiten. Ein Besuch diese Woche bei einem Infoabend über Mental-Training meines Freundes Matthias, nehme ich zum Anlass, darüber zu Erzählen.

Zwanzig Monate, davon fünf im Krankenhaus, liegen hinter mir. Manch einer stellte sich die Frage, wie ich damit umgehe.

Meine Vergangenheit

Iditasport Race Alaska

Dazu möchte ich meine Vergangenheit vorausschicken. In den vielen Jahren als Sportler, war ich gewohnt jeden Tag zu trainieren, um besser zu werden. Das war in mir drinnen und ist es auch heute noch. Daher war es kein so großes Problem, diese Einstellung beizubehalten. Ich weiß nicht, wie es ausgegangen wäre, hätte ich nicht dieses Vorleben gehabt. Meine Sportvergangenheit hat mir sicher dabei geholfen, all die Schwierigkeiten so zu verkraften.

Gerade im Extremsport hat es für mich nie ein Aufgeben gegeben. Ob in der tiefsten Wüste oder bei -25° in Alaska, es musste immer weiter gehen. Das ist eine mentale Einstellung und wie ich die Dinge sehe.

Aufgeben war daher von Anfang an keine Option für mich. Die ersten Monate konnte ich keinen Gedanken fassen, nur auf das reagieren, was gerade unmittelbar anstand. Erst gegen Ende der Krankenhauszeit wurden einfache Dinge für mich wieder erfassbar. Habe ich am Anfang viele Dinge intuitiv getan, konnte ich später die Sachen bewusster wahrnehmen und andenken. Die vielen Jahre Bewusstseinsbildung im Sport haben mir dabei sehr geholfen.

Extremrennen, meine Lehrmeister

Mental-Training im Sport,
Leadville Trail 100

Das Iditasport Race in Alaska, die Crocodile Trophy in Australien und der Leadville Trail 100 in Colorado. Diese und andere Rennen waren meine Lehrmeister, wie ich mit extremen Situationen umgehe.

Es war eine Persönlichkeitsschulung, die mir den Umgang und die vielen Anforderungen mit dem Hirnabszess erleichterte. Es wurde die extremste Herausforderung in meinem bisherigen, oft extremen, Leben. Ich musste lernen damit klar zu kommen, dass sich mein Leben und das meiner Familie komplett änderte.

Mental-Training mit Matthias Ithaler

Diese Woche besuchte ich meinen Freund Matthias bei seinem Infoabend über Mental-Training. Erstmals seit März 2016 besuchte ich überhaupt einen Vortrag. Bisherige Versuche, mich neuem auszusetzen, waren geprägt von Überforderung. Aber probieren geht über studieren. Ich muss es halt immer wieder probieren, meine Grenzen zu verschieben.

Mit Matthias beim Eiger Ultra Trail

Mit Matthias war ich 2013 beim Eiger Ultra Trail. Damals filmte ich für ihn und wir bereiteten einen Film vor, was für Metapher man im Trailrunning fürs Leben lernen kann. Diese Tage sollten auch mein Leben ändern. Ich war so fasziniert von der Atmosphäre die dort herrschte, dass ich mit dem Trailrunning begann.

Es ging mir nicht um Stockerlplätze oder Zeiten, sondern um das Erlebnis. Ein Jahr später stand ich beim Eiger Ultra Trail am Start. Es war ein tolles Erlebnis, das mich nicht mehr loslassen sollte. Zwar lief ich keine Wettkämpfe, aber machte tolle Touren in der Steiermark.

Matthias und ich beim Eiger Ultra Trail 2013,
Mental-Training beim Trailrunning
Matthias und ich beim Eiger Ultra Trail 2013, damals hatte ich noch über 80 kg

Der Vortrag als Gelegenheit zum Testen

Ich wollte diesmal testen, was ich bereits verstehen und aufnehmen kann und was nicht. Meine Aufnahmefähigkeit ist noch stark begrenzt, andererseits ist das Thema Mental-Training für mich seit langem präsent, so dass ich mich gewappnet fühlte.

Ich war vorsichtig, denn ich wusste nicht, wie ich auf soviel Information reagieren werde. Bisher schaltete mein Gehirn nach zu viel Input ab. Ich bin dann zwar noch anwesend, kann aber nichts mehr aufnehmen und möchte mich am liebsten hinlegen.

Der Infoabend war eine gute Gelegenheit, neue Synapsen zu bilden, ähnlich meinem Computerprogramm, mit dem ich ebenfalls dahingehend trainiere. Eine gute Gelegenheit also um, in einem doch recht geschütztem Bereich und vor allem in Wirklichkeit, zu trainieren.

Ich mache, was für mich möglich ist

Seit kurzem nehme ich Omega-3 zu mir, das ja beim Neubilden von Synapsen hilfreich ist. Mein Wille zu mehr ist da, nur das Gehirn macht noch nicht so schnell mit. Gehirn und Nerven stellen mich auf eine harte Probe. Ich mache, was mir derzeit möglich ist.

Leider zahlt die Krankenkasse nicht alles, was möglich wäre. Auf vieles muss ich verzichten, da es finanziell nicht drinnen ist. Ein wichtiger Aspekt werden daher Alternative Dinge sein, die ich selbst zu Hause machen kann.

Über Motivation, Identität und Ziele

itr Mental-Training

Es überraschte mich anfangs, dass ich doch recht aufmerksam den Worten folgen konnte. Es ist ein Bereich, mit dem ich im Moment viel zu tun habe. Aber es zeigte mir, dass ich mit etwas regelmäßigen die Synapsen wirklich wieder herstellen kann.

Beschäftige ich mich lange genug mit einem Thema, geht es gleich leichter. Allerdings schaltete mein Gehirn bei der ersten Frage auf Pausenstellung. Sofort war eine weiße Wand da. Es kommen mir einfach keine Gedanken dazu.

Fragen an mich

Die Frage war: Wie definiert sich ein Ziel? Obwohl ich mich oft damit auseinandersetze, konnte mein Gehirn nicht auf das Wissen zurückgreifen und das entsprechende finden. Die Verbindungen fehlen. Das Wissen ist noch da, aber die Verbindung dorthin fehlt. Es heißt das wieder, soweit wie möglich, herstellen. Da wartet noch eine Menge Arbeit auf mich.

