Seit das erste Mal Schnee gefallen ist, hatte ich mehrmals die Gelegenheit auf die Teichalm mitzufahren, um Langlaufen zu gehen. Die Muskelschwäche behindert es zwar, aber es gibt viele gute andere Gründe, es trotzdem zu tun.
Vor zwei Jahren begann für mich das Abenteuer Langlaufen und es war eine gute Entscheidung. Mein Freund Bernd nahm mich an einem Wintertag 2019 zur Teichalm mit. Ohne Erwartungen, aber mit viel Freude stellte ich mich der Herausforderung.
Es war ein total gutes Gefühl auf den Ski. Damals stand noch das Gleichgewicht halten im Vordergrund und das ging erstaunlich gut. Die gleitende Bewegung, von einem Bein auf das andere, war relativ gut möglich. Schnelleres fahren, bedeutete aber höheren Krafteinsatz und diese Schnelligkeit konnte mein Gehirn noch nicht verarbeiten.
Langlaufen brachte mir einen ersten Eindruck vom schnellerem Bewegen. Alle 50 bis 100 Meter brauchte ich eine Pause, um meinen Muskeln wieder Erholung zu gönnen. Das Gehirn war gefordert, einen neuen Bewegungsablauf zu lernen. Ich war aber am meisten überrascht, dass ich das mit dem Gleichgewicht so gut hinbrachte. Das Gleichgewichtstraining der letzten Jahre war also nicht umsonst.
Die Teichalm ist für mich sehr gut geeignet, da es nur mäßig steil bergauf geht. Denn wie beim Gehen, habe ich auch beim Langlaufen aufgrund der Muskelschwäche Probleme. Damals wusste ich allerdings noch nichts davon und war der Meinung, dass ich es durch Training verbessern kann. Erst Ende 2019 kam es heraus, dass ich eine schwerere Art der Muskelschwäche habe.
Das bedeutet für mich aber nicht aufzugeben, sondern im Gegenteil, ich werde auch weiterhin alles versuchen. In jedem Fall war das Langlaufen eine Bereicherung, um Gehen zu lernen.
Der Winter 19/20 war untypisch. Auf der Teichalm war kein einziges Mal genug Schnee, um spuren zu können. Da alles andere zu weit weg war und ebenfalls von der Schneearmut betroffen war, ging ich diesen Winter kein einziges Mal Langlaufen.
Ich konzentrierte mich weiter auf das Gehen und die Bewegung. Über das therapeutische Tanzen versuchte ich wieder mehr Leichtigkeit in den Körper zu bekommen. Ich wurde beweglicher und langsam fühlte sich der Körper nicht mehr so schwer an.
Danach fuhr ich zu meinem ersten Camino im Winter. Am Camino Frances konnte ich alles in den letzten Jahren gelernte versuchen umzusetzen. Besonders das therapeutische Tanzen hat mir hier sehr geholfen.
Der Camino war geprägt von Lebenslust, Freude und Glücklichsein. Ich brauchte zwei Jahre um Gehen zu lernen und weitere zwei, um das hier mit meinen Handicaps erleben zu dürfen. Denn Handicaps habe ich immer, aber ich lerne immer besser damit umzugehen.
So gut das 20er Jahr angefangen hat, so sehr überschattete es die Corona-Krise. Ich war überfordert mit all den Regeln und Vorschriften und brauchte lange, um mich zurechtzufinden. Mein Gehirn war überfordert damit.
Einzig das therapeutische Tanzen hat mir über diese schwierige Zeit geholfen, zunächst noch digital auf Zoom und ab Sommer wieder in der realen Gruppe. Alle anderen Therapien sind weggefallen.
Der Winter stand von Anfang an wieder unter der Corona-Krise und der Lockdown unterbrach auch das therapeutische Tanzen. Mit dem ersten Schnee im Jänner bekam ich allerdings die Gelegenheit, wieder Langlaufen zu gehen.
Diesmal ging ich mit veränderten Zielen an das Langlaufen ran. Nicht mehr um Kraft zu gewinnen, sondern die innere Stabilität möchte ich verbessern. Denn frei Aufrecht zu sitzen, ist noch immer sehr schwierig. Es fehlt mir an der inneren Stabilität, denn mein Bindegewebe ist sehr stark betroffen und es kann seine Wirkung nicht ausüben.
Langlaufen fordert mich wesentlich mehr als Gehen, dass ja bekanntlich die effizienteste Art der Fortbewegung ist. Mit dem Skaten merke ich bereits eine spürbare Verbesserung. Es dauert aber lange, bis sich wirklich Erfolg einstellt. Dranbleiben ist wichtig, so wie es schon die letzten Jahre in allem für mich gilt.
Mein alter Vintage-Ski ist mir gebrochen und es musste Ersatz her. Auf willhaben fand ich innerhalb eines Tages Ersatz und so konnte es weitergehen. Allerdings bedachte ich nicht die Veränderung.
Die ersten drei Jahre verwendete ich nur ein Schuh-Modell. Jegliche Veränderung kostete mir zu viel Energie, an die ich mich nur schwer gewöhnen konnte. Dasselbe passierte mir jetzt auch beim Langlaufen.
Die neuen sind zwar auch schon in die Jahre gekommen, aber technisch weit über dem Niveau meiner bisherigen. Das Skaten hat sich technisch sehr verändert und diese Veränderung hatte ich zunächst nicht am Schirm. Das Material war natürlich besser geworden.
Durch die veränderte Skispannung war ich sehr gefordert, die Mitte des Ski zu finden. Mein Gleichgewicht war damit pausenlos gefordert und damit auch mein Gehirn. Es arbeitete auf Hochtouren und entsprechend schnell war ich erschöpft.
Gerade die Automatik versuche ich schon lange zu trainieren. Das war aber mit den neuen Ski dahin, damit auch die Automatik. Mein Gehirn verlangte alle Aufmerksamkeit und ich fühlte mich wie in den ersten Jahren, beim Gehen lernen. Praktisch jeder Muskel musste angedacht werden, um zu funktionieren. Dazu die Koordination aller Elemente, von Beinen und Armen.
Dementsprechend war ich unterwegs. Von außen mag alles normal ausschauen, aber alles richtig zu koordinieren, erforderte jeden Funken Energie und Konzentration.
Der neue Ski ist auch 10 cm länger und damit hatte ich meine Probleme. Da merkte ich erst, wie wichtig Wiederholungen sind. Nicht umsonst ist das viele Gehen, unter allen Bedingungen, mein wichtigster Teil in der Rehabilitation. Die unzähligen Kilometer am Jakobsweg waren wohl das wichtigste der letzten Jahre.
Für die Automatik ist es ein gutes Anzeichen, ob ich nebenbei mit jemanden Sprechen kann. Das war mir diesmal nicht leicht möglich, so sehr konzentriert musste ich sein. Um das Gleichgewicht zu halten, arbeitet jeder Sensor in mir. Es heißt aber auch, aktiv und bewusst mithelfen. Was an für sich jeder automatisch kann, ist für mich nur denkend zu machen.
Beim Langlaufen fühlt es sich gut an, mit einer Leichtigkeit über den Schnee zu gleiten. Die Leichtigkeit ist seit Ende 2019 mein Thema. Besonders im therapeutischen Tanzen konnte ich große Fortschritte darin machen.
Es geht mir zwar ähnlich wie beim Gehen, besonders wenn es bergauf geht. Darin hat sich nichts geändert. Nur durch viel Training und Üben hat es sich verbessert. Diese Leichtigkeit soll ich immer wieder kultivieren. Langlaufen ist besonders dafür geeignet.
Trotzdem ist es gut, mit diesen veränderten Parametern umgehen zu lernen. Denn auch in der normalen Welt bin ich von Veränderungen umgeben. Die Corona-Krise war sicher die größte in letzter Zeit. Da wird mir wieder merkbar gemacht, warum Corona so schwer für mich ist, wenn mich schon neue Ski so aus dem Gewohnten bringen.
Langlaufen bringt mich aus dem Gewohnten. Im Sport bekomme ich sofort Rückmeldung, wenn etwas nicht passt. Darum ist mir der Sport in der Rehabilitation auch so wichtig, weil er mir aufzeigt, wo meine Grenzen liegen. Mein Ziel muss es sein, diese Latte Schritt für Schritt höher zu legen. Umso höher, umso mehr Lebensqualität habe ich.
Nachdem ich die Muskelstärke vor zwei Jahren kaum verbessern konnte, spürte ich aber als Nebeneffekt eine verbesserte Stabilität. Dieses Jahr nehme ich das Langlaufen her, um es zu verbessern. Jeder kleinste Schritt bringt mich weiter, stabiler durchs Leben gehen zu können. Mein Bindegewebe ist einfach noch immer zu schwach.
