Das wird der dritte Teil meiner Reiseerzählung vom Camino France 2022, der diesmal nicht so verlaufen ist, wie ich es mir gewünscht hätte.
"Man bekommt, was man braucht, nicht, was man sich wünscht!"
...dieses Zitat hatte wieder einmal so recht!
Meine Gedanken bekam ich diesmal nicht so recht in den Griff, die PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) schwingt noch immer mit und kleine Auslöser reichen oft schon aus, um mich aus der Spur zu bringen. Ein solcher Auslöser geschah um Burgos herum, daher kam mir die folgende Meseta gerade recht, um durch Gehen meine Gedanken wieder in den Griff zu bekommen.
Sie beginnt quasi in Burgos, denn nach nur wenigen Kilometern durch die Stadt hinaus, bekommt man den ersten Geschmack der Hochebene zu spüren. Schon zu Hause freute ich mich besonders auf die Meseta, denn ich liebe diese von sanften Hügeln durchzogene Landschaft mit ihren langen Geraden. Diesmal war es allerdings etwas anders. Nicht die Freude am Gehen stand im Vordergrund, sondern ich hatte nur das Ziel, meine Gedanken zum Schweigen zu bringen.
Eine komplexe PTBS hatte von mir Besitz ergriffen und um nicht in endlosen Gedankenschleifen zu enden, wollte ich durch achtsames Gehen versuchen da herauszukommen. Von Freude und Glücklichsein war ich weit entfernt, im Gegensatz zu vor 2 Jahren, meinem Winter-Camino.
Der Versuch, mich auf die kleinen Dinge zu konzentrieren, gelang zum Glück immer öfter und brachte mich weg von den Gedankenschleifen, die ich ja doch nicht zu Ende denken konnte. Die Meseta war die beste Möglichkeit dafür, wieder einigermaßen mit meinen Gedanken ins Reine zu kommen.
Es fühlte sich allerdings zuerst so an, als ob meine Gedanken explodiert seien und ich war nicht fähig, einen Gedanken zu fassen. Ich stand wie neben mir und verstand die Welt nicht mehr. Dieses Gefühl kannte ich nur zu gut noch vom Anfang meiner Krankheit. Körper und Geist waren damals wie getrennt, und mein Ziel auf meinem ersten Camino war es, die beiden wieder näher zusammenzubringen.
Dazu war das Gehen auf der Meseta ideal, denn das Gehen hat mir bisher in so vielen Situationen geholfen. Auf meinem ersten Camino 2018 machte ich den ersten Schritt dazu und in der Folge viele weitere. Der Camino France 2022 sollte aber nach meinem ersten 2018, der Herausforderndste werden.
So hatte ich die Möglichkeit, mich an die Zeit von 2018 zu erinnern und welch langen Weg ich seither geschafft habe und vor allem, was ich seit damals alles erreicht habe. Allen Widrigkeiten zum Trotz, konnte ich langsam, Schritt für Schritt, wieder ans Leben anklopfen. Deshalb erschrak ich auch über die Heftigkeit, mit der es mich diesmal erwischte.
Der Nierenstein war das erste Zeichen, der mir viel aufzeigte. Seither konnte ich mich nie mehr richtig erfangen. Jetzt heißt es, "Back to the Roots!". Besonders mein Muskel- und Knochenkorsett neu aufbauen. Die Pandemie hat mich mehr gekostet, als ich mir eingestehen wollte.
Unterwegs bekam ich von meiner Therapeutin im Therapie-Tanzen den wertvollen Hinweis, mich auf den stabilen und leichten Zustand zu erinnern, und ihn auch zu fühlen. So kam ich, mit der Hilfe der Tanz-Therapie und des Gehens, wieder langsam in einen stabileren Zustand.
Mein Weg über die Meseta wurde somit zur Therapie, um meine Gefühle und Emotionen wieder auf die Reihe zu bekommen. Freude und Glücklichsein wollte ich wieder finden und raus aus diesen Gedankenschleifen kommen, die mir das Leben schwer machten. Mein normalerweise fröhliches dahin Summen am Weg war verstummt, es wiederzufinden wurde meine Aufgabe.
Das Wetter spiegelte mein Inneres wider. Mal schien die Sonne, mal ging Sturm oder es regnete. Das Summen kam nur langsam zurück, aber die Momente waren immer öfter. Darüber war ich froh, denn Gesundheit kann nur in einem positiv gestimmten Körper passieren und das war mir bisher in meiner Rehabilitation das wichtigste, alles unter Freude und Fröhlichkeit zu machen. Diesen Zustand wollte ich wieder erreichen.
Neben meinen Gedankenschleifen konnte ich zum Glück immer öfter die Schönheiten des Weges in mir aufnehmen. Langsam fand ich wieder zurück zu Freude und Glücklichsein. Ich durfte dankbar sein, überhaupt hier gehen zu dürfen. Nach der zweijährigen Zeit des "quasi" Stillstands in meiner Rehabilitation durch die Corona-Pandemie, war es so wichtig für mein Gehirn, wieder neue Reize zu erleben. Der Camino France 2022 brachte mir wichtigen Input für die nächsten Monate.
Ich musste aber auch erkennen, wie fragil und leicht beeinflussbar mein Gehirn noch ist, das in der Folge enorme Auswirkungen auf meinen Körper und Geist haben kann, positiv wie negativ. So machte ich am Weg meine Übungen für mehr Stabilität, die mir wieder mehr Stabilität im Leben bringen sollte. Auch Übungen für Leichtigkeit standen am Programm und so trainierte ich allein auf den endlosen Weiten, durch die Hochebene.
Ich war zum Glück praktisch alleine unterwegs, denn so brauchte ich niemanden die oft komischen Verrenkungen zu erklären, mit denen ich unterwegs war. Über den Tag bekam ich kaum andere Pilger zu sehen, ich war alleine unterwegs. Zwei, drei Pilger über den Tag, war das Maximum.
Achtsam sein gegenüber den kleinen Dinge am Weg, war eine ebenso gute Möglichkeit, mich aus den Klauen dieser Gedankenschleifen zu holen. Es war noch lange nicht alles perfekt, aber es half mir in einen für mich erträglichen Zustand zu kommen. Für die Meseta hatte ich mir eigentlich anderes vorgenommen, aber wie gesagt, man bekommt, was man braucht!
Da sich seit dem Nierenstein das automatische Gehen sehr verschlechtert hatte, blickte ich wieder vermehrt auf den Boden und zu meinen Füßen. Meine Aufmerksamkeit lag dabei nicht nur beim Gehen, sondern auch bei den Insekten, Steinen und Pflanzen am Boden. Oft beugte ich mich zum Boden hinunter, um vielerlei kleine Dinge zu betrachten. Der Camino France 2022 bekam Ähnlichkeit mit 2018.
Der Wind kam mir, anders als in den letzten Jahren, meist von vorne oder seitlich vorne entgegen. Das erschwerte das Vorwärtskommen. Da ich meine Regenjacke verloren hatte, war mein einziger Regenschutz der Poncho, der mir aber bei diesem Sturm, gepaart mit Regen, um die Ohren flog. Ich ignorierte einfach alles und stapfte emotionslos meinem Ziel entgegen, emotionslos vor allem gegenüber den Widrigkeiten. Es war mir egal, ob ich nass wurde, ich wollte nur an mein Ziel gelangen, denn da wartete eine heiße Dusche und mein warmer Schlafsack.
Umso näher ich Leon kam, desto schlimmer wurde es mit meiner Hochsensibilität. Auf geradestem Weg ging ich durch die Stadt zur Herberge in einem Kloster und verließ es nur, um etwas Essen zu gehen. Leon war leider notwendig, da ich die Vortage durch den Sturm nicht so weit vorwärtskam, wie ich wollte. Dadurch war die Etappe durch die Stadt zur nächsten Herberge danach zu weit und ich musste in der Stadt übernachten.
Ich war so überfordert von der Großstadt, dass ich am nächsten Tag noch im Dunkeln aufbrach, um dem Autoverkehr und den vielen Menschen zuvorzukommen. Als es hell wurde, befand ich mich schon in den letzten Vororten Leons, auf dem Weg in die letzten Kilometer der Meseta, nach Astorga.
Diese verstärkte Hochsensibilität gegenüber Städten ist das Ergebnis von zwei Jahren Pandemie, die verhinderte, dass ich mich weiter an Menschen, Städte und Trubel gewöhnen konnte. Ab Leon vermied ich alle größeren Dörfer und Städte und blieb nur in Herbergen vor und nach Ortschaften.
Von Astorga ging ich in einem Stück die 50 Kilometer über das Crux de Ferro, nach Ponferrada. Das Wetter war anfangs sonnig, aber kalt. Gegen 11 Uhr wechselte es auf Regen und einen immer stärker werdenden Wind, der in Sturm überging. Am Crux de Ferro hinterließ ich meinen obligatorischen Stein, den ich von zu Hause mitgebracht habe und mit dem ich Altes symbolisch hinter mir ließ.
Ab dem Crux de Ferro wechselte das Wetter dann in starken Regen und einen Sturmwind, der mir den Poncho um die Ohren fliegen ließ. Hier ging mir die Regenjacke besonders ab, die ich ja schon seit Burgos nicht mehr hatte. Deshalb machte ich nur kurze Pausen und hielt kaum an, da ich zu nass war und schnell auskühlte. Ich musste in Bewegung bleiben.