Eigentlich ganz einfache Antworten, die jedem klar sind, sind mir derzeit nicht möglich. Das Wissen ist da, aber die Synapsen dazu fehlen. In einer Dreier-Runde sollten wir die Frage erörtern und die Ergebnisse präsentieren. Eine komische Situation für mich, in der mir meine Unzulänglichkeit wieder bewusst wurde. Aber diese Unzulänglichkeiten sind auch meine Chance. Ich darf alles neu programmieren.

Die Kraft der Gedanken

Folgender Spruch zeigt mir die Wichtigkeit des Geistes. Es ist nicht mein Schicksal des Hirnabszess und deren Auswirkungen, sondern mein Geist zählt.

"Der Mensch ist nicht Gefangener des Schicksals, sondern einzig und allein seines eigenen Geistes."

Franklin D. Roosevelt, 52. Präsident der Vereinigten Staaten

Daher ist die Arbeit am Geist so wichtig und dazu eignet sich Mental-Training sehr gut. Zum Glück habe ich mich schon vorher damit beschäftigt, so kann ich jetzt darauf zurückgreifen. Besonders die Vorstellungskraft spielt in meiner Genesung eine große Rolle.

Dort will ich wieder hin!
Mental-Training hilft
Dort will ich wieder hin!

Der Geist kennt keine Grenzen!

Wenn man erkennt, wie groß und stark der Geist ist, sind einem keine Grenzen gesetzt. Mental-Training hilft, seine Grenzen auszuweiten. Es ist kein Hokuspokus, der von heute auf morgen passiert. Das war es auch damals im Sport nicht. Aber wenn mir die Krankheit eines zeigte, dann ist es: Wie fokussiere ich mich auf eine Sache und bleibe dran!

Ich war früher im Sport sehr fokussiert, habe aber später in der Wirtschaft diesen Focus nicht immer beibehalten. Jetzt wurde ich durch die Krankheit dazu wieder gezwungen, fokussiert zu sein. Wenn ich gehe, dann gehe ich. Wenn ich esse, dann esse ich. Wenn ich schreibe, dann schreibe ich. Diese Liste lässt sich fast endlos fortführen. Denn auf alles was ich mache, ist meine Konzentration fokussiert. Es gibt kein Abschweifen und kaum Ablenkung mehr. Dazu lebe ich absolut im Hier und Jetzt.

Aus Erfahrung kann ich nur jedem empfehlen, sich mit Mental-Training zu beschäftigen. Matthias gibt kostenlose Infoabende, um sein System kennen zu lernen. Besonders interessant ist der Teil: Wer bin ich?

Mehr Information dazu findet ihr unter:  www.icorlink.at


Ich möchte heute anreißen, was für mich schon lange Thema ist. Der Umgang mit den Auswirkungen der Krankheit.

Anreißen deshalb, weil ich den Umfang bisher noch nicht erfassen konnte. Aber es ist ein wichtiges Thema und ich möchte nicht länger damit warten.....nämlich der offene Umgang mit der Krankheit und seine Auswirkungen auf die Umgebung.

Ich bitte um Verständnis, dass es unvollständig ist oder durcheinander. Dazu fehlt mir noch die Übersicht. Aber es ist wichtig und ich merke, ich kann jetzt beginnen es aufzuarbeiten.

Alleine gelassen

Alleine, eine der Auswirkungen
Ich fühle mich alleine

Es wird oft geschwiegen in diesem Bereich und man bekommt schnell das Gefühl, damit alleine gelassen zu werden. Oft sind es auch Scham oder Angst, mit dieser Situation nicht zurechtzukommen. Dieses Tabu möchte ich brechen. Der Sinn meines Blogs ist es, mit diesem Thema an die Öffentlichkeit zu gehen. Lösungen habe ich nicht, aber ich kann sagen, was ich mir gewünscht hätte.

Die Auswirkungen der Krankheit sind ja mein Thema hier im Blog. Bisher behandelte ich nur meine eigenen körperlichen und geistigen Auswirkungen und meine Rückkehr in ein selbstbestimmtes Leben. Es ist sicher interessant, wie man in dieser Lage damit umgeht, sich auch nach Rückschlägen wieder aufzurichten.

Untrennbar mit der Krankheit verbunden sind Schwierigkeiten, die während des Krankheitsverlaufs auftreten oder einem in den Weg gelegt werden. Ich bin mit  vielen Dingen neben der Rehabilitation beschäftigt, dabei geht es doch für mich in erster Linie darum, wieder gesund zu werden. Dieses "Allein gelassen werden"  nimmt einen großen Teil ein, der mich auf dem Weg zurück ins Leben oft behindert. Dazu ein andermal mehr.

Auswirkungen auf das Umfeld

Ein weiterer Aspekt, der dazu gehört, ist die Auswirkung auf das Umfeld. Je nachdem wie groß dieses ist, ist sie mehr oder weniger groß. Dazu gehört alles, was mit dem Ausnahmezustand zu tun hat. Familie, Freunde, Ärzte, Krankenhaus, Arbeitskollegen, Ämter, Behörden und, und, und.....! Ich kann gar nicht alles aufzählen, da ich das noch nicht gesamt "denken" kann.

Von einem Tag auf den anderen trat ein Ausnahmezustand auf. Niemand, der nicht schon selbst in einer solchen Lage war, kann das in diesem Umfang nachvollziehen. Man kann es verstehen, aber nicht wirklich nachvollziehen, wie es den Personen geht. Obwohl in einem solchen Fall so viel passiert und sich verändert, ist es nach wie vor ein Tabuthema. Man spricht kaum darüber, gibt sich nicht preis, oft einfach aus Scham so schwach zu sein.

Dabei gilt: Was ist, dass ist. Es ist geschehen. Die ersten Wochen verkroch ich mich zu Hause. Ich konnte nicht denken und mich nur wenig bewegen. Jeden Kontakt zu Außenstehenden vermied ich, weil es mich belastete. Zu Sprechen war mir nur begrenzt möglich. Selbst mit Silvia konnte ich nicht über die Probleme sprechen, die anstanden. Mein Organismus war nur auf sich selbst konzentriert und ließ gar nichts anderes zu.