Mir ist klar, dass die Fortschritte klein sind und oft nicht merkbar. Das ist aber kein Grund aufzuhören. Es kann sein, dass ich im Sommer so nebenbei bemerke, dass ich länger aufrecht sitzen kann. Das mag für manchen ein unbedeutender Grund sein, für mich bedeutet er aber mehr Lebensqualität.
Es stellt sich kaum jemand die Frage nach mehr Stabilität? Für mich ist es allerdings eine Frage nach Lebensqualität. Mit mehr Stabilität kann ich besser Autofahrten überstehen oder an einem Tisch sitzen. Darum hat es, wie viele andere Dinge auch, eine hohe Bedeutung für mich.
Dieses Jahr nutze ich den Winter erstmals voll aus. Es wird mir noch immer schnell kalt, aber ich funktioniere besser bei tiefen Temperaturen und kann mein Training beibehalten.
Wie ich allerdings auf tiefe Kälte reagiere, wie sie für Ende Jänner vorhergesagt wird, ist abzuwarten. Das fällt unter die Kategorie Veränderungen.
Noch tue ich mich schwer mit zu großen Veränderungen. Es dauert um ein vielfaches länger als früher. Dranbleiben ist wichtig und Voraussetzung dafür, dass ich nicht aufgebe. Mein Leben ist und bleibt nach wie vor eine Gratwanderung. Ich habe mich vom Tiefpunkt heraus gekämpft und bin bereit, noch des Öfteren meine Komfortzone zu verlassen. Allerdings immer in meinem Tempo und Geschwindigkeit.
Als Abschluss noch ein Spruch von Antoine de Saint-Exupery, den ich auf einem kleinen Zettel auf meinen Computer geklebt habe:
"Bewahre mich vor der Angst, ich könnte das Leben versäumen. Gib mir nicht, was ich mir wünsche, sondern was ich brauche. Lehre mich die Kunst der kleinen Schritte."
Antoine de Saint-Exupery
Am letzten Tag des Jahres kam ich noch unverhofft zu einem kleinen "Grenzgang". Als Sportler war ich dauernd auf Grenzgängen und als Trailrunner setzte ich mir manch eine Überschreitung als Ziel. Heute kann ein Spaziergang ein Grenzgang sein oder der Einkauf im Supermarkt.
Seit dem Hirnabszess habe ich kleinere Brötchen zu Backen. Sie stellen als Herausforderung aber nicht mindere Beanspruchung an mich dar. Die Grenzen haben sich verschoben, nicht nach oben, sondern um viele Stufen nach unten. Um Lebensqualität zu erreichen, gehören sie wieder um ein Stück nach oben verschoben.
Der Grenzgänger bewegt sich aus der "Sicherheitheitszone", welche die meisten Menschen als Lebens- und Gestaltungsraum bevorzugen. In der Rehabilitation ist es meine Aufgabe, mich an diese Sicherheitszone heranzuwagen und manchmal auch darüber hinaus.
In meinem ersten Leben war ich gern Grenzgänger. Ob bei -35 Grad in Alaska oder bei + 40 Grad in Afrika, ich bewegte mich immer gern an der Grenze. Diese Grenze ist aber immer individuell und meine gilt nur für mich. Ein Inuit denkt sicher anders über Minusgrade, als ein Afrikaner oder ich.
An dieser Grenze passiert aber etwas Wesentliches für mich. Ich beginne mich besser zu spüren, was mir im Alltag oft geholfen hat. So habe ich begonnen, viele meiner Grenzen auszuweiten. Heute hilft es mir, besser mit meinen Handicaps umzugehen. Dabei werde ich ständig mit Grenzen konfrontiert und versuche sie zu erweitern. Das bringt mir unterm Strich immer mehr Lebensqualität.
Mein heutiges Ziel sind nicht mehr die Abenteuer wie früher, sondern es sind die kleinen Dingen des Alltags, wo ich mein Wissen um Grenzen anwenden kann.
Und da komme ich wieder zur Überschreitung. Am letzten Tag des Jahres wollte ich ein Überschreitung machen. Im Westen von Graz, ging es über die Hügel, in den Nordwesten von Graz. Auf diesem Weg sollte ich unverhofft auf einen Grenzgang stoßen, mehr dazu aber später.
Der Start war an der Kirche in Wetzelsdorf und das Ziel in Gösting, im Norden von Graz. Laut App eine Strecke von 16 Kilometer. Als Pilgerweg erprobter sollte es kein Problem sein, aber Corona und der derzeit herrschende Lockdown haben seine Spuren hinterlassen. Damit werden auch 16 km Wander- und Spazierwege zur Herausforderung.
Besondere Grenzen würde ich in der Stadt finden, an denen ich im Vorjahr begonnen habe, zu arbeiten. Corona hat dem aber ein Ende gesetzt. Ich entschied mich für die Natur und gehe nur im Ausnahmefall in die Stadt.
Der 31. Dezember 2020 war ein überraschend schöner und nicht allzu kalter Tag. Das kam mir entgegen, nur der an manchen Stellen matschige Weg, wurde zur Challenge.
Da kommt wieder die räumliche Orientierung ins Spiel. Das hat nichts zu tun damit, darüber Bescheid zu wissen, wo ich mich geografisch befinde. Es hat zu tun mit der Fähigkeit, sich im Raum richtungsbezogen zurechtzufinden und angemessen zu bewegen. Mehrere Sinne wirken da zusammen, vor allem Auge, Ohr, Muskel- und Gleichgewichtssinn, die im Zusammenspiel mit der Tiefensensibilität das Ermöglichen.
Auf dem matschigen Untergrund sind die Sensoren der Füße sehr gefordert. Das Zusammenspiel mit allen anderen Sensoren zu lernen, ist eine lange und herausfordernde Aufgabe, da der Hirnabszess diese Arbeit nachhaltig beschädigte. Mein Ziel ist es, auch auf schwierigem Untergrund wieder ohne zu viel Nachdenken, gehen zu können. Es kostet mir nach wie vor zu viel Energie, das Denken beim Gehen.
Am Weg fang ich eine Schaukel. Ich konnte der Verlockung nicht widerstehen, sie auszuprobieren. Es ist ein komisches Gefühl, wenn sich unter mir alles bewegt. Das Gehirn kann es nicht genau einordnen. Aus dem gleichen Grund tue ich mich auch auf einer Brücke schwer.
Das hin und her auf einer Schaukel ist das Gegenteil einer Brücke, mit bewegten Wasser darunter. Es löst aber dasselbe aus. Mein Gehirn kann die Bilder nicht so schnell zusammensetzen und löst daher Schwindel aus. So erging es mir am Camino del Norte, als es in Ribadeiro über eine lange Brücke, über einen Meeresarm ging. Meine Erlebnisse dort, habe ich hier verlinkt.
Seitdem habe ich mich durch viel Training und Üben weiter entwickelt. Gewisse Brücken sind mir aber noch immer nicht geheuer. Schaukeln habe ich bisher kaum probiert, außer vor Corona in Graz, am Kinderspielplatz. Daher war ich sofort magisch angezogen von dieser Schaukel, die an langen Seilen hing.
Das Schaukeln ging überraschend gut, aber danach waren die ersten Metern sehr unsicher. Das leichte Schwingen tat sogar gut, es fühlte sich wie Fliegen an. Es störte aber mein Gleichgewicht. Auf den ersten Metern hatte ich Probleme damit. Dieses Aussetzen an die Grenze, immer und immer wieder, lässt mich aber vorwärtskommen. Mit jedem Mal werde ich weniger schwindlig und meine Wahrnehmung wird besser.
Am Ende siegte aber die Vernunft. Ich ging nicht mehr über den letzten Berg, sondern schräg an ihm hinunter. Den Fuß des Berges erreichte ich beim Schloss Eggenberg.
Der Weg war lang genug und durch den Schnee war ich in vielen Dingen gefordert. Die Schaukel war aber mein Höhepunkt des Tages, da ich mit diesem Ergebnis nicht rechnete.
Dieser Grenzgang und andere, lassen mich weiterkommen. Beim Pilgern war ich ständig neuen Reizen ausgesetzt und hatte dementsprechenden Fortschritte. Die nächsten Monate möchte ich genug üben, um gut vorbereitet in den Frühling zu kommen. Denn für die wärmere Zeit habe ich einige Pläne, um den Sommer trotz Corona nutzen zu können.
