Nach dem Erreichen des nördlichsten Punkt von Österreich, stand mir der lange Weg nach Vorarlberg bevor. Über 600 Kilometer, mit der Überquerung des Arlberg, als persönlichem Höhepunkt. So hoch kam ich seit dem Hirnabszess vor 5 Jahren noch nie hinaus. Am Walkabout sollte sich das ändern.
Wieder galt es, nicht zu viel nachdenken, einfach gehen und alles Weitere auf mich zukommen lassen.
Ich kam erst gegen 18h vom nördlichsten Punkt in Rottal weg. Der Plan war, über Haugschlag, Litschau, Gmünd und Karlstift, auf geradem Wege zur Donau hinab zu kommen und dann dem Jakobsweg zu folgen.
Die tägliche Suche nach dem Weg, war zu mühsam. Ich wollte möglichst ohne Navigieren gehen und das versprach mir der Jakobsweg am ehesten.
Zunächst stellte sich mir allerdings die Frage nach dem Übernachten. Es wurde immer später und die Möglichkeiten weniger. Die Entscheidung fiel mir aber leicht, ich wollte so lange gehen, wie Licht war und mich dann einfach in ein Bushäuschen legen, um dann möglichst früh wieder auf Achse zu sein.
Gesagt, getan - sehr früh bin ich wieder aufgebrochen. Die Wartehäuschen im Waldviertel sind, wahrscheinlich aufgrund der Witterung, kleine, rundum fast geschlossene Hütten und damit ideal zum Pausieren, vor allem bei schlechtem Wetter. Bestens für mich geeignet, denn das Zelt aufbauen erforderte einfach viel mehr Energie, die ich mir hier ersparte.
Durch Nebelverhangene, mystische Landschaft, ging es durch Wälder, vorbei an Seen, durch kleine Dörfer oder an einzeln gelegene Häuser vorbei.
In Gmünd nahm ich mir ein Zimmer in einer Pension, die schon viel erlebt hatte. Ein älteres Ehepaar führte sie und ich erfuhr einiges von Ihnen, ihrer Pension, der Stadt und der Eisenbahn, die hier alle verband. Wir sprachen über Dampfloks, die gemeinsam in der Früh anfeuerten und den Himmel verdunkeln ließen oder wie sich die Stadt im Laufe der Zeit veränderte.
Ich merkte, dass diese Kommunikation nicht nur mir gefehlt hat, sondern seit Corona praktisch jedem Menschen. Das machte es so wertvoll für mich, Zeit für die Menschen unterwegs zu haben, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und ihre Geschichten zu hören. Auf diese Art der Gespräche freute ich mich jederzeit.
In Karlstift war ich erneut sehr spät unterwegs. Wieder stand mir eine Übernachtung im Zelt bevor. Ich ging bei einem der letzten Häuser vorbei, als mich ein Hund anbellte. Kurz darauf kam die Besitzerin hinter einer Hecke hervor und es folgte eine Unterhaltung. Das Ergebnis war, dass ich mein Zelt auf ihrem Grund aufstellen konnte und es noch weitere spannende Unterhaltungen mit ihr und ihrem Mann gab.
Besonders die Aussage,"Wir sind jetzt über 60 Jahre verheiratet", berührte mich sehr. Was hatten die beiden nicht alles erlebt und durchlebt. Es war noch manch andere Aussage dabei, die mir die Tränen in die Augen trieb. Kurz vor dem Finster werden brachte mir die Dame noch einen Krug voll Wasser. Dankbar für diese Begegnung schlief ich ein.
Es war kühl, eigentlich sogar kalt, aber mit dem ersten Tageslicht baute ich das Zelt ab, um den Sonnenaufgang auf 1.000 Meter Seehöhe erleben zu können.
Diese Tage war ich die meiste Zeit Selbstversorger, denn fast alle Gasthäuser hatten zu. Es war immer so viel Essen in meinem Rucksack, dass ich damit über den nächsten Tag kam, im Notfall mit Müsliriegeln und Wasser. Ich konnte mich nicht darauf verlassen, ein offenes Kaufhaus anzutreffen oder eine Tankstelle, denn die waren oft abseits meiner Route, zu weit, um hinzugehen.
Nach Karlstift führte mich mein Weg entlang der tschechischen Grenze. Oft tief im Wald, begegnete ich keiner Menschenseele. Komischerweise kamen öfter Gedanken um Bären auf. Gab es denn in dieser Wildnis an der Grenze zu Tschechien welche?
Ich dachte öfter an den Appalachen Trail in Amerika, wie ich mich gegenüber Bären verhalten würde. Davonlaufen ginge sowieso nicht, also spürte ich hinein, wie groß mein Vertrauen zu mir selbst war? Es war eine gute Übung, die mir in den folgenden Wochen öfter helfen sollte. Ich spürte, dass ich immer mehr in meiner Mitte war und Tiere merken das sofort.
Vor allem Hunde, deren Besitzer mir oft sagten: "Das macht er nie!". Ich zog Hunde richtig an, aber nicht um angegriffen zu werden, sondern zuerst vorsichtiges beschnuppern, um danach gekrault zu werden.
In Enns führt der Hauptweg des Jakobsweges durch Österreich vorbei. Ein mehr oder weniger gut markierter Weg, der mich bis nach Vorarlberg bringen sollte. Zum ersten Mal war wirklich schönes und warmes Wetter.
Oberösterreich war das Land der Erinnerungen ans Radfahren. Fast in jedem Städtchen bin ich schon Radrennen gefahren. Ansfelden, Wels, Lambach, Schwanenstadt und viele mehr, lagen auf meinem Weg. Obwohl ich schon oft hier war, war für mich alles neu. Mit der Langsamkeit der Füße entdeckte ich jeden Meter und hatte Zeit, die Eindrücke zu verarbeiten.
Es waren aber nicht nur die Erlebnisse im Außen, die mich beschäftigten, die Inneren waren besonders stark. Stand der erste Teil des Walkabout unter dem Aufarbeiten vom Krankenhaus, so war es diesmal die Zeit danach.
Pfeifend, singend und tanzend zog ich dahin und muss für manchen ein recht komisches Bild abgegeben haben. Das war mir aber egal, denn durch die Tanztherapie hatte ich gelernt, meinen Körperimpulsen nachzugeben und mich darin nicht stören zu lassen. Die Hände fuchtelten oft umher und ein manchmal schwankender Gang ließen mich aussehen wie betrunken. Das half mir, mehr Lockerheit in den Körper zu bekommen, auch wenn es von Außen komisch aussah.
Das schwere Gewicht des Rucksacks und der Vorwärtsdrang lassen mich oft starr werden. Seitliche Schritte und bewegen der Arme brachten wieder mehr Lockerheit. So wechselte ich oft ab, mit dem Ergebnis, dass ich wesentlich leichter und lockerer Gehen kann.
Obwohl ich oft langsam ging, legte ich Kilometer um Kilometer zurück und war am Abend verblüfft, so weit gekommen zu sein. Ich buchte nie im Voraus ein Quartier, sondern schaute ab 17 Uhr, wo ich war und welche Gasthöfe am Weg lagen. So hatte ich zwölf Stunden am Tag fürs unterwegs sein und so kamen auch die Kilometer zusammen.
Ein wichtiger Punkt waren die Teststraßen, die es nur in den größeren Städten gab. Sonst nahm ich auch Apotheken in Anspruch oder was am Weg lag. Manchmal bedeutete das auch einen Umweg, den ich nur dann machte, wenn er nicht zu groß war.
Die Umstellung von "Negativ" auf "Nicht nachgewiesen" am Test, habe ich nie erfahren. Das erste Mal sah ich das in Sankt Johann in Tirol. Ich konnte das Ergebnis natürlich nicht abwarten und ging weiter. Irgendwann kam das SMS und ich schaute darauf. "Nicht nachgewiesen"???
Was war das jetzt? War mein Test ungültig oder fehlerhaft?
Zurückgehen nach Sankt Johann war mir nicht mehr möglich, daher wollte ich in der nächsten Stadt nachfragen. Zum Glück war der alte Test noch für diesen Tag gültig.Erst später sollte ich erfahren, dass die Bezeichnung geändert wurde.
Das Testen bekam ich dann immer besser in den Griff, allerdings waren die Teststraßen oft zu weit auseinander. Apotheken waren meist nur mit einem großen Umweg möglich, hatten Öffnungszeiten oder nur spezielle Termine für die Testung, die in meinen Weg nicht hineinpassten. Für solche Fälle musste dann eine Selbsttestung her, die aber nur einen Tag gültig war.
Das immer zu bedenken, stellte mein Gehirn vor eine große Herausforderung. Ein anderer Aspekt war die große Ansammlung von Tests. Normalerweise verwendet man beim Pilgern einen Pilgerpass, worin die Stempel der Herbergen und Kirchen unterwegs dazu dienen, den Weg nachzuverfolgen. Mein Pilgerpass war die Sammlung der Tests, anhand derer ich meinen Weg durch Österreich verfolgen konnte.
Es war lange für mich fraglich, ob ich über das Deutsche Eck gehen konnte oder innerhalb von Österreich bleiben musste? Zweiteres hätte einen Umweg von 150 km bedeutet und das über die Berge. Die Situation um Corona beruhigte sich aber so weit, dass ich neben dem Deutschen Eck sogar erstmals den Jakobsweg retour durch Südtirol ins Auge fasste, um nach Kärnten zu gelangen. Mit diesen beiden Alternativen konnte ich die hohen Berge meiden, die für mich eigentlich noch nicht möglich waren.
Eine Nacht verbrachte ich auf einem Campingplatz im Deutschen Eck und am nächsten Tag war mein Ausflug nach Deutschland wieder vorbei.
Das Salz in der Suppe waren aber nach wie vor die Begegnungen für mich. Wie unterschiedlich die Charaktere durch Österreich waren, dass konnte ich auf jedem Meter, den ich vorwärtskam, bemerken. Zu Fuß unterwegs, bekam ich einen anderen Zugang zu den Menschen.
Auf der Flucht vor einem Gewitter nahm ich in Scheffau Zuflucht bei einer Liftstation. Der dortige Kaffee-Automat war defekt und kurzerhand wurde ich vom dortigen Skiverleih zum Kaffee eingeladen. Eine lockeres Gespräch entstand mit dem Seniorchef und seiner Frau, was mir das Warten verkürzte und mir neue Einblicke gab. Für mich waren das Bausteine auf dem Weg, lebte ich doch durch den Hirnabszess schon seit fünf Jahren im Social Distancing.
Die Tage vergingen, abwechselnd im Zelt und in Gasthöfen verbringend. In Zams verpasste ich die Teststraße wegen einer Sperre am Weg. Ich musste Forstarbeiten abwarten, die mich viel Zeit kosteten. Ich ging noch weiter bis Landeck und verwendete den dortigen Campingplatz. Mit dem dortigen Betreiber, Lorenz, habe ich mich lange unterhalten, der als ausgebildeter Sportwissenschafter Interesse an meiner Tour hatte.
Am nächsten Tag startete ich schon besonders früh. Mein Ziel war der Arlberg, den ich, wenn möglich, an diesem Tag überqueren wollte. Die ersten Kilometer zogen sich dahin, besonders das viele auf und ab forderte mir einiges ab. Da ich am Vortag nur einen Zutrittstest machte, hatte ich heute keinen gültigen Test. Erst in Sankt Anton kam ich an der dortigen Apotheke vorbei, die ich nutzte, um mir einen Test abzuholen. Um vierzehn Uhr startete ich in den Anstieg zum Arlberg. Ich musste damit rechnen, noch vor dem Gipfel im Zelt übernachten zu müssen.
Langsam, aber stetig stieg ich höher. Eigentlich ist es ein normaler Wanderweg, aber es gab ausgesetzte Stellen, die mir alles abverlangten.Ob Brücken oder ausgesetzte Stellen, meine Wahrnehmung kam dabei ans Limit.
Erst am Abend erreichte ich den Pass und musste dabei beim Absteigen einige Schneefelder queren. Ich war glücklich, als ich das letzte hinter mir lassen konnte. Ich stieg noch bis Langen am Arlberg ab, wo ich erst spät mein Zelt aufbaute. Trotz der Höhe, wurde es meine wärmste Nacht bisher, seit ich unterwegs war. Es sollte eine Ankündigung sein, was mich in den nächsten Tagen erwarten sollte.