Zu Hause und doch nicht da!

Es war eine schwierige Zeit, wieder nur ansatzmäßig ins Leben zu finden. Erstmals bekam ich mit wie es Silvia geht, wie es den Kindern geht. Und konnte doch nicht darauf reagieren. Ich war zu schwach, die Defizite zu groß und ich musste noch so viel neu lernen. Kaum aus dem Krankenhaus draußen, waren wir auf uns alleine gestellt.

Ich war zwar zu Hause, aber so mit mir und den Auswirkungen beschäftigt, dass ich mit allem anderem überfordert war. Silvia war mit den Problemen noch immer alleine gestellt. Dabei wollte sie einfach einmal nur durchschnaufen, sich aussprechen, reflektieren können. Aber es war mir noch nicht möglich.

Die Angehörigen werden meist von keinem Sicherheitsnetz aufgefangen, wie ich es als Betroffener erleben durfte. Mir wurde sofort und längerfristig geholfen und die Schulmedizin tat ihr möglichstes. Ich bekam im Krankenhaus unter anderem psychische Betreuung, da mit den Folgen eines Hirnabszesses auch psychische Probleme auftreten können.

Bei einer Untersuchung wurde einmal festgehalten, dass bei mir keine Suizidgedanken vorliegen bzw. feststellbar sind. Ich kann mir gut vorstellen, dass nach so einem Vorfall der Eine oder Andere ans Aufgeben denkt.

Während der 5 Monate im Krankenhaus wechselten zahlreiche andere Patienten in meinem Zimmer. Es war ein ständiges Kommen und Gehen. Ich sah jedem an, ob er leben wollte oder nicht. Die einen arbeiteten an sich und waren optimistisch, andere hatten sich aufgegeben und waren negativ.

Sicherheitsnetz für Angehörige gab es nicht

Auf einen wichtigen Teil in diesem Puzzle wurde allerdings vergessen. In meinem Fall auf Silvia und die Kinder. Sie wurden von keinem Netz aufgefangen. Sie waren sich selbst überlassen und damit heillos überfordert. Das ganze Ausmaß und die Auswirkungen eines solchen Schicksalsschlages sind enorm und für Unbeteiligte schwer nachvollziehbar.

Unserer beiden Familie ist nicht groß, daher waren auch nicht viele helfende Hände da. Meine Mutter übernahm Kinderdienste. Meine Tante half organisatorisch, ging mit zu Ämtern und kümmerte sich um mich im Spital. Dann war es aber aus. Mehr waren nicht da.

Um die Lage zu erklären.... Silvia war größtenteils auf sich allein gestellt. Sie sollte den Kindern Sicherheit geben, mit der Schule helfen, täglich kochen und den Haushalt führen. Dazu der tägliche Besuch auf der Intensivstation, verbunden mit der großen Sorge um mich. Dass ich um mein Leben kämpfte, bekamen sie und ein paar Menschen im näheren Umfeld mit.

Es gab von Tag zu Tag nur eine einzige Frage: wird es besser oder schlechter. Bei mir setzten die Lähmungen ein und ich wurde immer schwächer. Keine guten Aussichten. Von vollständiger Genesung bis zum Pflegefall oder auch dem Tod, war alles möglich.

Am Limit

Formulare ausfüllen

Silvia konnte sich in dieser Situation aber nicht nur auf mich konzentrieren, was das nächstliegendste gewesen wäre. Nein, sie hatte ja auch die Kinder und den Haushalt. Und es kam recht bald noch etwas dazu. Sie hatte meine Gewerbe aufzulösen und so schnell wie möglich die Erwerbsunfähigkeitspension für mich anzusuchen. Aufgrund von Investitionen im Jahr davor war kaum Geld da und es drohte die Zahlungsunfähigkeit.

Sie musste den Mitarbeiter entlassen und an so vielen Fronten kämpfen, dass sie eigentlich gar keine Zeit für die Kinder oder die Sorge um mich dafür hatte. Die Existenz stand am Spiel.

Vieles lastete auf Silvias Schultern. Sie kämpfte an einer anderen Front ums Überleben. Mehrere Freundinnen wandten sich ab von ihr, weil sie mit der Situation nicht umgehen konnten oder wollten. Silvia fühlte sich alleine gelassen. Sie hätte manchmal nur jemanden gebraucht, der ihr seine Zeit gab und zuhörte. Hilfe anfordern war ihr nicht möglich, denn sie funktionierte nur mehr. Gedanken und Überlegungen waren kaum möglich. Es war und wurde zuviel.

Psychologische Hilfe für zu Hause blieb aus

Der Jüngere bekam Probleme in der Schule, was eine zusätzliche Belastung brachte. Ich lag auf der Intensivstation, von alldem nicht berührt, was draußen vor sich ging. Zwischendurch war Silvia richtig wütend auf mich, dass ich sie so im Stich gelassen habe. Sie wusste weder ein noch aus, aber alles drehte sich nur um mich.

Es erkannte niemand, weder im Krankenhaus noch anderweitig, dass eigentlich Silvia und die Kinder psychologische Hilfe benötigt hätten. Besonders die Sache mit unserem Sohn belastete sie sehr. Sie war so am Limit, dass sie nur mehr irgendwie funktionierte, um das Wichtigste zu erledigen. Die Gedanken drehten sich unaufhörlich im Kreis. Ruhe zu finden war kaum möglich.

Tätigkeiten wie Kochen oder die zahllosen Erledigungen wurden fast unlösbar, Telefonate immer schwieriger. Sie konnte kaum mehr abheben und zuckte zusammen, wenn das Telefon läutete. Gespräche mit Ämtern und anderes wurde fast unmöglich, so auch Überlegungen, was sie wie angehen sollte.

Danke an meine Freunde

Nach der OP im Krankenhaus

Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um mich bei verschiedenen Freunden zu bedanken. Ich war sicher kein schöner Anblick im Krankenhaus, darum ist es umso bewundernswerter, dass sie mich trotzdem besuchen kamen. Sie gaben Silvia die Gelegenheit, etwas zur Ruhe zu bekommen. Nach der Operation war es möglich, mich einmal in der Woche zu besuchen. Mehr vertrug ich nicht. Damit war Silvia manchmal frei gespielt und konnte, soweit dies möglich war, auf sich selbst schauen.