Das Schaukeln wird einen wichtigen Teil in meiner Rehabilitation einnehmen, das spüre ich. Problemlos über Brücken zu kommen oder mich auch sicher zu fühlen, wenn mir Menschen am Gehsteig entgegenkommen, ist ein Ziel für dieses Jahr. Dazu soll mir der Grenzgang verhelfen. Für viele wäre das ein Spaziergang gewesen, für mich bedeutete der Tag einen Grenzgang. Er wird immer individuell behandelt und jeder erlebt ihn anders.
Also auf in das Jahr 2021, wo viele Möglichkeiten, auch mit Corona, auf mich warten und ich mich auf weitere Grenzgänge freue!
Manchmal stellt sich mir die Frage, wie meine Rehabilitation mit mehr Geld wohl verlaufen wäre? Was könnte ich anders oder besser machen, hätte ich mehr Erfolg oder mehr Verbesserung in der Gesundung geschafft?
Nach bald fünf Jahren nach dem Hirnabszess, kann ich mittlerweile abschätzen, was ich anders hätte machen können oder was mit mehr Geld möglich gewesen wäre.
So wie es gewesen und passiert ist, war es perfekt und ich habe das Maximum aus mir bisher herausgeholt. Sicher, mehr Geld hätte manches erleichtert. Dass ich nicht soviel habe, hat aber wahrscheinlich bewirkt, dass ich mich stärker und intensiver mit der Natur befasst habe und erfolgreiche Alternativen gefunden habe. Wobei ich der Natur schon immer zugetan war.
Diese Alternativen für viele Therapien, habe ich hauptsächlich in der Natur gefunden. Als Überlebender, wovon auch immer, kann ich definieren, wie Heilung ausschaut und niemand anderer. Wir wissen am besten, was gut für uns ist. Dessen kann sich jeder bewusst sein.
Geld ist also nicht wirklich notwendig, um etwas zu erreichen, kann es aber erleichtern. Meine Rehabilitation findet größtenteils in der Natur statt, wofür ich wieder kaum Geld brauche.
Denn niemand kennt die Straße besser, als ich selbst, auf der ich gehe. Das Finden des 2.0 Lebens kann eine mühsame Aufgabe sein und wenn wir zu unserem 2.0 kommen wollen, haben wir keine andere Wahl, als es selbst zu tun. Niemand kann es für uns machen. Eigenverantwortung übernehmen, ist der Schlüssel zu Heilung.
Natürlich hilft es, Erfahrungen anderer anzunehmen, gerade was Ergo- und Physiotherapeuten betrifft. Aber schlussendlich bin ich selbst verantwortlich, für des Glückes Schmied. Etwas selbständig erreichen zu können, mit einem aktiven und zielgerichteten Verhalten, führt mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zu einer positiven Reaktion.
Ich war vom ersten Tag an Hungrig nach Gesundung und das mir bestmögliche zu versuchen. Von der Intensivstation und dem Krankenhaus wieder nach Hause gekommen, ist mir dieses Hungrig nach Gesundung sein Erhalten geblieben. Es ließ mich dranbleiben, aber trotzdem Gelassen dabei bleiben.
Ich habe mich Anfangs nie ins Fitnessstudio bringen lassen, um mit Gewichten hantieren zu können. Im Gegenteil, ich suchte die Natur. Es dauerte zwar Monate, ehe ich wieder den nahen Wald erreichen konnte, aber sobald ich es konnte, nutzte ich dort Äste und Baumstämme, um mit ihnen zu trainieren. Rehabilitation im Wald.
Es kann manchmal beschwerlich und anstrengend sein. Möglicherweise kann man die Früchte der Arbeit selbst nicht sofort sehen. Man lernt täglich dazu und versucht, auf den vorangegangenen Tag aufzubauen. Dabei gibt es diesen Tag gar nicht mehr, aufgrund meines fehlenden Kurzzeitgedächtnis. Man denkt ausschließlich im Hier und Jetzt. Was war, das gibt es nicht mehr und zählt nicht.
Man lebt mit dem was IST und versucht sich weiter zu verbessern. Wie ein Sportler, der trainiert und trainiert, um besser zu werden. Dieses "Besser werden" liegt in uns Menschen, darf aber nicht zu Zwangsartigkeit ausarten. Gesunder Wachstum ist gut, zu viel Wachstum kann zerstörerisch wirken, wie uns immer wieder die Wirtschaft vorzeigt. Mit Wachstum bin aber ich als Mensch gemeint. Auch mit Behinderung ist Wachstum möglich, der allerdings oft falsch verstanden wird.
Ich bekomme immer wieder die Aussage zu hören, dass ich normal aussehe und man mir nichts ansieht. Für manch einen ist das ein Grund zu denken, dass ich wieder gesund bin. Ist dem aber so?
Ich erlitt eine Vielzahl an Auswirkungen des Hirnabszesses. Beeinträchtigung von kognitiven und sensomotorischen Funktionen, einer rechtsseitigen Hemiparese (Halbseitenlähmung), Verlust des Sprechvermögens und Wortfindungsstörungen, sowie emotionaler Regulationsstörungen, d.h. ich kann Emotionen nur schwer regulieren. Dazu der Verlust meines Kurzzeitgedächtnisses und manches mehr.
Ich habe die Kunst der Kompensationsstrategien auf Rehabilitation erlernt. Anderen fällt das kaum auf, besonders in einem Gespräch. Mir fehlt aber auch die Fähigkeit zur Problemlösung, bzw. ich brauche lange, um auf etwas angemessen zu reagieren.
Vor dem Hirnabszess war ich sehr mit mir zufrieden, dass ich mehrere Funktionen gleichzeitig ausführen konnte, Multitasking genannt. In meinem Beruf als Videojournalist war es normal, alleine zu Filmen und ein Interview gleichzeitig zu machen.
Heute kann ich meinen Focus nur auf eines davon legen und danach auf das andere. Zwei volle Teller zu tragen, ist fast unmöglich. Ich kann mich nur auf eines konzentrieren und darauf, nichts zu verschütten. Am Camino hatte ich immer Schwierigkeiten damit, mit dem Kaffee und dem Teller mit Tapas, durch die Fliegenvorhänge an der Tür zu kommen.
Stufen muss ich noch immer mit voller Konzentration gehen, egal ob rauf oder runter. Meine Beine brauchen die Aufmerksamkeit. Durch die fehlende Automatik ist meine Welt langsamer geworden. Das genaue Gegenteil von früher. Meine Rehabilitation beinhaltet viel vom Erlernen der Automatik, ein wichtiger Bestandteil von Lebensqualität.
Die Monate vor dem Hirnabszess waren so schnell, dass mir schwindlig wurde. So schwindlig, dass mich der Hirnabszess hinstreckte und ich noch heute diesen Schwindel verspüre.
Indem ich dem wirklichen Leben wieder auf die Spur komme und mir Zeit lasse, ja lassen darf, komme ich vorwärts. Dazu sind verschiedene Lernstufen notwendig und es funktioniert nur Step by Step.
Ich sehe normal aus, ja, es ist aber noch lange nicht normal. Ich bin zwar den Camino gelaufen, 1.000 Kilometer durch Spanien, bis ans Meer, dass sich kaum wer vorstellen kann. Wie soll sich das dann aber jemand vorstellen können, unter welchen Bedingungen ich das schaffen konnte!
Ja, es mag unvorstellbar sein und eigentlich war es das erste Mal auch unmöglich, jedenfalls im allgemeinen Verständnis. Ich hatte aber eine Alternative gefunden, die für mich mehr als nur Therapie war. Denn noch wichtiger war es, wieder das Leben spüren zu lernen und das hat mir der Camino definitiv gezeigt.
Noch habe ich Schwierigkeiten mit dem Schreiben, aber ich arbeite trotzdem an einem Buch und einem Vortrag, um andere an meinem Schicksal teilhaben zu lassen. Was es bedeutet, plötzlich mit einer Behinderung konfrontiert zu sein. Ich habe mein Schicksal vor dreieinhalb Jahren öffentlich gemacht, nicht wissend, dass ich noch viele Jahre der Gesundung brauchen werde. Dranbleiben und nicht aufgeben wurde zu meiner Maxime.
Viel meiner Arbeit ist an den unsichtbaren Behinderungen. Meine Fotos, die ich poste, zeigen diese aber nicht. Wie kann man zum Beispiel Muskelschwäche sichtbar machen?
Denn Fotos kann ich nur machen, wenn es mir besser geht. Aus der Zeit im Krankenhaus gibt es so gut wie keine Fotos, weil ich gar nicht daran denken konnte, zu fotografieren. Dieses monatelange, tägliche trainieren, um ein paar Zentimeter weiterzukommen, war mein Alltag.
