Leben am Limit - sechs Jahre nach der Entlassung aus dem Krankenhaus!

Am 20. August 2016 durfte ich das Krankenhaus nach 5 Monaten Aufenthalt verlassen. Es ist seither ein Leben am Limit, ein Leben, das ich in allen Bereichen von null an beginnen durfte.

Natürlich kann ich auch weniger wollen und machen, aber ich wollte kein Pflegefall bleiben, denn das war ich über ein Jahr. Dann werden einfachste Gänge wie aufs WC, neben einer befahrenen Straße oder zum Einkaufen zu gehen mühsam, wenn nicht unmöglich. Und es geht schneller zurück, als vorwärts. Zeitlich ist es wie gestern passiert und die Zeit dazwischen existiert nicht.

Die Entlassung aus dem Krankenhaus

Oft kann ich es gar nicht glauben, dass schon so viel Zeit vergangen ist. Ich muss bewusst daran denken, denn ich tue mich schwer mit dem Zeitgefühl. Für mein Gehirn beginnt jeder Tag neu.

Allerdings kann ich mich an den Tag der Entlassung noch gut erinnern. Es begann damit, dass ich sehr kurzfristig von meiner Entlassung erfuhr, dann aber doch noch einen Tag länger bleiben musste. Meine Lebensgefährtin war darauf nicht vorbereitet und musste erst alles herrichten. Die Kinder waren zum Glück gerade bei der Großmutter, es wäre sonst zu viel Stress geworden.

Eigentlich wollte ich nur mehr weg aus dem Krankenhaus. Nicht wegen der Menschen, denn ich bin noch heute jedem Einzelnen dankbar für alles, was sie für mich taten. Es waren meine Bezugspersonen über viele Monate geworden, die Krankenschwestern und besonders meine Ergo- und Physiotherapeutin.

Mit meiner Ergo- und Physiotherapeutin im Krankenhaus

Allerdings bekam ich allergische Reaktionen an den Zugängen der Einstiche am Arm und ich konnte keine Krankenhauskost mehr vertragen. Ich stieß alles ab. Es wurde Zeit, das Krankenhaus zu verlassen.

Es war ein Samstag und somit ein ruhiger Tag am Beginn des Wochenendes. Die Verabschiedung fiel mir schwer, weil ich meine Gefühle und Emotionen noch nicht unter Kontrolle hatte. Zum Glück war Wochenendbetrieb und nicht so viele der Krankenschwestern und Ärzte anwesend.

Das Packen meiner Habseligkeiten nahm ein bisschen Zeit in Anspruch, denn es hat sich doch mehr in den letzten Monaten angesammelt, als ich glaubte. Meine schwarze Expeditionstasche von früher, war bis oben hin gefüllt mit Bekleidung, ein paar Büchern und sonstigen Kleinkram.

Den Entlassungsbrief abgeholt und dann konnte mich nichts mehr halten. 11 Uhr war zum Abholen ausgemacht, aber ich verließ die Etage schon um 10 Uhr.

Die Natur war mir schon damals wichtig!

Mich selbst und die Tasche hinter mir herziehend, schleppte ich uns zum Fahrstuhl und fuhr nach unten. Immer wieder musste ich vor lauter Schwindel hinknien, denn ich konnte noch kaum mehr als ein paar Meter weit gehen und musste viele Pausen einlegen. Der Schritt ins Freie war wie eine Erlösung.

Die letzten Monate verließ ich den Reha-Stationsbereich und mein Zimmer nur ein paarmal, meist um mit dem Rollstuhl zu einer Untersuchung zu einem anderen Gebäude geführt zu werden. Diesmal war mein Ziel aber die Wiese vor der Station. Bisher war sie für mich nur vom Fenster aus sichtbar, denn die Natur und Grün war mir schon damals sehr wichtig. Ich wollte mich endlich im Gras niederlegen können und die Natur spüren, im Gegensatz zur sterilen Umgebung des Krankenhauses.

Erschöpft, diesen Weg geschafft zu haben, hatte ich noch eine halbe Stunde Zeit für mich alleine. Mein Denken funktionierte nicht und ich war einfach nur glücklich das Gras zu spüren und diese 5 Monate hinter mich gebracht zu haben. Mein neues Leben konnte endlich beginnen, von dem ich allerdings noch nicht erahnen konnte, was auf mich zukommt. Erschöpft,aber freudig und zufrieden Strichen meine Finger durch das Grün und ich spürte die Energie. Die Sonne schien auf mich und um nichts auf der Welt wäre ich zurück gegangen, ich war endlich frei, so frei wie ein zu Pflegender eben sein kann.

6 Jahre danach, noch immer ein Leben am Limit

Noch sechs Jahre danach erzeugt es Emotionen in mir, daran erinnert zu werden. Was war das für eine Zeit bisher? Damals wusste ich noch nicht, wie es weitergehen könnte, denn ich lebte, wie auch heute noch, für den Tag.

Der nächste Tag ist nicht denkbar und so war es besonders in dieser Anfangszeit. Sechs Jahre sind eine lange Zeit. Jeden einzelnen Tag sind seither meine Handicaps da und spürbar, trotz der Verbesserung. Die fehlende Propriozeption ht einen großen Anteil daran.

Es ist für mich aber nicht vorstellbar, was heute wäre, wenn ich diese lange Zeit mit nicht soviel Rehabilitation, Übungen und Training verbracht hätte? Es gibt natürlich auch Zeiten des Nichtstun, aber auch diese Zeit ist Rehabilitation und darf im richtigen Moment auch sein. Allerdings darf es nicht länger als ein paar Tage dauern, sonst baue ich zu viel ab.

Am liebsten vergleiche ich die letzten Jahre mit meinem Training im Leistungssport, denn dieses früher erlebte Wissen hilft mir heute. Meine Rehabilitation ist mit dem Training im Sport vergleichbar, wenn auch viele Leistungsstufen und Zielsetzungen darunter. Es geht darum, die 24 Stunden am Tag fürs besser werden zu nutzen. Mein Gehirn hält mich nach wie vor im Jetzt fest und lässt Ausflüge in die Vergangenheit oder Zukunft nur beschränkt zu. Das erleichtert es mir, meine Energie für die Heilung einzusetzen und nicht in nutzlosen Gedanken zu verlieren.

Leben am Limit, in vielen Bereichen

Mein Hauptaugenmerk liegt in der Wahrnehmung, gefolgt vom Kraft- und Ausdauertraining, sowie dem Gehirntraining. Was hat sich aber seit diesen sechs Jahren verändert und warum "Leben am Limit"?

Seit dem Krankenhaus habe ich viel erreichen dürfen, allerdings sieht man im Blick von Außen nur einen klitzekleinen Ausschnitt vom Ganzen. Es sieht oder es weiß kaum jemand um den nötigen Aufwand, um mich unter besten Umständen sehen zu können, den ich brauche, um nicht zu viel Energie zu verlieren.

Besonders die Wahrnehmung im Äußeren muss dann passen, dass ich mich zum Beispiel mit jemanden persönlichen treffen kann. Die Energie ist noch vorm Ende des Tages zu Ende, das muss ich immer im Auge behalten. Meine Defizite merkt man mir großteils nicht an und verfällt leicht in den Glauben, es geht mir eh gut.

Ein wichtiger Punkt ist die Kraft und Ausdauer. Allerdings musste ich erkennen, dass ich dranbleiben muss und mich nicht gehen lassen darf. Spätestens am zweiten Tag habe wieder was dafür zu tun, um es wenigstens zu Erhalten. Denn ich brauche mindestens dreimal so lange, um wieder dort zu sein, wo ich war.

Leben am Limit

Walk. Eat. Sleep - Repeat

Im Gehen hole ich mir die meiste Motivation und Gesundheit und deswegen ist Pilgern so wertvoll für mich. Damit konnte ich bisher schöne Fernwanderungen unternehmen, die mir viel gebracht haben. Es ist wie ein Trainingslager, wo ich mich nur ums Gehen, Essen und Schlafen kümmern muss. Diese Konzentration darauf bringt mir viel.

Das Leben am Limit besteht unter anderem darin, dass ich mich sehr auf mich konzentrieren darf und keine anderen Gedanken zulassen muss. Sobald ich mich zum Beispiel unterhalte, sinkt meine Leistung in allen anderen Bereichen. Darum bin ich meistens alleine unterwegs, denn dabei kann ich meine Eigenwahrnehmung am besten schulen und auf alles schnell reagieren. Das Gehen zu zweit trainiert allerdings meine Wahrnehmung im Außen. Ob alleine oder zu zweit, alles passiert an der Grenze.

Ich integriere in das Gehen viele Übungen vom therapeutischen Tanzen, das mir in vielerlei Richtung hilft. Ich konnte damit meine äußere Wahrnehmung verbessern, mein Gehen, meine Bewegung und noch vieles mehr, wie zb. meine Leichtigkeit, im doppelten Sinne gemeint. Dieses "viele mehr" sind oft nur kleine Dinge, die mir aber in Summe zu einer besseren und leichteren Bewegung verhelfen und damit ein Großes ergeben.

In einer Stunde beim therapeutischen Tanzen
In einer Stunde beim therapeutischen Tanzen

Der Punkt: Wahrnehmung im Außen

Am Anfang war es unumgänglich für mich, für die Überquerung einer Straße meine Wahrnehmung zu steigern. Ich konnte lange nicht abschätzen, wie weit entfernt oder wie schnell ein Auto auf mich zukommt. Jede Straße ohne Zebrastreifen oder Ampel wurde zur Herausforderung. Wobei ich die ersten drei Jahre manche Ampel oft nicht bei Grünphase schaffte. Die letzte Ampel, am Hauptbahnhof gelegen und mit einer doch recht kurzen Grünphase, schaffte ich erst im Winter vor zwei Jahren bei Grün zu überqueren. Es war unangenehm, die Blicke der in Eile befindlichen Autofahrer zu spüren oder angehupt zu werden, wenn die Autofahrer Schon losfahren wollten. Oft wünschte ich mir ein großes Behindertenschild umgehängt zu haben. Die Inklusion ist bei den meisten sogenannten "normalen" Bürgern noch nicht angekommen.

Die Wahrnehmung ist aber auch, Entfernungen abschätzen zu können. Drei Jahre verbrachte ich immer wieder damit, Papierkügelchen aus unterschiedlichen Entfernungen in einen Papierkorb zu werfen. Später wechselte ich dann auf ein Frisbee ins Freie, was ich bis heute noch übe. Langsam bekomme ich mehr Gespür für die Distanz, was mir sehr weiterhilft.

2016, mit Frisbee. Ein Leben am Limit.
2016, der erste Versuch mit Frisbee

Aber auch im "Klettern" habe ich mich weiterentwickelt. Nicht so weit weg von mir befindet sich ein Höhleneingang, in deren Vorraum es sich für mich ideal einen Schritt über dem Boden üben lässt. Angefangen habe ich im Kinderbereich einer Kletterhalle, mit nur hinaufsteigen auf den untersten Bereich. Schon das Stehen und mit der Hand festhalten war ein Kraftakt und nur kurz möglich. Heute kann ich mich im echten Fels bis zu 30 Sekunden hin und her bewegen. Dann lässt die Kraft meist in den Finger aus.

So hoch!
Klettern
Klettern, einen halben Meter über dem Boden

...und sonst noch?