Ich danke meinen ehemalige Radlerkollegen Flo, Niki, Heinz und Hermann, dass sie mich besuchten und mich in Gesprächen vom Alltag ablenkten. Ein Danke auch an Harry, der mich mit gesunden Nährstoffen versorgte und mir mental geholfen hat, sowie Dietmar, der mir mit fachlichem Rat aus seinem großen Background zur Seite stand.

Auch Alexander, der in Telefonaten Silvia immer wieder Trost spendete. Sorry, ich konnte leider nicht abheben 😉

Besonders bedanken möchte ich mich bei Bernd, der mich immer wieder besuchte und Silvia und meine Kinder unterstützte und ohne viel zu fragen geholfen hat.

Allen gemeinsam steht, dass sie meinen Anblick ertragen haben, der in der Zeit nach der OP nicht der schönste war. Danke dafür!

Soviel in einem ersten Bericht über die wohl schwerste Zeit in meinem Leben. Es wird noch mehr folgen, aber ich brauche noch Zeit, um vieles aufzuarbeiten. Viele Gedanken kommen erst jetzt oder werden mir wieder bewusst. Gerade mein jüngerer Sohn zeigt mir immer wieder viel auf und erinnert mich daran, dass es noch nicht vorbei ist.

Die Ausnahmesituation hält noch immer an und die Auswirkungen sind noch immer zu spüren, wenn auch ein wenig entschärft. Zeit spielt dabei eine große Rolle für mich. Ich lerne, was wirklich wichtig im Leben ist. Leider brauchte es die Krankheit dafür.

"Zeit ist alles, was du hast. Du könntest eines Tages herausfinden, dass du weniger davon hast, als du denkst."


Am 17. November gab es einen Bericht auf Puls4 über meinen "Mein Weg zurück ins Leben" zu sehen. Dazu besuchte mich ein Kamerateam von Puls4, mit dem Kameramann Robert Lerch, bei mir zu Hause.

Ein Jahr und 8 Monate sind seit dem Anfang des Hirnabszesses vergangen. Es sind meine ersten Videoaufnahmen seit damals.

Mein Weg zurück ins Leben

Puls4 Bericht
Mein Weg zurück ins Leben

Gestaltet hat ihn meine ehemalige Kollegin Nadja El-Gedawi. Der Beitrag wurde für die Reihe “Starke Menschen” in den Puls4 News gedreht.

Es war komisch für mich, einmal auf der anderen Seite der Kamera zu stehen. In den letzten Jahren machte ich genau diese Art von Beiträgen. Für mich lag die Herausforderung im Interview, wo mir mehrmals die Wörter oder was ich sagen wollte, entfallen ist.

Zum Ersten mal selbst auf Filmaufnahmen gesehen

Dazu  konnte ich mich zum ersten Mal selbst auf Filmaufnahmen sehen. Ein bisschen bin ich erschrocken, mich so zu sehen. Es hat mich aber motiviert, mich auch mal mit der Videokamera festzuhalten. Bisher war es mir aber nicht möglich. Ich muss mich erst wieder langsam daran gewöhnen.

Es war gut, mich einmal selbst zu sehen. Wie ich gehe und wie ich spreche.

Vicky Wolf mit Kameramann Robert Lerch von Puls4
Interview zu Mein Weg zurück ins Leben
Vicky Wolf mit Kameramann Robert Lerch von Puls4 und ich

Meine Message “Nicht aufgeben” war der Aufhänger für den Film. Selbst in scheinbar aussichtslosen Situationen nicht aufzugeben. Das war nicht immer klar. Denn gerade am Anfang wäre es leicht gewesen nicht mehr zu wollen. Diesen Gedanken hatte ich aber nicht in mir.

Es wird noch lange dauern, bis ich wieder ein selbständiges und selbstbestimmtes Leben führen kann. Bis dahin heißt es, weitermachen. Als ehemaliger Postler gibt man nur einen Brief auf, nicht sich selbst!

"Never give up"


Die Bewegung hat für mich noch immer Vorrang. Wobei das andere, das Denken und Greifen, dabei sowieso mittrainiert wird.

Ich bewege mich noch immer Schritt für Schritt weiter. Wie auch seinerzeit beim Gipfelgang auf den Denali. Auf 6000 Meter geht alles langsamer, wie auch heute. Darum beschreibt es meinen derzeitigen Zustand sehr gut mit diesem Vergleich. Mein jetziger Gipfelgang dauert allerdings länger und ist mit nichts bisherigem vergleichbar.

Körperlich fühle ich mich schnell außer Atem, brauche viele Pausen, die Langsamkeit beherrscht mich - eben wie Höhenbergsteigen. Dort ist auch Ausdauer gefragt. Wobei es diesmal mehr um die mentale Ausdauer geht. Man braucht einen langen Atem, um das durchzustehen. Ein Projekt von so langer Dauer hatte ich noch nie.

Schrittweise vorwärts bis zum Laufen!

Bis zum Laufen ist es noch ein weiter Weg. Ich musste anfangen wie ein Baby, mit dem Vorteil, schon einmal gegangen und gelaufen zu sein. Es war im wahrsten Sinne des Wortes ein schrittweiser Beginn. Mein derzeitiger Stand mit Gehen und Laufen ist ähnlich jemandem, der mit starkem Übergewicht beginnt oder der lange Zeit überhaupt keinen Sport machte.

Im Krankenhaus ging es erstmals darum gehen zu lernen. Am Anfang war es schon schwer nur aufzustehen, später hantelte ich mich am Bett entlang, bis ich frei gehen konnte, ohne mich anzuhalten. Es dauerte Monate bis zu den ersten Schritten im Freien. Nach 5 Monaten konnte ich gerade 50 - 100 Meter am Stück gehen. Dann war die Kraft zu Ende, ich brauchte eine Pause und musste mich hinsetzen.