Es gibt so gut wie keine Aufzeichnungen davon. Eigentlich gar keine, denn mein Focus lag am Üben. Mein Gehirn konnte nicht ans Dokumentieren denken, ich hatte keine Energie dafür. Erst über ein Jahr später konnte ich schrittweise beginnen zu fotografieren, filmen nur ausnahmsweise.
Die Handicaps habe nicht nur ich erlitten, alle in meiner Familie haben sie zu spüren bekommen, es waren alle betroffen. Das zu erkennen, war oft nicht leicht. Für mich, wie auch für meine Familie.
Am schwersten ist es, wieder richtig kommunizieren zu lernen. Ich hatte alles zu lernen, nämlich zu sprechen, lesen, schreiben und zu gestikulieren. Fähigkeiten über die ich vorher nicht einmal nachgedacht habe. Im Krankenhaus bekam ich immer zu hören: "Lassen sie sich Zeit!", und ich brauchte Zeit.
Es ist schwer zu erklären, was es heißt, nicht denken zu können. Ich reagierte nur auf das, was war und war glücklich, wenn ein bekanntes Gesicht bei der Tür hereinschaute. Weiter ging mein Denken nicht, es reichte aber, um glücklich zu sein. Auch heute noch bin ich für kleinste Dinge dankbar und glücklich.
Meine Krankheit hat meine Familie nicht überstanden, sie ist daran zerbrochen. Das Gehirn schützt mich nach wie vor, mir darüber zu viele Gedanken machen zu können. Ich befinde mich jetzt im fünften Jahr der Rehabilitation und noch immer steht die Gesundung an vorderster Stelle. Das Überleben des Hirnabszesses bekam einen immer höheren Stellenwert.
Eigentlich unvorstellbar. Wer hat in seinem Leben ein Projekt verfolgt, dass so lange dauert? Nämlich dafür jede Minute seiner Zeit intensiv gewidmet und das rund um die Uhr?
Anfangs stand ja die Frage, was mehr Geld an meiner Rehabilitation geändert hätte? Vielleicht hätte ich mir die ein oder andere Therapie mehr leisten können. Vielleicht wäre ich für längere Zeit nach China gereist und hätte mich in die Obhut der TCM vor Ort begeben? Und vielleicht hätten Therapien wie Osteopathie oder Craniosacral-Therapie einiges bewirkt?
Das sind aber alles "Hätti-wari-datti" Gespinste. Es war so, wie es war und das war gut. Mit dem Pilgern konnte ich mir etwas geben, was meine Seele dringend gebraucht hat. Meine drei großen Pilger-Fahrten brachten mir so viel, ich kann es gar nicht beschreiben. Ich bin meinen alten Radkollegen mehr als dankbar, dass sie für mich sammelten und einen Teil dazu finanzierten.
Außerdem ist es müßig darüber zu sinnieren, was mit mehr Geld eventuell möglich gewesen wäre. Gerade kein Geld zu haben, war vielleicht entscheidend dafür, dort hinzukommen, wo ich jetzt bin. Ja, es fehlt noch viel, aber ich habe bisher mehr erreicht, als was ich erwarten durfte.
Dass ich überhaupt lebe, ist nicht selbstverständlich. Das muss mir immer wieder bewusst sein, ebenso wie ein Leben mit Handicap, mich jeden Tag intensiver erleben lässt, frei nach dem Motto:
"Lebe jeden Tag so, als sei es dein letzter!"
Abwandlung von Marc Aurel, römischer Kaiser, ("All dein tun und denken sei so beschaffen, als ob du möglicherweise in diesem Augenblick aus dem Leben scheiden solltest.")
Wie schon der Hirnabszess ein Ende und Anfang war, so hat auch meine Rehabilitation ein Ende gefunden, der zugleich einen Anfang darstellt.
Corona hat meine Strategie der Genesung über den Haufen geworfen und eine völlig neue Richtung benötigt. Langsam formt sich dieser neue Anfang heraus und wird für mich greifbarer. Mein Gehirn braucht noch immer Zeit, um Neues zu verstehen.
Die einschneidendsten Änderungen gab es beim Pilgern. Das hat einerseits mit dem Reisen zu tun, andererseits mit den umfangreichen Verhaltensmaßnahmen und Beschränkungen wegen Covid-19.
Pilgern als Therapie, wie noch bis Februar dieses Jahres von mir angewendet, ist so nicht mehr möglich. Wenn ich an die letzten Jahre denke, 2018 bin ich meinen ersten Camino in Spanien gegangen, habe ich mich am Jakobsweg am meisten weiter entwickeln können.
Körperlich wie geistig habe ich zu Hause nur Ansatzweise etwas finden können, was dem gleichgestellt ist.
Mein Camino Frances im Winter bedeutete im Nachhinein das Ende eines Weges, der mir einen großen Auftrieb gab. Er bedeutet aber auch einen neuen Anfang, von dem ich noch nicht genau weiß, wie er ausschauen soll.
Gehen und Pilgern wird auch in Zukunft ein Teil meiner Rehabilitation bleiben, in welcher Form auch immer. Ich bin dankbar, den Camino noch in seiner alten Form kennengelernt zu haben. Andererseits hat der Jakobsweg schon hunderte Jahre und zahlreiche Kriege überlebt. Er wird also auch weiterhin bestehen bleiben.
So wie jeder Camino bisher, war auch dieser Wintercamino für mich ein besonderer. Ich war so glücklich darüber, wieder Gehen zu können und dieses Gefühl in mir, bewahre ich jetzt noch auf.
Diese Grafiken stellte https://jakobsweg-lebensweg.de zur Verfügung. Sie zeigt die Entwicklung des Jakobsweges in Spanien.
Waren 2018 und 19 noch jeweils über 2000 Österreicher unterwegs, so sind es 2020 nur 31 im gesamten Jahr (offiziell) gewesen.
Das sind die offiziellen Pilgerzahlen, die sich auch im Pilger-Büro in Santiago registrieren haben lassen. 2018 war ich zum Beispiel noch nicht in der Verfassung, mich so lange anzustellen und habe auf die Compostela verzichtet. So ist auch mancher unterwegs, der sich nicht registrieren lässt.
Waren 2018 noch 96.000 Tausend am gesamten Camino Frances unterwegs, so waren es in diesem Jahr nur 14.000 Tausend.
Nun, ich denke, dass weiß niemand wirklich. Meine Rehabilitation fußt auf dem bisher Gelernten und beschränkt sich darauf, es auszubauen. Besonders das therapeutische Tanzen gab mir wichtige Impulse, vieles besser in mein Leben besser zu verstehen, integrieren und zu verbessern.
Das Gehen werde ich auf Österreich beschränken, aber das Pilgern sehr wohl beibehalten. Dafür werde ich hoffentlich das Zelten besser in den Griff bekommen, denn in Österreich ist es nur mit Zelt für mich machbar. Mir schwebt bereits ein Projekt vor, welches ich hoffentlich umsetzen kann.
Einen wichtigen Teil wird auch das bessere Formulieren einnehmen. Ich schreibe noch immer am Buch und habe vor, einen kleinen Vortrag über das Pilgern und wie es mir geholfen hat, aufzubereiten. Über YouTube werde ich ihn verteilen, es wird aber noch eine Zeitlang dauern, denn ich bin noch nicht so weit.
Anfang und Ende, es begleitet mich seit dem Hirnabszess auf besondere Weise. Oft gehe ich in den Wald und starre nur ins Narrenkastl. Ich vertraue dann darauf, dass alles so kommt, wie es zu meinem besten ist. Denn das Denken ist meine Herausforderung, besonders wenn es um das Gestalten geht.
So ist für mich seit Jahren jeder Tag ein neuer Anfang und eine besondere Herausforderung, besonders wenn ich etwas erschaffen möchte. Mir genug Zeit, Ruhe und Geduld zu geben, das habe ich mittlerweile gelernt.
"Ach, ich bin gelaufen, gelaufen und hingefallen, wieder aufgestanden, umgeworfen, wieder aufgesammelt, bis ich da angekommen bin, wo mein Ziel anfängt."
Fanny Gräfin zu Reventlow
Einen Tag vor Beginn der Rauhnächte begab ich mich auf Pilgerschaft auf dem Papst-Franziskus-Pilgerweg von Graz nach Weiz, um über die vergangene Corona Zeit und meine Zukunft der Rehabilitation nachzudenken.
Der Hochnebel machte diese Wanderung Grau, aber ich war sowieso schon auf dem Weg, wieder mehr buntes in mein Leben zu holen.