Über Nüziders ging es nach Feldkirch. Die Temperaturen stiegen auf 35° und die Sonne brannte nieder. Ich fühlte mich wohl dabei, denn mein Nervensystem arbeitet bei solchen Temperaturen einfach besser. In Feldkirch übernachtete ich im Kloster und wollte erst am nächsten Tag die 8 Kilometer nach Bangs gehen. Es war ein überwältigendes Gefühl, Österreich trotz meiner Handicaps durchquert zu haben. Der Walkabout hat seinen Sinn erfüllt.
Gesagt getan, am 18. Juni erreichte ich den westlichsten Ort und kurz darauf auch den westlichsten Punkt. So sehr emotional der Vortag war, so hatte ich kaum Gefühle. Es war ein Abhaken der Punkte und dann gings zurück nach Feldkirch.
Es gäbe natürlich noch 1000 andere Erlebnisse dazu zu erzählen, aber ich brauche Zeit, um alles verarbeiten zu können. Daher braucht auch mein Buch noch einige Zeit.
Im nächsten Teil des Walkabout geht es dann von Vorarlberg über Südtirol zum südlichsten Ort, Vellach/Eisenkappel in Kärnten.
(Zum ersten Teil des Walkabout)
Mein Walkabout durch Austria ist zu Ende. In 59 Tagen legte ich rund 2100 Kilometer durch Österreich zurück, unterwegs zu den entferntesten Orten aller vier Himmelsrichtungen. Dieser Bericht handelt vom Weg zum nördlichsten Punkt. Der Weg zum westlichsten und südlichsten folgt.
Das Ende des Weges ist zugleich ein Anfang, denn wie beim Pilgern gilt auch hier:
"Der Weg beginnt am Ende!"
Ich wollte meinem ICH wieder näher kommen. Wer oder was bin ich, diese Frage stellte ich mir ja schon seit dem Hirnabszess!
Es ist mir gelungen, meinen Körper und Geist wieder (fast) zusammenzubringen. Darauf arbeite ich seit langem hin und ich kann mich an die Aussage nach meinem ersten Camino erinnern, dass es noch einige Caminos brauchen wird, ehe es so weit ist. Ja, es dauerte, aber ich habe einen guten Weg für mich gefunden und mir, was genauso wichtig war, die Zeit dazu gegeben.
Eine große Unterstützung war und ist noch immer, dass therapeutische Tanzen. Zuerst noch in der Gruppe, dann in Einzelsitzungen, konnte ich speziell an den verschiedensten Punkten arbeiten. Ein großes Danke dafür an meine Therapeutin Hannah T., die wesentlichen Anteil daran hatte, dass ich mich überhaupt auf den Weg machen konnte. Das therapeutische Tanzen ist eine Form der Therapie, die ich nie als solche angesehen oder empfunden hatte. Es half mir besonders durch das letzte Jahr der Pandemie und brachte eine gewisse Beruhigung in mein Leben.
Der Start des Walkabout war noch im Lockdown im Mai, deshalb wählte ich zunächst den Weg über die Berge, von mir zuhause bis zum Neusiedlersee. Es war mir wichtig zu sehen, wie ich in den Bergen zurecht komme und ob ich für diese Art zu Gehen schon bereit war. Denn in Österreich ist es etwas anderes, als in Spanien zu Pilgern.
Somit war ich als Selbstversorger in den ersten drei Tagen unterwegs, trug alles bei mir, auch das Essen. Alle Hütten waren geschlossen und zu meiner Überraschung, auch die Brunnen. Diese ersten Tage hatte ich immer wieder große Probleme, an genug Wasser zu kommen. Das Gewicht zum Tragen war höher als beim Pilgern. Denn neben dem Wasser hatte ich auch Zelt und Unterlegmatte mit dabei.
Am Wetterkreuz traf ich auf meine erste Begegnung. Mit dem Einheimischen Andreas unterhielt ich mich länger und es tat gut, meine Geschichte erzählen zu können und einfach Small Talk zu erleben. Seit Corona war das für mich kaum mehr möglich.
Das Essen musste ich rationieren, denn eines hatte ich übersehen. Für drei Tage hatte ich Essen mit und ein Einkaufen war erst am vierten Tag möglich. Allerdings waren am vierten Tag noch bis dahin 6 Stunden zu gehen, das hatte mein Gehirn nicht registriert. 300 mml Wasser und ein Müsliriegel mussten für diese Strecke reichen.
Erst in Gloggnitz kam ich zu Essen und Wasser. In einer Fleischerei kaufte ich mir etwas Warmes, mein erstes warmes Essen seit vier Tagen. Natürlich gab es das nur als Take Away und so blieb mir nichts anderes übrig, als auf einem Parkplatz, am Boden sitzend, es zu verdrücken.
Die beiden nächsten Tage zum Neusiedlersee waren verregnet, gekennzeichnet von Orientierungsproblemen und Stromproblemen für das Handy. In einer Tankstelle mit Take Away Kaffee, bat ich darum, mein Handy für eine viertel Stunde zu Laden, ich wollte abseits im Freien warten. Es schüttete in Strömen und ich wurde schroff hinauskomplimentiert, mit den Worten, "Des is net erlaubt bei uns!". Na ja, das waren sehr streng angelegte Corona-Regeln, aber denen musste ich mich beugen und ich stiefelte im Regen weiter.
In Neufeld an der Leitha kam ich am Handy Neufeld Shop vorbei, wo mir Yusuf meinem Handy wieder Leben einhauchte, damit ich überhaupt weitergehen konnte. Ein großes Dankeschön dafür. Ich war abhängig von der Technik, um mich orientieren zu können. Ohne Technik ließ mich mein durch die Krankheit verlorener Orientierungssinn im Stich.
In Neusiedl am See entschied ich mich das Ende des Lockdowns abzuwarten, bevor ich weiterging. Ich wollte nicht riskieren, weitere Tage im Lockdown und Regen zu verbringen, die mein Gesamtziel, nämlich durch Österreich zu gehen, womöglich unmöglich gemacht hätte.
Die Folgen des Hirnabszesses schränken meinen Körper noch zu sehr ein und ich wollte nicht dauernd am Limit sein, was es sonst zu schnell gewesen wäre. Der Weg alleine war sowieso schon am Limit für mich. Am 19.Mai endete der harte Lockdown und ging in einen weichen über. Gasthöfe, Hotels und Cafes konnten wieder aufsperren, wenn auch mit Regeln, die es mir nicht einfach machten.
Alle zwei bis drei Tage brauchte ich eine Teststraße, denn Eigentests hatte ich nur begrenzt mit. Zu viel nachdenken durfte ich nicht, ich ließ besser alles auf mich zukommen und musste dann eben reagieren.
Regen und Sturm machten es nicht leicht. In unwirtlichem Wetter erreichte ich Deutsch-Jahrndorf und ich ging noch die fünf Kilometer zum östlichsten Punkt, an das Dreiländereck Österreich, Slowakei und Ungarn. Alleine stand ich dort im Regen und Sturm, nach 266 Kilometern zu Fuß. Meinen ersten Ort und Punkt konnte ich damit abhaken.
Den Punkt mache ich immer mit, wenn er leicht erreichbar war, der Ort aber war mein Ziel. Denn ich wusste, der Unterschied vom südlichsten Ort und Punkt war sehr groß und für mich unter Umständen nicht machbar, da es zu ausgesetzt ist. Die Tour hatte ja den Sinn, besser ins Leben zu kommen und nicht alles dranzusetzen, um irgendwie an den weitesten Punkt zu kommen.
Mein Freund Bernd begleitete mich ab Neusiedl für zwei Tage und stellte mir sein Auto fürs Übernachten zur Verfügung. Ein total luxuriöses Übernachten, denn der Tesla war im Innenraum immer ideal temperiert, anders als im Zelt. Bernd kreierte daraufhin das "Tesla-Pilgern".
Für mich hatte es den Vorteil, solange zu gehen wie ich wollte, denn dort wo ich war, stellte er das Auto ab und ich brauchte im Regen nicht das Zelt aufzubauen. Wie gesagt, ein total luxuriöses Schlafen, denn Gasthäuser gab es in dieser Gegend kaum, bzw. welche die offen hatten. Danke Bernd!
Das Weinviertel blieb mir sehr ambivalent in Erinnerung. Als Erstes fällt mir dazu nur Regen, Regen und Regen ein!
Es gab natürlich auch sonnige Tage, die aber fast immer mit Regen endeten. Mehrere Stunden am Tag stiefelte ich im Regen, nassen Gras und Schlamm dahin. An die wenigen Sonnenstunden erinnert sich mein Gedächtnis kaum, obwohl es die auch gab. Meist war der Vormittag sonnig und ab Mittag begann es zu Regnen.
Dafür entschädigten die Menschen unterwegs, auf die ich traf. Kommunikation war ein Thema, welches speziell seit dem Social Distancing eines wurde und das mich seit dem Hirnabszess begleitet. Ob Tom und Susi, die mich für eine Nacht aufnahmen, der Bauer, der mich im Vorgarten seines Hauses zelten ließ, oder Alexander Rüdiger, der mich kurz am Weg besuchte, trotz seiner Zeitknappheit. Es waren Begegnungen, die mir viel bedeuteten.
Natürlich gab es Regeln wegen Corona, aber wenn man die einhielt, stand der Menschlichkeit nichts im Wege.
Mit Stromproblemen hatte ich in dem Ausmaß nicht gerechnet. Durch den vielen Regen war es nicht möglich, über das Solar-Paneel Strom zu erzeugen. Da viele Tage im Zelt waren, musste ich irgendwie schauen, dass mein Handy Strom hatte. Denn das Handy war meine Navigation. Ich ging auf recht gerader Linie in Richtung nördlichster Punkt. Allerdings bestand diese Gerade aus unzähligen Abbiegungen, besonders zwischen den Feldern. Einmal falsch gehen, konnte einen immensen Umweg bedeuten.
Daher war mein Telefon ständig in Gebrauch. Die Komoot-App führte mich auf total schönen Wegen durchs Land, die ich ohne die App nie gefunden hätte. Aber es zeigte sich auch mein verloren gegangener Orientierungssinn, denn ohne App war ich verloren.
Ich watete durch Schlamm und Nässe. Die Temperatur war mit ca. 13° zwar angenehm, aber der Wind machte es viel kälter, als es war. Kam die Sonne heraus, wurde es warm und die grün leuchtenden Felder waren eine Wohltat fürs Auge und Gehirn. Das war aber nicht von Dauer, denn der wolkenlose Himmel veränderte sich schnell in eine graue Masse und Regen setzte wieder ein.
Durch das viele Gehen im Regen, wurden meine Schuhe sehr beansprucht. Sie hatten doch schon einige Kilometer drauf und sind innerhalb weniger Tage gebrochen und ließen das Wasser hinein. Das zusammen mit dem schwierigen Gehen auf den durchtränkten Feldwegen, brachte mir einige Blasen ein, wo ich doch sonst nie Blasen hatte. Aber diese Blasen wollten mir was sagen, war ich doch auf einem Walkabout, der eine besondere Aufgabe zu erfüllen hatte.
Trotz aller Plagen, verlor ich nie meine Freude. Ich war glücklich hier gehen zu können, egal ob der Umstände. In mir drinnen breitete sich ein innerer Friede aus, dem auch das Äußere nichts anhaben konnte.
Meinen Ersatzschuh hatte ich ab Salzburg eingeplant, dass sie jetzt schon brechen würden, hatte ich nicht bedacht, noch vor dem nördlichsten Punkt. So waren nasse Füße ab jetzt mein ständiger Begleiter und umso achtsamer musste ich mit mir, meinen Füßen und meinen Gedanken umgehen.
Das regnerische Wetter hielt auch im Waldviertel an und die Übernachtungen im Zelt waren feucht und kalt. Etwa alle drei Tage nahm ich ein Quartier, wenn es eines gab. Ich durchquerte viele kleine Ortschaften, in denen das Gasthaus geschlossen war. Offene gab es nur in größeren Orten und damit war auch mein Übernachten auf diese begrenzt.
Corona forderte seinen Tribut und es war traurig zu sehen, welche Formen das annahm. Für kleine Gasthäuser am Land zahlte sich das Aufsperren nicht aus, denn mit den verbundenen Regeln war es unwirtschaftlich zu öffnen. Zwischen "ich trau mich" und "es geht schief", war ein schmaler Grat.
Gerade auf dem Weg zum nördlichsten Punkt musste ich immer wieder aufs Zelt ausweichen.