Bewegung, Schritt für Schritt

Meinen geduldigen Therapeutinnen gehört dafür großes Lob, dass sie mir wieder Gehen beibrachten. Es war ungewohnt für mich, als Sportler gesagt zu bekommen, was man zum Gehen alles braucht. Welche Muskeln, auf was ich achten soll, Abstände der Schritte, richtiges Abrollen und vieles mehr. Meine ganze Kraft und die Gedanken waren auf das wieder Erlernen von Gehen und auf die Bewegung ausgerichtet.

Meine dünnen Beine

Meine Beine waren damals um die Hälfte dünner als vorher. Nur Haut und Knochen, gestützt durch Thrombose-Strümpfe. Erst nach meinem ersten Reha Aufenthalt nahmen meine Beine an Umfang wieder zu und das Gehen konnte wirklich beginnen. Auch den Puls musste ich erst in Schwung bringen. Ein einziger schneller Schritt brachte mich zum Schnaufen und bergauf gehen war sowieso nicht möglich.

Meine Beine im Krankenhaus
Meine Beine im Krankenhaus

Es änderte sich dann vieles ab Februar 2017. Der Schleier der Krankheit begann langsam zu verschwinden und meine Defizite wurden ersichtlicher. Ich musste akzeptieren, dass mir nicht einfach nur die Kraft und die Ausdauer fehlten, sondern dass die neurologischen Defizite doch stärker als gedacht waren. Immer wieder auftretender Schwindel und Gleichgewichtsstörungen stehen bis heute an der Tagesordnung. Es bessert sich, aber eben nur sehr langsam.

Neurologische Defizite beim Denken und in der Bewegung

Diese neurologischen Defizite beinhalten auch mein Denken. Bisher habe ich diese Defizite immer nur am Rande erwähnt. Das körperliche Handicap stand für mich im Vordergrund, weil es mich offensichtlicher behindert. Aber das Denken ist trotzdem entscheidend, auch für die Bewegung, weil die eben nur mit Multitasking funktioniert.

Meine Denk-Defizite sind aber auch, dass ich leicht Sachen zum Erledigen vergesse oder etwas verschieben muss, weil es mir zu viel wird. Es ist mir oft gar nicht bewusst, dass es so ist.

Ich habe ein Computer Programm für das Üben des Gehirns. Damit steigere ich meine Merkfähigkeit und Reaktionsfähigkeit. Auch das gehört zu meinem "Gipfelgang" dazu.

Lieber sind mir oft die praktischen Dinge im Alltag. Schauen, wie viele Dinge ich mir von der Einkaufsliste merke oder was ich zum Erledigen habe. Auch das Bloggen oder mich an verschiedenste Dinge von früher wieder erinnern, ist Teil meiner "Therapie". Der Alltag ist Therapie.

Automatisation im Alltag

Alles an mir ist stark verlangsamt. Die Reaktionsfähigkeit, die Bewegung und das Denken. Das Hirn hat eine wichtige Funktion. Es steuert die Bewegungen, was früher hauptsächlich automatisch geschah. Diese Automatisation funktioniert bei mir aber nicht mehr oder nur eingeschränkt. Muskeln, Bewegungsabläufe - alles muss ich andenken und steuern lernen.

Zumindest auf Asphalt kann ich schon mehrere Meter automatisiert gehen. Es ist wie eine Erlösung, einmal nicht denken zu müssen. Dieses dauernde Konzentrieren kostet nämlich enorm viel Energie. Daher bin ich am Ende des Tages (oder meist früher) erschöpft. Die Gehirnleistung fordert mich gleich wie die Körperliche.

Worüber ich früher nie nachdachte, nämlich das Gehen, kostet jetzt unheimlich viel Energie. Laufen ist noch immer weit weg, erst muss ich gehen lernen, die Technik verbessern. Das ist aber nur im Kleinen möglich. Es gibt keine großen Sprünge.

Überschaubare Zwischenziele setzen

Es war für mich immer klar, wieder gehen zu können. Das dies aber nicht selbstverständlich sein sollte, musste ich erst erkennen. Meine Zwischenziele ändern sich immer wieder, da sich so viel an mir ständig ändert.

Meine kleinen Ziele sind vielfältig. Einen neuen Score am Computer Programm erreichen, balancieren auf einem Baum lernen, eine weitere Strecke automatisiert zu gehen schaffen und noch vieles mehr. Anhand dieser kleinen Schritte kann ich auf Zwischenzielen aufbauen.

Eines ist für nächstes Jahr, auf einem Pilgerweg unterwegs sein. Einen Teil des Franziskusweges von Florenz weg zu gehen, wäre schön. Der Jakobsweg wird mir zu lang sein, wenngleich es eine Herausforderung wäre.

Pilgern als Ziel

Dass alles so lange dauert, hat auch einen anderen Grund. Ich habe von vielen Betroffenen gehört, die denselben Problemen ausgesetzt sind. Zunächst auf Reha, tut sich viel. Man hat den ganzen Tag Zeit, sich mit sich selbst auseinander zu setzen. Kaum zu Hause hat man zusätzlich zu einem selbst, noch mit den Herausforderungen des Alltags zu tun. Auch ich versuche beides unter einen Hut zu bekommen, was aber selten gelingt.

Ich muss am Morgen genau überlegen, was ansteht und was erledigt gehört. Da bleibt nicht immer Zeit und Kraft für's Training über.

So sieht es bei mir derzeit aus. Auf jeden Fall mache ich das Beste aus allem!


Diese Woche stand mein erster Besuch in der Kraftkammer oder, wie man heute sagt, im Fitness Studio auf dem Programm.

Ich erinnere mich an meine Zeit als aktiver Straßenradrennfahrer Ende der 80-iger Jahre zurück. In den Katakomben des Liebenauer Fußballstadion stemmte ich meine ersten Gewichte. Vor uns waren immer die Spieler des SK Sturm dran, danach hatten mein Radteam und ich 90 min. Zeit fürs Training.