Solange ich nicht in Bewegung bin, also hauptsächlich zu Hause, brauche ich noch viel Zeit in der horizontalen Lage. Das bedeutet, ich verbringe noch immer viel Zeit im Liegen, denn da hat das Gehirn die beste Erholung. Besser ist nur noch Schlafen, davon brauche ich mindestens 10 Stunden in der Nacht, zusätzlich zur Ruhe am Tag.

Dieses Jahr hatte ich zum ersten Mal keine Aufwärtsbewegung in meiner Rehabilitation. Der Tiefpunkt war der Nierenstein im März, der mich viel gekostet hat und was ich bis heute nicht aufholen konnte. War die ersten Jahre eine langsame lineare Aufwärtsbewegung möglich, so flachte sie mit dem Beginn der Pandemie ab und seit letztem Herbst auch mal abwärts zu gehen.

Es war seit Herbst 2021 ein ewiges Auf und Ab und eher ein so gut es geht, den Zustand zumindest zu halten. Bis jetzt ist mir das einigermaßen gelungen, wenn ich auch einige Vorhaben nicht durchführen konnte. Mein Ziel ist es nach wie vor eine Verbesserung zu erzielen, denn mehr oder weniger Behinderung bedeutet dasselbe, es bringt mich beides trotzdem ständig ans Limit.

Im Moment lebe ich schon zu lange ein Leben am Limit, dass immer zugegen ist. Wenn ich liege und aufstehe, ist die erste Zeit am Limit. Wenn ich vom Rad absteige, dauert es einige Minuten, bis ich mich wieder ans Gehen gewöhne und den Schwindel in den Griff bekomme. Die Muskel- und Körperschwäche behindert mich sehr und ich könnte noch viele Dinge aufzählen, um dieses Leben am Limit zu beschreiben.

Allerdings denke ich nicht so viel darüber nach, was nicht geht, als an das, was ich wieder möglich machen möchte. Selbst an schlechten Tagen verliere ich kaum meinen Optimismus und versuche alles, was mir dann guttut, auch zu machen.

Himmel und Hölle

Wenn ich mich nach meinem Himmel und Hölle Spiel bewerte, dann stehe ich an schlechten Tagen auf 3 und an guten auf 4. Dass ich noch nicht auf 5 bin, habe ich der Pandemie zu verdanken, wo ich nach meinem Wintercamino knapp dran war. Aber ich arbeite weiter daran.

Am Beginn nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus bin ich auf 1 gelegen. 6 Jahre Jahren später habe ich mit viel Übung und Training die 4 noch nicht langfristig erreicht. Die Zukunft wird zeigen, was noch möglich ist.

Himmel und Hölle Spiel, wo stehe ich? Mein Leben am Limit.
Himmel und Hölle Spiel, wo stehe ich?

Es ist mir klar, dass mit fortwährender Dauer eine Verbesserung langsamer wird, langsamer als es eh schon ist. Aber auch beim Radrennfahren bin ich früher immer drangeblieben und es zeigte mir, dass Aufgeben kaum Sinn macht. Bei minus 40 Grad in Alaska gibt es kein Aufgeben, so wie auch jetzt nicht.

So wird die Rehabilitation noch länger in meinem Leben bleiben. Das Leben am Limit kann ich hoffentlich in Zukunft reduzieren, es ist aber derzeitig notwendig, um weiterzukommen.

Zur Feier des Tages - Radfahren!

Zur Feier des Tages bin ich mit dem Rad gefahren. Das Radfahren steht wie kaum was anderes für meine verbesserte äußere Wahrnehmung und Reaktion.

Ich bin zwar vorsichtig unterwegs und im Zweifelsfall langsam, aber es geht voran. Einzig die Körperschwäche limitiert mich noch. Die Muskeln und das Bindegewebe rund um die Wirbelsäule ermüden zu schnell. Aber auch hier zählt dranbleiben. Kilometer um Kilometer weite ich aus und bin glücklich, schon15 bis 25 Kilometer fahren zu können, je nach Tageszustand.

Wie kannst du ein Limit setzen, wenn du die Grenzen nicht kennst?


Aufmunternde Sprüche, Weisheiten und Bilder am Camino!

Der Camino in Spanien ist gesäumt von aufmunternden Sprüchen, Weisheiten und Bilder. Sprüche sind auf Steinen, Tafeln und den Kilometer-Wegsteinen zu finden.

Vielen Menschen am Weg ist es eine Hilfe, solche zu lesen oder die großen Bilder zu sehen. Hier meine Auswahl vom Camino Frances und Camino Norte. Hast du sie vielleicht auch gesehen?

Auf das Bild klicken zum leichteren lesen und vergrößern!

Auf den Kilometer-Steinen

Sobald man in Spanien ist, begleiten einen auf der ganzen Strecke die berühmten Kilometer-Steine. Er wird gerne verwendet, um seine Botschaften anzubringen.

Sie stehen in der Regel alle paar Hundert Meter am Weg.

Sprüche auf Tafeln

Wie die Kilometer-Steine, werden Sprüche und Botschaften auch gerne auf allen möglichen Tafeln angebracht. Sie sind manchmal lustig, manchmal regen sie einen zum Nachdenken an.

Am Weg ist man immer wieder mit diversen Themen beschäftigt und ab und zu bringen diese Wörter und Sprüche neue Themen in einem hervor.

Bilder auf Häusern

Zahlreiche Häuser sind mit übergroßen, oftmals Kunstwerken, ausgestattet. Selbst im Schnee findet sich was.

Auf Steinen

Steine gibt es in allen Variationen, mit Sprüchen oder Bildern verziert. Besondere Bedeutung kommt dem Stein am Crux de Ferro zu. Man nimmt ihn von zu Hause mit und legt ihn am Kreuz stellvertretend dafür ab, was man hinter sich lassen möchte.

(Hier geht's zum Bericht: Das Krafttier Pferd am Camino Frances?)

Mein Stein war ein Schmuckstein, den ich 1995 aus Amerika mitgebracht habe. Er hatte eine Bedeutung für mich, weshalb ich ihn mitnahm und in 1500 m Seehöhe, dem höchsten Punkt des Camino Frances, ablegte.

Sprüche auf der Straße und Holz

Manchen bewegt gerade etwas, andere machen sich einen Spass. Es ist lustig zu sehen, was es für Einfälle oft gibt.

...und sonst wo unterwegs!

"Schritt für Schritt", auf Deutsch, sah ich dieses Jahr, genauso wie das "Balance your Energy". Beide Sprüche passen für mich und lebe ich seit Jahren.


Vom Radfahren, Selfies und der Wahrnehmung!

Seit einigen Wochen übe ich wieder vermehrt Radfahren. Dabei mache ich auch Selfies im Fahren, die beides meine Wahrnehmung trainieren. Es war und ist noch immer ein weiter Weg dorthin.

Mit dem Rennrad unterwegs zu sein, ist ein wichtiger Baustein, um schneller reagieren zu lernen. Das Radfahren dient in erster Linie meiner Wahrnehmung im Äußeren, wobei aber auch der Inneren eine Bedeutung zukommt. Mit der Propriozeption habe ich sowieso eine Aufgabe, die mir oft endlos erscheint.

Selfie beim Radfahren
Selfie beim Radfahren

Selfie beim Radfahren

Seit 2017 versuche ich meine Rehabilitation mit Fotos zu dokumentieren. Ich werde immer wieder dazu gefragt, wie ich das denn am Rad mache. Das Problem ist bei mir ja die Feinmotorik der Finger und die Tiefensensibilität. Von daher kommt es, dass ich gerade von den ersten Jahren meiner Rehabilitation nicht viele Fotos habe.

Mit dem Training der Feinmotorik in den Fingern höre ich bis heute nicht auf. Es ist einer der vielen Punkte, die alle meinen Gesamtzustand ausmachen.

Zuerst nur im Stand am Rad sitzend, versuchte ich mich im Laufe der Zeit auch während dem Fahren an Selfies. Zweimal ist mir das Handy aus der Hand geglitten, ich hatte aber Glück, es ist nie zerbrochen. Ich brauche aber auch ohne Radfahren jährlich ein bis zwei Handys. Die Feinmotorik lässt noch immer zu wünschen übrig.

Außerdem mache ich meist viele Fotos, von denen ich hoffe, dass eines geworden ist. Ich habe mich auch schon am Filmen versucht, aber das ist ein anderer Fall. Mein Gehirn macht da nicht mit und ich bin schnell überfordert. Ich zeige natürlich nur die besten Fotos, die unzähligen Versuche dazu sieht man natürlich nicht.

So geht es auch mir, denn man sieht nur mich als Ergebnis, allerdings sieht niemand das viele Training oder wenn ich einmal nicht mehr kann. Gerade Treffen mache ich meist nur unter besten Voraussetzungen, die oft rar sind. Das bekommt man dann zu sehen. Das ist wie ein Bild, für das aber viele notwendig waren.

Die Äußere Wahrnehmung

Die äußere Wahrnehmung bezieht sich auf die Umweltwahrnehmung und damit sind Menschen und Gegenstände gemeint, wie fahrende Autos oder andere Fußgänger. Nur langsam lerne ich, die Geschwindigkeit des eigenen Körpers oder eines Autos, zum Beispiel für die Überquerung einer Straße, richtig einzuschätzen.

Um über eine Straße zu kommen, brauchte ich anfangs mehrere Minuten. Ich musste oft 30 Sekunden in eine Richtung schauen, bis ich erkennen konnte, dass nichts kam. Das Gleiche auf der linken Seite. Allerdings war ich mir dann nicht mehr sicher, ob rechts nichts kommt und so begann das Spiel von Neuem.

Beim Radfahren ist wichtig, alle auftretenden Hindernisse schnell zu erkennen, was eine große Steigerung im Gegensatz zum Überqueren einer Straße war. Diese äußere Wahrnehmung im Ansatz wieder zu erlernen war der Grund, weshalb ich erst nach vier Jahren mit dem Radfahren beginnen konnte.

Anfangs konnte ich nur alleine fahren, denn ich musste derart aufmerksam mit mir und der Umgebung sein, eine Begleitung hätte mich nur abgelenkt. Das dauerte damals mehrere Monate, bevor ich mit meinem Freund Harry zusammen Radfahren ging. Mit ihm hatte ich in Australien, Alaska und Afrika Radrennen bestritten und jahrelang zusammen trainiert. Das geht nur, weil ich großes Vertrauen in ihn habe. Mit anderen Personen traue ich mich noch nicht. (Hier geht's zum: Wie ich Radfahren begann)

Harry und ich beim Altstadtkriterium
Harry und ich beim Altstadtkriterium in Graz, 1992

Ich musste zuerst mein räumliches Vorstellungsvermögen wieder herstellen. Step by Step steigerte ich mit meiner Wahrnehmung auch die Kilometer, sowie die Zeit, die ich auf dem Fahrrad verbringen konnte. Eineinhalb Stunden waren damals, Ende des Jahres 2020, möglich.

2021 lag mein Focus allerdings wieder am Gehen, meinem Ziel geschuldet, dem Walkabout durch Österreich. Über den darauffolgenden Winter saß ich nur sehr sporadisch am Rad, wodurch sich die Wahrnehmung stark zurückbildete. Das war aber auch der Pandemie geschuldet, dessen Folgen mir im Nachhinein betrachtet sehr stark zusetzten und dieses Jahr umso stärker herauskamen.