Niederösterreich war für mich das Aufarbeiten vom Krankenhaus. Es kamen Dinge hoch, die ich lange verdrängt oder vergessen hatte. Wenn ich torkelnd durch den Schlamm watete, kamen in mir Erinnerungen hoch, vom Gehen lernen, von meinen ersten Schritten und der schnellen Erschöpfung. Fortschritte ließen sich für mich kaum erkennen und das Ziel schien unerreichbar. Trotzdem gab ich nicht auf und ich lernte mit "Step by Step" umzugehen. Andererseits motivierte es mich, nie aufgegeben zu haben. Das ließ es erst zu, mich auf diesen Walkabout zu begeben. Erinnerungen von meinen ersten Camino Frances, wechselten mit Erlebnissen aus dem Krankenhaus ab. Mein oftmaliges dahin stolpern am Camino, wegen der Halbseitenlähmung, aber auch mein Wille, es quasi einfach wegzugehen!
Dann gab es Momente, in denen war ich so glücklich und ich erfreute mich an oft kleinsten Dingen am Wegesrand. Ich beobachtete Schnecken und Ameisen und ich hatte das Gefühl, besonders zu Tieren eine besondere Beziehung aufbauen zu können. Natürlich hatte ich auch Gelegenheit, die verschiedensten Tiere zu sehen. Oftmals kamen sie als Krafttiere, in allen Varianten, in mein Leben. Dann hatten sie mir etwas besonderes zu sagen.
Erst am späten Nachmittag kam ich nach Haugschlag und etwas später zum nördlichsten Punkt, an der tschechischen Grenze. Es war ein gutes Gefühl, die Heimat zu Fuß zu erwandern und jeden Meter tatsächlich zu Fuß zu erobern. Nach 514 Kilometer und 14 Tagen stand ich um 17h30 am nördlichsten Punkt von Österreich.
Trotz der Anstrengung fand ich es nie anstrengend. Die Leichtigkeit ist seit langem auch Thema im therapeutischen Tanzen, die langsam immer mehr Einzug in meinem Leben halten darf. Das Leben darf leicht sein und ich setzte immer nur einen Fuß vor den anderen und das über den ganzen Tag.
Allein, dass ich das konnte, machte mich überglücklich. Wenn mich jemand auf das Wetter ansprach, dann antwortete ich: "Ich habe über Monate im Krankenhaus keinen Regen auf meiner Haut gespürt, es war mein Ziel, dass wieder zu erleben!"
Regen macht mir nichts aus, einzig vor Gewittern habe ich gehörig Respekt. Allerdings musste ich auch einsehen, dass mein körperliches Befinden das Campieren noch nicht so gut verträgt und der Regen, verbunden mit Kälte, es mir doch schwerer machte, als gedacht.
Es gab viele Erlebnisse auf dem Weg zum nördlichsten Punkt Österreichs, die ich nicht mehr missen möchte.
...Österreichs gibt es in ein paar Tagen im nächsten Artikel. Es tut mir gut, die Erlebnisse niederzuschreiben. Denn seit ich zu Hause bin, ist es so, als ob ich nie losgegangen sei!
Das Erreichen von Vorarlberg, mit dem westlichsten Punkt von Österreich, war der schwierigste Teil auf meinem Walkabout durch Austria.
Am 32.Tag gelangte ich zum am Rhein gelegenen Punkt, am wohl heißesten Tag meiner Tour, mit 34 Grad im Schatten.
Der Arlberg war die bisher Herausforderndste Strecke, kam ich doch in Höhen, die für mich erstmals möglich waren. Es wurde ein "Grenzgang", besonders für die Wahrnehmung.
Mehr dazu, wenn ich wieder zu Hause bin.
Jetzt geht es nach einem Ruhetag in Stams weiter, über den Brennerpass nach Südtirol, um bei Sillian wieder Österreich zu betreten.
Buen Camino 🙏
Das Unterwegs sein am Walkabout durch Austria Teil 2, beschäftigt mich mehr als gedacht. Daher komme ich auch nicht zum Blogschreiben.
Ich habe bisher den östlichsten und nördlichsten Punkt von Österreich erreicht und bin auf dem Weg nach Vorarlberg.
Ich werde danach einen Bericht verfassen, ich brauche nämlich Zeit, alles zu verarbeiten. Es passiert soviel am Weg, vor allem in der Aufarbeitung.
Besonders der Weg ins Waldviertel war herausfordernd. Seit Oberösterreich bin ich am Jakobsweg unterwegs. Gesamt derzeit etwa 900 Kilometer.
Von dieser Wegstrecke ein paar Fotos:
Gehen hat für mich mit Freiheit zu tun. Der Walkabout durch Austria ist somit auch dem Teil geschuldet, diese Freiheit wiederzuerlangen. Eine Freiheit, die dann wieder besonders wichtig wird, wenn man sie verloren hat. Der Weg Judendorf - Neusiedl kann mir viel bringen.
Mit dem Gehen habe ich mir etwas zurückgeholt, was weit wichtiger als nur das Gehen selbst ist, nämlich Freiheit. Zu fragen, wenn ich aufs WC wollte oder überhaupt das Bett zu verlassen, war lange mein Alltag. Da bekommt der Begriff "Freiheit" eine neue Bedeutung. Das ist kaum jemanden bewusst, was man noch unter Freiheit verstehen kann.
Kurz ein paar nackte Zahlen:
Es war der Start zu meinem Walkabout durch Austria, von Judendorf - Neusiedl am See. 29 km vor dem östlichsten Punkt von Österreich habe ich vorläufig abgebrochen und warte das Ende des Lockdowns am 19.5. ab.
Das sagt der Planer, es wurde aber wegen der Umwege mehr.
Beim Gehen habe ich scheinbar kaum Grenzen. Trotzdem muss ich immer aufpassen, denn meine Grenzen sind sehr unterschiedlich. Denn warum kann ich nicht arbeiten, wenn ich doch so weit gehen kann? Eine berechtigte Frage!
Da sind auf der einen Seite die körperlichen Grenzen und auf der anderen die geistigen. Das ist mir die letzten Tage wieder sehr bewusst geworden.
Meine Grenzen bilden mehr als die Leistung, die messbar ist. Die Muskelschwäche behindert mich sehr, deswegen setze ich auf die Ausdauer. So kann ich länger am Limit agieren und das bekommt man von Außen nicht mit, dass ich am Limit bin. Ob 5 km oder 35 km, ich kann es nur vollbringen, indem ich mich dauernd an der Grenze bewege. Bewegung bedeutet Grenze für mich. Daher mein Verlangen danach, meine Grenzen auszuweiten.
Ich finde meine Grenze nicht durch das Denken, sondern nur durch das Fühlen. Das Herz entscheidet, wo die Grenze liegt. Ich gehe nie über meine Grenze, aber immer knapp an sie heran. Ich mache mich frei von allem, vergesse mein Ego und meinen Willen und spüre in mein Herz und handle danach. Deshalb kann ich auch alles beenden, wie diese Tour nach 6 Tagen im Lockdown. Ich gehe eben später weiter.
Um noch einmal darauf zurückzukommen, warum ich nicht arbeiten kann? Mir fehlt die Feinmotorik und der Automatismus, um produktiv Geld verdienen zu können. Ich habe kein Kurzzeitgedächtnis mehr, was in der Arbeitswelt notwendig ist. Es ist so viel in Unordnung in mir, dass ich froh bin, wenigstens eines wieder zu können. Nämlich zu gehen!
Denn bleibe ich nicht in Bewegung, funktioniert auch der Rest nicht so gut!
Das besondere ist, von zu Hause wegzugehen. Die ersten Meter waren ein eigenartiges Gefühl. Man kennt alles und trotzdem ist es anders. Kaum ging es in den ersten Waldweg hinein, war ich im Gehen drin.
Es ging über den Schöckel, weiter nach Plenzengreith und Passail. Hier übernachtete ich in einem Holzpavillon und war schon neugierig auf den nächsten Tag. Er sollte mich über die Sommeralm bringen.
Hier traf ich beim Wetterkreuz auf Andreas, der in der Gegend wohnte und ich bedanke mich für das Interesse und das Gespräch. Es sollte das Einzige intensivere am gesamten Weg sein, dass ich abhalten konnte.
Mein Ziel, die Schanz, erreichte ich über Umwege. Einmal nicht aufgepasst und ich machte mehrere Kilometer Umweg. Das war besonders bitter, denn ich wollte die hohen Berge nach dem dritten Tag hinter mir lassen, wo ich die gesamte Verpflegung mitnehmen musste.
Weiter ging es über die Teufelsteinhütte, den Pretul und das Stuhleck, welche ich bei traumhaften, aber windigen Wetter überquerte. Einzig der Wasservorrat machte mir Sorgen. Es war anstrengend und am Limit, aber ich dosierte mein Tempo. Ich war so konzentriert aufs Steigen, dass andere Gedanken keinen Platz hatten.
Ab dem dritten Tage begann ich mein Essen zu rationieren. In Gloggnitz sollte ich die erste Einkaufsmöglichkeit haben, immerhin noch 50 Kilometer bis dorthin. Ich ergatterte unterwegs noch zwei Wurstsemmeln und so musste ich damit, einem kleinen Stück Brot, einem Gel und einem Müsliriegel bis morgen auskommen.
Der Abstieg vom Stuhleck, mit 1750 Meter der höchste Punkt bis zum Neusiedlersee, barg noch einige Schwierigkeiten und wurde mit 27 km doch sehr lang. In der Früh hatte ich nur mehr 400 mml Wasser, ein Stück Brot und das Gel, dass musste reichen.
Ein schmaler Steig führte entlang eines Berges und durch zauberhafte Landschaft. Zu überquerende Murenabgänge ließen meinen Puls kurz hochsteigen. Danach ging es fast nur noch bergab bis nach Gloggnitz.
In einer Fleischerei holte ich mir Essen zum Mitnehmen und verdrückte es neben der Straße. Aufgrund des Lockdowns war es ja nicht möglich ein Gasthaus zu besuchen. Es war mein erstes warmes Essen seit über drei Tagen.
Danach ging es noch in ein Kaufhaus, um meine Essensvorräte neu aufzustocken.
Am vierten Tag merkte ich zusehends, dass ich meine Stromvorräte nicht mehr richtig händeln konnte. Ich hatte zwar eine kleine Solaranlage und Powerbank für Wanderer mit, aber es reichte nicht, um alles geladen zu halten. Ich hatte es verabsäumt, immer alles sofort bei Sonnenschein zu laden. Die Rechnung bekam ich jetzt.
Ich musste immer wieder mit der Powerbank nachladen, die bald leer war. Das wichtigste war mir entgangen, da zeigte sich wieder mein fehlendes Kurzzeitgedächtnis. Dazu kam was, an das ich nie dachte.
Ich sah immer wieder meinen gesuchten Weg auf der Komoot-App. Was ich aber nicht bedachte, es war kein markierter Weg, wie der Jakobsweg. Oft brauchte ich die Handypeilung, die mir den Weg zeigte. Oft ging ich vor und zurück, weil der Weg durch einen Eingang einer Mauer führte, den ich nicht erkannte. Ich ging zwar traumhafte Wege, die ich aber nur aufgrund der GPS Daten am Handy finden konnte.
Hatte ich keinen Strom, war ich orientierungslos. Es beunruhigte mich immer mehr, dass der Strompegel des Handy sank und alles leer wurde. Ich musste mir eingestehen, ohne Strom und funktionierendes Handy hatte ich keine Orientierung. Als alles endgültig leer war, stand ich da und wusste nicht wohin. Eine kleine Landkarte für den Notfall hatte ich verloren, sie hätte mir im Wald auch nichts gebracht.
Durch den Regen war es dunkel im Wald und die Sonne unsichtbar. Es gab zahllose Schilder bei jeder Wegkreuzung, die mir nichts sagten. Ich hätte überall hingehen können. So wurden aus wenigen Kilometern viele mehr und ich kam doch nicht weiter.
Es begann zu dämmern und ich legte mich neben den Trail im Zelt zum Schlafen. Zum Glück hörte es auf zu regnen. Während des Aufbaues preschten etwa 10 Wildschweine nur 20 Meter von mir entfernt mit einem Höllenlärm vorbei.
Unfähig auch nur etwas zu denken, legte ich mich hin. Über 40 Kilometer legte ich an diesem Tag zurück und wusste nicht, wohin weiter. Sobald ich logisch denken wollte, baute sich die mir schon sehr bekannte weiße Wand auf. Ich denke, das waren die Minuten, in denen ich den Abbruch erwog. Ich wollte nur mehr irgendwie nach Neusiedl kommen und dann bis zum Ende des Lockdowns zu Hause abwarten. Regen und Lockdown, diese Kombination war für mich zu viel.