Kraftkammer versus Fitness Studio

Im Fitness Studio, früher Kraftkammer
Gehen lernen, zuerst bewusst, dann wieder automatisch

Es war noch eine der alten Kraftkammern, mit Gewichten aus Eisen, wie es sie heute kaum noch gibt. Schon Arnold Schwarzenegger trainierte hier in seinen jungen Jahren. Das war meine erste Bekanntschaft mit Krafttraining. Diesmal kam ich allerdings unter anderen Vorzeichen und es hieß nicht mehr Kraftkammer, sondern Fitness Studio.

Ich brauchte recht lange Zeit für das Lernen der Geh-Technik und machte dabei, vor allem im Sommer, diverse Kräftigungsübungen im Wald. Das ging lange miteinander einher. Ein Sturz auf der Stiege zeigte mir vor kurzem aber mein Kraftdefizit unweigerlich auf. Unter punktueller Belastung auf einem Bein knickte ich ein. Daher werde ich wieder mehr Augenmerk auf Kraft und Beweglichkeit legen.

Das letzte Mal war es im Juni,  im Zuge der Reha in Judendorf, dass ich Geräte für Krafttraining und ein Laufband (Gehband) zur Verfügung hatte. Die Reha war anstrengend, brachte mir aber viele Übungen, wie ich den Sommer über meine Standfestigkeit verbessern konnte.

Danach benötigte ich eineinhalb Monate, um mich zu Erholen. Ich war allerdings motiviert, soviel Zeit wie möglich, in der Natur zu verbringen. Das auf der Reha gelernte, habe ich versucht, im Wald umzusetzen, was auch ganz gut gelang.

Dazu zählte das Gehen auf unebenen Untergrund im Wald und besonders die Ausdauer. Ich habe heute zwar noch das Problem, dass ich oftmalige Pausen brauche, aber ich kann mich, zeitlich gesehen, schon länger belasten. Nach dem Krankenhaus waren es vielleicht 100 Meter, die ich gehen konnte. Heute schaffe ich, an besonders guten Tagen, 5 Kilometer.

Minus Grade  - daher auf ins Fitness Studio

Fitness Studio

Im November wurden die Tage immer kälter. Minus Grade in der Nacht und nur wenige Plusgrade am Tag. Wenn ich am Morgen aufstehe oder wenn ich wo länger sitze, brauche ich ein paar Meter, um die Steifigkeit aus dem Körper und den Gelenken zu bekommen. Die Muskeln und Bänder behindern meine Beweglichkeit und die ersten Meter mühe ich mich ab, wie einer von den Teletubbies. Die Sprunggelenke sind besonders betroffen. Keine guten Voraussetzungen für mein Training, da mir die Kälte im Freien es nicht einfach macht.

Aus diesem Grund der Entschluss, mich endlich im Fitness Studio anzumelden. Ich bin ja an für sich kein Freund davon, in Innenräumen zu trainieren. Die Vorzüge sind aber diesmal da. Ich kann spezifisch die Muskeln ansprechen und aufbauen. Obwohl ich  lange im Leistungssport tätig war, waren nach meinem 5-monatigen Krankenhausaufenthalt Muskeln beeinträchtigt, die ich noch nie gespürt bzw. gar nicht gewusst hatte, dass sie existieren. Es ist in dieser Beziehung ein wirkliches von Null an.

Muskel und neurologische Probleme

Beinpresse im Fitness Studio

Allerdings sind nicht NUR die fehlenden Muskeln das Problem, sondern auch die neurologischen Defizite. Deswegen erwarte ich mir jetzt keine Wunder. Es ist aber an der Zeit, einen Ausgleich zu meiner anderen Bewegung zu machen oder besser gesagt, meiner Nichtbewegung. Mein ganzes Bindegewebe hat abgebaut und die Muskeln sind schlaff und locker. Ich spüre das besonders in der Rückenmuskulatur, die von der Schlaffheit sehr betroffen ist und Schmerzen verursacht.

Da heißt es Schritt für Schritt vorgehen. Langsames steigern und nur auf mich schauen. Mich nicht von anderen beeindrucken lassen. Meine Gewichte, die ich auflege, sind nicht mit dem zu vergleichen was andere verwenden. Habe ich früher bei der Beinpresse 220 kg gedrückt, sind es im Moment 80 kg. Begonnen habe ich mit 20 kg in der ersten Reha. Dasselbe beim Rückentraining. 10 bis 15 kg verwende ich zurzeit.

Man muss schon sagen, es ist gut, dass ich den Schritt wagte, endlich ins Fitness Studio zu gehen. Für mich steht die Rehabilitation am Programm und in erster Linie möchte ich meinem durch 5-monatiges Liegen geschwächten Körper wieder mehr Stabilität geben. Außerdem tut die neue Umgebung wohl und ich bin motivierter für Stretching.

Neue Reize setzen spielt ja eine große Rolle bei mir. Auch wenn man es mir optisch nicht ansieht, ich bin noch in Reha und baue meinen Körper völlig neu auf. Das merke ich auch an den Gewichten. Ich lasse alles in Ruhe auf mich zukommen und werde auf mich schauen.

Einen Ablaufplan habe ich mir geschrieben, die Wiederholungsanzahl lasse ich noch offen. Mal schauen was ich vertrage. Am Anfang steht sicher mehr das Stretching im Vordergrund, die Gewichte werde ich sehr vorsichtig behandeln. Der Anfang ist jetzt einmal gemacht, ich habe es in der Hand daraus etwas zu machen.

Fernsehbericht auf Puls4

Am 17. November gab es einen Bericht auf Puls4 über mein Schicksal zu sehen. Dazu besuchte mich ein Kamerateam zu Hause. Hier könnt ihr den Bericht anschauen.

Gestaltet hat ihn meine ehemalige Kollegin Nadja El-Gedawi bei Puls4. Es war ein Beitrag für "Starke Menschen", im Rahmen der Puls4 News.

Puls4 bei mir zu Hause
Puls4 bei mir zu Hause


Es war komisch für mich, einmal auf der anderen Seite der Kamera zu stehen. In den letzten Jahren machte ich genau diese Art von Beiträgen. Für mich lag die Herausforderung im Interview, wo mir mehrmals die Wörter oder was ich sagen wollte, entfallen ist. Dazu  konnte ich mich zum ersten Mal selbst auf Filmaufnahmen sehen. Ein bisschen bin ich erschrocken, mich so zu sehen. Es hat mich aber motiviert, mich auch mal mit der Filmkamera festzuhalten. Bisher war es mir aber nicht möglich. Ich muss mich erst wieder langsam daran gewöhnen.