Ich wollte den schwierigen Abstieg über den steinigen Weg an einem Tag hinter mich bringen und stoppte daher nicht in den Bergdörfern El Acebo und Riego beim Abstieg. Einige Cafés und Herbergen hatten seit einigen Tagen offen, aber ich wollte nicht auskühlen, bevor ich mein Ziel, eine Herberge vor Ponferrada, erreicht hatte.
Nach 11 Stunden Gehzeit kam ich zur Albergue San Nicholas, erschöpft und ausgezehrt vom Wind und Regen. Dafür ersparte ich mir einen weiteren Regentag und eventuell einen Schneetag in den Bergen. Den nächsten Tag nahm ich dafür ganz locker. Gemeinsam mit einem Holländer ging ich die 23 km nach Villafranca del Bierzo, der fast wie ein Ruhetag war.
Die Tageskilometer waren im Gesamten eher gering, nur an ein paar Tagen forderte ich es heraus. Ansonsten waren es selten mehr als 30 Kilometer, eher gegen 25. Hin zum O Cebreiro waren es 28 Km, mit einem steilen Schlussanstieg. Ich übernachtete hier das erste Mal in der öffentlichen Herberge, bisher bin ich immer durchgegangen. In einem großen Zimmer mit 60 Betten, die alle belegt waren, war es für mich ein Kulturschock, nach den vielen einsamen Tagen auf der Meseta und den darauf folgenden Bergen, bis Ponferrada, auf so viele Menschen zu treffen.
Es war knapp vor Ostern und viele Spanier nutzten die Tage, um am Camino zu gehen. So war das plötzlich starke Aufkommen von Pilgern erklärbar. In Obreiro steht die älteste Pilgerkirche am Jakobsweg und der Ort hat eine wichtige Bedeutung für den Camino.
Die folgende Etappe brachte mich nach Samos, wo ich im alten Kloster übernachtete. Es war bisher jedes Mal ein Abenteuer, in den alten Gemäuern die Nacht zu verbringen. Ich suche mir bewusst die Orte und Herbergen aus, wo man noch das alte Pilgerfeeling am ehesten zu spüren bekommt. Samos hat eine alte und lange Tradition, Pilger zu beherbergen.
Das nehmen allerdings nur die wenigsten in Kauf, da der Komfort natürlich fehlt. Ich war allerdings zweimal nur im Winter und Frühjahr hier, das macht es nochmal besonders, denn in den alten Kellergewölben wird nicht geheizt und zum Aufwärmen geht man nach draussen. Dafür ist man fast alleine und hat seine Ruhe. Der Holländer entschied sich gegen das Hotel und versuchte sich mit mir an diesem altehrwürdigen Ort.
Wegen der Kälte freuten wir uns schon aufs Aufstehen und uns in der morgendliche Kühle aufzuwärmen. Nach wenigen hundert Metern kehrten wir ins ursprünglich von ihm geplante Hotel ein und genehmigten uns ein gutes Frühstück, zusammen mit seinem Freund, den wir dort trafen.
Zunächst ging ich nur bis Sarria, wo ich die Osterfeiertage mit zwei Ruhetagen abwarten wollte, bevor ich weiterging. Am ersten Ruhetag testete ich mich mit selbst mitgebrachten Eigentests auf Covid, da ich ein wenig verkühlt war.
Zu meinem Schrecken war ich positiv, verspürte aber keine wirklichen Symptome, außer leicht verkühlt, was aber kein Wunder war, da es fast täglich mehrmals regnete und sehr kalt war. Eigentlich hustete jeder oder war verkühlt. Ein Test am zweiten Tag war dann negativ. Ich fühlte mich nicht krank und war bisher jeden Tag unterwegs, also ging ich am dritten Tag weiter.
Die letzten über hundert Kilometer ging ich an drei Tagen bis nach Santiago. Bis Mittag war ein solches Gewusel von Pilgern am Weg, welches ab Mittag dann verschwand. Ich wollte diesen Abschnitt so schnell wie möglich hinter mich bringen und traf am dritten Tag zu Mittag in Santiago de Compostela ein. Für die gesamte Strecke von den Pyrenäen, etwa 800 Kilometer, brauchte ich 28 Tage.
Aufgrund meiner Hochsensibilität ging ich geradewegs auf den Platz vor der Kirche, wo ich mich hinsetzte. Ich erreichte zum vierten Mal nach einem großen Camino die Kirche in Santiago. Nach einer Stunde stand ich auf, suchte ein Einzelzimmer und ging ohne Umwege dorthin. Die Stadt und die vielen Menschen überforderten mich. Ich verzichtete auf die Compostela, der Urkunde für den zurückgelegten Weg und auch auf den Besuch in der Kirche. Dieses Jahr hatte ich keine Bekannten vom Weg und ich wollte meine Sensibilität nicht herausfordern.
Für mich gab es nur eine Möglichkeit von zweien. Noch weiter ans Meer zu gehen oder heimzufahren. Da die nächsten zwei Wochen kaltes und regnerisches Wetter vorhergesagt wurde, entschied ich mich erstmals für die sofortige Heimreise und nicht dafür, ans Meer zu gehen.
Es war diesmal alles anders, als die Caminos davor. Ich war allerdings froh, mich dem ausgesetzt zu haben, denn es war für mein Gehirn zwar alles andere als einfach, mit dem Thema Covid-19 am Weg umzugehen, aber ich durfte neue Erfahrungen sammeln.
Als wichtigste Erkenntnis durfte ich mitnehmen, dass ich noch immer sehr fragil bin, wenn nicht alles nach Plan läuft. Mein Gehirn ist sehr schnell überfordert und dann geht gar nichts mehr, körperlich wie geistig. Die nächsten Wochen wird es wichtig sein, wieder in eine Ausgeglichenheit und in die Freude zu kommen.
Nach zwei Jahren Pandemie habe ich viel aufzuholen, körperlich, wie auch mit dem Denken, das im letzten Jahr besonders unter den Umständen gelitten hat. Meine ursprünglichen Ziele, am Buch zu schreiben und wieder mehr ins Leben zu kommen, konnte ich nicht durchführen. Zu sehr stand die Therapie im Vordergrund.
Es hat mir aber viel aufgezeigt und ich werde die nächsten Wochen besonders auf mich achtgeben und auf mich schauen. Ein Hauptaugenmerk wird auf der Stärkung meiner für die Stabilität wichtigen Muskulatur sein und nur Sachen zu tun, die mir guttun. Der Weg hat mir gezeigt, dass ich noch sehr aufpassen muss, welchen Weg ich gehe. Der wichtigste Weg ist der Weg der Freude und Leichtigkeit, daran werde ich mich orientieren, wenn es um Entscheidungen geht!
Für den Weg von Logrono nach Burgos, benötigt man einige Tage. Zuerst noch schön, wechselte bald das Wetter. Es wurde bitterkalt und es begann zu schneien. Schnee hatte ich bisher noch nicht einmal auf meinem Wintercamino erlebt.
Als am 1.April der erste Pilger in der Herberge aus dem Fenster blickte und sagte das Schnee liegt, glaubte jeder an einen Aprilscherz. Es war aber Realität.
Von Logrono aus der Stadt hinaus, übte ich sehr foccusiert an meinem rechten Beinabdruck. Seit den Nierenkoliken ist meine Halbseitenlähmung wieder stärker spürbar und ich muss das rechte Bein stärken. Konnte ich schon recht gut in nicht zu schweren Gelände gehen, so musste ich mich jetzt selbst auf Asphalt, auf jeden Schritt konzentrieren. Schon von den Pyrenäen weg habe ich mich daher nicht viel mit anderen Pilgern unterhalten, den die
ses Multitasking, Gehen und Sprechen, strengte an. Viele Kilometer legte ich so alleine und in Stille zurück. Es sind zum Glück nicht allzuviele Pilger unterwegs, so ist meine Kommunikation auf ein Minimum gestellt. Es ging durch zahlreiche Dörfer, die ich mittlerweile ja schon recht gut kenne.
Dazwischen wechselten steile Anstiege mit Abstiegen ab. Es war einfach nur wunderschön in dieser Gegend zu sein, an meinen Defiziten zu arbeiten und das Leben zu genießen. Der März fällt noch in den Winter, daher hat nur hin und wieder eine Bar, ein Cafe oder Herbergen geöffnet. Es waren aber schlußendlich doch viel mehr, als auf meinem Wintercamino, im Jänner und Februar 2020.
So ging ich von Dorf zu Dorf, aber selten mehr als 20 bis 25 km. Eigentlich wollte ich unterwegs gerne schreiben und malen, aber zum Hinsetzen war es zu kalt und die Pausen in den Bars inspirierten mich nicht. So achtete ich in erster Linie auf meine Propriozeption, meine Bewegung im allgemeinen und schaute auf die Kleinen Dinge am Wegesrand.
In Granion, einer Herberge in einer alten Kirche, nahm ich wiedereinmal Quartier. Hier spiegelt es das frühere Herbergs Leben am besten. Man nächtigt auf Turnmatten am Boden und es wird gemeinsam mit den PilgerInnen am Abend gekocht und gegessen.
Danach sitzt man zusammen im Kreis und jeder erzählt etwas über sein Leben oder etwas am Weg Erlebtes. Dabei ist es finster und nur der Sprechende bekommt eine Kerze in die Hand. Da ich der einzige Deutschsprachige war, habe ich natürlich wenig verstanden, was die anderen sagten. Aber allein am Ausdruck der Gesichter konnte man erkennen, wie sehr der Weg manche bisher verändert hat.