Walkabout durch Austria
Leichtigkeit am Walkabout

Ich startete diesmal zwar nicht bei null, musste aber trotzdem Radfahren in der Wahrnehmung neu lernen. Besonders mein Muskelkorsett war miserabel und verhinderte langes Sitzen. Ich fühlte mich wie eine schlecht gespannte Marionette.

Die Innere Wahrnehmung...

...beschränkt sich nicht nur darauf, was ich außerhalb meines physischen Körpers erfahre, sondern bezieht sich auf das spüren von Gefühlen und Emotionen, wie Freude oder Unbehagen.

Da hat der Hirnabszess am Thalamus ganze Arbeit geleistet, denn er steuert den Körper. So habe ich alles neu zu lernen, selbst heute, nach über sechs Jahren noch immer. Es scheint ein endloses Thema zu sein. Setzte ich nur kurz aus mit dem Training, bildet sich alles zurück.

Therapeutisches Tanzen für die Wahrnehmung

Seit September 2019 gehe ich regelmäßig zum therapeutischen Tanzen. Dort lerne ich nicht nur die Bewegung neu, sondern auch meine innere und äußere Wahrnehmung wiederzuerlangen. Deshalb ist diese Art der Therapie so genial für mich und es ist mir unverständlich, dass es nicht von der Krankenkasse anerkannt wird.

Ich habe dort die Möglichkeit, in einem geschütztem Rahmen, diese innere und äußere Wahrnehmung wiederzuentdecken und auszuprobieren. Ob Einzelstunde oder im Gruppentraining, jede Stunde birgt eine neue Erfahrung, die mich weiter bringt. Es bringt mich oft an die Grenze, aber nur dort ist ein Weiterkommen möglich.

Vieles in der Therapie gelernte, kann ich auch beim Radfahren umsetzen oder hilft mir, weiterzukommen. Denn gerade die Wahrnehmung ist beim Radfahren besonders gefordert.

therapeutisches Tanzen
therapeutisches Tanzen

Thema Freude und Genuss

Die Themen Freude und Genuss konnte ich erstmals erfolgreich beim Radfahren umsetzen. Bisher war Radfahren mehr Therapie oder Krafttraining, aber letztens konnte ich 15 Kilometer unter Genuss zurücklegen.

Selfie beim Radfahren
Selfie beim Radfahren

Viel weiter hätte es nicht sein dürfen, dann wäre es vorbei mit dem Genuss gewesen. Durch die Körper- und Muskelschwäche gerate ich schnell ans Limit. Dieses Limit immer weiter hinauszuschieben, ist mein Ziel. Das bringt mir auch für den Alltag viel. 

Dabei ist es wichtig, auf mich zu hören und meiner Eigenwahrnehmung zu vertrauen. Diesmal bin ich rechtzeitig vom Rad gestiegen und konnte die Ausfahrt unter Genuss verbuchen. Ein wichtiger Tag für mich, denn es werden auch wieder andere Tage kommen, Tage des Trainings und Tage wo es mir nicht so gut geht.

So aber kenne ich jetzt das gute Gefühl, welches ich mit Leichtigkeit verbinde. Ich darf mich nur nicht beirren lassen, es wieder zu spüren. An Tagen wo ich Radfahren gehe, darf ich umso mehr meiner Eigenwahrnehmung vertrauen und lerne jedes Mal, mehr zu spüren. Wann ist es Genuss oder wann darf ich wie weit gehen, im Krafttraining.

Der Hirnabszess und dessen Folgen sind mit Abstand mein längstens und wichtigstes Rennen im Leben,vorher war alles nur die Kür.

Da fällt mir nur mehr ein Spruch im geplanten Vespa-Film ein:

"Let´s keep it rolling"


Das Altstadt-Kriterium Graz ist zurück - mein Gamechanger!

Das Altstadt-Kriterium Graz ist am 26.Juli, nach vielen Jahren der Abwesenheit, wieder zurück. Aus heutiger Sicht kann ich sagen, dieses Rennen hat 1992 mein Leben nachhaltig verändert. Die Erlebnisse rund um das Rennen waren einer der Gründe, wenn nicht sogar der Hauptgrund, für meinen Wechsel vom Straßenradrennsport zum MTB-Extremsport.

Das Kriterium in Graz war damals eine der wenigen Möglichkeiten als Amateur gegen Profis zu fahren. Außerdem bot es die Möglichkeit, die Mannschaft, die Sponsoren und sich selbst in der Heimatstadt zu präsentieren. Die Wiederbelebung dieses Rennens dient mir dazu, das damals erlebte für mich jetzt nach dem Hirnabszess aufzuarbeiten, zu verstehen und wie ich den Weg zum Mountainbike fand.

Seit dem Hirnabszess ist Aufarbeiten ein wichtiges Thema für mich. Die Gründe, weswegen ich Extremsportler wurde, weiß kaum jemand.

Altstadt-Kriterium Graz 1990
Vorne Guiseppe Saronni, Mitte Stephen Hodge, hinten Jörg Krasser

1992, ein wichtiges Jahr für meine Laufbahn

Ich arbeitete damals noch bei der Post als Beamter. Also eigentlich, denn 1992 nahm ich über den Sommer hinweg mehrere Monate unbezahlten Urlaub, um mich ganz dem Radrennsport widmen zu können. Keine lästigen Urlaubsansuchen, um an Rundfahrten teilnehmen zu können, 24 Stunden am Tag trainieren, um besser zu werden und genug Zeit für Erholung zu haben.

Das waren Vorteile, die unbezahlbar waren und sich auch in Ergebnissen niederschlugen. Allerdings waren auch Vorkommnisse dabei, die mich oft am Wert dieser Ergebnisse zweifeln ließen. Das Altstadt-Kriterium war dann die Spitze des Eisberges. Nach einem weiteren Jahr auf der Straße wechselte ich dann aufs Mountainbike endgültig um.

Zeitfahren Thörl, Sieg vor Strecko Glivar aus Slowenien
Sieg!

Das Jahr begann mit dem Frühjahrsklassiker Wien-Eisenstadt-Wien

Dieses Rennen war der größte Klassiker Österreichs im Frühjahr, zur damaligen Zeit. Die Wetterbedingungen machen dieses Rennen besonders schwer, es gab immer starken Gegen- und Seitenwind und in diesem Jahr ganz besonders.

Regen, Kälte und Wind, manchmal so stark, dass ich mit der kleinen Scheibe im Flachen gegen den Wind ankämpfte, machten es 1992 wirklich schwer. 500 Meter vor dem Ziel war ich auf Siegeskurs, allerdings streikte dann meine Gangschaltung am Ende des Schlussanstieges und ich konnte nicht mehr hinunter schalten.

Die letzten flachen Meter ins Ziel strampelte ich bei starkem Rückenwind mit nur 53:17. Wenige Meter vor dem Ziel überholten mich noch einige Fahrer und so belegte ich nur den für mich enttäuschenden 5. Rang.

Sportmedizinischer Leistungstest
Sportmedizinischer Leistungstest

Die Form passt

Damit wusste ich zumindest, dass meine Form passte und mehrere gute Ergebnisse in den nächsten Wochen bestätigten das. Wenige Wochen vor der Österreich-Rundfahrt kam der Nationalteam-Trainer zu mir und sagte, ich solle die nächsten Wochen auf mich aufpassen, nur mehr gut trainieren, nicht mehr um Platzierungen zu kämpfen, denn er plante mich fix für eines der drei Nationalteams ein.

Dort dabei sein zu dürfen, dafür arbeitete ich seit Jahren. Ein Traum ging in Erfüllung.

Die nächste Episode passierte mir bei einem gut besetztem Rennen. Obwohl nicht vorgesehen, passierte es trotzdem, dass ich in der 20 Mann Spitzengruppe landete, die vereint zum Zielsprint antrat. Ich wurde Siebenter, schien aber nicht in der Wertung auf. Erst nach Reklamation und dem Studium der Zielkamera wurde ich doch noch nachträglich an die erreichte Stelle gesetzt.

Damals kam eine erste Unzufriedenheit damit auf, von so vielen äußeren Umständen abhängig zu sein, um gute Ergebnisse erreichen zu können. Straßenrennfahren war ein Teamsport und es braucht viele Dinge, um vorn dabei zu sein, aber zum wiederholten Mal übersehen zu werden oder von Funktionären abhängig zu sein, war mir zuwider.

Steiermark Rundfahrt
Steiermark Rundfahrt

Und es kommt anders, wie man glaubt.

14 Tage vor der Österreich-Rundfahrt war ich in einen Massensturz verwickelt, dessen Verletzungen mich eine Woche nicht trainieren ließen und mich weit zurückwarfen. Die Österreich-Rundfahrt war für mich damit gestorben.

Die Luft war draußen, denn mein größtes Saisonziel hatte ich damit nicht erreicht. Aber noch war ich freigestellt von der Arbeit als Postbeamter und so versuchte ich mich erneut für die restliche Zeit zu motivieren und gut zu trainieren. Eine Eigenschaft, die mir heute, nach dem Hirnabszess, zugute kommt. Nicht aufgeben, niemals und unter keinen Umständen.

Altstadt-Kriterium Graz 1992

Zwei Tage nach der Tour de France fand das Altstadt-Kriterium statt. Die Profi-Stars waren Sean Kelly, Acasio da Silva, Harry Maier und dazu kam noch die heimische Elite.

Altstadt-Kriterium Graz,
Fluchtversuch mit Harry Maier
Fluchtversuch mit Harry Maier

Eine nasse Straße am Anfang war nicht einfach, kam mir aber entgegen. Schon bei den ersten Wertungen konnte ich punkten und ich hielt mich immer in den vordersten Positionen auf. Es gab ein gutes Gefühl, gegen Weltklassesprinter wie Sean Kelly fahren zu können.

Dazu war die Stimmung wie nirgendwo sonst in Österreich und die 30.000 Zuschauer waren Weltklasse. Riesiger Jubel begleitete uns rund um die Strecke und besonders die Kopfsteinpflasterpassage die Bürgergasse hoch, verursachte Gänsehaut.

Allerdings machte ich die Rechnung ohne den Wirt. Ich hatte am Ende sechs Punkte erreicht, was für einen Platz, unter den ersten zehn normalerweise locker gereicht hätte. Mein Name wurde aber nicht zur Siegerehrung aufgerufen. Ok, dachte ich, dann hat es eben nicht für die ersten zehn gereicht, war mein erster Gedanke. Mein Präsident des Radklubs und der sportliche Leiter hatten keinen Überblick und so fuhr ich am Abend nach Hause.

Am nächsten Tag schlug ich die Zeitung auf und sah, dass ich hinter Roland Königshofer, dem besten Amateur, den sechsten Rang belegt hätte, aber nicht aufschien. Der folgende Anruf beim Veranstalter brachte hervor, dass mich ein Rennkommissar mit einer Runde Rückstand führte, die ich aber nie hatte. Ich kann es mir nur so erklären, dass ich mit einem meiner Teamkollegen verwechselt wurde. Ich war bitter enttäuscht, denn wieder einmal wurde ich nicht belohnt.