Ich fühlte mich zwar recht gut, abgesehen vom Zustand des Denkens. Das machte mir Angst, denn damit hatte ich mich nicht unter Kontrolle. Alle drei Tage brauche ich doch noch ein Quartier, um mich zu erholen und den Stress mit dem Strom nicht zu bekommen.
In der Früh ging ich schon um fünf Uhr los. Einfach den Weg und der Markierung folgend, nicht ahnend, wohin er mich bringen wird. Nach einer dreiviertel Stunden bergab gehend, erreichte ich St.Georgen. So stand mir ein Straßenweg von über 30 Kilometer bis nach Neusiedl im wieder einsetzenden Regen bevor.
Dort angekommen, war es eine leichte Entscheidung nach Hause zu fahren und erst nach dem Ende des Lockdowns wieder weiterzugehen.
Es war eine gute Erfahrung, bei Lockdown zu Fuß unterwegs zu sein. Es zeigte mir sehr gut meine Defizite auf. Diesmal spürte ich allerdings mehr die geistigen, wie die körperlichen.
Es ist für mich von immenser Bedeutung, in allen Welten zurechtzukommen. Daher brauche ich Erfahrungen, die mein Denken in bestimmten Momenten bis ans Limit herausfordern. Gerade das Gefühl der Orientierungslosigkeit war auf diese Art neu für mich. Auch im Umgang mit Regeln konnte ich viel dazu lernen. Einerseits mit Corona, andererseits mit den Naturgesetzen.
Am meisten war es aber interessant, wie gut mein Körper in der Natur reagiert. Auch in der Erholung im Zelt konnte ich mich verbessern. Allerdings brauche ich doch noch alle paar Tage einen geschützten Raum, sprich einen Gasthof, eine Pension oder ein Hotel.
Schon diese sechs Tage reichten, dass ich mich zu Hause schwer wieder reinfand. Der Tagesablauf mit Gehen und dem System mit Zelten behagte mir weit mehr, als die letzten Jahre mit Rehabilitationstraining.
Nach dem Lockdown geht es sofort weiter!
Warum möchte ich einen Walkabout machen? Kann Gehen mir Sinn im Leben geben? Warum bedeutet mir Gehen so viel? GEHE ich am Leben vorbei?
Viele Fragen, auf die ich Antworten suche und versuche, sie mir zu geben. Gehen hat mit Bewegung zu tun, nicht nur körperlich, sondern auch geistig. Der Hirnabszess hat mein Gehirn verändert und um es wieder in Bewegung zu bringen, ist Gehen geeignet.
Das Gehirn wieder in Funktion zu bringen, ist mein Anliegen, aber wie?
Körperliche Bewegung sorgt für Bewegung im Kopf. Eine Fülle von Erlebnissen und Eindrücken sorgen für ein aktives Gehirn. Manchmal möchte ich jedoch zu viel. Gerade berufliche Ziele überforderten Anfangs mein Gehirn. Zu akzeptieren, dass es noch nicht so weit ist, brachte mir ein leichteres Leben.
Filmen, Trailrunning oder Familienvater sind mir seit dem Hirnabszess nur beschränkt oder gar nicht möglich. Mein Gehirn legt das Tempo vor, mit dem ich unterwegs sein kann. Laufen geht noch gar nicht, genauso habe ich mit dem Filmen meine Schwierigkeiten.
Gehen ist zwar wegen der fehlenden Propriozeption noch immer schwierig, funktioniert aber aufgrund des vielen Übens recht gut. Wenn ich zurückschaue, wird mir erst bewusst, wie haarig es damals im Krankenhaus zuging. So gesehen kann ich mit meinem Fortschritt zufrieden sein, ich darf aber nicht nachlassen, wenn ich mehr erreichen will.
Wieder Gehen zu können war lange nicht sicher. Nach vier Monaten wieder selbst aufs WC zu kommen, war ein großer Erfolg. Das bedeutete einen Gewinn an Unabhängigkeit, wie ich es mir bis dahin nicht vorstellen konnte. Anfangs durfte ich nur mit Begleitung aufs Klo, meist im Rollstuhl, da der Schwindel zu groß war und damit auch die Gefahr einer Verletzung. Erst in den letzten 14 Tagen im Krankenhaus durfte ich alleine aufs WC. Wann immer es mir möglich war, wollte ich zu Fuß hin.
Heute kann ich es selber fast nicht mehr glauben, aber meine Tagesenergie waren 30 Minuten Ergo- oder Physiotherapie und einmal aufs Klo gehen. Das war meine Energie für den ganzen Tag. Gehen und Bewegung zu trainieren, war damit für mich essenziell. Die Fortschritte waren im Mikrobereich, aber die Bilder vom Eiger Ultra Trail trieben mich voran. Ausdauertraining war mir wichtig, denn mit mehr Ausdauer kann ich mich länger allem anderen widmen, besonders der Wortfindung und Merkfähigkeit.
Ich hatte kein Kurzzeitgedächtnis mehr und musste anderes lernen, um das Kompensieren zu können. Das funktioniert besser mit mehr Ausdauerfähigkeit und meine Denkfähigkeit steigerte sich mit Zunahme der Ausdauer. Gehen wurde wichtig und gab mir Sinn im Leben.
Eines war sicher: Einen Fuß vor den anderen zu setzen, gehört mit zum Wichtigsten, was wir tun können.
Sinn gibt einem das, was Freude macht. Wäre ich damals im Krankenhaus missmutig gewesen ob der Fortschritte und hätte aufgegeben Gehen zu lernen, dann hätte es keinen Sinn ergeben. Ich fand aber Sinn darin, wochen- ja monatelang, für jeden Schritt mehr zu üben. Gehen machte und gab mir Sinn, denn Denken konnte ich ja nicht wirklich.
Nach einem Jahr schaffte ich bereits mehrere hundert Meter, mit vielen Pausen. Der Jakobsweg nahm immer mehr Raum in mir ein. Wochenlang dahingehen und damit zu sich selbst zu kommen. Nach zwei Jahren schaffte ich endlich 5 Kilometer. Noch brauchte ich viele Pausen, aber immerhin.
Das Kurzzeitgedächtnis verbesserte sich nur wenig, aber neue Strategien konnte ich langsam in mir integrieren und anwenden. 2018 fuhr ich dann nach einer privaten Krise kurzerhand zum Jakobsweg. Gehen gab mir Sinn und wurde meine Medizin und Lebenselixier.
Wenn ich mich heute an meine erste Reise nach Saint Jean Pied de Port zurückerinnere, dann kommen vereinzelte Erlebnisse hoch. Damals war ich nicht fähig zu schreiben, mein Gehirn funktionierte nur bedingt und wenn ich nicht Fotos gemacht hätte, dann hätte ich nur wenige Erinnerungen behalten. Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass dieser Weg für mich Sinn im Leben machte, denn ich lebte voll und ganz im Hier und Jetzt.
Das Denken konnte ich nur wenig Verbessern in den letzten Jahren, aber dafür bekam das Gehen immer mehr Sinn. Der Hirnabszess hält mich im Hier und Jetzt und das ist für das Gehen perfekt. Ich kann Freude besser empfinden, in Dingen, die ich gerne mache. Gehen gehört dazu und Heilung kann nur stattfinden, wenn meine Zellen in Freude schwingen.
Ich überquerte auf meinen Caminos Bergketten, Hochebenen und Städte. Ich erlebte Regen und Sonnenschein, Kälte und Hitze. Alles nahm ich sehr intensiv wahr, denn ich lebte im jetzt und nur die Fotos erinnern mich noch daran, wo ich war und was ich erlebte. Der Moment wurde das wichtigste Mittel, um zu Gesunden. Ich war schon immer ein optimistischer Mensch und wollte mir diese Haltung bewahren.
Als ehemaliger Videojournalist liebe ich es, zu dokumentieren. Das ist noch immer in mir, aber ich sehe es auch als Möglichkeit, mein Denken und meine Wahrnehmung zu fördern. Vieles, wie das Filmen, ist mir kaum oder schwer möglich. Das wird vielleicht wieder kommen, aber ich bin zumindest froh, meinen Lebensweg über Fotos zu dokumentieren. Wer hätte daran vor fünf Jahren geglaubt, dass so etwas möglich wird?
"Wer ans Ziel kommen will, kann mit der Postkutsche fahren, aber wer richtig reisen will, soll zu Fuß gehen!"
Jean-Jacques Rousseau, 1712 - 1778
Diesem Kommentar von Rousseau kann ich viel abgewinnen. Für mich hat sich das Leben mit dem Gehen wieder erschlossen. Ich kann vieles noch nicht, selbst Gehen muss ich noch immer lernen, aber das Unterwegssein bringt mir tägliche Glücksmomente. Die Blume oder Schnecke am Weg, ist mir genauso wichtig, wie der Eifelturm oder Louvre auf dem Weg zum Jakobsweg in Spanien.
Das oben erwähnte Zitat konnte ich selbst erfahren. Ich wollte im April 2020 zu Fuß von zu Hause nach Santiago de Compostela aufbrechen. Corona kam mir damals zuvor und seither erlebe ich das Gehen anders. Reisen und Gehen zeigte mir, wie wichtig es für mich ist. Es hat eine sehr positive Wirkung auf mein Gehirn.
Die täglichen Herausforderungen beim Reisen stimulieren mein Gehirn, wie ich es im Alltag nicht schaffe. Daher kam ich auf den Walkabout, der mich diesmal durch die Heimat bringen soll. Reduziert auf das Wesentliche, kann ich mein Gehirn vermehrt dem aussetzen, was ihm guttut. Corona erfordert einen neuen Umgang mit allem, der Walkabout ist eine Chance für mich, es zu lernen.
Er soll außerdem einen Abschluss bringen, nach 5 Jahren der Rehabilitation. Das Leben soll wieder Vorrang bekommen, nicht nur die Therapie. Den Weg dazu soll mir der Walkabout weisen, denn gerade mit Corona muss und will ich mein Leben neu ordnen. Der Weg durch Österreich kann das auf gute Weise verbinden, egal wie weit ich komme.
Einerseits das Gehen und auf der anderen Seite, wie kann ich mit Corona umgehen, dass soll mir einen guten Weg in die Zukunft weisen.
Das Gehen um des Gehens willen, steht an erster Stelle. Ich erwarte mir nichts, weiß aber, dass Gehen neue Horizonte schafft. Neues, dass ich unbedingt brauche. Ob wenige Tage oder viele Wochen, ich gehe so weit und solange es mir guttut. Ich habe in den letzten Wochen viel an meinen Traumen gearbeitet und das verbrauchte viel Energie. Energie, die ich jetzt ins Gehen und über diesen Weg, auch in meine Trauma Arbeit stecken werde.
Vermeidungen erkennen und Traumen aufarbeiten. Werkzeuge dazu habe ich bekommen, besonders über das therapeutische Tanzen und dazu viele Anregungen. So wird mir beim Walkabout sicher nicht langweilig.
Bisher bin ich noch von jeder Reise (seelisch) gestärkt zurückgekommen. Wenn es mir möglich ist, werde ich diesmal versuchen, auch von unterwegs Blogartikel zu verfassen. Da ich aber meistens im Zelt übernachte, hängt es vom mir zur Verfügung stehenden Strom ab, wie oft ich posten kann. Kurzberichte auf Instagram werden sicher öfter möglich sein.
Es wird eine spannende Erkundung meines geistigen Potenzial und der körperlichen Möglichkeiten werden, da bin ich mir sicher. Mit diesem Weg möchte ich mir wieder ein Stück näher kommen und meinem Leben Richtung geben. Corona hat mich sehr in meiner Rehabilitation eingeschränkt und das soll jetzt anders werden. Ich möchte meinen Weg mit Corona finden.
Ganz dem Gedanken von Rousseau folgend: Beim Gehen findet der Mensch zu sich selbst zurück, zurück in seinen Naturzustand.
Gehen hilft dem Geist und fördert die Agilität des Gehirns. Im Jahre 1090 ging Edward Weston an seinem 70. Geburtstag in 105 Tagen von New York nach San Francisco. Er marschierte danach weiter und weiter und schrieb ein Buch über das Gehen. Er fand im Gehen seinen Sinn im Leben.