Meine Message "Nicht aufgeben" war der Aufhänger für den Film. Selbst in scheinbar aussichtslosen Situationen nicht aufzugeben. Das war nicht immer klar. Denn gerade am Anfang wäre es leicht gewesen nicht mehr zu wollen. Diesen Gedanken hatte ich aber nicht in mir. Es wird noch lange dauern, bis ich wieder ein selbständiges, selbstbestimmtes Leben führen kann. Bis dahin heißt es weitermachen.

"Als ehemaliger Postler gibt man nur einen Brief auf, nicht sich selbst!"


In meinem mittlerweile 31. Blogbeitrag seit April 2017 ziehe ich ein gesundheitliches Resümee nach meinem Hirnabszess. Ein Jahr und neun Monate sind seit der Erkrankung vergangen. Ich habe bereits mehrere Reha-Aufenthalte hinter mir und weitere stehen noch bevor. Derzeit trainiere ich täglich zu Hause – mit Fokus auf Bewegung und Ergotherapie.

In den letzten Wochen stellte ich mir nach dem Hirnabszess öfter die Fragen:

  • Wo stehe ich jetzt?
  • Was kann ich, was kann ich nicht?
  • Bin ich zurück im Leben?
  • Wie geht es mir eigentlich

Diese Fragen lassen mich nicht los – klare Antworten habe ich bisher kaum gefunden. Noch immer lerne ich, damit umzugehen, dass der Heilungsprozess so lange dauert. Die ständigen Veränderungen meines körperlichen Zustands erschweren es mir, mich selbst richtig einzuschätzen.

Manche haben das Ausmaß meiner Erkrankung gar nicht wahrgenommen – ich selbst eingeschlossen. Erst seit Kurzem kann ich mich intensiver damit auseinandersetzen, vorher fehlte mir diese Fähigkeit. Doch mein Gehirntraining zeigt erste Erfolge: Hin und wieder gelingt es mir, mehrere Gedanken gleichzeitig zu fassen und miteinander zu verknüpfen – zumindest, wenn es um meine Krankheit geht, mit der ich mich zwangsläufig oft beschäftige.

Daher möchte ich zunächst erklären, was ein Hirnabszess überhaupt ist und welche Folgen er für mich hatte.

Der Hirnabszess

Bei mir waren die Kopfschmerzen und der Schwindel so stark, dass ich von einer zur nächsten Stunde nicht mehr aufstehen konnte. Der Abszess lag am Thalamus, der Steuerzentrale des Körpers. Viele Bereiche wurden beschädigt oder beeinträchtigt.

Ein Hirnabszess – eine seltene, aber gefährliche Infektion. Dabei sammelt sich Eiter in einer Kapsel im Gehirn. Meist sind Bakterien die Ursache, die auf unterschiedlichen Wegen ins Gehirn gelangen. Oft entstehen sie durch Infektionen in der Nähe – in den Nebenhöhlen, den Zähnen. In meinem Fall waren es die Zähne. Keime überwanden die Blut-Hirn-Schranke und drangen ins Gehirn ein.

Ein Hirnabszess kann epileptische Anfälle auslösen. Oft treten Übelkeit und Erbrechen auf. Bei mir waren es vor allem die Kopfschmerzen und der Schwindel. Sie wurden so stark, dass ich von einer Stunde auf die nächste nicht mehr aufstehen konnte. Der Abszess saß am Thalamus – der Steuerzentrale des Körpers. Viele Funktionen wurden beeinträchtigt, einige dauerhaft beschädigt.

Thalamus im Gehirn.
Hirnabszess
Thalamus

Rechtsseitig war ich vollständig gelähmt – selbst mein Mund und die Gesichtsmuskeln waren betroffen. Dazu kamen Sprachstörungen. Mir selbst fielen sie kaum auf, doch für mein Gegenüber mussten sie unüberhörbar gewesen sein. Oft brachte ich nur einzelne, unzusammenhängende Wörter hervor, ohne es zu merken.

Mein Körper war schwach. Einen Arm zu heben, war Schwerstarbeit. Sich im Bett auf die Seite zu drehen, beinahe unmöglich. Auch mein Denken war eingeschränkt. Es gab nur das HIER und JETZT.

Nach der OP am Hirnabszess
Nach der OP

Nach zwei Monaten entschloss man sich für die Operation, die bei vollem Bewusstsein ablief. Da der Thalamus recht tief lag, eine nicht ganz ungefährliche Operation, die aber an und für sich recht gut verlief. Nachlesen über die OP, hier klicken.

Wenn du krank bist - sollst du nicht denken: "Ich bin krank", sondern - "Ich befinde mich in einem Heilungsprozess" - Die Krankheit ist die Heilung.


Safi Nidiaye

So war es auch bei mir. Auch ich hatte das Empfinden, vom ersten Tag an im Heilungsprozess zu sein.

Meine Aussichten vor einem Jahr

Die Aussichten vor einem Jahr waren ganz gut. Aber die Rehabilitation würde dauern, meinten die Ärzte. Ich soll mich auf einen längeren Zeitraum einstellen. Wie recht sie hatten!

Meine größte Herausforderung besteht darin, mein Denken mit meiner Bewegung zu verbinden. Am Anfang der Krankheit war das schon so und ist es jetzt noch immer. Bewegung hat für mich im Leben eine wichtige Bedeutung, daher nimmt es einen großen Teil meiner Therapie ein. Wieder unbeschwert gehen zu können, eine Runde im Wald laufen. Im Moment Wunschträume!

Und wie steht es jetzt um meine Bewegung?

Kurz gesagt: besser als vor einem Jahr. Ich kann weitere Strecken zurücklegen, und wenn ich über einen Platz gehe, fällt es kaum auf. Doch das ist nur die Außensicht. Innerlich sieht es anders aus. Noch immer muss ich jede Bewegung bewusst vorwegnehmen, mein Gehirn arbeitet auf Hochtouren.