Der Weg führt von der Basilika Mariatrost auf den Weizberg, hinauf zur Basilika. Da die ersten Kilometer über die Straße auf Asphalt führt, wählte ich diesmal den Weg ab dem Faßlberg. Von hier weg, geht es zu 70 % auf Wanderwegen.
So waren es noch rund 20 Kilometer, mit der Herausforderung, alles mit sich zu führen. Durch den Lockdown gab es keine Möglichkeit zur Verpflegung unterwegs oder zwischendurch etwas Warmes, wie einen Kaffee, in einem Café einzunehmen. Außer man nahm es mit.
Der Weg wurde erst vor einigen Jahren installiert und ist sehr gut markiert. Er bietet eine tolle Möglichkeit, fast nur über Wanderwege, von Graz nach Weiz zu gelangen.
Man durchquert mystische Wälder, mit Moos bedeckte Bäume und alle paar Meter gab es einen anderen Blickwinkel. Deshalb sollte man mehr Zeit einplanen, um sich nicht beeilen zu müssen.
Denn gerade im Winter hat man nicht so viel Zeit und der Hochnebel macht es zu einer anderen Welt. Grau in Grau ist alles, aber es ist die Kunst, selbst da etwas Buntes zu finden.
Seit einiger Zeit inspiriert mich der Instagram-Kanal von @issnatuerlichfrisch und seitdem versuche ich nicht nur mein Essen bunter zu machen, sondern auch wieder mehr Farbe in mein Leben zu bringen. Wer sich erinnern kann, war mein Thema "bunt" auch am Camino del Norte, wo ich mich deswegen farbig gekleidet habe.
Christiane von @issnatuerlichfrisch schrieb auch einen guten Kommentar zum Thema Nebel. Nebel heißt umgekehrt Leben. Wie treffend! So bekommt er eine positive Eigenschaft, denn eigentlich assoziiert man ihn mit unfreundlich, undurchdringlich und Kälte.
Es ist zwar ein Unterschied zwischen Wandern und Pilgern, aber für mich ist das fließend. Pilgern ist nach innen gekehrt und man beschäftigt sich mit sich selbst.
Trotzdem ist es auch fein, den Blick für das Kleine freizuhalten. Zu fühlen, was einen umgibt. Die kleinen Zeichen am Weg zu beachten. Überhaupt fühle ich mich seit dem Hirnabszess der Natur sehr verbunden.
Es tut gut durch die Natur zu gehen, denn das beruhigt das Gehirn. In der Stadt würde das nie funktionieren.
Ein Highlight ist die Durchquerung der Kleinen Raabklamm. Das Gurgeln des Flusses ist beruhigend und rechts und links erheben sich steile, mit Bäumen bewachsene Wände, durchwachsen mit Felsen.
Es geht flach entlang des Flusses und lässt einen die Seele baumeln. Gerade richtig, für das letzte Drittel des Pilgerweges. Man verlässt die Klamm links in das Bärental, dass zum Ortseingang nach Weiz führt.
Zu diesem Bildstock habe ich ein besonderes Verhältnis. Bereits verstorbene Verwandte haben ihn vor Jahren renovieren und herrichten lassen. Jedes Jahr fand eine kirchliche Feier im Bärental statt, an der auch ich teilgenommen habe.
So brachte der Weg auch Erinnerungen an diese Zeit hoch, die ja vor dem Hirnabszess war. In Gedenken an sie, zündete ich eine Kerze an. Beim letzten Mal wurde ich überrascht, dass der Weg von Graz, hier im Bärental am Bildstock vorbeiführt.
Die Ruhe und Einsamkeit genoss ich am Weg. Es war streckenweise ein Revue passieren lassen der Corona-Zeit, was ich daraus lernte und wie ich meine Rehabilitation im neuen Jahr anlegen werde.
Dabei wurde dann das Gehen oft zur Geh-Meditation. Nach dieser Tour kann ich sagen, ich bin wieder orientierter und habe Ziele im Kopf, die vorher nur schwer fassbar waren.
Selbst wenn ich meine körperlichen und geistigen Ziele für heuer nicht erreicht habe, so konnte ich doch viele Dinge finden, die mich auf andere Weise stärker machten.
Die Ruhe und Einsamkeit am Papst-Franziskus-Pilgerweg, ist für mich die Vorbereitung auf die Rauhnächte und das neue Jahr.
Am Ausgang des Bärentals liegt die Ortsgrenze von Weiz. Man sieht bereits die Kirche am gegenüber liegenden Weizberg. Noch aber hat man ein Stück des Weges vor sich, quer durch Weiz, an der Krippe am Hauptplatz vorbei.
Noch einmal den Aufstieg zur Kirche hinauf und nach fünf Stunden war ich am Kirchplatz. Eine schöne Pilgerwanderung nahm hier ihr Ende. In der Kirche zündete ich noch eine Kerze an und beschloss für mich, wieder mehr, bzw. wieder ab und zu länger zu Gehen.
Der Papst-Franziskus-Pilgerweg war gerade um diese Zeit, so kurz vor Weihnachten, eine gute Wahl und es ist immer wieder überraschend, wie viel man auf schmalen Wanderwegen von Graz nach Weiz zurücklegen kann.
In der Natur fühle ich mich einfach wohler und das
Die Tage sind voll davon - mit Training. Training und Üben, um besser zu werden. Aber wie viel besser, ist genug?
"Besser" ist ein relativer Begriff. Ich habe zwar das Himmel und Hölle Spiel, aber es zeigt mir nur, wo ich aktuell stehe. Es sagt mir nicht, wo ich im Training stehe oder wie weit ich wirklich bin. Seit dem Beginn der Corona-Krise bin ich nicht weiter gekommen.
Seit März dieses Jahres spüre ich Stillstand in mir. Mein größter Erfolg dieses Jahr war es, mit dem Radfahren begonnen zu haben. Trotzdem spüre ich Stillstand in mir.
Allerdings ist es wenigstens Stillstand und kein wirklicher Rückschritt. Woran soll ich aber Rückschritt messen? An meiner Kilometer Leistung, die ich imstande bin zu gehen? An meinen Übungen mit dem Computer, die mir zeigen, ob ich eine bessere Reaktion habe?
So gesehen habe ich seit März einen Rückschritt, keinen Stillstand.
Es ist eigentlich seit Monaten ein über die Runden kommen. Ich konzentrierte mich darauf, meine Gehfähigkeit zu verbessern und das therapeutische Tanzen.
Einige Aha-Effekte hatte ich und konnte sehr viel lernen. Die Eigen-Wahrnehmung spielt eine große Rolle und ich konnte an Dingen arbeiten, die mir so nicht bekannt waren. Propriozeption und Wahrnehmen, das waren die Sachen, an denen ich die meiste Zeit arbeitete und sogar mit großem Erfolg.
Körperlich baute ich aber immer mehr ab. Mir fehlt das viele Gehen, vor allem im Pilger-Modus. Zu Hause ist das fast nicht möglich.
Seit dem Lockdown und dem Winter ist alles schwerer geworden. An die Stelle der Leichtigkeit, an der ich arbeitete, ist wieder die Schwere getreten.
Das darf mich aber nicht irritieren. Der Winter war, seit dem Hirnabszess, schon immer mein Sorgenkind. Trotzdem hoffe ich jedes Mal darauf, dass ich diesen Winter besser vertrage. Letzten Winter war ich am Camino Frances und hatte die Hoffnung, in diesem Jahr einen entscheidenden Schritt nach vorne zu machen.
Stattdessen ging der erwartete Schritt nach vorne, ein Stück nach hinten. Den ganzen Sommer machte ich Schadensbeschränkung. Der eine oder andere Erfolg war da, wie das Radfahren. Trotzdem hatte ich mit den veränderten Bedingungen zu kämpfen. Der Winter und der Lockdown gaben mir den Rest.
Trotz allem bleibe ich optimistisch, mit dieser Zeit umgehen zu lernen. Es ist eben ein anderes Lernen, als noch vor einem Jahr. Meine größte Herausforderung ist es, mein Gehirn noch besser in Schuss zu bringen, um diese Veränderung auch verstehen zu können.
Denn im Moment reagiere ich bloß auf alles, so gut ich kann. Wirklich verstehen tue ich es noch immer nicht. Ich trainiere und übe für etwas, was bis Anfang des Jahres mein Leben ausmachte. Es ist gar nicht so sehr das Pilgern, mehr noch trifft mich das "Leben lernen", das ich im Frühjahr als Auftrag in der Ergo-Therapie bekam.
In gewisser Hinsicht bin ich wieder zurück an den Anfang gefallen, wo damals schon soziale Isolation und Rückzug mein Alltag war. Ich kann nur von Glück sprechen, dass ich am Rand eines Waldes wohne. Ohne einen Wald, womöglich in der Stadt, hätte ich mich weit schwerer getan, diese Zeit zu überstehen.