Für mich war es der Augenblick, wo ich erkannte, dass mein Ziel "zurück ins Leben" eigentlich erreicht ist. Mit meinen Defiziten bewege ich mich mal besser, mal schlechter durchs Leben. Es darf mich aber nicht vom Leben abhalten.
"Es ist wie es ist, weil es ist und nicht weil es gut ist."
Da ich noch immer "Dranbleiben" möchte, um das Erreichte zu halten oder zu verbessern, kann ich lange auf dieses "zurück ins Leben" warten oder eben gleich Leben. Dazu gehört eben einmal Therapie und an mir arbeiten. Wieder Leben zu können, macht eigentlich nur der mentale Zustand aus. Also zu Ende mit dem "zurück ins Leben" und einfach damit glücklich sein, mit dem was ist. Glücklich sein auch mit Therapie und mit dem allem, was dazu gehört. Es gehört zu mir, wie alles andere auch. Bisher haz es mich vom Leben abgehalten.
Diese Erkenntnis hatte ich in Granon und konnte sie diesmal auch Verinnerlichen. Denn gewußt habe ich es schon länger, bis zur Umsetzung und zur Verinnerlichung dauert es eben.
Am Morgen wachen wir mit Schnee auf. Minusgrade und leichte Schneegrundlage auf den Wegen und der Landschaft ließen mich als äußerste Schicht den Anorak oft auch Tagsüber verwenden. Der kalte, schneidende Wind machte es nicht gerade angenehm.
Trotzdem pfeife ich beim Gehen fröhlich dahin. Das Wetter kann mir nichts anhaben, egal wie es ist. Erinnerungen aus dem Krankenhaus kamen allerdings immer wieder hoch. Aufstehen war mir damals unmöglich, geschweige denn konnte ich gehen, noch hatte ich eineAussicht darauf. Ich war Bettlägrig, ein Pflegefall und das für längere Zeit. Von alldem bekam ich nichts mit und konnte ich auch nicht denken. Beim Blick aus dem Fenster war immer wieder auf einen entfernt liegenden Hang mit Wiese und Obstbäumen gerichtet. Das Grün sog ich auf und inhaliert es. Auch wenn alles triest aussah, ich wollte wieder auf eigenen Füßen spazieren können. Derweil musste der Blick darauf genügen.
Niemand wollte oder konnte mir sagen, wie es um mich steht. In Wirklichkeit war es ein Kampf um Leben oder Tod, den ich aber nicht mitbekam. Ich akzeptierte mein Befinden und tat alles, was ich konnte, um es zu verbessern. Das gilt auch heute noch.
Der Schneefall hier in Spanien glich dem im Krankenhaus. Der grüne Hang gegenüber, war eines Tages plötzlich bedeckt vom Schnee. Es hatte Ähnlichkeit mit der Überzuckerten Landschaft hier in der Gegend um Granon.
Während des Gehen drückte es mir oft die Tränen heraus, denn die Gefühle von damals sind noch stark in mir vorhanden - und auch jetzt beim Schreiben kollern mir die Tränen herab. Ich konnte zwar schon viel am Walkabout verarbeiten, aber die Krankenhauszeit war doch sehr intensiv und ich hatte noch keine professionelle Hilfe dazu.
Das ist mein vierter großer Camino und er ist noch immer nah am Wasser gebaut. Den Tränen lasse ich freien Lauf, denn zulange waren meine Emotionen und Gefühle aufgetaut oder konnte sie nicht zulassen. Da habe ich viel nachzuholen.
Am frühen Morgen stieg ich den Anstieg zum Kreuz hoch. Der Schneebedeckte Weg machte den Aufstieg einfacher, als die Jahre zuvor im Trockenen. Beim Losgehen noch Schneefall, stand ich beim Kreuz von Wolken umringt. Irgendwo an diesem Haufen unter dem Kreuz liegt auch ein Stein von mir, von 2018. Wieder kommen Erinnerungen von damals hoch, wie ich mich hier hochschleppte, mühsam auf den Beinen hielt und jeden Schritt mir hart erkämpfen musste.
Die Gedanken gingen wirr umher und es überraschte mich, dass ich noch immer so stark auf alte Geschichten reagierte.
Das Plateau war mit Schnee voll und ich machte mich nach einer Fotopause an den Abstieg. Ich merkte mein rechtes Bein, welches merklich schwächer war, als das linke. Die Anstrengung des Aufstiegs und die Kälte hatten auf das von der Halbseitenlähmung geschwächte Bein ihre Auswirkungen.
Vorsichtig und langsam stieg ich bergab. Jetzt wartete noch die 10 Kilometer Gerade nach Burgos. Die Hauptstraße vermied ich und nahm den Alternative entlang des Flughafens und später am Fluss entlang. So spazierte ich unter aufkommende Sonne dahin und kam mitten in Burgos an der Kathedrale an. Einen Stempel holte ich noch und ab ins Quartier.
Somit habe ich 285 Kilometer seit dem Start in Frankreich hinter mir und rund 6.000 Höhenmeter.
Am 03.04.2022 hat Leon-Kastilien eine Inzidenz von 270. Im Vergleich dazu Österreich mit über 1800.
Es besteht Maskenpflicht in Innenräumen, wie zum Beispiel in Bars, außer am Sitzplatz. In den Herbergen ist ebenfalls Maskenpflicht, aber es es gibt kaum noch Beschränkungen bei der Belegung der Betten.
Kommt man durch größere Städte, sieht man mehr Maskenträger auf der Strasse. Es bleibt einem aber frei, ob man eine aufsetzt. Speziell ältere Menschen haben eine medizinische Maske auf, selbst im Park, bei großem Abstand. Allerdings hat es derzeit auch "Vorteile", wegen der Kälte.
Jetzt freue ich mich auf die Hochebene, die meist auf 800 bis 900 Höhenmeter liegt. Rund 250, großteils flache, Kilometer warten auf mich und unter anderem die Stadt Leon.
Auf den endlosen Geraden hat man viel Zeit zum Überlegen und nachdenken oder aber auch, nicht zu denken. Bin schon neugierig, wie ich das hinbekomme.
Buen Camino, auch allen Zuhause gebliebenen!
Link zu: Über die Pyrenäen
Link zu: Das Glück des Augenblick am Camino Frances
Am Camino Frances geht es dir umso besser, als du den Augenblick wahrnehmen kannst. Das erfahre ich immer wieder aufs neue.
Im Augenblick zu sein, bedeutet auch mit nicht so angenehmen Situationen klarzukommen, wie manchmal dem Wetter oder Schmerzen. Es ist nämlich alles kein Dauerzustand und gehört ebenso zum Leben.
Manch einer lenkt sich damit am Weg ab, dass er unentwegt Begleitung braucht oder sucht. Er entgeht damit der Konfrontation mit sich selbst, der er aber nicht entkommen kann. Spätestens auf der Meseta mit ihren endlosen, langen und flachen Geraden, kommt er mit sich selbst in Berührung. Da ich nach dem Hirnabszess noch immer sehr viel Ruhe benötige, gehe ich meist alleine. Gespräche kosten mir Energie und Aufmerksamkeit, die ich fürs Gehen brauche.
Heute gings zum Beispiel von Logrono nach Najera, rund 30 Kilometer. Eine einzige Pilgerin habe ich gesehen und kurz mit ihr gesprochen, sonst hatte ich niemanden gesehen.
Zuhause war mein Ziel, meine Gedanken zu leeren, Platz schaffen für neue. Das funktioniert so weit recht gut. Ich kann abschalten, wenn ich es brauche und diese Zeit ist eine Menge, die ich brauche.
Ich genieße es, im Augenblick zu sein. Dann nehme ich die Umwelt besonders gut wahr, besonders die Kleinigkeiten am Weg. Es fängt gerade alles zum Blühen an und die Farben sind besonders schön.
Diese Kleinigkeiten können eine Blüte, ein Käfer oder eine Pflanze sein, die mir ins Auge fällt. Dadurch bleibe ich ganz im Hier und Jetzt verankert. Außerdem spüre ich mich selbst besser und welche Emotionen und Gefühle meinen Körper durchströmen. Ich versuche sie zu benennen und lerne dadurch, mich besser zu verstehen.
Welche Gedanken helfen mir und verbessern mein Befinden, dass gehört zu meinen Aufgaben. Natürlich gehört auch dazu, alles störende zu erkennen und wie ich es wieder gehen lassen kann. Das versuche ich immer weiter zu perfektionieren. Im besten Fall kommen gar keine schlechten Gedanken auf.
Das Wetter kann mich zum Beispiel nicht mehr aus der Ruhe bringen, egal wie schlecht oder gut es ist.
Es waren Tage, wo ich zwischendurch die letzte Zeit aufzuarbeiten versuchte. Anfangs noch mit Problemen beim Gehen behaftet, änderte es sich täglich zum Besseren.
Pamplona zu durchqueren ist immer wieder etwas Besonderes. Es ist die erste große Stadt nach den Pyrenäen. Man kommt recht schnell hinaus auf das Land und dann in Richtung dem ersten Pass, dem Alto de Plano.
Oben auf dem Bergpass steht eines der Wahrzeichen des Camino, Pilger Figuren aus Metall. Die Überquerung ist immer ein grosses Highlight. Beim ersten Mal 2018 war es eine große Herausforderung, besonders der Abstieg danach, über den steilen steinigen Weg.