"Jeder kann gehen, es ist gratis, wie die Sonne am Tag und die Sterne in der Nacht. Wir müssen nur auf die Beine kommen, die Straße bringt uns überall hin."
Edward Weston, 70-jährig, nach seinem Marsch durch die USA, 1909
Gehen gibt auch mir Sinn im Leben!
Wenn ich die letzten Jahre rückwirkend betrachte, dann war für die Folgen des Hirnabszesses, das Pilgern die beste Therapie. Corona macht es aber seit einem Jahr unmöglich und ich brauchte lange, um die Situation erfassen und verändern zu können. Ich musste meine Rehabilitation überdenken, neu gestalten und etwas Neues musste her. Aber wie kam ich auf den Walkabout?
Vor einigen Monaten kamen Erinnerungen an meine Australien Reisen hoch, von denen ich ein Didgeridoo mitbrachte. Ich borgte mir ein leichter zu handhabendes von meinem Bruder aus und begann zu üben.
Einher kamen mir Erinnerungen an einen Walkabout in Australien, den ich aber, um es kurz zu machen, nie verwirklichte. Die Pilgerwege in Spanien sind wegen Corona zu und auch das Losgehen von zu Hause nach Santiago ist (für mich) unmöglich. Deshalb werde ich, im Sinne eines australischen Walkabout, durch Österreich gehen. Die Kultur dahinter spricht mich an und hat mit Pilgern viel gemein.
Alle Planungen sind vorläufig und gelten nicht als fix. Corona veränderte unser aller Leben und beeinflusst natürlich auch solche Touren. Auch ich plane nur unter dem Motto: Nix is fix!
Es kann jede Woche anders ausschauen, wie wir derzeit wieder sehen und danach richte ich mich. Aktuell wird es einen weiteren Lockdown nach Ostern geben und darüber hinaus. Wie es wirklich weitergeht, weiß niemand. Diese Unwägbarkeit der Situation war letztes Jahr kaum zu verstehen für mein Gehirn und ich brauchte lange, um mich an die Situation anzupassen. Mittlerweile kann ich wesentlich besser damit umgehen.
Für die Aborigines hat er eine wichtige Tradition. Mittels einer "Songline", einem gesungenen Lied, wird die Heimat auf einem festgelegten Pfad durchwandert. Dieses Lied weist durch markante Beschreibungen den korrekten Weg. Es ist laut den Aborigines ihr "Traumpfad" im Land.
So eine Wanderung kann Wochen, Monate oder in manchen Fällen, auch jahrelang dauern. Man wandelt so auf den Spuren der Vorfahren. Der Walkabout ist ein Ritual und bewahrt die Kultur der Aborigines. Er gibt ihnen Identität.
Durch Veränderungen der Natur und Landschaft, wird es aber immer schwieriger, dieses Ritual aufrechtzuerhalten. Baumaßnahmen, Häuserbau, Landschaftsbau und andere Veränderungen gleichen einem Heimatverlust und einem Verlust der Identität. Traditionelle Aborigines leben entlang ihrer bekannten "Songline", es ist ihre normale Lebensweise. Sesshafte Aborigines benutzen den Walkabout, um ihre Identität zu bewahren.
Für mich hat dieser Walkabout den Sinn, meine eigene Identität wiederzufinden.
Vorbild ist der Australische, allerdings adaptiert auf Österreich und besonders auf mich. Am Jakobsweg in Spanien konnte ich schon eine gute Grundlage dafür bilden, er war ja auch so etwas wie ein Walkabout. Den ersten Camino ging ich, um mich wieder selbst zu finden. Der Hirnabszess nahm mir jede Identität, sodass ich nicht wusste, wer ich eigentlich bin. Mein Leben bestand nur aus Therapie, wer war aber ich?
Mich mit Behinderung wieder im Leben zu finden, ist mir bis heute in Ansätzen gelungen. Es wurde wichtig, trotzdem jeden Tag mit Freude und Glücklichsein zu erleben. Das ist die Grundlage für Heilung. Da mein Gehirn nicht mehr so arbeitet wie vorher, wurde die Bewegung immer wichtiger. Gleichzeitig hilft das Gehen auch dem Denken. Die Bewegung des Körpers überträgt sich auf das Gehirn und diese Bewegung unterstützt das Denken.
Corona tat dann allerdings das seine dazu, dass ich mich quasi wieder an den Anfang begeben musste. Ich nenne es immer wieder "das Leben lernen". Von einem Tag auf den anderen, konnte ich das nicht mehr. Aber wie damit umgehen? Ich fühlte mich in die Anfänge des Hirnabszesses zurückversetzt.
Seit Februar 2019 arbeite ich speziell daran. Ich sollte lernen, Freunde zu treffen, mit dem Zug zu fahren und ins Kino zu gehen. Therapie sollte seine eigene Zeit bekommen, der Rest war Leben.
Am Camino del Norte bekam ich nach drei Wochen Gehen, wieder das Gefühl zu spüren, was Leben heißt. Der Herbst wurde eine Entdeckung des Lebens. Gleich darauf, im Februar 2020 am Camino Frances, besuchte ich dann zum ersten Mal die Kathedrale in Santiago und das Pilger-Museum. Pilger-Freunde begleiteten mich und ich überwand meine Vermeidung und Hochsensibilität. Ich hatte solche Freude am Entdecken des Lebens gefunden.
Nach meiner Heimkehr vom Camino, war plötzlich Social Distancing, Abstand halten und Regeln einhalten angesagt, die mich und mein Gehirn überforderten. Ich flüchtete mich in die körperliche Therapie, denn "das Leben lernen", war mir unmöglich geworden. Ich musste neue Strategien und Routinen lernen, für die ich lange brauchte, bis ich sie verinnerlicht hatte.
Wichtig ist, "Leben unter neuen Voraussetzungen", zu lernen. Dabei war ich doch nur kurz vorher im Begriff, mich selbst wiederzufinden. Also alles neu und zurück an den Start.
Schon im letzten Jahr begann ich alle Berge meiner Umgebung zu erkunden. Berge, die ich früher nicht einmal kannte, wurden meine neue Spielwiese, um weiterhin Gehen zu lernen. Ich versuchte mich auch an heimischen Pilgerwegen, war zum Beispiel für wenige Tage am Weststeirischen und am Burgenländischen Jakobsweg unterwegs.
Wie lange Corona dauern würde, konnte damals niemand abschätzen. Diese Ungewissheit war nicht leicht zu verarbeiten, soweit konnte mein Gehirn nicht denken. Ich begann aus diesem Grund mit Übernachtungen im Zelt oder Biwaksack, musste aber recht bald einsehen, dass mein Körper noch nicht so weit war. So landete ich wieder beim körperlichen Training, um mich zu festigen. Schleichend verließ mich aber die Konzentration. Es ging immer schlechter Bücher zu lesen oder zu schreiben.
Die Langsamkeit hält mich weiterhin gefangen, alles schnelle, wie das Laufen, funktioniert noch immer nicht. So bleibt Wandern und Pilgern meine Tätigkeit, immer auch mit dem Gedanken dahinter, mein Denkvermögen zu verbessern. Das Denken hat seit dem ersten Corona-Lockdown sehr darunter gelitten.
Austria - Australien und dazu der Walkabout. Diese Idee reifte in mir immer mehr. Meine "Songline" sollte eine Verbindung zwischen den entferntesten Punkten Österreichs, in allen vier Himmelsrichtungen, sein. Als Trailrunner wäre ich gelaufen, so wird es aber ein Thruehike, also ein Weitwanderweg. Da ich noch immer unter der Muskelschwäche leide, werde ich trotzdem kaum mehr Gepäck tragen, als ich es laufend gemacht hätte. Ultra light ist das Zauberwort.
Mein Weg führt mich von Judendorf zunächst am Neusiedlersee vorbei, zum östlichsten Punkt von Österreich, Deutsch-Jahrndorf. Von dort geht es, zum Teil auf Jakobswegen, bis zum nördlichsten Punkt, in die Nähe von Haugschlag, an der Grenze zu Tschechien.
Dann warten einige Berge auf dem Weg zum westlichsten Ort, Bangs in Vorarlberg, unter anderem wird der Arlberg überquert. Wieder retour, wartet der anstrengendste Teil des Weges, die Überquerung der hohen Tauern, zum südlichsten Punkt, in Vellach. Von dort geht es nach Hause, in die Steiermark.
Der Weg ist grob 2.000 km lang. Viele Änderungen vor Ort werden die Strecke aber auf bis zu 2.500 Kilometer anwachsen lassen.
Auf die Idee brachte mich der amerikanische Ultraläufer Rickey Gates. Er hat 2017, bei der Amtsübernahme von Donald Trump, die USA zu Fuß durchquert und sich die Stimmung der Menschen auf seinem 5.000 Kilometer langen Weg angeschaut. Für ihn war damals eine wichtige Frage, wie ist die Stimmung im Land, nach der Amtsübernahme von Donald Trump.
Seine Begegnungen hat er eindrucksvoll in seinem Buch festgehalten.
Für mich steht an erster Stelle, nach fünf endlosen Jahren der Rehabilitation, endlich wieder meinen Platz im Leben zu finden. Der "Walkabout durch Austria", soll ein weitere Schritt dazu werden. Das ist die vorrangige Idee dazu.
Es interessiert mich aber auch, wie sehr Corona die Stimmung im Land verändert hat? Es sind viele Ähnlichkeiten mit seinem Lauf durch Amerika, nach der Amtsübernahme von Trump, weiche das Land gespalten hat.
Vor Corona bin ich immer wieder von der Straße weg zum Übernachten eingeladen worden. In der Corona-Zeit bin ich mir nicht mehr sicher, ob das möglich ist. Es wird interessant, das Erleben zu dürfen, besonders mit Behinderung, meiner Hochsensibilität und der veränderten Wahrnehmung. Natürlich werde ich nichts herausfordern, denn in erster Linie muss ich auf mich schauen und wie ich mit den Folgen des Hirnabszesses zurechtkomme.
Mein Gehen schaut von außen ja schon recht gut aus, aber niemand kann erkennen, welcher Aufwand dazu noch immer nötig ist. Meine Behinderung ist ja geblieben. Die fehlende Propriozeption verlangt mir große Konzentration ab, gehen zu können und Konzentration ist Energie. Energie, die ich noch immer genau einteilen muss, um über den Tag zu kommen. Auch wenn es so ist, bin ich froh und dankbar dafür, überhaupt gehen zu können. Es hat mir das Leben zurückgebracht.
Was anderes sind Begegnungen mit Menschen. Sie sind mir auch wichtig. Es wird anders als früher, aber trotzdem nicht weniger intensiv. Wie gehe ich mit den neuen Umgangsregeln um? Traue ich mich auf Menschen zugehen?
Es wird weniger in den Städten sein, die ich sowieso vermeiden werde, als vielmehr am Land. Die Bäuerin beim Wiese mähen, der Wanderer unterwegs, der Briefträger und so weiter. Mich interessiert: Wie sehen sie Corona, was hat sich in ihrem Leben verändert und was würden sie sich wünschen?
Als Zeitrahmen ist das Frühjahr bis Sommer vorgesehen. Losmarschieren würde ich gerne am 1. Mai, da aber Corona nicht berechenbar ist, lasse ich es mir offen, wann es wirklich losgeht. Ich werde mich spontan entscheiden. Einziges Limit, ich muss schauen, dass ich im Sommer durchkomme, ehe es im September zu kalt in den Bergen wird.
Die Dauer wird zwei bis drei Monate betragen. Da ich es nicht mit Pilgern in Spanien vergleichen kann, werde ich auch diesmal, wie eigentlich immer bisher, alles auf mich zukommen lassen. Was ich jedoch im Auge behalten werde, wenn es gar nicht geht, werde ich abbrechen und aufhören. Meine persönliche Gesundheit steht an erster Stelle, den die Tour hat ja den Sinn, mich darin zu verbessern.
Zelt, Schlaf- und Biwaksack werden meine bevorzugte Übernachtung sein. Ultra light (Run-)Hiking habe ich schon lange vorher betrieben. Als Trailrunner war ich immer darum bemüht, mit leichtem Equipment unterwegs zu sein.
Ich habe allerdings vor, mir alle paar Tage ein Zimmer zu nehmen, sofern etwas offen hat. Ein bisschen Komfort darf sein. Eine warme Dusche, Strom für Handy und Fotoapparat und ein Bett für bessere Erholung.