Dass so ein Fehler beim Heimrennen, vor 30.000 Zusehern, möglich ist, war mir unverständlich. Ich verzichtete auf jeden Protest, es war sowieso schon zu spät. Betroffen entschloss ich mich, noch in derselben Woche einen Flug nach Australien zu buchen, um an der Australien Bike Challenge im September teilzunehmen, welche die erste West-Ost Durchquerung per Rad von Australien werden sollte. Es war mein Einstieg ins Abenteuerradrennen, von dem ich nicht mehr Los kommen sollte.

Mit Rudi Stangl in Australien
Mit Rudi Stangl in Australien

Gamechanger

Ich hängte zwar noch eine Straßensaison 1993 an, aber dieser Ausflug nach Australien sollte mein Leben verändern. Dort lernte ich den Amerikaner John Stamstad kennen, der mir von einer Reihe toller Rennen in den USA erzählte, darunter auch das Iditasport Race in Alaska. Dieses Rennen sollte mein Leben nachhaltig verändern.

Iditasport Bike in Alaska
Idita Bike in Alaska

Bei diesem Rennen war ich alleine verantwortlich, was das, was ich werde. Keine Betreuer oder Funktionäre, ich alleine hatte es in der Hand etwas zu werden oder eben auch nicht. Das zu managen, wurde meine neue Aufgabe, in deren Folge ich auch meinen Beamtenjob an den berühmten Nagel hängen sollte.

Iditasport Race in Alaska 1995

Dreimal die Crocodile Trophy, die Kenia Sport Safari und natürlich das Iditasport Race, dass ich 1997 exequo mit Harry Maier gewinnen konnte waren, waren die Folge.


Alle 📸 vom Altstadt-Kriterium in Graz ©Klaus Krasser


Gehen in der Natur, mein wichtigster Aspekt für die Genesung nach dem Hirnabszess!

Gehen in der Natur ist Leben, dazwischen steht Üben, Therapie und Training, das zwar auch dazugehört, ich aber nicht unbedingt zum Leben dazuzählen möchte. Ich muss dazusagen, dass ich jetzt im siebenten Jahr nach dem Hirnabszess stehe.

Die Therapie an der Propriozeption ist etwas, was ich nicht an einem Tag erlernen kann und bei mir sowieso einer ständigen Veränderung unterworfen ist. Es geht darum hineinzuspüren, wie es mir aktuell geht und dann daran trainieren. Gewisse Dinge lassen sich allerdings auch nicht mehr herstellen, wie manches am Nervensystem.

Deshalb komme ich auch vom Reha-Gedanken nicht los. Von Anfang an in der Reha, in der Physiotherapie, Ergotherapie oder im therapeutischen Tanzen, hat sich der Reha/Therapie-Gedanke festgesetzt und ist nach wie vor in mir präsent. Dranbleiben ist wichtig und dafür muss ich meine Motivation fürs Training und Üben hochhalten, auch wenn ich einmal nicht möchte. 

Gehen in der Natur, Propriozeption trainieren
Propriozeption trainieren

Gehen in der Natur

Zu Hause ist noch zu viel im Gedanken der Therapie, etwas verbessern zu wollen oder wenigstens behalten zu können. Das Leben tritt dabei in den Hintergrund. Leben und Therapie passen noch nicht zusammen, denn mein Leben ist von Therapie bestimmt.

Besonders die Corona-Pandemie mit ihren Maßnahmen hat mich sehr aufgehalten wieder ins Leben zu kommen. Daher war der Camino Frances eine willkommene Abwechslung zum täglichen Training zu Hause. Die täglich vielen Stunden Gehen in der Natur taten mir gut. Allerdings zeigte der Weg mir auch alles gnadenlos auf, was nicht passte.

Gehen in der Natur, am Camino
Schnee am Camino Frances

Seit dem Camino arbeite ich konzentriert an allem. Durch die vielen Einschränkungen in der Pandemie habe ich mich seit zwei Jahren immer mehr zum Gehen in die Natur zurückgezogen. Vieles schon gelernte, ist jetzt wieder neu zu erfahren. Doch dieses "neue" kann auch abschrecken, es kostet mir oft zu viel Energie. Dann heißt es ruhig bleiben und weitermachen, wie ich eben schon vor drei Jahren an mir arbeitete.

Oft bleibe ich dafür lieber im Wald, der mir Ruhe gibt, um wieder Energie fürs Weitermachen zu haben.

Gerade die Propriozeption litt unter Corona

Es sind so viele Bereiche zum Trainieren, dass ich nur langsam vorwärtskomme und die Propriozeption ist dabei eine der wichtigsten. Unterteilen kann ich sie in die Empfindungsnerven, in Nerven, welche die Muskeln steuern und Nerven, die die Organe steuern.

Jeder einzelne Bereich gehört trainiert und therapiert, um meine Wahrnehmung und die Bewegung zu verbessern. Beim Gehen merke ich es sofort, wie ich drauf bin. Höre ich auf an etwas zu trainieren oder gibt es eine zu lange Unterbrechung, bildet sich alles immer wieder schnell zurück.

Daher waren die Einschränkungen in der Pandemie wenig hilfreich, da ich nicht alles kompensieren konnte. Ich tat zwar, was ich konnte, aber in Summe war der Rückschritt zu groß. 

Gleichgewicht trainieren, Vorbereitung für das Gehen in der Natur
Gleichgewicht trainieren

Aber nun zu den einzelnen Punkten der Propriozeption, wie es derzeit um mich steht:

Empfindungsnerven

Besonders die Hände fühlen sich pelzig an und das Gefühl ist mal besser oder schlechter. Besonders das Gefühl über die Stellung von Muskeln und Sehnen ging verloren. Durch die wenigen Informationen über die momentane Körperhaltung entsteht eine Gang-Unsicherheit. Nur durch die endlosen Wiederholungen im Gehen, besonders beim Pilgern, kann ich mittlerweile recht sicher gehen. Dranbleiben heißt aber das Zauberwort, denn es bildet sich immer recht schnell zurück und Unsicherheit ist dann die Folge. 

Enge Gehsteige neben einer befahrenen Straße erfordern dann noch mehr Aufmerksamkeit als sonst. Sicherheit gibt mir dann das entlang gleiten mit einem Finger am Zaun oder einer Mauer neben mir. Damit kann ich Entfernungen besser abschätzen und bleibe stabiler.

Bei der Temperatur muss ich noch besonders aufpassen. Das Wärme- und Kälte-Empfinden hat sich zwar gebessert, ist aber noch immer gestört. Ich kann oft nicht richtig abschätzen, wie starker Sonnenschein oder Kälte schnell zu Sonnenbrand oder Erfrierungen führen kann. Die Nerven senden falsche oder gar keine Reize an das Gehirn. Die Folge können ein Schweregefühl, ein Kältegefühl, Missempfindungen oder ein verändertes Schmerzgefühl sein.

Eine Schwierigkeit ist es, das immer richtig einordnen zu können. Da hat mir das therapeutische Tanzen beim Üben der Eigenwahrnehmung sehr geholfen. Damit lerne ich immer besser, alle Empfindungen besser einordnen zu können. Diese mittlerweile immer bessere Wahrnehmung meiner selbst hilft mir über die fehlende Wahrnehmung im Außen hinweg.

An Brücken oder ausgesetzten Stellen muss ich nach wie vor aufpassen, es geht aber schon viel besser. Klettern in der Waagrechten, einen Schritt die Wand hoch, geht schon. Senkrecht die Wand hoch, funktioniert noch nicht. Schwindel haltet mich noch davon ab.

Klettern, die Propriozeption trainieren

Motorische Nerven (Muskeln)

Notwendige Impulse werden nicht richtig oder gar nicht an Muskeln weitergeleitet. Das bekomme ich besonders beim Bergauf gehen zu spüren oder wo ich Kraft brauche. Außerdem spüre ich die Halbseitenlähmung wieder stärker, besonders am rechten Fuß. Besonderes Augenmerk lege ich deshalb darauf, beide Beine gleich zu belasten oder im Fitnessstudio das Richtige zu trainieren.

Ich bekomme sonst immer wieder Kreuzschmerzen durch die ungleiche Belastung, besonders beim Tragen vom Rucksack. Wenn ich nicht darauf achte, kann es zu schmerzhaften Überreaktionen kommen.

Daher ist auch sechs Jahre nach dem Hirnabszess noch Therapie notwendig, die ich aber größtenteils in Eigenregie durchführe, denn genug Übungen kenne ich von vergangenen Physiotherapien. Mein Tagesablauf ist geprägt von so vielen verschiedenen Dingen, auf die ich achten möchte und die notwendig sind. Mein Leben gleicht einem Spitzensportler, der auf so viele Sachen achten muss, um Leistung erbringen zu können.

Der Unterschied zu mir ist, ich möchte nur wieder leben oder überleben können. Deshalb bezeichne ich diese Zeit auch als "das längste Rennen, dass ich je gefahren bin".

24 Stunden am Tag sind dazu da, um besser zu werden. Mindestens 10 Stunden dauert die Nachtruhe, nur dann habe ich genug Energie für den Tag. Seit einem Monat verwende ich eine Uhr, die viele Parameter aufzeichnet. Es ist ein recht genaues Abbild meines Zustandes und zeigt mir, dass ich mit meinem Gefühl richtig liege. Ich werde demnächst einen eigenen Artikel darüber schreiben, was mir die Uhr sagt, zeigt und wie ich sie benutze.

Gehen in der Natur, Kontrolle mit Uhr

Das autonome Nervensystem (Organe)

Hier kann es zu unterschiedlichsten Folgen kommen, je nachdem, welches Organ betroffen ist. Meine Haut ist sehr trocken und außerdem sehr dünn. Das macht sich schnell in Verletzungen bemerkbar. Kleine Rempler erzeugen oft blaue Flecken.

Die Blendempfindlichkeit ist mal besser, mal schlechter und Sonnenbrille ist sowieso Pflicht bei mir, wegen der Gefahr von epileptischen Anfällen, die oft mit einem Hirnabszess einhergehen. Ich bin zwar lichtempfindlicher und habe Aura-Wahrnehmungen, aber keine der allgemein bekannten epileptischen Anfälle, wo man mit Zuckungen am Boden liegt.

Meinen schnellen Herzschlag, der nach dem Hirnabszess selbst in Ruhe über 80 betrug, konnte ich durch Ausdauertraining senken. Das dauerte aber dreieinhalb Jahre. Derzeit liegt mein Ruhepuls bei etwa 55. Als Radrennfahrer lag er bei etwa 38. Alleine das Aufstehen von einem Sessel brachte meinen Puls auf 130, der bis heute auf 100 gefallen ist. 

Gehen, Gehen, Gehen 

Das viele Gehen brachte mir also in allen Bereichen etwas. Wichtig ist das kontinuierliche Gehen bei mir und da waren meine Pilgerwege in Spanien und andere Fernwanderungen das Beste dafür. Natürlich spielen noch viele andere Aspekte eine Rolle, aber Gehen ist für mich die wichtigste Basis geworden. Zu Hause fühle ich mich im Wald am wohlsten.

Kein Jahr war bisher gleich und ich bin manchmal von mir selbst überrascht, wie ich meine Motivation seit so vielen Jahren hochhalten kann. Dieses Jahr ist allerdings erstmalig kein so leichtes für mich, denn es waren erstmals Rückschritte. Besonders mental muss ich es verkraften, dass mir die Pandemie doch mehr zu schaffen machte, als ich dachte.