Die Brücke in Puenta la Reina ist sehr eindrucksvoll und man kann sich gut in alte Zeiten versetzen. Das folgende auf und ab genieße ich, besonders die Städte, die auf einen Hügel gebaut sind.
In Logrono übernachtete ich wieder im Santiago El Real, einem Hostel auf Spendenbasis, angrenzend an eine Kirche. Mit hier verbinden mich schöne Erinnerungen an vor zwei Jahren.
Diesmal übernachten ich auch in Städten. Ich hoffe darauf, auch in Bezug auf Städte, meine Wahrnehmung verbessern zu können.
Das automatische Gehen gehört nach wie vor forciert. Im Moment muss ich zu oft an den Bewegungsablauf denken, besonders auf Schotter und schlechtem Weg. In mir drinnen ist Chaos, denn 5 Jahre Training haben scheinbar nichts geholfen und die eine Woche wegen der Nierensteine lässt mich quasi von vorne beginnen. Trotzdem darf ich mich freuen, denn hätte ich in den letzten Jahren nicht so viel geübt, wer weiß wo ich mich sonst befinden würde.
Das automatische Gehen konnte ich schon verbessern. Die vielen Wiederholungen machen es möglich. Trotzdem fühle ich mich erstmals nicht nur in der Rehabilitation, sondern auch dem Leben näher.
Aktuell geht es weiter in der Region La Riocha, dem Weinbau Gebiet. Was ich dort erlebe, dann das nächste Mal.
Nach dem Rückschlag mit dem Nierenstein, musste ich das Gehen mit der Tiefensensibilität und die Kraft dazu, neu aufbauen. Mein dritter Camino France Start rückte damit in weite Ferne.
Am Ende blieben mir nur eine Woche, um es vielleicht doch noch zu schaffen. Andererseits wusste ich aber doch auch um die guten Möglichkeiten am Camino, also wagte ich es schlussendlich.
Wie üblich, fuhr ich mit dem Flixbus nach Frankreich und dem Zug nach Saint Jean Pied del Port. Nach einer Runde durch den Ort entschloss ich mich, gleich die ersten 13 Kilometer am Winterweg nach Valcarlos zurückzulegen. Vorher besuchte ich noch das Pilgerbüro und ließ mich offiziell registrierten.
Ich startete spät, schaffte es aber noch vor Anbruch der Dunkelheit bis zur Herberge. So konnte ich die Überquerung der Pyrenäen auf zwei Tage aufteilen. Ich war ja noch wackelig auf den Beinen unterwegs und wollte nichts überstürzen.
Das automatische Gehen funktionierte noch nicht so gut, daher hieß es aufpassen. Jeden Schritt achtsam zurück legen, war die Devise.
Für mich ungewohnt spät, ging ich in der Früh um 7h30 los. Zu Mittag erreichte ich Roncevalle und habe damit die Pyrenäen überquert.
Pamplona ist die erste große Stadt nach den Pyrenäen. Ungewohnt müde in den Beinen, zog ich in der Stadt ein. Es war nicht vergleichbar mit den letzten Jahren. Es war zwar zu keiner Zeit anstrengend, aber in den drei Wochen zuvor, habe ich doch recht viel an Kondition abgebaut, was ich jetzt zu spüren bekam.
Bei Tortillas und Caffee con Leche, in einer der vielen Bars, versuchte ich mich zu erholen. Da ich gerade noch bis Ende März in die Winterzeit falle, ist Pamplona ein Etappenziel. Normalerweise meide ich aufgrund der Hochsensibilität alle größeren Städte entlang des Weges. Die Pandemie-Zeit kostete mir viel von der Gewöhnung an die Stadt. Das bekomme ich auch hier zu spüren. Ich habe vieles neu zu lernen.
Jetzt heißt es erstmal erholen und dann geht es auf den Teil nach Burgos.
Meine Rehabilitation nach dem Hirnabszess hat sehr viel mit Bewegung zu tun. Zunächst war es mir nur wichtig, die Bewegung des Gehens zu lernen. Daran arbeite ich auch heute noch. Mit dem therapeutischem Tanzen kam das intuitive Bewegen in mein Leben und dieses brachte eine neue Dimension der Bewegung, nämlich die Innere, wie die Äußere Bewegung. Welche Impulse zur Bewegung habe ich und möchte oder kann ich diesen nachgehen.
Die letzte Tanztherapiestunde vor meinem Aufbruch zum Camino war sehr erkenntnisreich. Nach Wochen der Schwere nach dem Sturz am Eis und besonders nach dem Nierenstein, brachte diese Stunde einen Umschwung. Noch gezeichnet vom Abgang des Nierensteines, dem Kreuzweh und einer gestörten Propriozeption, fühlte ich mich erstmals seit Wochen danach wieder mit Leichtigkeit und Beschwingtheit erfüllt.
Eine Stunde Bewegung in der Therapie kann anstrengend sein. Diesmal fühlte ich mich aber beschwingt und leicht danach. Es tat so gut, dass ich beschloss, die über 20 Kilometer zu Fuß nach Hause zu gehen und diese intuitive Bewegungen unterwegs im Gehen zu spüren, sie zuzulassen und damit das Gelernte zu verinnerlichen. Es wurde ein Gehen unter Freude und die Bewegung tat gut.
Die in unserem Körper erlebten Erfahrungen, werden durch Bewegung sichtbar. Aufrichtung, Beweglichkeit, Geschmeidigkeit und vieles andere, zeigen vieles im Körper auf, was es schwer oder leichter macht. Einerseits sich diesem Fluss hingeben zu können und andererseits, bewusst etwas korrigieren zu können, macht es faszinierend.
Es kann aufregend sein, seinen Körper durchs Freie zu bewegen. Weder die Leistungsfähigkeit, das Befinden, die Form des Körpers oder irgendwas anderes sollte uns daran hindern, in die Natur zu gehen. Denn wir sind Natur und deshalb fühlen wir uns so wohl darin und es geht uns danach besser.
Natur ist kein Wettkampf und schaffen wir es, diesen (Leistungs-)Gedanken wegzulassen, kann es nur guttun. Dazu müssen wir aber aus diesem Leistungsgedanken aussteigen und nur das tun, was einem entspricht. Vergleich mit anderen gehört nicht dazu, besonders der Vergleich mit Sportlern, denn dann sind wir wieder im Leistungsgedanken.
Mache ich das, was mir guttut, komme ich mir näher und damit verbessert sich mein Befinden. Die richtige Balance zu finden und früh genug zu sagen, es reicht, ist eine Sache, wie gut ich mich spüren und auf mich hören kann, die andere. Dieses Spüren ist immens wichtig, für mehr Wohlbefinden. Das ist meine wichtigste Sache in der Rehabilitation, seit Anfang an.
Der Nierenstein war für mich ein Aufwecken, wieder mehr in mich zu vertrauen, mich zu spüren und meinem Weg treu zu bleiben.
Das therapeutische Tanzen ist meine wichtigste Therapie seit zweieinhalb Jahren und es tut mir leid, nicht früher davon erfahren zu haben. Es hätte vieles erleichtert und gerade in der ersten Zeit nach dem Hirnabszess, vieles besser vorangebracht. Gerade die ersten zwei Jahre waren so wichtig danach.
Die Tanztherapie ist eigentlich für jeden etwas, der Probleme damit hat, sich mit sich selbst zu verbinden. Es ist toll zu sehen, wie es Menschen verändert, oft nach nur wenigen Sitzungen und das in vielen Bereichen. Das über die Bewegung zu sehen, ist einfach genial und leider in unserem Gesundheits- besser gesagt Krankeits-System, nicht sehr bekannt und anerkannt.
Je nachdem wie Corona vorherrschte, fand die Therapie bisher in der Gruppe oder im Einzeltraining statt. Auch die Gruppe hat für mich Vorteile, denn wenn ich mir das Gesamte anschaue, so sind es Meilensteine, die ich ohne Tanztherapie nie erreicht hätte. Meine Bewegung hat sich auf eine Art verbessert, die mir viel mehr Lebensqualität gebracht hat.
Gerade seit Corona hat mir die Tanztherapie sehr geholfen, um über die Runden zu kommen. Sie hat meine Bewegung im Alltag sehr verbessert und durch das intuitive Erfassen erleichtert. Natürlich geht es auch um Leistungssteigerung, aber um keinen Leistungsvergleich mit anderen. Ich verfolge noch immer Trailrunning, obwohl ich seit 6 Jahren nicht mehr gelaufen bin. Es hilft mir nach wie vor, diese innere Leichtigkeit durch Beobachtung zu verinnerlichen, auch wenn ich es im Außen gar nicht kann.
Meine Behinderungen" sehe ich selbst gar nicht als solche, denn eigentlich gibt es keine Behinderungen. Wir werden nur sehr oft in ein Eck gedrängt.
Am Camino merkte ich sehr schnell, ob man sein eigenes Tempo geht oder versucht, das Tempo anderer mitzugehen. Hier lernt man sehr gut, seinem eigenen Tempo zu vertrauen und sich durch nichts aus der Ruhe bringen zu lassen. Allerdings nur, wenn man es möchte.
Der Camino in Spanien war die beste Heilung für mich, genauso wie für viele andere Menschen. Hier konnte ich zum ersten Mal wieder mit mir in Verbindung kommen.
Corona machte es für mich zwei Jahre lang nicht möglich, diesen Weg und diese Art der Heilung weiterzuverfolgen. Dieses Jahr scheint es zu gehen und ich werde es ab nächster Woche wagen. Mit dem Bus werde ich nach Frankreich fahren, um den Camino France zu gehen.