Da ich vorhabe zu fotografieren, muss ich mit dem Strom haushalten. Ich habe eine kleine Powerbank bei mir und für den Notfall ein Solarpaneel, damit bin ich begrenzt autark. Allein der Fotoapparat mit Stromversorgung wiegt allerdings einen Kilogramm.
Ich habe lange überlegt, wegen des Gewichts nur mit dem Handy zu gehen. Da kam aber mein ursprünglicher Beruf als Videojournalist durch und ich entschied mich dagegen. Aber wer weiß, ich reagiere zu spontan und vielleicht gehe ich doch mit leichterem Gepäck! 🙂
Ob ich einen Kocher mitnehme, hängt davon ab, ob ich offene Gaststätten vorfinde. Ihn zu Hause zu lassen, wäre in jedem Fall eine Gewichtsersparnis. Mit dem Gewicht bin ich am absoluten Limit für mich, aber es ist trotzdem mehr, als im normalen Fall. Die Nachwirkungen des Hirnabszesses lassen mich ein paar extra Sachen einpacken, weil mein Körper noch immer anders reagiert wie früher.
Die gesamte Ausrüstung werde ich noch gesondert vorstellen. Das Basisgewicht des Rucksacks wiegt im Moment 5 kg, inklusive Fotoapparat, aber ohne Wasser und Verpflegung.
Allein die Vorbereitung war bisher eine sehr gute Therapie für mein Gehirn. Das richtige Material zu finden und zu bewerten, die Streckenplanung und das zu Corona-Zeiten.
Viele Kleinigkeiten müssen bedacht sein, denn ich stecke es nicht mehr so leicht weg, wenn etwas fehlt. Der Hirnabszess bzw. die Behinderung verzeihen keine großen Fehler. Es wird sich zeigen, wie ich das Übernachten im Freien dieses Jahr vertrage. Keine zu großen Kilometerleistungen sind am Anfang wichtig, denn obwohl mir dieser direkte Kontakt mit der Natur guttut, kostet mir das Nächtigen Energie.
Auch wenn noch alles unabsehbar ist, freue ich mich auf den Walkabout. Er soll mich wieder, trotz Corona, ein wenig näher an das Leben zurückbringen. Mein persönlicher Lockdown beträgt immerhin schon 5 Jahre. Auf der einen Seite kann ich oft besser damit umgehen, auf der anderen fehlt mir mittlerweile besonders der soziale Kontakt und das Leben, so wie es mittlerweile allen fehlt.
Auf jedem Fall beginnt das Abenteuer, wo Pläne enden!
In letzter Zeit ist es etwas ruhiger geworden auf meinem Blog. Die Traumaverarbeitung ist seit Corona ins Stocken gekommen und ich habe mich auf die körperliche Rehabilitation konzentriert. Mein "Leben lernen" hat auch mit der Traumaverarbeitung zu tun. Es sind noch zu viele Dinge, die ich vermeide oder aufzuarbeiten habe.
Corona hat viel verändert, was auch seine Auswirkungen auf das Schreiben hatte. Gerade die Konzentration hat im letzten Jahr gelitten. Schreiben, Bücher lesen oder etwas gestalten wollen, ist im Moment kaum möglich.
Es hat keinen Sinn, es herbeizwingen zu wollen. Daher versuche ich mich in der Bewegung auszudrücken, dabei hilft mir das therapeutische Tanzen und lange Einheiten beim Gehen.
Laut Wikipedia und in der Psychologie wird Trauma eine seelische Verletzung genannt. Sie wird meist durch eine körperliche Verwundung hervorgerufen, aber auch durch eine psychische Erschütterung, ein sogenanntes Psychotrauma.
Meine Traumatisierung zeigt sich auf verschiedene Arten. Schon kleinere Stimulationen können zu heftigen Empfinden führen, die Wut, Angst, Furcht oder Panik auslösen. Das hat wiederum zur Folge, dass ich leicht überreagiere, mich verschließe oder in Starre verfalle. Diese Momente heißt es zu erkennen und richtig darauf zu reagieren.
Zumindest habe ich gelernt, nicht auf alles sofort zu reagieren, deshalb erscheine ich oft eher teilnahmslos. Stück für Stück taste ich mich vorwärts, um einen normalen Umgang zu lernen. Mein Alltag steht noch immer unter den Folgen verschiedener Traumas.
Alle an das Trauma erinnernde Situationen, lösen noch immer körperliche Erregung oder Fluchtbereitschaft aus. Es ist nach wie vor nicht leicht, daher auch das gesteigerte Bedürfnis, wieder mehr Vertrauen im mich zu finden. Das kann ich nur langsam steigern und braucht seine Zeit. Corona hat eben viel verändert, vor allem im sozialen Umgang. Seit einem Jahr war ich praktisch nicht mehr in der Stadt, Social Distancing bleibt mir bis heute erhalten und lässt mich in die körperliche Rehabilitation flüchten.
Das Gehen, vor allem das Pilgern, hat mir bis Corona am meisten geholfen, besonders in der Traumaverarbeitung. Ich konnte mich dosiert an Situationen gewöhnen, die mich wieder an soziale Kontakte gewöhnen ließen. Von einem Tag auf den anderen war es durch Corona anders. Die Traumatherapie wurde abgesagt.
Die Folgen treten nach traumatischen Erlebnissen auf. Von einem Tag auf den anderen aus dem Leben gerissen, verbrachte ich fünf Monate im Krankenhaus. Ich war nicht fähig, über das Vorgefallene nachzudenken. Es hinterließ jedoch Spuren, die ich erst nach zwei Jahren aufzuarbeiten beginnen konnte.
Ein Jahr nach dem Krankenhaus begann ich den Blog zu schreiben, der einer Verarbeitung des Geschehen dient. Schreiben als Therapie, hilft mir sehr. Seit damals berichte ich darüber, was ich in meinem Therapie-Leben mache.
Schreiben wurde zu einer Therapie, die mich nach wie vor begleitet. Das Buch-Schreiben ist vorläufig in den Hintergrund getreten, besonders seit Corona. Diese Ausnahmesituation veränderte alles, wo für mehr als die körperliche Rehabilitation nichts übrig blieb. Mein Gehirn ist nach wie vor die größte Herausforderung, denn "Leben lernen" ist eigentlich nichts anderes, als das Arbeiten an diesen posttraumatischen Belastungsstörungen.
Gerade das Pilgern war die beste Therapie dafür. Jeder Camino war eine Steigerung des letzten, körperlich wie geistig. Auch für die Bewältigung der Traumen war es hilfreich. Am Camino gilt die Regel, du bekommst, was du brauchst, nicht was du willst. Beim ersten Camino habe ich mich noch relativ fern von allen Menschen gehalten und mich immer zurückgezogen. Ich war zu schnell körperlich und emotional erschöpft. Diese ständige somatische Stressreaktion bewirkt jedoch, dass ich meinen Körperempfindungen nicht vertrauen konnte. Ich hatte zu lernen, wieder angemessen zu handeln und meine Emotionen entsprechend einzusetzen.
Mit Gefühlen und Emotionen tue ich mich noch heute schwer. In den meisten Momenten gibt es noch immer nur Null oder 100%. Daher muss ich mir lange Zeit lassen, wenn Emotionen im Spiel sind. Kleinste Stimulationen lassen mich überreagieren oder in den Fluchtmodus wechseln. Man nennt es auch den Verlust der Affektregulierung. Man wird Über-Wachsam, Schreckhaft und Ruhelos. Ich fühle mich nicht nur, ich bin wie ein kleines Kind, das noch viel zum Lernen hat.
Die Auswirkungen sind auch körperlich zu spüren. Anfangs hatte ich einen extrem hohen Ruhepuls von 75 bis 80 Schlägen. Ich war ständig in einem innerlichen Fluchtmodus, was ja kein Wunder war. Ich wurde im Krankenhaus alle paar Stunden, auch in der Nacht, zum Wechseln der Antibiotika-Infusionen, aufgeweckt. Das geschah fünf Monate lang, jeden Tag. Ich konnte nie länger als drei, vier Stunden durchschlafen.
Ich brauchte über drei Jahre, um meinen Puls zu beruhigen. Nach dem zweiten Camino fiel er, fast drei Jahre nach dem Hirnabszess, auf ein relatives Normalmaß von 55 bis 60 Schläge. Seither verbessert er sich immer mehr. Aktuell liege ich in Ruhephasen um 50 bis 55. Als Vergleich dazu hatte ich als Radrennfahrer etwa 35 Schläge in der Minute. Später, als ich mit dem Rennfahren aufhörte, waren es rund 45 Schläge.
Die unzähligen Pilgerkilometer bisher, waren ein hervorragendes Ausdauertraining und beruhigten meinen Körper. Gelassenheit nahm immer mehr von mir Besitz und ich kann seither dem Alltag besser begegnen.
Ein Trauma äußert sich vor allem in der Vermeidung von Situationen und von Orten. Das Pilgern half mir, mich im Alltag langsam wieder besser zurechtzufinden. Dabei habe ich immer die Wahl, etwas zu vermeiden oder mich dem zu stellen. Ich war jetzt mehrere Jahre nicht mehr im Krankenhaus und habe eine Scheu, hinzugehen. Ich wurde dort wirklich gut behandelt, vor allem von den Krankenschwestern und Therapeutinnen.
Trotzdem ist es mit zu vielen Erinnerungen verbunden, die ich nicht erwecken möchte. Das Gleiche ist mit vielen Orten in Graz, wo ich viele Erinnerungen an die Zeit mit meiner Familie habe. Die Trennung hat Traumen verursacht, denen ich mich noch nicht stellen kann. Diese zusammen mit den Folgen des Hirnabszess, lassen mich nur in kleinen Schritten vorwärtskommen.
Gerade der letzte Camino zeigte mir viel auf. Jedes Jahr stand ich vor der Kathedrale in Santiago, aber die Angst in den Innenraum zu gehen, war zu groß. Vier Jahre nach dem Hirnabszess war es so weit. Erstmals traute ich mich in Begleitung von meinem Pilgerfreund Pedro hinein. Wenn ich das heute schreibe, kommen mir die Tränen. Es war ein emotionaler Erfolg, auf den ich lange hingearbeitet habe. Dem war aber noch nicht genug, denn einen Tag später besuchte ich mit einer Pilgerfreundin das Pilgermuseum in Santiago. Ich konnte damit wichtige Dämonen besiegen und mich ihnen stellen.
Die zahlreichen Exponate zu besichtigen, brachte mich zwar ans Limit, aber es waren wichtige Schritte für die Zukunft. Das Pilgern, das viele Training und Üben und die viele Arbeit an mir, zeigte endlich seine Wirkung. Ich konnte die Vermeidung erstmals erfolgreich Besiegen, nach fast vier Jahren, auf meinem dritten großen Camino.
Wieder zu Hause, wollte ich meinem Üben und Training eine neue Richtung geben und intensiver an der Traumaverarbeitung weitermachen. Corona aber hatte etwas anderes vor. Ich entschied mich, dem Körper Vorrang zu geben und konzentrierte mich auf die Verbesserung der körperlichen Defizite.
Es kam eine beschädigte Propriozeption heraus, wegen der ich unter anderem die Schwierigkeiten in der Bewegung bisher habe. Es war sinnvoll daran zu arbeiten, denn Corona veränderte alles, besonders die Traumaverarbeitung. Termine für Therapien wurden abgesagt, aber nach einiger Zeit begann das therapeutische Tanzen wieder. Nur mit wenigen Lockdown Ausnahmen, ist es meine wöchentliche Therapie.
Nicht nur für die Propriozeption (Wahrnehmung), sondern es ist auch eine gute Unterstützung, um an den Traumen zu arbeiten. Meine schon so lange dauernde Übererregung, störte die Fähigkeit mich zu konzentrieren und aus Erfahrungen lernen zu können. Diese bekam ich, durch das Pilgern, immer besser in den Griff. Allerdings war Pilgern plötzlich nicht mehr möglich.
Ich benötigte bis ins heurige Jahr, um mich wiederzufinden und dem "Leben lernen" eine neue Richtung geben zu können. Ganz habe ich es immer noch nicht geschafft, aber die Wege werden immer klarer.
Die Herausforderungen in den letzten Jahren waren enorm und sie sind noch lange nicht zu Ende. Denn die größte Frage für mich ist, wie soll ich mich wieder sozialisieren, wenn es nicht erlaubt ist. Das wird eine besondere Herausforderung, für die ich langsam Antwort bekomme. Die wird es in einem der nächsten Blogs geben.