Auf Kinderspielplätzen werde ich oft daran erinnert, wenn ich das Himmel-Höllenspiel sehe, wo ich stehe. Im Moment ist das Leben wieder weiter fort gerückt, als es schon war. Wieder Leben zu lernen, ist mein vorrangiges Ziel geworden. Dafür arbeite ich an mir. Wieder einmal ins Kino gehen zu können oder am Abend genussvoll Essen gehen zu können, davon kann ich derzeit nur träumen.

Himmel und Hölle Spiel
Himmel und Hölle, wo stehe ich?

Ich bin mir noch nicht wirklich darüber klar geworden, welcher Weg dorthin führen kann. Zunächst heißt es aber einfach weitermachen, dort, wo ich vor der Pandemie aufgehört habe.

"Man muss das Leben gut studieren, und jeden Tag von Neuem ausprobieren."

Da gilt besonders für mich.

Fließende Lebensenergie, hängt mit "innerlich frei sein" zusammen!

Die Lebensenergie muss fließen, damit man gesund sein kann. Seit dem Hirnabszess bin ich dran, diesen Fluss wieder herzustellen, der damals massiv unterbrochen wurde.

Meine Rehabilitation besteht noch immer aus zahlreichen Therapien, einen besonderen Stellenwert nimmt dabei die Natur ein. Hier kann ich meine Lebensenergie am besten spüren und wiederherstellen.

Lebensenergie in der Natur

Lebensenergie

Als Lebensenergie wird definiert, unter den vorgefundenen Lebensbedingungen zu gedeihen und zu überleben. Für mich heißt es, mit meinen Handicaps leben zu lernen, in der Umwelt, die mir zur Verfügung steht.

Der Hirnabszess und die Folgen davon, hatten Verspannungen im gesamten Körper zur Folge, unter denen die Lebensenergie nicht mehr frei durch mein System fließen konnte.

Eine grundlegende Frage dabei ist: Worauf richte ich meinen Focus in der Aufmerksamkeit?

Dieser Focus war früher auf Tun, etwas Leisten müssen und etwas zu Erreichen, gerichtet. Der Druck, die Familie zu ernähren, die Steuern und die Miete zu bezahlen, lässt einen oft die falsche Abbiegung nehmen und ehe man sich versieht, ist man im Hamsterrad.

Seit dem Hirnabszess ist mein Focus auf die Lebensenergie gerichtet, also auf Freiheit, Sein, Geschehen-Lassen, Liebe und Genießen. Das Nervensystem folgt der Aufmerksamkeit und der äußeren Ausrichtung. Deswegen sollte man sich immer darüber bewusst sein, wo liegt die Aufmerksamkeit.

Hirnabszess und Lebensenergie

Mit dem Hirnabszess habe ich mich an den Fast-Endpunkt meiner Lebensenergie begeben. Vor sechs Jahren stand ich praktisch bei fast Null. Allerdings war mein Lebenswille so groß, dass ich noch einmal die Kurve gekratzt habe. Mit jedem einzelnen Atemzug hole ich mir Lebensenergie zurück, bis heute.

Die Lebensenergie zurückzubekommen, kann auf verschiedene Art erfolgen. Meine liebste ist der Aufenthalt in der Natur, zwischen Bäumen, im Wald, auf Bergen oder an Flüssen. Deshalb gehe ich auch so oft Pilgern oder unternehme Fernwanderungen.

Daraus gehe ich jedes Mal gestärkt hervor, erhalte mehr Lebensenergie und kann mich physisch und psychisch stärken. Trotzdem sind die Fortschritte oftmals sehr klein und nicht sofort bemerkbar.

Den Kontakt zum Körper wieder herstellen, lerne ich sehr gut beim therapeutischen Tanzen. Dafür ist es wichtig, im Moment zu bleiben, die Anspannung spüren und sie auch benennen zu können. Das hilft mir sehr. Die Abwechslung zwischen Tun und Nichts-Tun gehört dabei dazu.

Die ersten drei Jahre war kaum ein Unterschied zu spüren, innerlich ging die Aktivität ständig weiter und hielt den Körper unter Anspannung. Erst seit dem Camino Norte 2019 und danach, mit dem Beginn des therapeutischen Tanzen, konnte ich mein System immer mehr beruhigen und diese ständige Anspannung lösen.

Lebensenergie am Camino Norte 2019
Camino Norte 2019

Innerlich frei sein

Innerlich frei sein, ist wohl unser aller Ziel. Schade ist nur, dass ich den Hirnabszess brauchte, um es zu erreichen. Denn dieses innerlich frei sein, hätte ich vorher auch haben können. Aber der Mensch bekommt so lange Lernaufgaben, bis er es lernt oder eben auch nicht.

Am besten ging es mir damit beim Walkabout durch Österreich, dort fühlte ich mich frei, wie noch nie zuvor. Es war ein jahrelanges Annähern, um diesen Zustand zu erreichen. Noch aber bin ich schwankend, gerade die Pandemie hat erneut alles gehörig durcheinander gewürfelt.

Am Walkabout gehen lernen, Lebensenergie pur

Die Natur hat einen großen Anteil in den letzten Monaten und über den Winter in meiner Rehabilitation gehabt, wo ich trotzdem erstmals seit Jahren Rückschläge hinnehmen musste. Diese Rückschläge entpuppen sich aber immer wieder als Fortschritt, wenn ich es auch nicht immer sofort erkennen kann.

Freiheit ist mir ein wichtiges Gut, wenn nicht das Höchste. Gerade die Pandemie brachte viel Unfreiheit, in der es wichtig wurde, im Inneren freizuwerden.

Am Camino France im April, wurde es mir wieder einmal mehr bewusst, wie sehr mir die Freiheit wichtig ist. Und es ist nicht die Freiheit im Außen gemeint, erst mit der Freiheit im Inneren kann die Lebensenergie richtig zirkulieren. Ein großer Schritt ist schon gemacht, aber ich habe noch viele Schritte vor mir. Schritt für Schritt, und wenn sie noch so klein sind, komme ich meinem Ziel wieder zu leben näher.

Die Lebensenergie finde ich immer wieder in der Natur und in den kleinen Dingen, die sie bietet. Ob Blumen, Pflanzen, Insekten oder Vögel, alles gibt mir Energie und Lebensfreude. Darauf kann ich aufbauen, diese Lebensenergie so oft wie möglich zu fühlen.

Hirn-Tumor-Welttag am 8.Juni

Heute ist Hirn-Tumor-Welttag. Er wird abgehalten, um darauf aufmerksam zu machen, dass diese Erkrankung oft nicht erkannt wird. Auch mein Hirnabszess hat schon über ein Jahr vorher begonnen, ohne dass ich was spürte.

Hirntumor Tag am 8.Juni

Von einem auf den anderen Tag brach es aus und streckte mich nieder. Die graue Schleife gilt als Symbol und wurde in Anlehnung an die rote Schleife (HIV) entwickelt. Ein Hirntumor hat keine typischen Warnzeichen und bleibt oft für lange Zeit unentdeckt. Vom Schicksal sind auch die Familie und das Umfeld massiv betroffen, denn es endet oft als Pflegefall. Das ist für viele eine enorme Belastung, nicht nur für den Betroffenen.

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass Hilfe meistens aus Selbsthilfe besteht und es in der Nachversorgung meistens kaum Unterstützung gibt. Man ist auf Eigeninitiative angewiesen. Auch bin ich noch oft auf die Hilfe anderer angewiesen, was durch die Pandemie sehr erschwert wurde.

Es zählt: #nevergiveup


Rein ins Leben oder worauf wartest du?

"Zurück ins Leben" oder "Rein ins Leben"? Am Camino hatte ich dieses Jahr eine Begegnung, die mich oft zum Nachdenken brachte. Es ging um, "Rein ins Leben" und nicht "Zurück ins Leben".

Allerdings bin ich noch immer recht stark im Gedanken der Therapie verhaftet. Denn tue ich nichts oder weniger spezielles gegen meine Defizite, falle ich sofort im gesamten Bereich zurück. Therapie und Training bleiben also auch weiterhin in meinem Leben.

Trotz Therapie-Gedanken, "REIN ins Leben"!

Es ist, wie schon so oft in den letzten Jahren, eine reine Ansichtssache. Diese Ansicht verändert allerdings viel. REIN oder ZURÜCK ist ein großen Unterschied. Was ist aber der Unterschied?

Das hier niederzuschreiben ist "Therapie", weil ich so alles leichter verarbeiten kann, trotz der Schwierigkeiten mit dem Schreiben. Nachdenken über etwas, ist ebenfalls noch schwierig und endet oft nur mit den sich im Gehirn ewig kreisenden Fragen und keiner Möglichkeit, eine Antwort darauf zu finden. Daher spüre ich zunächst einmal im Körper, wie sich Rein und Zurück anfühlt.

Nun, es fühlt sich anders an, ob ich REIN oder ZURÜCK spüre. "Rein ins Leben" hat etwas Leichtes, fühlt sich gut an und hat etwas nach vorne gerichtetes. Es fühlt sich nach mehr Leichtigkeit an.

Bei ZURÜCK habe ich dagegen immer das Gefühl, ich muss mich umdrehen und es hat etwas Verrenkendes und Mühsameres. Da zeigt es sich wieder, wie wichtig die richtige Wortwahl sein kann. Denn gedachte Worte erzeugen eine Emotion, die wiederum Gefühle erzeugen und diese Gefühle sind körperlich spürbar.

Auf lange Sicht hatten gedachte Worte auch zur Entstehung des Hirnabszess ihren Teil und aus diesem Grund ist das, "wie denke ich über mich", so wichtig. Das bekomme ich immer wieder zum Spüren. Daher ist der Zustand des "Glücklich sein" sehr entscheidend. Bin ich glücklich, habe ich keine schlechten Emotionen, die wiederum oft krankmachende Gefühle auslösen.

REIN ins Leben hat eine besondere Kraft. Kommt eine negative Stimmung in mir auf, brauche ich mir nur "Rein ins Leben" vorsagen oder denken und schon kommt eine positive Kraft und Stimmung auf.

An Menschen muss ich mich erst gewöhnen, daher "Rein ins Leben"
An Menschen muss ich mich erst gewöhnen

ZURÜCK ins Leben

Das war lange mein Leitspruch, der sich mittlerweile allerdings überholt hat. "Zurück" würde heute bedeuten, zurück in mein altes Leben zu wollen. Das möchte ich aber gar nicht, denn würde ich das wirklich wollen, bekäme ich Probleme. Meine Nervenschädigungen sind so stark, dass ich gar nicht ins alte Leben zurückkann. Es hatte lange seine Berechtigung, aber jetzt zählt nicht mehr "zurück", sondern "rein".

Zurück würde bedeuten, dass ich wieder das kann, was ich machte. Der Hirnabszess hatte aber die Aufgabe, dass ich meinem Leben eine Kehrtwendung geben sollte und neu anfangen. Das habe ich getan, aber natürlich kommen immer wieder Gedanken hoch, die etwas vom Alten wieder zurückmöchten.

Besonders anfangs hatte ich von der Sozialversicherung den Druck, wieder als Videojournalist zu arbeiten oder zumindest in Teilbereichen, als Cutter oder so. Das setzte mich unter Druck, wieder etwas zu können, was nicht mehr war und bis heute nicht mehr ist.