Ich weiß noch, wie ich mich letztes Jahr auf dem Weg durch Österreich, noch oft schwergetan habe. Pilgern in Spanien hätte ich vorgezogen. Corona hat das Reisen zu meinem Nachteil sehr verändert. Aber ich habe mich letztes Jahr quasi hineingeworfen und die Herausforderung angenommen, dieses neue Leben zu lernen. Genauso mache ich es auch dieses Mal. Ich lasse alle Regeln auf mich zukommen und versuche damit klarzukommen. Allein die Anreise ist für mich schon eine Herausforderung.
Bin ich zum Walkabout von zu Hause losgegangen, reise ich diesmal mit dem Bus an, so wie zu meinem letzten Camino, im Jänner 2020. Von daheim losgehen nach Santiago de Compostela, geht für mich diesmal nicht, denn wenn ich es auch noch so gerne täte, es ist zu früh, zu kalt und nach dem Nierenstein ist mein Zustand auch nicht gut.
Ich verfolge dieses Mal andere Ziele. Ich werde versuchen zu Schreiben und an meinem Buch weiterarbeiten, meine Bewegung zu verfeinern, zu Malen und einfach eine gute Zeit zu verbringen. Nach diesen zwei Jahren mit Corona, wo es im Gesamten mit meiner Rehabilitation bergab ging, ist es dringend an der Zeit, wieder etwas in die andere Richtung zu machen.
Mein Glaube in die Politik und die Ärzte hat in dieser Zeit sehr gelitten und nur das therapeutische Tanzen hat mich einigermaßen oben gehalten. Es geht in unserem System noch immer sehr um das Geld und weniger um den Menschen. Daher werde ich meinen Weg weiterhin verfolgen.
Bewegung in der Natur hilft mir schon lange, trotz der Behinderung, ein erfülltes Leben zu leben. Innere und äußere Bewegung wurden mein wichtigstes und das kann ich in der Natur am besten ausleben. Mein "Zurück ins Leben" veränderte sich sehr, hauptsächlich durch Corona.
Es ist mir wichtig, wieder Beziehung zu Menschen zu lernen, mich austauschen zu können und andere Sichtweisen kennenzulernen. Das wird am Camino besonders interessant, da dort so viele verschiedene Nationalitäten anzutreffen sind. So lasse ich mich überraschen, wie sich meine innere und äußere Bewegung verändert.
Bezüglich der Nationalitäten möchte ich noch eine Geschichte vom Camino Norte 2019 erzählen. Ich übernachtete in einem Kloster und war zu einem Empfang und Gottesdienst für die Pilger eingeladen. Allerdings kam ich mit einem Israeli zu spät zum Treffpunkt und so suchten wir den Raum, wo es stattfinden sollte.
Jemand schickte uns nach außerhalb des Klosters, in deren Nähe eine Kirche stand. Wir öffneten die große Eingangstüre und blickten vorsichtig hinein. In diesem Augenblick drehten sich dreißig Köpfe nach uns um und der Pfarrer winkte uns mit einer einladenden Geste zu sich. Wir überlegten kurz, konnten aber nicht mehr zurück.
Es waren nur Einheimische anwesend und beim Hineingehen flüsterte der Israeli in Englisch zu mir: "But it´s not my Confession!". "I think, it´s ok. No problem!", antwortete ich ihm. Sein Gesicht dabei werde ich nie mehr vergessen.
Beim nach vorne gehen an den Sitzreihen vorbei, bekamen wir aus jeder Reihe einen Gruß oder ein "Buen Camino" zu hören. Der Pfarrer setzte uns in die erste Reihe und führte seine Predigt auf Spanisch fort. Es war zum Glück bereits das Ende des Gottesdienstes, aber er hatte dann noch eine Extrazulage, eine Pilgergeschichte über den heiligen Jakob auf Englisch für uns, dem auch die dreißig Einheimischen gespannt zuhörten.
Im Anschluss gab es sogar noch einen Pilgerseegen für uns. Daraufhin sollte jeder von uns beiden erzählen, woher wir kamen und etwas, was wir am Weg erlebt haben. Danach wurden wir vom Pfarrer und allen dreißig Personen persönlich mit Handschlag verabschiedet und uns alles Gute für den weiteren Weg gewünscht.
Ein tolles Erlebnis, das zeigte, wie tief verankert der Jakobsweg in Spanien ist und wie freundlich alle Nationalitäten aufgenommen werden. In dieser heutigen Zeit keine Selbstverständlichkeit. Es wird spannend, wie ich es diesmal aufnehmen werde.
Am Dienstag geht es in Saint Jean Pied del Port los und die nächsten Wochen werde mich 800 Kilometer zu Fuß nach Santiago bringen. Seit dem Nierenstein habe ich mich wieder verstärkt der Propriozeption gewidmet und auch am Camino werde ich mich dem widmen, ebenso wie dem Leben.
Am Camino kann ich so sein, wie ich bin und darauf freue ich mich.
"Buen Camino!"
Die letzten Wochen habe ich es ruhiger angehen lassen müssen, denn meine Rehabilitation ist ins Stocken gekommen. Zum ersten Mal seit 5 Jahren ging es in die andere Richtung, nämlich bergab. Ein Nierenstein sollte mich auf eine harte Probe stellen.
Auf meinem imaginären Himmel und Hölle Spiel, fiel ich auf unter drei und damit so tief wie schon lange nicht mehr. Zur Erinnerung, dieses Kinderspiel geht von 1 bis 10, anhand dieser Zahlen ich meinen Gesamtzustand bewerte.
Mit dem Camino im Winter 2020 bewegte ich mich erstmals auf der 4, mit Tendenz zur 5. Die Corona-Pandemie ließ mich kaum mehr über die 3, nur in Ausnahmefällen, wie dem Walkabout, wo ich auf die 4 zuschreiten konnte. Corona brachte insgesamt eine Stagnation und eher Abstieg.
Nur mein jahrelanges Training, das viele Gehen und Üben bewahrte mich vor Übleren. Schon lange ist es mein (Zwischen-)Ziel, auf über 50 % meiner Leistungsfähigkeit zu kommen, denn dann kann ich Rückschläge leichter verkraften.
Der Nierenstein hat mir tagelang mit seinen Koliken Schmerzen bereitet, mein Körpersystem durcheinander und den Großteil meiner Energie verbraucht. Ich lag auf etwa 35 %, aber die Nierensache brachte mich zurück auf 20 %. Es heißt jetzt zunächst wieder alles bisher erarbeitete zurückzugewinnen, was aber Wochen dauern wird.
So konnte ich sehen, dass mir mein vieles Training etwas brachte. Ich möchte gar nicht daran denken, wenn mir das auf Stufe 2 oder mit 20 % Leistung passiert wäre. Mit 10 % wäre ich ein Pflegefall.
Für einen Tag fand ich mich im Krankenhaus wieder, bis abgeklärt war, wie viele Steine oder wie groß der Stein war. Es war zum Glück nur einer, in der Größe von etwa 3 mm und sollte innerhalb einer Woche abgehen.
Bis es allerdings so weit war, standen mir einige Koliken bevor, die mich extrem forderten. Zu alldem kamen viele Traumen hoch, die ich bisher nicht verarbeiten konnte. Speziell mehrere Flashbacks bei der Blutabnahme und dem CT waren belastend. Es war aber auch eine gute Gelegenheit, damit umgehen zu lernen und zu erkennen, wo ich noch Schwachstellen habe.
Noch wichtiger war aber, die geistige Bedeutung von Nierensteinen zu erkennen. Sie bedeuten überlebte Themen oder versteinerte Emotionen, die den Fluss der Entwicklung blockieren. Seelische Themen versteinern und werden chronisch. Wer kennt nicht die Bibelstelle von Loths Frau, die sich umwandte (zurückschaute) und zur Salzsäule erstarrte. Sie war nicht nach vorwärts gewendet und damit im Fluss des Lebens.
Dieses Versteinern haben auch Nierensteine und damit sind rückschauende Themen gemeint, die noch nicht endgültig gelöst sind. Der Organismus möchte sie unter Geburtsähnlichen Schmerzen loswerden, quasi den Stein gebären. Für mich bedeutet das, diese Themen wieder in Fluss zu bringen, um sie seelisch endlich abzuschließen. Es gibt eben immer was zum Dazulernen und die Nierensteine zeigen mir sehr gut auf, wo ich hinschauen soll.
"Konsequent werden, statt zu versteinern."
...ist ein passender Spruch dazu!
Seit fünf Jahren befinde ich mich jetzt in Rehabilitation und ich hatte noch nie einen so starken Rückschritt, wie jetzt. Die Koliken kosten viel Energie, und durch die Muskelschwäche konnte ich mich bald von einer bis zur nächsten Kolik, nicht mehr erholen. Hüpfen oder Stiegen steigen helfen, aber meine Kraft reichte dazu nicht aus.
Nach einer Woche ging der Stein endlich ab, aber noch war ich nicht schmerzfrei. Durch die Belastung, ich windete mich in Koliken vor Schmerzen im Liegen, war meine sowieso geschwächte Rückenmuskulatur beleidigt und ich habe mir kurzerhand das Kreuz verrissen.