Die Behinderung ist für mich gar nicht so das Thema, denn ich habe sie annehmen können und arbeite daran, sie zu verbessern. Es ist eben nicht mehr alles möglich wie früher und damit komme ich klar. Die Langsamkeit hat mir ein neues Leben gegeben, was aber nicht heißt, es nicht verbessern zu wollen.
Behindert zu sein heißt vor allem, mit der Vergangenheit im Reinen zu sein. Da die Folgen des Hirnabszess mich aber im Hier und Jetzt halten, sind Gedanken an die Vergangenheit noch immer kaum möglich. Daher lasse ich sie, denn ich komme damit ja doch nicht weiter. Akzeptanz und Gelassenheit sind wichtige Eigenschaften geworden.
Wie beim Pilgern auf einem 1000 km langen Weg, gehe ich in allem Schritt für Schritt weiter. Was heute nicht geht, geht vielleicht morgen oder eben später. Eines habe ich über die Jahre gemerkt: Mit Druck geht gar nichts!
Mein Gehirn gibt nach wie vor das Tempo vor und Stress verträgt es überhaupt nicht. Ich nehme es, wie es ist und vermeide stressige Situationen. Wobei ich unterscheiden lerne, zwischen wirklichen Stress und der Vermeidung, wo ein Trauma im Spiel ist.
Ich habe mittlerweile gelernt, mit der Behinderung umzugehen. Es gibt zum Beispiel noch immer Ampeln, wo ich nur unter Anstrengung bei Grün über die Straße komme. So etwas kann mich in Stress versetzen. Seit Corona halte ich mich fast nur mehr in der Natur auf und das tut mir gut.
Es geht nur Schritt für Schritt. Das wichtigste sind Sicherheit und Beruhigung. An hilfreiche Gewohnheiten anknüpfen und ja nicht wieder in eine Dauerbereitschaft fallen. Man erlebt vieles als eine Art Film, das durch Gerüche, Farben oder Gefühle angestoßen werden kann. Für mich als ehemaligen Filmer besonders schwierig, da ich in Filmen denke. Vielleicht auch daher die Vermeidung vor dem Filmen. Zu schnell kommt altes Hoch, denn ich erlebe alles als Film.
Die Auswirkungen von einem Trauma sind nicht steuerbar. Stress und Traumatisierung können Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen zur Folge haben, was ich im Moment an mir bemerke. Ich habe mehrere Bücher seit Monaten zu lesen, kann mich aber nicht darauf konzentrieren. Ein, zwei Seiten, dann lege ich es wieder weg. So und auf noch ganz andere Art äußern sich die Traumen.
Ich war bis Corona auf einem guten Weg, meine traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten. Seither muss ich meinen Weg erst wieder finden. Das therapeutische Tanzen ist mir dabei eine große Hilfe. Es ist die einzige Therapie, die mir erhalten geblieben ist. Es schafft positive Gegenbilder in mir, hilft zum Stressabbau und fördert meine Kreativität. In erster Linie, hat mich das therapeutische Tanzen über das letzte Jahr gebracht.
Schritt für Schritt komme ich so weiter und mache das Beste für mich daraus. Die Natur und das Gehen sind eine weitere große Hilfe, in diesem aus unzähligen Puzzleteilen bestehenden Leben. Es braucht eine neue Strategie, diese vielen Teile zusammenzusetzen. Wie bei einem Puzzle muss ich meine Strategie erst finden, wie ich die Traumaverarbeitung mit Corona angehen kann.
Mein Neuanfang des Lebens ist seit Corona ins Stocken gekommen. Hatte ich schon viel damit zu tun, mein Leben 2.0 zu meistern, so ist das neue Leben 3.0 zu einer wesentlich größeren Herausforderung geworden. Denn mit Corona hat definitiv ein neues Leben im Leben begonnen.
Seit bald einem Jahr versuche ich, mehr oder weniger, über die Runden zu kommen. Ich beschäftige mich intensiv damit, mein Gehen und meine Wahrnehmung zu verbessern. Anderes wurde zu kompliziert für mein Gehirn und die Rehabilitation trat wieder in den Vordergrund. Denn das gibt mir Halt und Sicherheit.
Es gab natürlich trotzdem Fortschritte und nicht nur Rückschritte. Ich konnte mit dem Radfahren beginnen und überhaupt lernte ich, mich sicherer im Wald und auf Straßen zu bewegen. Allerdings nur dort, wo kaum was los ist.
Kaum befinde ich mich unter Menschen oder in der Stadt, falle ich in ein vorsichtiges Verhalten und Rückzug zurück. Es wird mir sehr schnell alles zu viel. Oft hilft nur die Augen schließen, stehenbleiben, noch besser hinsetzen, um wieder zur Ruhe zu kommen.
Das Leben 3.0 wird anders als gedacht werden, aber es geht weiter, wie auch immer.
Die Hochsensibilität ist mein besonderes Thema. Jetzt verstehe ich verschiedene Verhaltensmuster von früher viel besser oder auch, warum ich als Energetiker arbeitete. Allerdings, wie kann ich diese Hochsensibilität, im Vergleich zu früher stark erhöhte, besser in den Griff bekommen?
Der Begriff des "Leben Lernen", ist so vielfältig. Wenn ich an die letzten Jahre zurückdenke, war es nicht selbstverständlich, dass ich nach dem Hirnabszess aufgestanden bin.
Noch heute erfahre ich von Dingen, wie knapp es mit dem Überleben damals zugegangen ist. Die Zeit im Krankenhaus war, im Nachhinein gesehen, eine gute Zeit, da ich aufgrund der fehlenden Schranken im Gehirn, besonders hochsensibel war. Dieser geschützte Bereich des Krankenhauses hat mir am Anfang das Überleben gesichert.
Aber es ist auch heute noch so, dass ich einen geschützten Bereich brauche, denn mein Gehirn verarbeitet Dinge anders, als zuvor. Ich muss mich vor Überforderung schützen, denn durch die Hochsensibilität ist mein Körper zu durchlässig für alles. Wenn ich nicht aufpasse, kann wochenlange Arbeit umsonst gewesen sein.
Das ist für Außenstehende nicht sichtbar, denn offensichtlich schaue ich ja gesund aus. Daher ist es wichtig auf mich zu achten und allem anderen einen Riegel vorzuschieben.
Es kommen immer wieder Ereignisse hoch, auf die ich sehr Feinfühlig reagiere. Heute kann ich es besser verstehen, passe aber auf, mich solchen Situationen weniger auszusetzen.
Meine Gesamtenergie ist seit letztem Jahr gesunken. Mein Ziel ist es, mit der Energie höher zu kommen, um die Hochsensibilität besser in den Griff zu bekommen. Auf über 50 % zu kommen, denn dann können mir Rückschläge nicht so viel anhaben.
Als Vergleich dazu, meinen ersten Camino Frances begann ich mit etwa 20 % und war am Ende bei 25- 30 % angelangt. Ein Jahr später, am Camino Norte, war ich auf etwa 35 % und letztes Jahr, als ich im März vom Camino Frances heimkam, bei rund 40 %.
Die Ausnahmesituation mit Corona hat mich wieder auf 25 - 30 % zurückgeworfen.
Mein Tagesablauf beinhaltet Struktur und Routinen, denn Veränderungen kosten mir unnötig Energie. Allerdings gehören sie dazu, aber dann, wenn ich es für gut befinde. Dann verlasse ich immer wieder meine Komfortzone, um Veränderung doch zu Erfahren. Sie ist wichtig, um weiterzukommen.
Von Zeit zu Zeit verändere ich auch meine Strukturen, um nicht in der Gewohnheit hängen zubleiben. Denn die Gewohnheit ist der Tod des Neuen.
Deswegen hat mir Pilgern auch so gutgetan, denn dabei ist man immer wieder mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Corona war allerdings eine zu große Veränderung, für die ich lange brauchte und eigentlich noch immer brauche, um sie zu verstehen. Dieses Neue hat mich aus meiner Komfortzone gebracht, ohne das es von mir selbst ausging. Das ist vor allem psychisch anstrengend, aber ich habe jetzt das Leben 3.0 zu lernen.
Dieses lernen beinhaltet vieles nicht mehr, was vorher wichtig war. Kino gehen oder mich an Menschen gewöhnen, war plötzlich nicht mehr wichtig. Wichtiger sind jetzt der Umgang mit der Maske, dass Abstand halten, richtig einkaufen gehen oder richtig Hände waschen. Alles Vorherige, zum Leben gelernte, war nicht mehr gültig.
Das alles zu verstehen, ist mir heute noch schwer. Denn mit NEU lernen habe ich Schwierigkeiten. Früher gekonntes und gelebtes ist hingegen leichter für mich zu lernen.
Mir ist noch immer das Gehen und die Bewegung wichtig. Es bildet einfach die Grundlage für alles, auch für das Denken. Ich versuche immer wieder, unterschiedliche Bewegungsmuster einzubauen. Gehen - Langlaufen - Gymnastik - Balance-Park - Radfahren - Klettern - Dehnen und vieles mehr.
Wie gesagt, Gehen bildet noch immer die Basis. Ich kann gar nicht oft genug automatisches Gehen üben, denn in der Neurologie gilt: Viel, ist viel!
Die besten Erfolge hatte ich beim Pilgern, denn die oft weiten Strecken waren eine Aneinanderreihung von Schritten, wo mich ein jeder einzelne weiterbrachte und meine Automatik schulte. Gerade die Meseta mit ihren langen, flachen Geraden, war ideal zur Automatik üben.
Da jetzt seit einem Jahr das Pilgern fehlt, versuche ich es anderweitig zu verbessern. Es ist Erfolg da, aber viel langsamer. Es hat sich alles verändert und die neue Situation geht nur Stück für Stück in meinen Kopf.
Ich war wieder einmal Radfahren, trotz der Kälte. Es hilft sehr für die sonst gleichbleibende Bewegung des Gehens. Es ist ein Bewegungsmuster, dass mir guttut.
In meiner Wahrnehmung machte ich damit einen großen Schritt nach vorwärts und ich freue mich auf die Zeit, wenn wieder mehr Radfahren möglich ist.
Das war bis vor einigen Wochen noch möglich, bis es auch in der Höhe zu warm wurde. Die gleitende Bewegung hat mir ebenfalls gutgetan und war hervorragend geeignet, um mich noch mehr an Kälte zu gewöhnen.
Sonst habe ich noch mit Gymnastik und Dehnen begonnen, bzw. weiter gemacht.
Es findet meist am Computer oder Handy statt. Einerseits noch mein altes Computerspiel aus der Reha, andererseits habe ich mehrere Apps am Handy. Auch Computerspiele können mir gut helfen, spiele ich aber nicht so gerne. Es ist ein wesentlich langsameres herantasten beim Denken, als auf der körperlichen Seite.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass ich mich an das Didgeridoo-spielen erinnert habe. Von meinen mehreren Aufenthalten in Australien habe ich mehrere originale Didgeridoos mitgebracht.
Allerdings sind sie für mich nicht spielbar. So habe ich mir ein einfaches besorgt, dass ich besser handhaben kann. Allein das Gewicht der Originalen kann ich nicht halten und es braucht einen größeren Atemdruck.
Allerdings ist selbst das einfache für mich nicht leicht zu spielen. Die Halbseitenlähmung ist für mich im Gesicht dabei spürbar, aber das Training tut mir gut. Die Gesichtsmuskeln werden dabei trainiert und der Mund wird weicher. Das wird mir auch mit der Zeit beim Essen helfen.
Obwohl ich mich so schwer fühle, bin ich nicht gut geerdet. Das Didgeridoo hilft mir, wieder mehr Erdverbundenheit zu bekommen und die Lebensenergie ins Fließen zu bekommen. Der tiefe, vibrierende Ton, kann auch tief sitzende Blockaden lösen und durch Alpha- und Theta-Wellen, gestörte Energieströme wieder herstellen.
Vom richtigen Spielen bin ich noch weit entfernt, aber ich bin überzeugt, dass es meinen Körper weiter harmonisieren wird. Gut Ding braucht eben Weile. Außerdem ist es im Lockdown ein guter Zeitvertreib.
Dieser Spruch sagt einfach alles. Ich bin auch nicht froh über die Situation, die uns Corona beschert hat. Aber ich befinde mich nun schon seit fünf Jahren in einer Art Lockdown und im Krankenhaus lernte ich eines:
"Das Leben geht immer weiter, manchmal weiter, als man denkt!"