Ein solches "zurück" hat mein Gehirn nicht zugelassen. Ich brauchte selber lange, um das zu realisieren. Noch immer bin ich auf meinem neuen Weg, alles in geordnete Bahnen zubringen, es gibt aber kein "zurück" mehr. Es heißt, mit meinen Defiziten zu leben und sie in mein Leben zu integrieren. Die Folgen des Hirnabszess werden mich noch länger begleiten.

Hirnabszess am Thalamus, weit weg vom Rein ins Leben
Hirnabszess

Zitate und Sprüche

Verschiedene Zitate und Sätze sind mir dazu in die Hände gefallen, von denen ich oft nicht mehr weiß, wo sie herstammen:

"Wir alle geraten von Zeit zu Zeit mal ins Stocken.Wir alle machen gelegentlich ein paar Schritte zurück.Jeden Tag müssen wir uns aufs Neue entscheiden, uns auf unser Ziel zuzubewegen. Wirklich leben geht nur nach vorne."

Cheryl Strayed

Leben ist Rhythmus. Alles Leben ist Tanz.

Das Gefühl des Glücks lebt in der Seele.

Just walk, rein ins Leben
Just walk ...und rein ins Leben!

Am Camino France einen glücklichen Abend verbracht

Es war der Abend in Granon, wo ich in einer Kirche übernachtete. Am Abend saßen alle Pilger zusammen mit den Herbergsleitern und jeder konnte etwas von sich erzählen. Der zum Sprechen dran war, bekam eine Kerze in die Hand und so war im sonst dunklen Raum nur das Gesicht des Sprechenden von der flackernden Kerze beleuchtet.

Es war ein besonderer Abend, an einem besonderen Ort. Ich lauschte den Erzählungen der anderen und sagte selber auch etwas. Ich fühlte mich inmitten des Lebens. Solch ein Gefühl hatte ich vorher noch nie gehabt. Schon davor saß ich beim Ofen, in einer tollen Atmosphäre und in mir breitete sich Frieden aus.

An diesem Abend wusste ich, ich bin zurück im Leben, aber nicht im alten, sondern in meinem neuen Leben. In der Früh, am nächsten Tag, war alles voller Schnee. Trotz niedriger Temperaturen und nassem Weg war ich glücklich. Ich lächelte still in mich hinein und stapfte los. Eine wunderschöne Lichtstimmung am Morgen mit Schnee brachte mich in eine dankvolle, freudige Stimmung.

Morgenstimmung, "Rein ins Leben"
Morgenstimmung, "Rein ins Leben"

Im Nachhinein gesehen, kam dieser Tag genau zur richtige Zeit. Seit über zwei Jahren war ich nicht mehr mit so vielen Menschen zusammen gesessen und wieder einmal war es der Camino, der mir das Leben näher brachte. Es sollte zwar noch viel auf diesem Camino passieren, aber diesen Abend konnte mir keiner mehr nehmen und diese positive Stimmung nahm ich mit heim.

"Rein ins Leben!", es wartet auf mich. Mit allen Handicaps und Macken, die ich habe. Es bleibt wieder ein langsames Herantasten!


Hochsensibilität im Alltag und beim Wandern - Fluch und Seegen zugleich!

Hochsensibilität kann ein Fluch und Seegen sein. Der Hirnabszess hat es dahin verändert, dass alle Filter im Gehirn geöffnet wurden, die uns normalerweise vor diesem zu viel an Eindrücken schützen. Der Hirnabszess hat bei mir alle Filter entfernt und ich versuche jetzt seit sechs Jahren, das wieder in den Griff zu bekommen. Dieses zu viel an Empathie, aber auch die Wahrnehmung im Außen, muss ich erst einmal in den Griff bekommen.

Ich war schon früher hochempfindlich, hatte es allerdings im Griff und konnte es als Energetiker gut handhaben. Das hat sich verändert, denn ich habe alles neu zu lernen, neu zu bewerten und vor allem, damit umgehen zu lernen.

Mit Hochsensibilität im Kesselfall

Hochsensibilität, was ist das?

Sensible Menschen sind emphatisch und können extrem auf die Emotionen und Energien anderer reagieren. Sie nehmen diese Emotionen anderer schnell auf und werden als ihre eigenen empfunden. Sie sind hoch intuitiv und spüren weit über oberflächlicher Eindrücke, gegenüber Menschen und Situationen. Deshalb arbeiten sie auch oft in Heilberufen, weil sie die Bedürfnisse, Emotionen und Feinheiten spüren, die andere nicht wahrnehmen können. Das ist einerseits eine erhöhte Empathie im Inneren, andererseits die Wahrnehmung im Außen, zum Beispiel auf Brücken oder an Abgründen.

Wir registrieren alles feiner, wie den Anflug eines Stirnrunzeln oder eines Lächelns wahr und durch die Gesamtheit aller Wahrnehmungen, können wir fühlen, was ein anderer Mensch empfinden könnte. Es aktiviert die gleichen Regionen im Gehirn, wie das anderer, die für das Ausführen der Tätigkeit im Gehirn aktiviert werden. Ein kleiner Teil hat auch das Phänomen, dass sie an sich fühlen können, wenn sie sehen, wie der Körper eines anderen berührt wird.

Wir können in feinsten Nuancen den Ansatz von Eifersucht oder Neid in der Stimme spüren, den Ton von Freude oder Ärger, trotz augenscheinlich zurückhaltender Worte. Wir merken sofort, wenn jemand lügt. Das ist oft nicht leicht auszuhalten oder zu verstehen, denn vieles ist einem selbst nicht klar. Sich selbst wieder vertrauen zu können, ist Angesicht dieser vielen Eindrücke oft nicht leicht.

Hochsensible haben ein überempfindliches Nervensystem, mit dem sie mehr als die meisten anderen, alles rund um sich wahrnehmen. Deswegen spreche ich oft darüber, meine Wahrnehmung verbessern zu wollen. Eigentlich meine ich damit, es so weit kontrollieren zu können, dass ich einigermaßen ohne Stress mit mehreren Menschen zusammen kommen kann oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sein kann. Das reicht mir derzeit schon.

Als Hochsensibler muss ich mich in einer Welt zurechtfinden, die meine Erfahrungen oft ablehnt und sich gleichzeitig auf mich verlassen kann. Ich habe zu lernen, auf diese meine Kraft zuzugreifen und meiner inneren Führung zu vertrauen. Vertrauen auf mein feinsinniges Spüren von Energien, den Veränderungen in der Mimik, im Tonfall und der Körpersprache und wie das im Gegensatz zu dem steht, wie er spricht. Das fällt mir im Sekundenbruchteil auf und stimmt eigentlich immer. Vertrauen finden, ist ein wichtiger Punkt.

Aus diesem Grund stelle ich meine Gefühle und Emotionen, die durch den Abszess gestört wurden, meistens auf null. Es gibt praktisch nur 100 % Emotionen oder gar keine, ohne Zwischenschritte und da sind gar keine die oft bessere Wahl. In den letzten Jahren habe ich viel dazu gelernt, aber oft fühle ich mich noch wie am Anfang. Emotionen und Gefühle in Stufen wieder zulassen zu können, das ist meine Aufgabe, die mir viel abverlangt.

Dazu kommt die Propriozeption, also zu wissen, wo der Körper endet. Über Gitter zu gehen, mit darunter tiefliegenden Boden, kann mein feinsinniges Gehirn nicht einordnen und lässt mich wo festklammern. Ich habe das Gefühl, jederzeit abzustürzen.

Nervensystem und Hochsensibilität

Hochsensibilität im Alltag

Es ist für mich wichtig, mich im Alltag bewegen zu können, auch wenn es stresst. Ob Einkaufen, durch die Stadt schlendern oder Besorgungen erledigen, das kostet mir viel Energie, dass mich schnell in ein Verhalten der Vermeidung fallen lässt und ich es dann oft nicht mache.

Was viele nicht verstehen, ich kann stundenlang durch die Natur spazieren, aber einmal einkaufen gehen, kann den Tag für mich beenden. Das ist schon für mich schwer zu verstehen, wie soll das dann jemand anderer verstehen. Solche Dinge im Alltag belasten mich am meisten, da sie oft erledigt werden müssen und ich nicht die Wahl habe, zwischen soll und muss.

Der Heilung kommt das allerdings meist nicht zugute. Daher muss ich oft zwischen Therapie oder Alltag im Gehirn entscheiden. Wobei auch der Alltag Therapie sein kann, aber das funktioniert nicht immer. Meistens geht es dann einfach nur ums, übertrieben gesagt, "überleben". Ein Abbruch ist oft nicht möglich.

Wenn es dann doch mal zu viel wird, breche ich ab oder gehe es langsamer an oder ich vermeide es eben. Was anderes ist es, wenn es erledigt gehört. Dann gehe ich auch über die Grenze, im Wissen, dass es das dann war und ich so erschöpft bin, dass nichts mehr geht.

2019 lernte ich mit der Ergotherapeutin Einkaufen gehen. Drei verschiedene Dinge sollte ich mir merken und sie aus dem Kaufhaus holen. Die dreißig Meter zum Eingang hin, hatte ich das Erste vergessen, beim Eingang das Zweite und mit oft nur einem, kam ich wieder heraus. Die vielen Eindrücke ließen das Merken nicht zu. Das machte ich immer und immer wieder, bis ich mich wieder einigermaßen an ein Kaufhaus gewöhnte.

Oft ging ich neben den Regalen in die Knie, weil mich alles derart überforderte. Dann musste ich alles aus den Händen legen und am schnellsten Weg wieder raus. So kam ich Schritt für Schritt langsam vorwärts und lernte einkaufen gehen. Meistens mache ich an solchen Tagen dann nichts mehr.

Das Schreiben heute, kann ich als therapeutisches Schreiben bezeichnen. Denn die Erinnerung daran lebt in mir und es fühlt sich wie wirklich an. Es ist emotional aufregend, denn dann wird mir bewusst, dass ich vieles schon konnte, aber nach der Pandemie erneut wieder zum Lernen habe. Daher weiß ich, was auf mich noch zukommt. Vieles vermeide ich daher von vornherein.

Dinge, wie an die Stadt gewöhnen oder Straßenbahnfahren, habe ich auf unbekannte Zeit verschoben. Denn warum, wenn ich gar nicht weiß, ob es einem nicht unmöglich gemacht wird, wieder für Monate im Herbst/Winter in die Stadt zu gehen oder ein Museum zu besuchen. Corona hat mich vorsichtig gemacht, damit ich nicht wieder Dinge übe, die ich dann eh nicht anwenden kann.

Graz, Karmeliterplatz

Hochsensibilität - Natur versus Stadt

In der Natur und im Wald fühle ich mich anders, als zwischen Gebäuden in der Stadt oder in Einkaufszentrum. Inmitten von Grün und Bäumen fühle ich mich mit meiner Sensibilität weitaus besser. Am Jakobsweg dieses Jahr, habe ich Städte und größere Dörfer vermieden, weil ich es nicht ausgehalten habe.

Meine Hochsensibilität hat sich nach zwei Jahren der Pandemie verändert, leider nicht zum Besseren. Meine Abneigung gegen Städte ist wieder größer geworden. Seit zwei Jahren halte ich mich praktisch nur mehr in der Natur auf, abgesehen davon, wenn ich in der Wohnung bin.