Also war viel Ruhe geben angesagt, neben meinen Therapiemöglichkeiten zu Hause. Ich musste trotzdem in ausreichender Menge versuche in Bewegung zu bleiben und optimale Balance in allem zu finden. Lichttherapie, medizinische Rüttel-Maschine und Entgiftung standen am Programm. Nach zwei Wochen konnte ich wieder mit vorsichtigem Gehen beginnen. Da merkte ich, dass meine Propriozeption besonders darunter gelitten hat.
Zu spüren, wo der Körper endet, bekam wieder mehr Bedeutung. Besonders beim Stiegen steigen merkte ich die verschlechterte Tiefensensibilität oder beim Bergauf gehen. Ich hatte das Gefühl für Stiegen steigen oder der Steilheit des Weges und welchen Krafteinsatz ich dafür benötige, um aufzutreten, verloren zu haben.
Ich kann zwar gehen, aber ich muss aufpassen, denn Fuß vorsichtig hinzusetzen und mir das Hinklatschen abgewöhnen. Es war wie am Anfang, wieder Gehen zu lernen.
Wenigstens passte die Sauerstoffsättigung, der Ruhepuls war aber wieder zu hoch.
Langsam und vorsichtig taste ich mich wieder heran, wobei ich mir bereits gekonntes wieder neu erarbeiten muss. Zunächst heißt es Kraft wiedergewinnen und die Langsamkeit fördern und beachten. Werde ich zu schnell, habe ich kein Gefühl für den Krafteinsatz und trete zu hart auf. Die Knochen und Fußgelenke leiden dann darunter. Ich darf also weicher mit mir umgehen.
Besonders die Wahrnehmung hat gelitten, beim automatischen Gehen im Gelände merke ich es besonders. Achtsamkeit ist das Gebot der Stunde. Der Körper ist ein Fenster zur Seele und das kann einfach, aber auch sehr komplex sein. Meines ist derzeit aus den Fugen geraten und ich habe mein Wohlergehen dahingehend zu fördern. Hand in Hand, Körper und Geist zusammen, kann mir dieses bringen.
Vertrauen in mich zu haben ist wichtig und auch auf mich zu hören. Mein Körper sagt und zeigt mir, was mir guttut. Das Leben ist Bewegung und deswegen tut mir das körperliche Bewegen in der Natur so gut, weil damit auch mein Geist gefördert wird. Das therapeutische Tanzen ist mir eine große Hilfe.
Was mir damals schon geholfen hat, wird mir auch heute helfen. 2018 habe ich notiert:
"Man kann meine Gedanken nicht operieren, ebenso nicht die neurologischen Fähigkeiten. Ich kann dabei ausschließlich auf die Kraft des Geistes setzen. Der Geist heilt den Körper. Mich wieder ins normale Leben integrieren, das eigene Glücklichsein dabei, ist das Ziel."
Auszug aus meinen Handgeschriebenen Aufzeichnungen 2018
Eine weitere Aufzeichnung aus dem Krankenhaus 2016 zeigt mir, was ich bis heute bereits erreicht habe. Es tut gut, das zu lesen, denn es beruhigt. Es ist noch vieles nicht wiederhergestellt, aber bereits trotzdem so viel erreicht. Das muss ich mir immer wieder bewusst machen, dann verlieren Rückschläge an Bedeutung.
Denn ich bin nur so gut, wie an meinem schlechtesten Tag, nicht der beste darf der Maßstab sein. Damals im Krankenhaus brauchte ich Wochen, bis ich mich überhaupt aufsetzen konnte.
"Aufsetzen probieren. Ich zwinge mich, nicht in Ohnmacht zu fallen. Diese Mobilisation bekommt niemand aus meinem Umfeld mit, weder Ärzte, Krankenschwestern, noch meine Familie. Ich übe es immer und immer wieder im Geheimen."
Auszug aus meinen Handgeschriebenen Aufzeichnungen im Krankenhaus 2016
... und gegebenenfalls anpassen!
Wenn alles klappt, werde ich noch im März Pilgern gehen. Wenn ich an meine Jakobswege zurückdenke, hatte ich dort meine größten Fortschritte gemacht. Das ist genau das, was ich jetzt brauche.
Die Situation erinnert mich an meinen ersten Jakobsweg 2018. Alles sprach damals dagegen, dass ich fahren sollte oder besser gesagt, überhaupt könnte! Ich habe meinem Gefühl vertraut und bin nicht enttäuscht worden. Dasselbe werde ich auch jetzt machen. Wenn mir mein Gefühl positive Zeichen gibt, werde ich nach Spanien fahren!
Mehr dazu in ein paar Tagen, wie ich mich wohl entscheiden werde?
Die Folgen des Hirnabszesses bereiten mir nach wie vor Schwierigkeiten. Der Abszess saß am Thalamus, der Steuerzentrale des Körpers. Durch die Corona-Pandemie musste ich meine Rehabilitation verändern und das war nicht leicht, denn viel Training der ersten Jahre war damit umsonst, wie das Gewöhnen an die Stadt.
Seit der Pandemie ist die Natur noch mehr mein "Rehazentrum" geworden. Das Idita Sport Race in Alaska nannte der Regisseur Gernot Lercher, die größte "Sportarena" der Welt. Heute ist die Natur meine größte "Reha-Arena" der Welt.
Oft geht ein Hirnabszess mit einer gesamten Wiederherstellung aller Funktionen aus. Bei mir ist das nicht der Fall, da der Abszess am Thalamus saß.
Der Thalamus ist die Steuerzentrale des Körpers und betrifft Körper und Geist. Daher bin ich auch noch nach über fünf Jahren in Therapie und Rehabilitation.
Er ist die Sammelstelle für alle Sinneseindrücke, außer dem Geruchssinn. Bei mir kommt es zu Störungen der Oberflächen- und Tiefensensibilität, welche eine Schwere in den Extremitäten zu Folge hat. Motorische Phänomene und eine Halbseitenlähmung kommen dazu.
Die Tiefensensibilität ist für die Eigenwahrnehmung der Motorik wichtig, um seine Lage im Raum zu bestimmen und seine Haltung zu entwickeln. Nur langsam kann ich mich wieder räumlich zurechtfinden und orientieren.
Bergauf und bergab wurde es zwar auch besser, ich habe aber noch immer Schwierigkeiten damit. Solange mein Kopf aufrecht bleibt, habe ich es unter Kontrolle. Muss ich den Kopf neigen, bekomme ich Wahrnehmungsschwierigkeiten, die sich in Schwindel äußern und Unsicherheit. Darum geht es in erster Linie, wenn ich von Wahrnehmung spreche.
Das Training dafür führt mich meist in die Natur. Steile Hänge querfeldein kletternd, bringen mich schnell ans Limit.
Da ich mit allen vieren dahin steige, bin ich außerhalb der Zentriertheit, was mein Gehirn nicht verarbeiten kann. Bleibe ich stehen, muss ich zuerst die Augen schließen, um den Schwindel zu verarbeiten. Nach ein paar Minuten kann ich weiter steigen.
So arbeite ich mich höher und höher. Es ist ein langsames herantasten, wie das Gehen lernen. Körperlich ist es anstrengend, denn die Muskelschwäche lässt mich schnell außer Atem kommen.
Die ersten Jahre war es mir nur wichtig, wieder aufrecht gehen zu können. Jetzt stehen die nächsten Hürden an. Schnelle Lageveränderungen sind mir nicht möglich und daher mein nächstes Ziel. Es würde so viel mehr an Sicherheit bringen, nicht nur im Straßenverkehr.
Seit der Corona-Pandemie halte ich mich fast nur mehr in der Natur auf. Mich an die Stadt zu gewöhnen, habe ich derzeit aufgegeben. Ich genieße die Wunder der Natur und besonders die ersten Frühlingszeichen. Speziell die Bäume strahlen eine Stärke aus und passen sich oft der Natur ganz ungewöhnlich an.
Die Natur ist mir dabei sehr behilflich, meine Wahrnehmung zu verbessern. Allerdings ist es nur in kleinen Schritten möglich, denn nach einem solchen Training brauche ich mehrere Ruhetage.
Sobald es die Pandemie zulässt, möchte ich wieder Pilgern gehen, denn das ist dafür besonders geeignet, meine Wahrnehmung zu verbessern.
Wandern als Therapie, am Grazer Umland-Weg. Brain Fog, chronische Fatigue, Muskelschwäche, meine Beschwerden seit dem Hirnabszess haben viele Namen. Sie haben große Ähnlichkeit mit Long Covid und erfordern nach wie vor Therapie.
Diesmal gings am Grazer Umlandweg, von Straßengel zum Stift Rein und zurück. Der Aufenthalt in der Natur hilft mir, diesen Gehirnnebel wieder ins Gleichgewicht zu bekommen.
Bis zum März 2020 konnte ich mich verbessern, was meine Gedächtnisleistung betrifft. Seit Beginn der Corona-Pandemie trat wieder eine Verschlechterung ein.
Es ist kein richtiges Denken möglich, man vergisst ständig was und es ist kaum möglich, mehr als ein, zwei Seiten eines Buches zu lesen, die Konzentration fehlt. Stimmungsschwankungen, eine mangelnde Fokussierung, Konzentrationsschwierigkeiten mit einer Orientierungslosigkeit, fällt mir seit dem Winterbeginn an mir auf.
Was ist Brain-Fog? https://www.panikattacken-wastun.at/angststoerung-brain-fog/
Ich brauchte von 2016 bis 2019, um meine Gehirnleistung einigermaßen zu verbessern. Nach dem Camino France im Jänner/Februar 2020 war meine Gehirnleistung so gut wie noch nie, seit dem Hirnabszess. Mit Beginn der Corona-Pandemie begann es sich zu verschlechtern. Die Lockdowns und die vielen Regeln, beherrschen meine Denkvorgänge und stellen mich vor besondere Herausforderungen.