Michael Richter, deutscher Zeithistoriker
Mit meinem Leben 3.0, gehe ich in eine neue Runde. Eine etwas andere als erwartet, aber es geht immer weiter!
Seit dem ersten Lockdown vor bald einem Jahr, hat sich mein Training sehr verändert. Bis dahin war "Leben lernen" immer mehr im Vordergrund. Seit Corona kümmere ich mich vor allem um den körperlichen Fortschritt, darunter verstehe ich Reha-Training.
Für das "Leben lernen" habe ich kein Rezept für mich gefunden, denn mein Gehirn ist mit der Situation überfordert. Daher konzentrierte ich mich auf bekanntes, also weiter Gehen lernen und das therapeutische Tanzen, dass nur kurz durch die Lockdowns unterbrochen war.
Es ging gar nicht anders, im Gesamten bin ich nach unten gerasselt. Daher wurde der mentale Aspekt sehr wichtig. Nicht hängenlassen und nicht aufgeben, trotz der so veränderten Situation. Mental musste ich das erst verkraften, denn es war nichts mehr wie zuvor.
Mit dem Camino Frances im Jänner/Februar vorigen Jahres, habe ich mir eine Ausgangsbasis geschaffen, die mir sehr über die erste Zeit geholfen hat. Vor allem Mental konnte ich lange davon zehren.
Im Laufe des Jahres bekam der mentale Zustand eine immer wichtigere Position. Trotzdem blieb ich dabei, mich auf das körperliche zu konzentrieren. Die Wahrnehmung konnte ich verbessern, besonders durch das therapeutische Tanzen.
Eine unscharfe, einfach ausgesprochene Definition für mentale Stärke ist:
"Gut drauf sein, wenns drauf ankommt."
Manches musste ich ignorieren, oft auch verdrängen, wenn es mir nicht guttat. Deswegen, weil mir einfach in manchen Dingen die Energie fehlt, um mich damit zu befassen. Es ist mir wichtig die innere Freude zu behalten, denn es ist das um und auf für Heilung.
Diese innere Freude ist mir besonders im Reha-Gedanken wichtig. Denn nur wenn ich es mit Freude mache, habe ich etwas davon. Das ist wiederum mit einer mentalen Stärke einfacher zu machen. Denn das ich nach bald fünf Jahren noch immer mit Rehabilitation beschäftigt bin, hätte ich mir nicht im Traum vorstellen können.
Mental wurde es besonders schwierig, Ziele zu verfolgen. Ich konnte mich nur an bewährtes halten, besonders das Reha-Training.
Dass die Folgen des Hirnabszesses noch nicht vorbei sind, wird mir manchmal bewusst gemacht. Manchmal muss ich aufpassen, es nicht zu übertreiben. Es ist dann eine Erschöpfung, die schnell auftritt. Es ist wie ein Hungerast beim Radfahren, nur dauert es länger.
In diesem besonderen Fall muss ich in die Horizontale und die Augen schließen. Meist folgt ein langer Schlaf von 10 bis 12 Stunden darauf. Es ist wichtig, diesen ersten Anzeichen zu folgen, denn beachte ich sie nicht, sind Doppelbilder die Folge und das braucht dann noch mehr Ruhe.
Das passiert mir selten, aber es passiert doch. Es ist ein herantasten an Grenzen, die ich immer weiter ausdehnen möchte. Da passiert es eben manchmal, dass ich an Grenzen anstoße.
Wie schon gesagt, ich blieb beim Körper- oder Reha-Training. Den Hauptteil macht das Gehen aus. Flach, bergig, es ist alles dabei. Immer wieder bewusst langsam, versuche ich so den Körper zu stärken und das Gleichgewicht zu trainieren.
Dieses "langsam Gehen" trainiere ich seit Anfang letzten Jahres. Den Hinweis darauf bekam ich von einem laufenden Psychologen, der mir diese Technik empfahl. Am Camino Frances legte ich jeden Tag eine gewisse Strecke ein, um es zu trainieren. Das Gehirn muss mehr denken und die Muskeln werden stärker, um das Gleichgewicht halten zu können.
Ich arbeite hier entgegen der These, dass man anhand der Gehgeschwindigkeit, auf das biologische Alter Rückschlüsse ziehen kann. Bei mir geht es um das koordinative und muskuläre Trainieren und um den Bewegungsablauf. Mit besserer Kraft und Koordination geht man mit der Zeit automatisch schneller, was wieder der Gesundheit zugutekommt.
Das therapeutische Tanzen hat mich sicher vor größeren Schaden bewahrt. Es ist die beste aller Therapien, seit dem Hirnabszess und wenn ich es bewerten soll, so steht es an geteilter erster Stelle, zusammen mit Pilgern.
Ich habe so viel dabei erfahren, dass ich sogar mit ein bisschen Wehmut zum Pilgern gefahren bin. Vieles dort gelernte, konnte ich beim Pilgern umsetzen und in Summe brachten mir diese beiden am meisten. Deswegen bin ich auch traurig darüber, dass mir Pilgern in dieser Form für längere Zeit verwehrt bleibt.
Damit habe ich so meine Schwierigkeiten. Im letzten Jahr gab es erstmals kein Fitnessstudio für mich (und auch für die meisten anderen), dieses Jahr wird es kaum anders.
Damit ist ein Training weggefallen, dass mir trotz der Muskelschwäche sehr geholfen hat. Alternatives Training machte ich im letzten Jahr kaum. So wie früher, als ich kleine Baumstämme im Wald zu heben begann. Damit verlor mein Rücken merklich an Stabilität, der sich mit Rückenschmerzen bemerkbar machte.
Erst das Langlaufen machte es wieder besser. Ich hatte Gelegenheit, immer wieder mit einem Freund auf die Teichalm mitzufahren. Bisher mache ich nur Skaten, aber es wäre zu überlegen, auch Klassisch auszuüben.
Beim Skaten fällt die Muskelschwäche besonders auf. Alle hundert bis zweihundert Meter brauche ich eine Pause. Nach mittlerweile sechsmal Langlaufen, bemerke ich aber eine Verbesserung der inneren Stabilität. Das unterstütze ich zu Hause noch mit diversen Kräftigungsübungen, um den Rückenschmerzen zu entkomme.
Mein Problem ist nach wie vor, dass ich so viel trainieren müsste, um Verbesserungen zu erzielen. Es geht aber nicht alles und so komme ich nur Schritt für Schritt voran. Es sind nach wie vor so viele Baustellen zu beachten, die ich nur nach und nach (hoffentlich) beheben kann.
Natürlich darf bei der Bewegung auch nicht das Geh-ABC fehlen. Ich kann mich noch erinnern, wie ich es das erste Mal machte. Danach war ich für Wochen zerstört, da es mein Körpersystem so durcheinander geworfen hat.
Alle Übungen mit Springen, mache ich sehr vorsichtig. Ich möchte nicht riskieren, wieder für Wochen außer Gefecht zu sein. Die Übungen tun wirklich gut, aber ich darf es nur vorsichtig steigern. Sprungübungen behandle ich nur vorsichtig. Wenige Male Springen kann das Maximum bedeuten, dass der Tag vorbei ist.
Dazu kann ich das nur bei einigermaßen moderaten Temperaturen machen. Ist es zu kalt, fange ich erst gleich nicht an damit. Es ist sowieso ein Training Tag für Tag. Die gleichen Muskelgruppen gleiche mehrere Tage hintereinander zu trainieren ist sowieso fast nicht möglich.
Als einfachste Aufgaben bekam ich 2019 den Auftrag, ins Kino oder Museum zu gehen. Dazu mit der Straßenbahn fahren zu lernen und etwas zu unternehmen, ohne etwas damit zu bezwecken. Besonders das Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln, war für mich Therapie.
Dazu kam etwas Belastendes, ich kann in Öffis nicht stehen und brauche unbedingt einen Sitzplatz, um nicht umzufallen. Das Belastende war aber, niemand konnte es mir ansehen, dass es so war und erklären konnte ich es in der kurzen Zeit nicht. Es war ein immerwährender Kampf darum, einen Sitzplatz zu bekommen. Nicht einmal bin ich an der Haltestelle stehen geblieben, weil keine Aussicht auf einen Sitz war.
Saß ich endlich, begann der nächste Kampf. Mein Körper musste den Fliehkräften standhalten. Was für andere Menschen kein oder kaum Problem ist, wurde für mich zur Mammutaufgabe. In mich verschränkt und abstützend, versuchte ich dem Gewackel entgegenzuhalten.
Jede Fahrt kostete mir alle Energie und es war mir fast unmöglich, keine Therapie darin zu sehen. Es war wie Krafttraining. Es wurde zwar nur wenig besser, aber ich lernte immer öfter etwas zu unternehmen.
Mit Corona fand das ein Ende. Seit bald einem Jahr bin ich nicht mehr mit dem Zug nach Graz gefahren oder war mit dem Bus unterwegs. Ich habe indes begonnen, mich voll und ganz auf die Natur zu konzentrieren, frei nach dem Motto von Hippokrates, "Die Natur sei deine Medizin".
Stretching gehört dringend dazu. Letztes Jahr war ich noch nachlässig, aber seit einiger Zeit gehört es zu meinem Tagesablauf dazu. Einige Übungen gehören zu meinem täglichen Pflichtprogramm.
Das 2020er Jahr hat mir viel gekostet, aber ich bin jetzt motiviert, alles dafür zu geben, wieder anschließen zu können, wo ich bereits war und besser zu werden. Ich möchte mein Ziel der 50 % erreichen, denn dann können mich Rückschläge nicht mehr so hart treffen.
Stretching und Gymnastik gehören da dazu, sie sind ein wichtiger Baustein zur Verbesserung. Mit Stretching geht es sich einfach besser.
Gehen lernen ist nach wie vor meine Hauptaufgabe und gerade im Lockdown, eine nach wie vor geliebte Tätigkeit. Manchmal gehe ich ohne Grund, einfach nur um des Gehens willen. Meistens nehme ich mir aber etwas vor. Dann gehe ich besonders langsam, achte auf die Technik oder übe mich im automatischen Gehen.
Besonders in der Automatik habe ich in den letzten Wochen sehr viel geübt. Ich bekomme immer wieder die Rückmeldung, dass man mir beim Gehen nichts ansieht. Das ist zwar schön, aber niemand versteht, was dazu überhaupt nötig ist. Mit jemanden zu sprechen, in schwierigem Terrain, funktioniert immer besser. Es ist aber noch zu viel Konzentration nötig, die mir in Summe zu viel Energie abverlangt.
Darum heißt es weiter üben, weiter üben und weiter üben. Zeit darf mittlerweile keine Rolle mehr spielen, denn mit einer baldigen Normalisierung habe ich mich abgefunden. Es dauert so lange, wie es dauert.
Als Fazit kommt heraus, dass ich noch einige Zeit brauchen werde, um dort wieder hinzukommen, wo ich nach dem Camino war. Corona und der Lockdown hat mir doch mehr gekostet als gedacht. Besonders das Gedächtnis und die Konzentration hat darunter gelitten. Reha-Training musste herhalten, etwas anderes hätte ich im Gehirn nicht geschafft.
Genauso die Kondition und noch vieles mehr. Ich fühle mich zwar einigermaßen gut, muss aber akzeptieren, dass ich im Gesamtzustand trotzdem viel verloren habe. Ich brauche lange, um mich auf neue Dinge umzustellen. Erst die letzten Wochen habe ich wieder mehr zielgerichtetes Denken bekommen, selbst aktiv etwas zu erreichen.
2020 war es eher ein Halten des Zustandes, mehr war einfach nicht drinnen. Die Ungewissheit war zudem ein nicht zu unterschätzender Faktor, nichts konnte geplant werden und das warf mich weit zurück.
Für heuer habe ich bereits einige Pläne, aber ob ich sie verwirklichen kann, steht in den Sternen. Das "Leben lernen" habe ich in der alten Form abgeschrieben und noch keinen Ersatz dafür gefunden. Ich kann nur versuchen, viele therapeutische Ansätze nicht als solche zu sehen und manches zu machen, weil ich es mache und nicht, weil ich ein therapeutisches Ziel erreichen möchte.
So wird auch dieses Jahr eine Herausforderung, besonders im mentalen Bereich, Reha-Training wird auch weiterhin eine große Rolle spielen. Denn das Leben lernen spielt sich großteils im Kopf ab. Ob und wie ich es hinbringe, wir werden sehen!