Camino France 2022

Wandern

Als Beispiel für Wandern nehme ich einen Ausflug in den Kesselfall, der im Norden von Graz liegt. Natur und Grün, so weit das Auge reicht. Eigentlich, das Beste, was ich mir wünschen kann, trotzdem war es zum Großteil als Therapie zu sehen.

Die steilen Leitern in der Klamm fordern meine Wahrnehmung. Besonders die Holzstiegen, mit den Blicken direkt nach unten in die Klamm, kosten viel Energie. Mein Gehirn kann die Entfernung der Holzstreben beim Steigen, mit dem sich unter mir bewegenden Wasser in der Klamm, nicht abschätzen. Es ist wie beim Gehen lernen, nur durch oftmalige Wiederholung kann ich meinen Geist wieder daran gewöhnen. 

Auf solchen Steigen benötigt mein Gehirn gleich viel Energie, wie die Muskeln. Ich komme auf einem ebenen Übergang zumeist gleicher Art ins Schnaufen, als wenn ich steil bergauf gehe. Das Schöne ist aber, ich kann solche Touren wieder unternehmen. 2019 brauchte ich eine halbe Stunde Pause nach einer 500 Meter langen Brücken-Überquerung, am Camino Norte. Sie führte hoch über einen Meeresarm und brachte mich übers Limit.

Solche Sachen sind trotzdem wichtig für mich, denn mit jedem Male kann ich das nächste Mal leichter solche Zustände aushalten. Einfach machen, sage ich mir immer wieder vor, denn ich habe es ja schon einmal gekonnt und ich beginne, meinen alten Fähigkeiten zu vertrauen. Ich werde immer an meinen Physiotherapeuten in der Reha denken, der zu mir beim Steigen sagte: "Trau dich!".

Die Natur beim Wandern spüren

Blumen, Insekten, Bäume und anderes beobachten, gibt mir innere Ruhe. Diese Ruhe brauche ich, damit sich mein Kopf erholen kann, um vom endlosen Denken wegzukommen. Diese kleinen Dinge bringen mich in eine Aufmerksamkeit und in einen erholsamen Zustand. Das wäre in der Stadt nicht möglich.In der Natur komme ich leichter mit meinen Emotionen und der Hochsensibilität klar.

Die Farbe Grün dient als Heilfarbe, lässt einen Kräfte sammeln, bringt Regeneration und vermittelt den Augen Ruhe. Den Aufenthalt in der Natur möchte ich nicht mehr gegen die Stadt eintauschen. Vor der Pandemie dachte ich immer, mich an die Stadt gewöhnen zu müssen. Langsam begann ich mich dem immer mehr auszusetzen, obwohl mir die Natur besser tat.

Stress bleibt Stress und die Stadt bleibt Stadt. Wenn ich rausgehe, dann nur in die Natur oder zum Radfahren auf Radwege und abseits gelegene Straßen. Am liebsten ist mir wandern in unseren schönen Natur. Die Stadt habe ich seit Corona nur ein paar Mal am Rande gesehen.

Denn es geht nicht wirklich darum, mich wieder an etwas zu gewöhnen, sondern an vorderster Stelle steht, Heilung zu erlangen. Vielleicht wird es auch einmal die Stadt sein, aber im Moment helfen mir die Bäume, das Gras, die Berge und das Wasser mehr, als was ich in der Stadt finden könnte. Mir ist das Rauschen eines Baches viel lieber, als das oft ähnlich klingende Rauschen des Verkehrs. Ich habe mich noch nie so in meiner Mitte gefühlt, wie am Walkabout durch Austria, wo ich 85 % der Zeit im Freien und in der Natur verbrachte.

fließendes Wasser beruhigt
Arlberg, Walkabout
Walkabout durch Österreich, am Arlberg

Das Wandern ist ein gutes Mittel, um sich wieder nahezukommen und seine Identität zu spüren. Das war mit der Sinn am Walkabout. In der Natur bin ich 100 % ich und meine Gedanken werden klarer. Die bisher über 30.000 Kilometer zu Fuß waren für mich notwendig, denn ich lernte auf mein Herz zu hören, meine Energien richtig einzusetzen und wieder ausgeglichener zu werden.

Die Hochsensibilität bringt mich oft noch immer in eine Überforderung, aber ich beginne, mit diesen Emotionen und Gefühlen immer besser umzugehen. 

Hochsensibilität - Fluch und Seegen

Das therapeutische Tanzen hilft mir sehr, dieses hochsensible Spüren in die richtigen Kanäle zu leiten. Es kann ein Seegen sein, so vieles und fein zu spüren. Es kann aber auch extrem anstrengend sein, es nicht steuern zu können, das habe ich noch zu lernen. Bei sich zu bleiben, gesammelt zu sein, hilft dann enorm weiter, manchmal dauert es aber Tage, bis ich mich fange. Darum übe ich weiter und immer weiter, Achtsamkeit und Sammlung.

"Was noch klein ist, lässt sich leicht zerstreuen. Man muss wirken auf das, was noch nicht da ist. Man muss ordnen, was noch nicht in Verwirrung ist."

Laotse

Mich immer wieder aus den Verstrickungen des Alltags zu lösen, das schaffe ich am besten mithilfe der Natur. Das Wandern führt mich zu Selbsterkenntnis, das meiner Seele wohltut und mir Anstöße gibt, mein Denken und Verhalten zu korrigieren. Intuitiv das Richtige machen, ist mein Endziel.

Sokrates sagte einmal: "Der Mensch ist insbesondere dann glücklich, wenn er das gut tut, was er am besten kann!"

Bei mir ist es das Gehen in der Natur. Dort bin ich mit meiner Hochsensibilität bestens aufgehoben und kann sie verbessern, um wieder mehr Lebensqualität zu erlangen.


Gehen lernen - über 30.000 Kilometer oder 45.000.000 Schritte in 6 Jahren!

Nach dem Hirnabszess 2016 war nur eines in meinem Kopf, ich wollte wieder gehen lernen. Zunächst wollte ich nur eigenständig wieder aufs WC im Krankenhaus kommen und so fing ich Schritt für Schritt an. Der erste Schritt war, mich wieder aufsetzen zu können, das Gehen kam erst viel später.

In den letzten sechs Jahren bin ich dann über 30.000 Kilometer oder 45.000.000 Millionen Schritten gegangen und versuchte die verlorene Propriozeption zurückzugewinnen. Einen Tag vor dem Hirnabszess ging ich damals am Meer noch Laufen, daher wurde es mein Ziel, wieder Laufen zu können.

Ich gehe jetzt in das siebente Jahr nach dem Hirnabszess, laufen kann ich noch immer nicht.

Gehen lernen am Jakobsweg
rpt

Trailrunning

Im Jahr 2013 begann ich mit dem Trailrunning. Für meinen Freund Matthias filmte ich beim Eiger Ultra Trail und das faszinierte mich so, dass ich entschied, Trailrunner zu werden. Ein Jahr später stand ich selbst am Start, allerdings war nach 63 km Schluss, von 101 km.

Ich gründete die Website von0auf101, die meinen Weg vom absoluten Laufanfänger, bis zum Trailrunner begleiten sollte. Detailliert wollte ich berichten, wie ich vom Radfahrer zum Läufer wurde.

Eiger Ultra Trail
Beim Eiger Ultra Trail 2014

Meine Basis waren 20 Jahre (Leistungs-)Sport, zuerst als Straßenradrennfahrer und dann als MTB-Extremradfahrer. Das für mich schönste Rennen war das Iditasport Race in Alaska, wo ich 1995 überraschend zweiter wurde und die 100 Meilen (ca. 161 km) Distanz 1997 gewinnen konnte. Schon 1995 musste ich das Rad 40 Kilometer schieben und dementsprechend Laufen und Gehen trainieren.

Iditasport Race in Alaska
Iditasport Race in Alaska

Viele Wettbewerbe lief ich als Trailrunner nicht, mir gefiel mehr das alleine unterwegs sein, oft über mehrere Tage und mit minimalistischer Ausrüstung. Übernachtet wurde in Berghütten und Biwakschachteln.

Der Hirnabszess und Gehen lernen

Es kam der März 2016. Mit der Familie war ich ein paar Tage in Kroatien und nutze die Zeit für Läufe am Strand. Irgendwie ging es schwer und ich schob es auf das ungewohnt milde Klima, nach dem Winter zu Hause. Einen Tag vor der Heimreise musste ich mich hinlegen und bin von dort weg für lange Zeit nicht mehr aufgestanden. Am 27.März wurde ich ins Krankenhaus eingeliefert.

Hirnabszess am Thalamus
Abszess am Thalamus

Noch auf der Intensivstation dachte ich an Trailrunning und dass ich es wieder machen wollte. Die Bilder vom Eiger oder dem Hochschwab waren so stark in mir, dass ich nur daran dachte, wieder dorthin zu kommen. Dafür wollte ich alles unternehmen.

Trotz neurologischer Ausfälle und einer Halbseitenlähmung begann ich die vier elastischen Binden selbst aufzurollen, vornehmlich mit der rechten gelähmten Hand. Dass mir die Zähne geputzt werden, verweigerte ich, ich wollte es selber machen, obwohl ich die Zahnbürste kaum selbst halten konnte und kaum spürte, wo ich putze.

5 Monate im Krankenhaus
5 Monate im Krankenhaus

Später auf der Reha-Station war es nicht viel besser. Trotzdem versuchte ich so viel wie möglich selbst zu machen. Eine riesige Hilfe war mir meine Ergo-Therapeutin Kerstin, die mich mobilisierte und mir unglaublich viel beibrachte.

Ich sah alles wie im Sport, es wurde für mich diesmal der längste Wettbewerb, den ich jemals zu bestehen habe und alle bisher erlebte Anstrengung verkam im Gegensatz dazu, wenn man wieder "zurück ins Leben" möchte.

Etwa eineinhalb Jahre nach dem Hirnabszess sagte ein Arzt zu mir: "Herr Krasser, ich sehe und weiß, was sie tun. Schalten sie zurück, akzeptieren sie, wie es ist, es wird kaum mehr besser werden!"

Meine Antwort war nur: "Wenn sie das glauben, ok. Ich glaube es nicht und werde weitermachen."

Damals konnte ich mit vielen Pausen gerade mal ein paar hundert Meter gehen, danach war ich fertig für den Tag. Am meisten behinderte mich der Schwindel und die Körperschwäche, die ich nur durch tägliches Tun verbessern konnte. Die Fortschritte waren so langsam, dass ich es selbst nicht bemerkte.

Mein Gedächtnis und das Denken war außerdem so stark beeinträchtigt, dass ich damit immense Schwierigkeiten hatte, alles zu verfolgen.

Dranbleiben, war und ist das Erfolgsrezept noch heute

Auf die Muskelschwäche und die verlorene Propriozeption kam ich erst im Laufe der Zeit selbst darauf. Nach den Reha-Aufenthalten verzichtete ich auf die Ärzte und versuchte in Eigenregie meine Rehabilitation fortzusetzen.

Ob Fitnessstudio, therapeutisches Tanzen, Radfahren und Gehen, alles unternehme ich in Selbstorganisation. Das Gehen bekam einen immer höheren Stellenwert.