Mit dem Winterbeginn trat dieser Brainfog immer wieder auf und hat jetzt einen Höhepunkt. Mein Gehirn kreist ständig um Corona, auch wenn ich es nicht möchte. Es ist schwierig aus diesem Gedankenkarussell auszusteigen und klare Gedanken unmöglich.
Die Ursache dafür kann vielfältig sein, bei mir war es der Hirnabszess. Seit Covid ist es bekannter, denn manchmal erkranken auch Covid Betroffene daran. Es ist aber nicht nur das. Die chronische Fatigue und Muskelschwäche betrifft mich schon seit Jahren. Dazu die fehlende Propriozeption und fertig ist der Salat. Oft weiß ich gar nicht, woran ich trainieren soll oder worauf ich mein Hauptaugenmerk legen soll, weil noch immer so viel notwendig ist.
Was mir sehr hilft, ist Wandern. Das Pilgern in Spanien fehlt mir, denn das hat mir bisher am besten geholfen. Im Gehen wird das Gehirn und das Denken beruhigt. Gut sind neue Wege, wie der Grazer Umland-Weg, denn dann ist das Gehirn damit beschäftigt neues aufzunehmen und kann nicht in eine Endlosschleife fallen, wie es sonst leicht der Fall ist.
Wandern, Pilgern und Gehen ist eine Möglichkeit, dem Brain Frog zu entkommen. Am wichtigsten ist es, im täglichen Leben etwas zu ändern. Das ist seit Corona allerdings anders geworden, denn diese Änderungen sind nur begrenzt für mich möglich. Von der Politik, bis zu den Regeln, belastet zu viel meine Gedankengänge, da bleibt oft kaum etwas fürs Gesund werden über.
Eine weitere wichtige Therapie ist das therapeutische Tanzen, die auch mit Bewegung zu tun hat. Ich schließe es meist danach mit einer Wanderung von Frohnleiten nach Judendorf ab, wo ich das neu Gelernte verfestige. Das Gehen und Bewegen bleibt meine beste Therapie.
Nach einer schlechten Nacht, wegen dem Brain Frog, beschloss ich über den Grazer Umland-Weg nach Rein zu gehen und wieder zurück nach Judendorf. Bei sonnigem Wetter startete ich bei der Kirche in Straßengel. Auf Wald- und Wiesenwegen, legte ich die ersten Kilometer zurück. Seit meinem Sturz am Eis zu Weihnachten, steht das Training an der Koordination an erster Stelle. Diesmal wollte ich aber im Kopf leer werden und dem Gedanken Karussell entkommen.
Nach einem Asphaltstück ging es einen traumhaften Waldweg entlang. Der Wald hat mir schon immer sehr gut geholfen und ich kann mich gar nicht satt daran sehen, an den Bäumen und den Farben. Bergauf, bergab führt mich der Weg in die Schirning, oftmals noch die Kirche Straßengel im Blickfeld. "Waldbaden" ist ja öfter Teil meines Therapie-Planes.
Von der Schirning geht es entlang des Aichkogels vorbei. Meist im Wald, ist es sehr beruhigend für die Augen, den Geist und das Gehirn. Jegliche belastenden Gedanken verschwinden und man steht im Leben, welches die Grundbedürfnisse befriedigt, an erster Stelle dem Atem.
Durch die Muskelschwäche kommt dem Atem eine besondere Bedeutung zu. Es dauerte dreieinhalb Jahre, bis ich den Ruhepuls von 80 nach dem Krankenhaus, auf 55 bis 60 herunterbrachte. Als Radrennfahrer hatte ich 35 und vor dem Hirnabszess noch 45. So stapfe ich aufwärts, auf den Atem konzentriert und ohne Gedankenspiele im Kopf.
Nach 15 Kilometern erreiche ich das Stift und mache gegenüber auf einem Hügel, mit Blick hinunter und über die Gegend, Rast auf einer Bank. Es ist so anders, wenn ich unterwegs bin. Alles fällt von mir ab und ich brauche mich nur um mich selbst spüren und kümmern. Gerade dieses selbst spüren, was ich in mir fühle, ist wichtig.
Die Gegend um Stift Rein gefällt mir und der Grazer Umland-Weg führt durch Wälder, die im Sommer besonders grün sind. Einer der wenigen Vorteile in dieser Corona-Zeit, ist das Kennenlernen meiner Umgebung und das Anfinden von immer noch neuen Wegen, die ich noch nicht kenne.
Von Rein weg, geht es noch auf den Kalvarienberg mit seinem Kreuzweg. Moderne Kreuze säumen den Weg, der an einer Kapelle endet, hoch über dem Gratkorner Becken. Eine tolle Aussicht zum Abschluss. Vorsichtig geht es steil hinunter nach Gratwein. Jeden Tritt muss ich aufpassen und genau überlegen, wo ich den Fuß hinsetzen.
Ich entschließe mich für den direkten Weg von Gratwein zurück nach Judendorf. Den Waldweg hebe ich mir fürs nächste Mal auf. Bald lacht mir die Kirche von Straßengel entgegen und ich schließe die Runde nach über 20 km ab.
Es war diesmal fast ein Pilgerweg für mich. Mehr nach Innen gekehrt, als nach Außen. Ja, Gehen gibt mir Sinn und bringt mich wieder ins Gleichgewicht. Seit meinem Walkabout war ich nicht mehr über mehrere Tage unterwegs, dabei hilft es mir wie kaum was anderes, in meiner Rehabilitation. Das Gehen bringt mich zurück ins Leben.
Aus diesem Grund möchte ich heuer noch Pilgern gehen oder, je nach Pandemie Lage, einen langen Weg in Österreich. Ich habe viel erreicht dadurch in den letzten Jahren in meiner Rehabilitation, wenn es durch Corona auch verzögert wurde.
Mal schauen, wo mich die Pandemie noch hinlässt?
Die letzten Wochen waren ungewohnt anders, als die Monate davor. Ein Sturz am Glatteis zu Weihnachten, hatte neben Prellungen meinen gesamten Körper erschüttert und mein Gehirn durcheinandergebracht. Nach einem ziemlichen Auf und Ab der letzten Wochen, stand dringend ein Auslüften meines Gehirns in der Natur an.
Ähnlich erging es mir vor meinem ersten Jakobsweg 2018. Mein Ziel war damals, im Gehirn wieder leer zu werden. Damals kreisten viele Fragen in mir herum, waren aber nicht weiter oder fertig zu denken. Seit der Corona-Pandemie geht es mir ähnlich. Die vielen Regeln und Bestimmungen fordern mein Gehirn mehr, als mir lieb ist. Dabei brauche ich nach wie vor alle Ressourcen fürs Gesund werden.
Nach vielen Ruhe- und Erholungstagen musste ich in die Natur, denn nur dort findet mein Gehirn die Ruhe, die es braucht. Waldbaden und Bewegung im Wald sollte mich wieder in die Spur bringen. Ich war zwar in den letzten Wochen öfter im Wald unterwegs, aber jeder Schritt musste angedacht werden und langsame Bewegungen waren notwendig. Ich fühlte mich in diesen Tagen zurückversetzt an den Anfang meiner Rehabilitation, vor fünf Jahren.
In Gratkorn ging es in den Wald. Gehen, Bewegung mit einem Tuch und ein wenig Bouldern nahm ich mir vor. Klettern trainiert Kraft, Beweglichkeit, Koordination und die Wahrnehmung. Besonders das Abschätzen wie weit der Griff weg ist und die Koordination dazu, bringt mir viel.
Wobei Klettern und Bouldern eigentlich übertrieben ist. Einfach in den Fels einen Fuß hoch einsteigen und dann hin und her, mehr ist nicht notwendig. Kaum ist die Hand am Fels, geht es nur mehr ums Greifen und die Wahrnehmung, das Gehirn beginnt abzuschalten und sich zu fokussieren.
Durch die Muskelschwäche bleibt mir allerdings nur kurze Zeit zum Üben. Gegen meine ersten Versuche vor 3 Jahren, habe ich allerdings eine Steigerung. Der echte Fels bringt, im Gegensatz zur Kletterhalle, meine Finger viel schneller ans Limit.
Bei der Therapie im therapeutischen Tanzen konnte ich wieder mehr Leichtigkeit in den Körper bekommen, der sich in den letzten Tagen und Wochen, seit dem Sturz, schwer anfühlte. Besonders die Oberschenkel und Arme sind davon betroffen.
Übungen mit Tüchern aus Seide sind besonders erfolgreich, um wieder mehr Leichtigkeit zu spüren. Mit so einem Tuch übe ich zu Hause und im Freien, so wie hier im Wald. Es sind oft die kleinen und spielerischen Dinge, die große Wirksamkeit haben.
Den Tag in der Natur konnte ich genießen und endlich einmal abschalten. Schon in den letzten Wochen habe ich begonnen, in der Natur wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Das ist oft nicht einfach, denn die Handicaps begleiten mich jederzeit und erinnern mich jede Sekunde daran.
Da kommen solche Tage recht, um mich anderen Dingen widmen zu können. Im Wald entdeckte ich einen besonderen Baum, der wie aus einem Felsen gewachsen schien. Eine faszinierende Erscheinung, wie er um den Felsen herum wuchs.