Die Automatisierung der Bewegungen? Nur teilweise gelungen. Am besten auf Asphalt. Für ein paar Meter kann ich gehen, ohne darüber nachzudenken – doch dann kommt die Unsicherheit. Das fehlende Gleichgewicht holt mich ein, das Denken kehrt sofort zur Bewegung zurück.

Eine meiner Übungen: Bälle in die Luft werfen, während ich gehe. Ich zwinge mich, mich abzulenken – und trotzdem weiterzugehen. Jonglieren? Noch kaum möglich. Vor allem in Bewegung. Meine Hände sind zu ungelenkig, meine Reaktionszeit zu langsam. Aber es wäre der nächste Schritt. Mal sehen, wann es so weit ist.

Bälle zum Jonglieren
Meine Jongliere-Bälle sind immer dabei

Laufen oder Trailrunning nach dem Hirnabszess

Gehen im Wald nach dem Hirnabszess

Aus oben genannten Gründen ist Laufen eben noch nicht möglich. Es geht mir zu schnell. Laufen passiert größtenteils automatisch. Ich komme mit der Koordination nicht mit, da ich nicht so schnell denken kann. Stürze wären die Folge und bei meiner Ungelenkigkeit zurzeit auch gefährlich. Das stresst mich. Deswegen bleibe ich beim Gehen. Laufen oder Trailrunning wird noch kommen, gut Ding braucht eben Weile.

Ich habe nie damit gerechnet, dass das Gleichgewicht eine so große Rolle spielt. Aber es ist so. Zusammen mit meiner verlangsamten Fähigkeit auf Reize zu reagieren, lässt es mich nur langsam vorankommen.

Standfestigkeit

In den letzten Monaten habe ich Fortschritte mit meiner Standfestigkeit gemacht. Löcher oder Unebenheiten im Boden sind kein so großes Problem mehr, wie am Anfang. Auch anrempeln vertrage ich jetzt besser und falle nicht gleich um. Begonnen habe ich in der Reha im Juni damit und dann damit fleißig weiter trainiert. Das Ergebnis freut mich, denn damit ist es mir leichter, wieder unter Menschen zu gehen. Ein Erfolg, den ich diesmal auch selbst mitbekommen habe.

Ergotherapie

Ergotherapeutisch habe ich noch Aufholbedarf. Es geht zwar schon besser, aber mir ist klar, dass noch mehr geht. Das Gefühl, die Hände gehören nicht zu mir, habe ich leider noch oft.
Es fühlt sich an, als seien sie Computer gesteuert. Kleine pingelige Arbeiten sind noch immer schwer, wie zum Beispiel eine Nadel aufheben oder mit dem Schraubenzieher hantieren.

Schreiben lernen
Meine ersten Schreibversuche


Mit der Hand schreiben tue ich mir noch immer schwer. Sehr langsam geht es ganz gut. Aber ich ermüde doch recht schnell mit der Hand. Eine halbe Seite DIN A2 voll schreiben ist das Maximum. Dann wird es unleserlicher. Deswegen bevorzuge ich den Computer, da geht mehr. Die Zweifingertechnik geht schon ganz gut.

Besonders die Kraft fehlt mir in den Händen. Eine Flasche aufschrauben oder hantieren mit Werkzeug geht nicht gut. Das ist für mich schwer zu verkraften. Ich habe Probleme, die Fahrräder der Kinder zu reparieren oder in der Wohnung kleinere Reparaturen zu machen.

Denken

Das Denken ist eine eigene Sache. Ich brauche viel Ruhe, dann kann ich über gewisse Dinge nachdenken. Was nicht heißt, dass ich auch zu einem Ergebnis komme. Unter Stress geht gar nichts. Die Reaktionsfähigkeit hat sich verbessert, ist aber noch immer langsam. Denken heißt aber auch, einzelne Körperfunktionen andenken, um sie ausführen zu können. Es ist sehr komplex und für mich schwer zu beschreiben.

Das Denken spielt jedenfalls in jeder Situation eine große Rolle. Multitasking zum Beispiel. Früher war das für mich, beruflich gesehen, ein Interview zu führen. Gleichzeitig die Kamera bedienen - das Bild im Auge zu behalten und auf die Antworten zu hören, um darauf reagieren zu können.

Heute ist Multitasking für mich anderes. Darüber habe ich früher gar nicht nachgedacht. Ein Beispiel - Gehen. Zum Gehen gehört so vieles. Ich muss jeden Muskel andenken, jede Bewegung, die Körperneigung, eventuelle Richtungsänderungen und, und, und...!

Multitasking
Multitasking

Diese Art Multitasking war früher selbstverständlich. Heute ist es das nicht mehr. Ich muss wieder lernen, alle Körperfunktionen zu automatisieren, eben Multitasking in Urform. Der Hirnabszess veränderte mein Leben.

Wo stehe ich jetzt?

Oft kommt es mir vor, als wäre alles ein Traum. Aber es ist umgekehrt. Der Traum ist Wirklichkeit.
Diese Wirklichkeit heißt es jetzt zu meistern. Das Schicksal annehmen, gehört zu den wahrlich nicht einfachen Dingen dieser Welt.

Aber zum Glück zeigen mir viele vor, dass es geht. Die Trailrunning- und Skitourenläuferin Gela Allmann, die Fernsehmoderatorin Monica Lierhaus oder der Skispringer Lukas Müller. Sie alle haben schwere Schicksale zu meistern.
Wie sagt Lukas Müller:

"Ich kann nur beeinflussen, was vor mir liegt, nicht das Vergangene." 

Auch mein Blick ist nur vorwärts gerichtet. Nie rückwärts. Leben tue ich nur nach vorne. Manchmal fällt es aber nicht leicht. Dann muss ich mir mein Ziel vor Augen halten und ich weiß wieder, wo es lang geht.

Es gibt noch viele Sachen, die betroffen sind. Ich kann sie gar nicht alle aufzählen. Das wichtigste ist hier beschrieben.


Ich bin Jörg, wohne in der Nähe von Graz und blogge hier über meinen Weg zurück ins Leben, das ein Hirnabszess 2016 völlig auf den Kopf gestellt hat.
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