Ein beliebtes Training von mir, ist das Müll sammeln. Einmal die Woche gehe ich nach Gratwein einkaufen und sammle auf dem Weg den Müll ein. Jedes Mal kommen ein bis drei Sackerl zusammen und das Woche für Woche.
Beinahe an denselben Stellen finde ich Dosen, Zigarettenschachteln und Plastikabfall. Würde ich es seit März nicht jede Woche aufheben, würden Mengen von Müll am Weg liegen. Ich mache es aus Eigennutz, denn es tut mir in der Seele weh, entlang des Weges so viel Abfall zu sehen.
Außerdem schule ich meine Wahrnehmung und Beweglichkeit durch das hinunterbeugen und Greifen. Fast täglich sammle ich Dosen und Plastik bei meinen Spaziergängen im Wald ein.
Mein Gymnastik-, Kraft- und Stretching Training mache ich seit März im Home-Office und nicht mehr im Fitness-Studio. Das Training mit Gewichten fehlt mir und ich muss gut improvisieren, um es auszugleichen.
Muss es das? Ich hatte dieses Jahr erstmals einen Stillstand, obwohl ich mich in gewisser Hinsicht verbessert habe. Diese Verbesserung ist aber so subtil, dass ich sie fast nicht merke und durch wirkliche Verschlechterung aufgehoben wird.
Der große Durchbruch ist ausgeblieben, nach dem es im Frühjahr ausschaute. Stattdessen nahm unser aller Leben eine unerwartete Wendung. Durch Corona merkte ich umso mehr, wie groß meine Defizite und Handicaps sind. Trotz aller Schwierigkeiten ist mir aber eines geblieben:
"Never give up!"
Letztens habe ich einen Beitrag über die Propriozeption geschrieben. Dazu gehört auch das Training im Balance-Park. Ich habe noch verschiedene Schwierigkeiten beim Wahrnehmen, besonders wenn ich nicht auf meine Füße schaue.
Im Balance-Park übe ich seit etwa 2 Jahren und er stellt einen wichtigen Baustein in der Rehabilitation dar. Gleich neben der Reha-Anstalt wurde die Anlage im Park erstellt. Für mich ein großes Glück, den eine solche Anlage kam mir wie gerufen.
Der Balance-Park ist seit rund 2 Jahren eine ständige Einrichtung, die ich gerne nutze. Meine Motorik wird geschult und besonders die Kräftigung der Fußgelenke kann ich hier trainieren. Die Propriozeption bekam mit der Zeit eine immer wichtigere Bedeutung.
Die Geräte bestehen aus Holz und stehen in einer weiträumigen Parkanlage, inmitten von Bäumen, jedem zur Verfügung. Selbst jetzt im Winter nutze ich die Anlage, zumindest wenn es nicht regnet oder Schnee liegt. Denn das Holz wird bei Nässe schnell glatt und rutschig.
Das Gehen über die Hölzer ist schon lange mein Training. In letzter Zeit achte ich vermehrt darauf, nicht auf meine Füße zu sehen. Das hat den Grund, dass ich eigentlich meine Füße sehen muss, um die Bewegung im Gehirn anzusteuern. Sobald es schwierigeres Terrain gibt, muss ich die Füße sehen, sonst stolpere ich unbeholfen dahin.
Das ist ein Ergebnis der fehlenden Propriozeption. Erst seit ich einigermaßen sicher balancieren kann, ist mir das vermehrt aufgefallen. Aus diesem Grund versuche ich nach vorne zu schauen und nicht nach unten. Eine besondere Konzentration ist notwendig, um balancieren zu können. Ich möchte lernen, meinen Füßen vertrauen zu können, auch wenn ich sie nicht sehe.
Mit dieser Übung hat wahrscheinlich ein Großteil der Menschen ihr Problem, aber sie brauchen auch nicht zu gehen lernen, bzw. ihr Automatismus funktioniert. Ich übe es jetzt schon eine Weile und die Fortschritte sind gering, aber langsam erkennbar. Es fühlt sich komisch an, wenn ich die Füße nicht sehe und kaum ein Gefühl dafür habe, wie und wo ich den Fuß aufsetze.
Je nachdem wie ich mich fühle, versuche ich geradeaus und nach vorne zu schauen und nicht nach unten, um meine Füße zu beobachten. Es gibt Tage, da funktioniert es besser oder schlechter. Ich habe einfach noch nicht das Vertrauen, dass ich es ohne schaffe. Oder anders gesagt: "Ich kann mich nicht im Raum zurechtfinden!"
Trotzdem muss ich sagen, ich habe schon viel erreicht zumindest was ebenen Boden anbelangt. Musste ich am ersten Camino noch stehenbleiben, um zu schauen, so war dieses Jahr am Camino vieles einfacher. Auch während des Gehens, konnte ich, zumindest auf guter Straße, die Gegend um mich wahrnehmen.
Das war ein riesiger Lebensqualitätsgewinn, denn ich konnte viel öfter mit erhobenen Kopf gehen. Seither habe ich weniger Schmerzen im Genick, durchs runterschauen. Das ist nicht zuletzt auf das intensive Training im Balance-Park zurückzuführen.
Dieses Nach vorne schauen hat auch Auswirkungen auf mein mentales Gleichgewicht. Langsam kann ich auch beginnen, nach vorne, in die Zukunft zu schauen.
Ich bin zwar noch nicht dort, wo ich sein möchte, aber ich bin auf dem Weg!
Propriozeption, was für ein schwieriges Wort! Eigentlich vermeide ich es, denn es kommt eigentlich nie richtig aus meinem Mund. Dabei beschreibt es, womit ich am meisten zu kämpfen habe. Ohne es, wäre keine körperliche Bewegung möglich.
Die Propriozeption ermöglicht dem Hirn, ständig zu erkennen, wo sich jeder Teil des Körpers gerade befindet, aber auch wie er sich bewegt. Es handelt sich um eine Eigenempfindung, also keine Wahrnehmung über Reize von Außen, sondern der Körper ist sich über die Lage der Gliedmaßen rein über innere Sensoren bewusst.
Dieser 6. Sinn wird für jede körperliche Bewegung gebraucht und interagiert mit allen anderen Sinnen. Dadurch ist es möglich, sich neben einer Tätigkeit auch zu unterhalten. Diese Propriozeption funktioniert normalerweise automatisch, bei mir allerdings leider nicht mehr. Ich habe jegliche Automatisation verloren.
Deshalb spreche ich auch nach über vier Jahren noch vom Gehen lernen. Am Anfang musste ich die Gliedmaße sehen, um sie ausführen zu können, wie zum Beispiel die Beine fürs Gehen. Sah ich sie nicht, kam ich ins Stolpern. Es ist wie Schreibmaschine schreiben lernen. Am Anfang muss man jede einzelne Taste sehen, um sie zu drücken. Später braucht man fast nicht mehr hinschauen, es wird automatisiert.
Ein gutes Beispiel ist auch Blindheit oder schlechtes Sehen. Wir können die Augen schließen und verstehen, wie sich diese Menschen verhalten und wie sich dieses Defizit anfühlt. Die Propriozeption ist aber eine innere Empfindung, die kaum zu verstehen ist und nachgestellt werden kann.
Diese Doku auf Arte beschreibt vieles davon, wie es mir geht und brachte mir neue Erkenntnisse.
Durch viel Training kann ich mich wieder einigermaßen bewegen. Auf ebenen Asphalt kann ich mich fast "automatisch" fortbewegen. Aber auch dort können mich Unebenheiten ins Schleudern bringen. Aktuell versuche ich es auch unter schwierigen Bedingungen, mich bergauf zu unterhalten. So schule ich immer und immer wieder meine Automatik.
Ich mache deswegen soviel "Sport", weil ich als ehemaliger Leistungssportler durch mein jahrelanges koordinatives Training die Nerven sehr gut trainiert habe. In Radquerfeldeinrennen habe ich auf technischen Kursen immer gut abgeschnitten, hingegen wenn es um die Kraft ging, fuhr ich hinterher. Auch das Trailrunning hat mir sehr geholfen, jetzt vor allem das immer wieder in Gedanken vorstellbare. Neueste Erkenntnisse messen dem eine große Bedeutung bei, die Propriozeption in Gedanken zu üben.
Übungen auf instabilen Untergründen, wie der Schaumstoffmatte oder auf dem Wackel-Board bilden den Standard. Jeden Tag in der Früh auf das Wackelbrett, ist auch heute noch Pflicht. Reaktionsmechanismen werden dadurch abgespeichert und hoffentlich wieder antrainiert.