Gehen als Therapie

Das Gehen diente mir auch fürs Gehirn. Bis zum Beginn der Corona-Pandemie hatte ich auch hier Verbesserung. Nach der Trennung von meiner Lebensgefährtin und den Kindern, startete ich 2018 meinen ersten Camino in Spanien. Der Jakobsweg wurde zu einer der besten Therapien, um wieder Gehen und Leben zu lernen.

Nur unterbrochen von meinem letzten Reha-Aufenthalt, legte ich die 950 Kilometer nach Santiago de Compostela und Finesterre in insgesamt zwei Monaten zurück. Bis heute absolvierte ich den Camino del Norte, noch zweimal den Camino France und weitere Jakobswege in Österreich. Dazu der Walkabout rund um Österreich, wo ich mehr als 2000 Kilometer zurücklegte.

Am Walkabout gehen lernen
Walkabout durch Österreich

Die Millionen Schritte braucht mein Gehirn, um die Propriozeption zu erlernen. Vorfälle wie der Nierenstein, kosten mich Wochen bis Monate, um das bereits Gelernte wieder zu erlernen. Darum vermeide ich alles, was mir nicht guttut, denn es hat zu großen Einfluss auf mein körperliches Befinden.

"Step by Step", ist mir von Anfang an treu geblieben. Schritte überspringen war und ist nie möglich, es geht nur einer nach dem anderen.

Wie kann ich gehen lernen?

Von Außen ist mir kaum was anzumerken. Vielleicht, wenn jemand weiß, was ich habe, dann fällt die eigene Bewegung auf. Mit meiner Konzentration muss ich nach wie vor beim Gehen lernen bleiben, das ist auf Dauer sehr anstrengend und nicht sichtbar. Gleichzeitig Gehen und Sprechen kostet mich viel Energie, bzw. geht auch nur auf halbwegs gutem Weg. Mein früheres Multitasking als Videojournalist ist einem Single-Tasking gewichen.

Hier spreche ich nur vom Gehen lernen, aber es geht mir in allem so. Ob beim Kochen, Essen oder Schreiben, das Single-Tasking ist allgegenwärtig. Essen und Trinken ist zum Beispiel für jeden etwas Selbstverständliches, bei mir nicht. Beim Essen bin ich gerne alleine, da ich sehr konzentriert bleiben muss. Durch die Halbseitenlähmung gerät zu schnell etwas in die Luftröhre und ich verschlucke mich. Das Trinken wiederum geschieht sehr vorsichtig und langsam und ja nicht unter Stress. Es ist nicht gut, wenn Essen oder Flüssigkeiten in die Luftröhre gelangen.

Beim Gehen kann ich schon ganz gut ohne Nachdenken auf ebener Straße dahingehen. Ich erinnere mich an Zeiten zurück, wie am Jakobsweg 2018, wo ich praktisch noch jeden Muskel andenken musste, um Gehen zu können. Treppen steigen oder steil bergauf, kostet mir noch viel Energie, vor allem Gehirn mäßig. Da spielt die Muskelschwäche eine große Rolle darin. Ich mag mir gar nicht ausdenken, was wäre, wenn ich nicht so viel gegangen wäre. Dann hätte der Arzt wahrscheinlich sogar recht gehabt mit seiner Aussage, dass es nicht mehr besser wird. Denn wer würde das alles auf sich nehmen?

Am Jakobsweg in Spanien gehen lernen
Camino France 2018

Mein großer Vorteil war sicher, dass ich vom Sport kommen und Training für mich der normale Alltag war. Im Grunde lebe ich jetzt den Traum eines jeden Sportlers, nämlich als Profi 24 h nur darauf zu schauen, dass ich besser werde. Allerdings geht es nicht um Platzierungen und Ergebnisse, sondern um nichts anderes als das Leben. Mein Wettkampf ist es, wieder Leben zu können und dafür alles zu geben.

Gleich wie ein Radprofi, muss ich auf alles schauen, damit es mir gut geht. Von der Ernährung, über die Erholung bis zum Training.

Und da bin ich wieder beim DRANBLEIBEN!

Stetig und immerfort ist es notwendig. Im Moment noch kein Problem, obwohl Corona Rückschritte brachte. Aber auch wenn es einmal zurückgeht, Niederlagen machten mich im Radsport nur stärker und das gilt auch für jetzt.

NEVER GIVE UP!


Fitnessstudio und Wings for Life Run - mein Leben mit Muskelschwäche!

Im Moment versuche ich die durch die Pandemie sich verschlechterte Muskelschwäche wieder zu verbessern. Vor zwei Jahren nahm ich damals, am Anfang der Pandemie, zum ersten Mal am Wings for Live Run teil. Er gab mir Motivation, dranzubleiben und mich auf neue Ziele zu konzentrieren. Ich bin drangeblieben und habe die Zeit so gut es ging genutzt. Im gesamten gesehen, habe ich allerdings in allen Bereichen verloren.

Der zweite Punkt ist das Fitnessstudio, weiches nach über zwei Jahren wieder für mich möglich wurde. Immer im Wald wie "Rocky" zu trainieren, funktioniert halt nur bedingt. Ich habe es auch gemacht und öfters Baumstämme fürs Krafttraining genutzt, aber es ersetzt nicht mit Gewichten zu trainieren. So nutzte ich die erste Möglichkeit, wieder im Fitnessstudio zu trainieren. Der Camino hat zu viele Schwachstellen aufgezeigt.

Das Fitnessstudio

Bisher war ich ein paar Mal im Fitnessstudio und es tat so gut, gezielt mit Gewichten an mir zu arbeiten. Gerade der Camino France im April zeigte mir viele Schwachstellen auf, die sich in der Pandemie gebildet haben.

Das Rucksack tragen stellte sich als immer schwieriger heraus, da sich meine Rückenmuskulatur immer mehr zurückbildete. Der Nierenstein gab mir dann den Rest. Den Camino habe ich dann unterschätzt, denn ich dachte, ich gehe eben langsamer und täglich nicht so weit und mit der Zeit werde ich mich daran gewöhnen.

Aber das alles hilft nichts, wenn die Wirbelsäule zu schwach ist, in Kombination mit der Muskelschwäche. Ich muss eben einsehen, dass bei mir alles anders ist und für mich frühere Maßstäbe nicht gelten. Daher heißt es jetzt die Muskeln der Wirbelsäule gezielt aufzubauen und das trotz der Muskelschwäche.

Endlich wieder im Fitnessstudio, für meine Muskelschwäche was tun.
Endlich wieder im Fitnessstudio, für meine Muskelschwäche was tun.

Die Oberschenkel sind die nächste Schwachstelle. Die letzten zwei Jahre arbeitete ich nur mit dem eigenen Körpergewicht. An und für sich eine gute Sache, aber ich brachte nur bedingt etwas weiter. Wieder gilt das oben gesagte, ich funktioniere nun mal anders. Gehen bringt mir dafür nur bedingt etwas. Gehen ist Ausdauer, die ich mir zumindest beim Gehen aneignen konnte.

Kraft ist das andere und nur schwer wiederzuerlangen. Stiegen steigen hilft, bringt mich allerdings schnell zur Erschöpfung. Es ist immer eine Gratwanderung Stiegen zu steigen, denn die Spange zwischen "es hilft mir" und "es erschöpft mich", ist sehr schmal. Daher ist das Fitnessstudio ideal für mich, da ich ganz genau auf mich eingehen kann.

Langsam und gezielt kann ich an mir arbeiten, die Muskeln wieder an ihre Tätigkeit zu gewöhnen, zumindest soviel, wie ich noch habe. Normalerweise bin ich ein Freund der Natur, aber in diesem Fall gehe ich auch gerne ins Studio, um weiterzukommen.

Bekomme ich die Muskelschwäche besser in den Griff, habe ich auch mehr Lebensqualität und das ist mein Ziel.

Der "Wings for Life Run"!

Im Mai 2020 habe ich erstmals daran teilgenommen. Man muss dafür nicht Laufen können. Mein Ziel war es, die 5 Kilometer Marke zu knacken, welche ich damals verfehlte. Im Jahr darauf war ich am Walkabout durch Österreich gerade am Berg unterwegs, damals schaffte ich beim App Run nur etwas über zwei Kilometer. Allerdings stand für mich im Vordergrund, überhaupt wieder Gehen zu können.

Der Lauf ist für mich mit Motivation verbunden, da es Schicksale gibt, die wieder das Gehen erlernen wollen. Einem passierte im Zeitraum von mir Ähnliches, allerdings als Unfall. Beim Skispringen stürzte Lukas Müller schwer und erlitt eine inkomplette Querschnittslähmung. Seither versucht er wieder Gehen zu lernen. Es motiviert auch mich, immer wieder neue Motivation zu finden.

Der Lauf

Für mich ist der App Lauf ideal. Damit kann ich starten, wo ich möchte. Mein Ziel ist es, die fünf Kilometer zu schaffen. Das ist gar nicht leicht, denn das bedeutet, die Distanz in 52 Minuten zu schaffen, das ist an der Grenze vom Gehen zum Laufen.

Bei meinem ersten Antreten 2020 schaffte ich 4,71 Kilometer. Leider kam dann die Pandemie und ich verlor viel von meinem gesundheitlichen Zustand. 2021 war ich dann am Walkabout durch Österreich am Berg unterwegs und schaffte 2,38 Kilometer.

Beim Lauf bin ich in Gedanken bei den verschiedensten Schicksalen, die wieder Gehen lernen möchten oder im Rollstuhl sitzen. Bei mir kamen Erinnerungen an die Zeit im Krankenhaus hoch. Auch ich war auf den Rollstuhl angewiesen. Allein das Erlernen vom Bett in den Rollstuhl zu kommen, war für mich schlimm, weil ich aufgrund der Muskelschwäche mich kaum aus dem Bett wuchten konnte.

Ich dachte hin und wieder darüber nach, was wäre, wenn ich auch in Zukunft auf den Rollstuhl angewiesen wäre. Da half mir aber mein Nicht-Denken können und ich beschloss, niemals aufzugeben, ich wollte wieder gehen können. Diese Zeit im Krankenhaus werde ich nie vergessen.

So kamen und gingen die Gedanken während des Laufes, aber ich konnte nicht wirklich bei einem bleiben. Die meiste Zeit konzentrierte ich mich auf den Bewegungsablauf und ich merkte, dass ich ein entsprechendes Tempo nicht halten konnte. So war nach 47:47 min und 4,15 Kilometer Schluss, das virtuelle Catcher Car hatte mich eingeholt.

Mit Muskelschwäche beim Wings for Life App-Run

Zufrieden oder enttäuscht?

Es überwiegt nach wie vor die Freude, wieder überhaupt gehen zu können. Alleine das ist der größte Erfolg in meinem zweiten Leben. Die erreichten Kilometer sind nebensächlich, sie sind nur ein Richtwert, wo ich derzeit körperlich stehe. Laufen ist noch immer weit weg, dass ist mir klar.

Die fehlende Propriozeption ist auf Asphalt nicht mehr so stark spürbar. Erst gegen Ende des Laufs musste ich verstärkt auf meine Beine achten und wo ich hinsteige.

Die 5 Kilometer werden mein Ziel bleiben und mein Hauptziel ist sowieso, wieder Laufen zu können.


Ich bin Jörg, wohne in der Nähe von Graz und blogge hier über meinen Weg zurück ins Leben, das ein Hirnabszess 2016 völlig auf den Kopf gestellt hat.
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