Seit Corona hat sich viel verändert und besonders das Leben lernen unmöglich gemacht. Das trifft mich am meisten. Nur wenige Ausnahmen, wie der Walkabout, haben mich das Leben wieder spüren lassen. Die meiste andere Zeit ist mein Gehirn mit den Regeln und Bestimmungen für Corona beschäftigt, damit kommt es kaum klar.
Seit Corona befinde ich mich fast nur in Therapie und Rehabilitation und besonders mein Gehirn leidet darunter. Darum war dieser Tag in der Natur so besonders, wie schon lange nicht mehr.
Schon als Energetiker vor über 20 Jahren, war es mein Ziel, Körper und Geist ins Gleichgewicht zu bringen. Denken und Fühlen, sind mit den Organen und deren Funktion nicht voneinander zu trennen. Durch den Hirnabszess bzw. schon vorher, war dieses Gleichgewicht durcheinander gebracht und verursachte den Abszess.
Seit bald sechs Jahren ist mein ganzes Tun darauf ausgerichtet, wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Bis Anfang 2020 therapierte und trainierte ich die verschiedensten Bereiche, zu denen auch wieder soziale Kontakte gehörten. Der Camino Norte 2019 und der Winter-Camino im Februar 2020 war eine tolle Steigerung, aber mit dem Beginn von Corona im März 2020 begann eine neue und andere Phase.
Körper und Geist gehören zusammen. Daher ist es sinnlos, den Focus nur auf eines zu legen. Meine Rehabilitation hat ganzheitlich zu erfolgen, denn nur das bringt meinen Körper und Geist zusammen. Manches fällt wegen Corona flach oder ist mir wegen der veränderten Strukturen nicht möglich.
Um nach einer schweren Krankheit wieder ins Gleichgewicht zu finden, sind mehrere Punkte notwendig:
Ich versuche einfach gesund zu leben, als Basis. Gesundes Essen, so gut es geht. Ich bin limitiert beim Kochen, denn aufwendiges Kochen funktioniert für mich nicht, da stoße ich zu schnell an Grenzen des Gehirns. Trotzdem bringe ich es ganz gut hin. Bewegung ist unerlässlich, um gesund zu bleiben. Bewege ich mich weniger, fühle ich mich schnell nicht wohl. Der Schlaf ist die Zeit wo ich mich erhole. 10 Stunden in der Nacht sind mein Minimum. Trotzdem ist nicht entscheidend wie lange ich schlafe, sondern wie munter und erholt stehe ich danach auf. Zum Schlaf in der Nacht, brauche ich noch viele Ruhephasen über den Tag.
Die Psyche gehört zum Gleichgewicht, darum ist darauf Augenmerk zu legen. Aktive Beteiligung ist dabei notwendig, denn nur so kann Veränderung erreicht werden. Trauma-Aufarbeitung, Psychologe oder Selbsthilfegruppen, sind alles Möglichkeiten, die man in Anspruch nehmen sollte. Bei mir gehört auch das therapeutische Tanzen zur psychologischen Hilfe, da es nicht nur Bewegung ist, sondern auch eine entsprechende Geisteshaltung gefördert wird, die der Bewegung dient. Ziel ist es, aufbauende Gedanken und Gefühle zu haben und keine Zeit in negativer Stimmung zu verbringen. Louise Hay sagt:
"Jede Zelle in unserem Körper reagiert auf jeden einzelnen Gedanken, den wir denken."
Louise Hay
Sie verhilft zum Focus auf sich selbst und steigert das seelische Wohlbefinden. Es hilft sehr, sich fokussieren zu können.
Informieren gehört für mich dazu, Eigenverantwortung zu übernehmen. Alles in Bezug auf die Erkrankung, wie mögliche Hilfen, Therapien oder andere alternativer Maßnahmen, die Hilfe versprechen. Vieles was ich mache, habe ich selbst herausfinden müssen, denn über die Ärzte erfährt man kaum was, außer das Übliche. Dabei können alternative Ansätze oft so hilfreich. Das therapeutische Tanzen hätte mir gerade am Anfang so viel gebracht, aber diese Information bekam ich nie.
Das ist einer der schwersten Punkte für mich, da ich erst seit 2019 damit begonnen habe, das soziale Leben zu beginnen. Ich habe es erst zu lernen. Corona hat das allerdings größtenteils zum Erliegen gebracht.
Etwas Schweres auf uns eintreffend, kann es uns aus der Bahn werfen. Neben dem Körperlichen war es unbedingt notwendig, auch ein neues seelisches Gleichgewicht zu finden. Bewältigungsstrategien zu entwickeln, gehörte besonders am Anfang zu meiner Rehabilitation. Immer wieder etwas finden, was mein Problem lösen kann. Diese Herausforderungen nehme ich bis heute immer wieder an.
Mit Verleugnung und Verdrängung muss ich aufpassen und genau abschätzen, wann ist es sinnvoll und wann nicht. Die Handlungsfähigkeit zu erhalten, kann aber oft besser sein und Verdrängung hilft dann.
Immer wieder zwischen hilfreichen und nicht hilfreichen Strategien unterscheiden zu können, um mich an neue Lebensumstände anzupassen, ist wichtig. Es würde mir nichts helfen, die Handicaps zu verdrängen, genauso schlecht wäre es, Themen zu vermeiden, Selbstbeschuldigung, Selbstmitleid oder sich falschen Illusionen hingeben.
Zum Glück habe ich mich nie in der Opferrolle befunden, dadurch war es mir möglich, aktiv an mir zu arbeiten und niemals aufzugeben, auch wenn die Vorzeichen schlecht standen. So hat jeder seinen eigenen Weg zu finden und ich habe meinen gefunden.
Ich habe noch immer eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), wo ich oft nur mit Verdrängung durchkomme. Langsames Aufarbeiten ist wichtig und sehr gut hat mir dabei das Pilgern geholfen.
Psychologische Hilfe und Pilgern ist im Moment aufgrund der Corona Situation nicht so einfach für mich, aber ich befinde mich trotzdem auf einem guten Weg.
Das viele Gehen, Pilgern oder am Walkabout, hat mir bisher am meisten gebracht. Ich habe mich für eine Rehabilitation, abseits einer herkömmlichen medizinischen, entschieden und das Heft selbst in die Hand genommen.
Die Schulmedizin hat Berechtigung in der Akutmedizin und damit sehr gute Erfolge, ist aber weniger in der Nachversorgung für mich gut. Für die Gesundwerdung und -erhaltung hat das österreichische Krankheitssystem nur beschränkt Sachen zu bieten.
Wer geht heutzutage zu seinem Hausarzt und fragt ihn: "Ich fühle mich gesund, was kann ich machen, dass es so bleibt?"
Wer hat das schon einmal gemacht? In Österreich geht man in der Regel nur zum Arzt, wenn man krank ist!
Wieder nur durch Eigenregie kommt man da weiter, denn von der Politik oder Ärzteschaft kommt kaum was. Seit einem Jahr hört man nur übers Impfen, aber nichts vom gesunden Leben und wie das erhalten. Die seit bald zwei Jahren geschürten Ängste und die daraus folgende Probleme werden uns noch viel zu schaffen machen.
Gesundheit ist nicht vorgesehen in unserem Krankheitssystem. Gerade viele alternativen Sachen sind nur in Eigenregie möglich und werden von der Krankenkasse nicht bezahlt oder unterstützt. Das therapeutische Tanzen ist ein Beispiel, was so viel bringen kann. Es geht darum, ins Gleichgewicht zu kommen. Das "Tanzen" bringt mir dieses innere und äußere Gleichgewicht gleichermaßen, dessen Ausdruck in der Bewegung sichtbar wird.
Einerseits der Schwindel, der mich immer wieder taumeln lässt, andererseits das innere Gleichgewicht, das Aspekte wie Gefühle, Emotionen und Kommunikation beinhaltet. Ein Gefühl für sich selbst finden, darin hilft mir das therapeutischen Tanzen.
Beim Gehen werden ebenso alle diese Aspekte geübt und trainiert. Es sind so viele Dinge zu beachten, dass es eben nur Step by Step vorwärtsgeht und man eine gehörige Portion Geduld aufbringen muss. Ich arbeite noch immer an kleinsten Fortschritten und das im sechsten Jahr.
Gut ist es, immer wieder seine Grundannahmen zu hinterfragen. Sind sie mir noch dienlich oder hilft es mir wirklich noch weiter? Das kann neue Möglichkeiten in sich birgen.
Es sind viele Möglichkeiten, die einem wieder mehr ins Gleichgewicht bringen können und da ist es gut, den eigenen Weg zu finden. Jetzt, in dieser Corona Pandemie, ist das besonders wichtig. Sich selbst wiederzufinden wäre heutzutage nicht nur für mich wichtig.
Das, was ich mache, wäre im Grunde genommen, in abgewandelter Form, für viele wichtig. Nur so kann ein gesundes Augenmaß dafür entwickelt werden, was zu mehr innerer und äußerer Gesundheit verhilft.
Zu diesem Gleichgewicht gehört auch die Harmonie, die nie vergessen werden darf. Mehr darüber ein andermal. Gleichgewicht und Harmonie finde ich zum größten Teil in der Natur.
"Wer in seinem Inneren geordnet und wohl bestellt ist, der kümmert sich nicht um das sonderbare und verkehrte Treiben der Menschen. Nur soweit wird der Mensch gehindert und zerstreut, als er von den Dingen in sich aufnimmt."
Thomas von Kempen