Bei Spitzensportlern schaut die Bewegung oft mühelos aus, weil ihre Bewegungsabläufe hocheffizient sind. Das ist auch mein Ziel, was aber oft noch nicht gelingt. Deswegen ist es mir viel Wert gewesen, die Technik des Gehens möglichst gut zu verstehen und zu lernen.
Meine Psychologin auf der Reha erkannte nach einigen Sitzungen, dass ich zwar wie viele andere auch, bei null gestartet bin, mich aber aufgrund meiner Vergangenheit auf einem wesentlich höheren Niveau befand. Meine Zeit im Sport kam mir jetzt zugute.
Wenn es doch nur so einfach wäre, einfach Gehen zu lernen. Dazu gehört weitaus mehr. Viele verschiedenste Bewegungsvarianten gehören dazu und machen mein Training abwechslungsreich. Es geht ja nicht nur um das Gehen, sondern auch das Greifen.
Mein erster Frisbee-Wurf ging genau zwei Meter weit. Ich hatte kein Gefühl für das werfen. Gleich geht es mir mit dem hineinwerfen in einen Mistkübel. Nur durch jahrelanges Training ist es mittlerweile besser geworden.
So gehört dazu:
Nach viereinhalb Jahren kann ich sagen, zum Glück habe ich nicht aufgegeben. Ich habe seit 2016 rund 17.000 Kilometer zu Fuß zurückgelegt. Nur dadurch war es mir möglich, mich wieder einigermaßen zu bewegen und Vertrauen in mich zurückzugewinnen.
Besonders der aufrechten Haltung widme ich viel Aufmerksamkeit. Es kann Ausdruck von innerer Stärke und Sicherheit sein. Auf meinem ersten Camino hat mich in den ersten Tage kaum wer angesprochen, weil ich mit gesenktem Kopf unterwegs war und die Mit-Pilger dachten, ich wollte meine Ruhe. Dabei habe ich nur meine Füße beobachtet, um Gehen zu können. Meine Aufmerksamkeit war so vertieft in den Bewegungsablauf, dass ich für anderes nichts übrig hatte.
Eine meiner größten Fortschritte machte ich beim therapeutischen Tanzen, wo es ja um die Eigenempfindung geht. Das vergangene Jahr war nicht unbedingt leicht, denn neue Trainingskonzepte mussten her. An Therapien blieb nur das therapeutische Tanzen, daher konzentrierte ich mich in erster Linie darauf.
Besonders die Leichtigkeit steht im Mittelpunkt. Leichter durchs Leben zu gehen, war mein Ziel von Anfang an. Eine gestörte Propriozeption macht sich auch unter anderem darin bemerkbar, dass sich der Körper schwer anfühlt. Die ersten Jahre war alleine das Aufstehen vom Sitzen ein Kraftakt, der mich ans Limit brachte.
Jeder Schritt entgegen der Schwerkraft erfordert Überwindung, so ist es auch beim Tanzen. Langsam wird es besser, dieses Besser werden aber immer in meiner Geschwindigkeit und oft ist damit gemeint, dass ich besser damit klar komme. Hat mein Tagesablauf mit der Zeit als Leistungssportler viel gemein, so gilt das nicht für den Fortschritt. Ich musste neue Maßstäbe anwenden lernen und akzeptieren.
Das Tanzen tat unheimlich gut, mit den Körperwahrnehmungsübungen. Ein wichtiger Teil ist es, die Kontrolle zu verlieren. Mein ganzes Gehen ist aber auf Kontrolle aufgebaut, daher war es besonders bis in den Herbst hinein, nicht leicht zu erkennen, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Ich musste Kontrolle aufgeben, um Leichtigkeit zu finden. Eine Kontrolle, die mir das Gehen bisher ermöglichte.
Auch wenn man es von außen nicht sieht, innerlich ist mein Gehen Roboterhaft und sehr kontrolliert. Mehr Leichtigkeit ist daher ein Ziel, dass ich über die Körperwahrnehmung beim therapeutischen Tanzen erreichen möchte.
Die andere Seite ist das Denken und Sprechen. Zwischen wenig und gar nicht sind da die Fortschritte. Besonders beim Pilgern konnte ich die Propriozeption in Verbindung mit dem Sprechen sehr gut üben. Ich tue mich schwer, jetzt im Lockdown und der Corona-Krise, denn der soziale Abstand setzt mir zu und verzögert mein Vorwärtskommen, abseits der Bewegung.
Besonders das Pilgern war die beste Möglichkeit, Bewegung, Denken und Sprechen zu fördern. Wie immer, mache ich aber das beste daraus und widme mich derzeit ganz der Verbesserung der Propriozeption und versuche in spielerischer Form Verbesserung zu erreichen.
Die Bewegung ist aber eben nur eines, auch in Zukunft muss ich immer genau abwägen, was ich machen darf und kann.
Es bleibt spannend, wie ich in Zukunft Rehabilitation, Corona und das Leben unter einen Hut bekomme. Zu tun ist genug!
Corona, mit dem Lockdown, hat mein Leben dieses Jahr wieder einmal völlig auf den Kopf gestellt. Jetzt zum dritten Mal, seit dem Hirnabszess vor viereinhalb Jahren. Manchmal möchte ich von nichts mehr hören, denn immer wieder neu beginnen zu lernen, wird mir manchmal zu viel.
Dann ziehe ich mich gerne in meine Gedankenwelt zurück, denn ich denke dann gerne an den Camino zurück, wo ich auf die Basics des Lebens reduziert war. Nämlich Gehen, Essen und Schlafen. Dieses Gefühl versuche ich dann auf das Jetzt zu übertragen.
Zu Hause wird mein Gehirn, mit den vielen kleinen Dingen des Alltags überfordert und ich kann nur einen begrenzten Teil der Therapie und Rehabilitation widmen. Dadurch komme ich auch langsamer vorwärts. Der Alltag zu Hause ist meine Therapie. So versuche ich einen Mittelweg zu finden und in allem was ich mache, nicht unbedingt Therapie zu sehen.
Nach mittlerweile rund 7 Monaten Corona-Krise, kann ich ungefähr abschätzen, dass ich rund 30 bis 40 Prozent meiner Kondition und meines Denkens vom Februar am Camino verloren habe. Das meiste fiel unter Schadensbegrenzung, außer einiger Ausnahmen wie das Tanzen oder Radfahren, wo ich mir die Erfolge verschaffte, die ich brauche, um motiviert zu bleiben. Wichtig wurde einfach das DRANBLEIBEN.
„Auf eingefahrenen Gleisen kommt man an kein neues Ziel.“
Paul Mommertz
Die ersten zwei Jahre lernte ich die Basics des Gehens. Im Jahr 2018 wurde dann Pilgern mein Ziel. Eigentlich wollte ich über die kurz zuvor vollzogene Trennung hinwegkommen, aber ich durfte schnell erkennen, dass der Camino mir so viel mehr zu bieten hatte. Bei meinem zweiten Camino, dem Camino Norte, konnte ich einen ersten Schritt zurück ins Leben vollziehen, dank meiner Mit-Pilger.
Der Camino ist eine besondere Herausforderung für Körper, Geist und Seele und ich konnte einzigartig unter lebensnahen Bedingungen trainieren. Obwohl ich alles neu lernen musste, fiel es mir nie als Therapie auf. Egal ob Denken, Sprechen oder die Bewegung. Der Jakobsweg hat seine eigene Magie.
Dieser Spruch hat seine Bedeutung. Auch für mich begann der WEG erst zu Hause. Besonders eine Frage stellte sich für mich, wie kann ich das dort gelernte zu Hause für mich umsetzen? Diese Frage bekam eine neue Wichtigkeit, als kurz nach meiner Rückkehr heuer vom Camino Frances, der Lockdown wegen Corona geschah. Pilgern wurde für mich unmöglich und eine neue Strategie war notwendig, wie ich mit dieser Situation umgehen kann.
Eines wurde im Verlauf der Monate schnell klar. Das von meiner Ergo-Therapeutin im April 2019 initiierte "wieder Leben lernen", war in dieser Form für mich plötzlich nicht mehr machbar, es wurde unmöglich. Social Distancing, der Fluch, der seit Beginn meiner Rehabilitation auf mir lastete, machte meine ganzen Bemühungen im Jahr 2019 zunichte, wieder das Leben zu erfahren.
Dieses sozial Abstand halten war das Ende meines Anfangs. Mein Gehirn kam mit der Situation nicht zu Recht und schaltete in einen Überlebensmodus. Ich begann mich wieder auf die Rehabilitation zu konzentrieren, die ich in Eigenregie durchführen konnte. Ab Juni kam wieder das therapeutische Tanzen dazu und ich begann mit dem Radfahren.
Die ersten Wochen zählte ich die Meter, die ich jedes Mal mehr zurück legen konnte. Nach zwei Monaten konnte ich schon eine halbe Stunde fahren. Langsam erreichte ich immer mehr innere Stabilität.
Anfangs litt das Gehen darunter. Das nahm ich aber in Kauf, da die Vorteile des Radfahrens überwogen. Meine Reaktion verbesserte sich, dadurch konnte ich zum Beispiel leichter die Straße überqueren. Erfolge, die mir gut getan haben.
Leider ist es aktuell zu kalt fürs Radfahren und ich habe wieder das Gehen forciert. Im Moment ist es wichtig, dass ich genug mache, um mit einer möglichst guten Kondition in den Winter zu kommen.
Es war von Anfang an so fest in meinem Kopf, dass ich alles tun wollte, um es wiederzuerlangen. Allerdings kam im Sommer 2019, nach dem Camino del Norte, heraus, dass ich an Muskelschwäche litt. Davor waren die Krankheit mit den Folgen des Hirnabszesses zu mächtig und verschleierten andere Probleme.
Die fünf Monate andauernde intravenöse Antibiotika Gabe im Krankenhaus, waren Gift für die Nerven und Muskeln. Dieser Schleier der Krankheit musste erst einmal abfallen. Übrig blieb eine Propriozeption, die in Verbindung mit der Muskelschwäche besonderes schwierig zu Verbessern ist.
Das Gehen lernen, bzw. der Umgang mit den Defiziten, wurde immer mehr zur Herausforderung. Das konnte man im Außen nicht sehen oder verstehen, hatte ich doch mit dem Camino Frances und dem Norte doch schon zwei der großen Caminos begangen. Ich lernte dort zwar besser gehen, aber noch mehr, besser damit umzugehen. Das erleichterte natürlich vieles, aber Ziel ist heute noch immer, Gehen zu lernen und nicht nur, besser damit umzugehen.
Mit dem Beginn der Corona-Krise war alles vorangegangene für mich vorbei. Pilgern, mich an die Stadt und Menschen zu gewöhnen und meinen körperlichen Zustand zu verbessern. Was sollte jetzt neues her? Fast alle Therapien wurden ausgesetzt, nur das therapeutische Tanzen wurde so lange wie möglich beibehalten. Dieser Input half mir sehr über diese Zeit und ich bin meiner Therapeutin sehr dankbar für alles, was ich dort erfahren durfte.
Überhaupt bildet das therapeutische Tanzen die Grundlage für all mein Training in der Corona Zeit und bis heute.
Pilgern wurde für den Rest des Jahres für mich unmöglich. Meine mühsam über die Jahre erarbeitete Grundlage konnte ich daher nicht behalten. Mein Gehirn braucht lange, um diese Vorgänge zu verstehen und neue Routinen zu lernen, die mir helfen.
Um mich nicht zu überfordern, habe ich beschlossen, bisher vertrautes zu übernehmen, nämlich die Rehabilitation. Das "Leben zu lernen", wie es mir meine Ergo-Therapeutin voriges Jahr empfohlen hatte, fällt damit nach wie vor ins Wasser.
Was mir hilft, sind Wanderungen und Spaziergänge in der Natur. Ich bin in den letzten Monaten beinahe die meisten der Wanderwege und Gipfel rund um mein Zuhause gegangen.
Der Rundweg Gratkorn ist einer dieser Wege, wo ich verschiedene Aspekte des therapeutischen Tanzen oder andere Übungen trainiere. Dabei versuche ich es nicht unter dem Aspekt der Therapie zu sehen, sondern wie am Jakobsweg, mit Spass und Freude den Alltag zu erleben.
Eines ist das Sammeln von Müll. Dosen und Plastik liegen überall herum. Je nachdem wie viel herumliegt, wende ich zwischen 20 und 45 Minuten dafür auf. Länger geht noch nicht, denn es hängt davon ab, wie oft ich mich niederbücken muss. Etwa 50 Mal geht, dann ist genug Kraft verbraucht und ich muss es beenden.
Wenn ich eine Dose vom Boden aufhebe, dann ist mir danach beim Aufstehen schwindlig. Es ist ein gutes Training, um mich daran zu gewöhnen. Begonnen habe ich es am Camino del Norte und führe es jetzt zu Hause mehrmals die Woche weiter. Es ist gleichzeitig ein Koordinations-, ein Kraft- und ein Feinmotoriktraining und ich kann gleichzeitig damit etwas Gutes tun. Vielleicht wäre es auch für den ein oder anderen eine Tätigkeit, sich körperlich im Lockdown zu betätigen.
Es war eine gute Entscheidung, praktisch nur mehr in die Natur zu gehen. Ich merke zwar, dass ich merkbar sensibler gegenüber Menschen und der Stadt geworden bin, aber dafür hat sich meine Wahrnehmung verbessert, seit ich täglich in den Wald gehe und nicht mehr in die Stadt.
Mein Kino ist jetzt der Wald und die Natur um mich herum. Ich könnte es mir nicht vorstellen in der Stadt zu wohnen. Der Wald hilft mir so sehr, jetzt weiß ich endlich, wieso ich schon als kleiner Junge gerne tief im Wald, in einer Blockhütte, in Kanada leben wollte.
So versuche ich im Lockdown und der Corona-Krise das Beste aus der Situation zu machen und die nächsten Wochen werde ich versuchen, mich weiter zu stabilisieren. Schön wäre es trotzdem, wenn es wieder mehr "Leben lernen" gäbe. Aber, das es nicht so ist, daran muss ich mich wohl oder übel gewöhnen.
Daher bleibt die Natur auch weiterhin mein größtes Rehazentrum der Welt!
Als Aufstieg wählten wir die Nordseite, denn von hier führt der kürzeste Anstieg zum Gipfelplateau. Seit Corona im März begonnen hat, verspüre ich ein langsames Nachlassen meiner Kondition und Resilience. Ich kann den damaligen Stand nicht halten und habe sukzessive über die Monate abgebaut. Nicht Pilgern gehen können, hat das seine dazu beigetragen.
Der Schöckl war das zweite Mal seit dem Hirnabszess mein Ziel. Wie schon beim ersten Mal, hatte mein Freund Bernd die Idee dazu und ich war natürlich gerne dabei. Mit meinem Sohn Noah stiefelten wir hoch.
Meine Beziehung zum Schöckl ist eine besondere. Zum ersten ist es mein Hausberg seit Kindesalter und zum Anderen ist es mein Trainingsberg mit dem Rad und zu Fuß. Allein im Winter 1994 auf 1995 war ich in der Vorbereitung auf das Idita-Sport Race in fünfzig Tagen rund zwanzigmal oben, bei jeder Schneelage.
Von allen Seiten führen Wege nach oben, leichtere und schwerere. Es führt auch eine Gondel hinauf, die aber wegen Corona derzeit eingestellt ist. Jahrelang produzierte ich auch das Video für den Schöckel Classic.
Jüngste Ausgrabungen und Forschungen berichten von einem Höhenheiligtum der Römer, welches sich rund um den Ostgipfel befand.
Ein faszinierendes Schauspiel begleitete uns. Der Süden ab Graz, lag unter einer dicken Hochnebelschicht. Man fühlte sich wie ein Raumfahrer im All. Da der Blick über das Nebelmeer keinen Halt fand, wurde es mir leicht schwindlig. Eine besondere Situation, die mich zum Stehenbleiben zwang, wenn ich schauen wollte.
Nur ein paar kleine Berggipfel ragten als Insel aus dem Nebel. Ein faszinierendes Schauspiel.
Der Norden hingegen war nebelfrei und lag unter blauem Himmel. Am Horizont erstreckte sich die Bergwelt der Steiermark.
EIn großer Motorik Park befindet sich am Gipfelplateau am Schöckl. Zahlreiche Geräte verlockten Bernd und mich, darauf herumzuturnen. Eines hatte es uns besonders angetan. Die Rolle wurde zur Herausforderung, denn es bedeutete Kraft und Koordination, die viel abverlangte. Es war zu lustig, wie wir uns damit abmühten.
Ein Großteil der Stationen war für mich noch nicht machbar und außerdem musste ich ja noch vom Berg absteigen. Die Rolle forderte mich so sehr, dass ich danach beim Gehen sehr aufpassen musste und mein Gehirn bei jedem Schritt bewusst arbeitete. Es zeigte mir mein limitiertes Verhalten sehr stark auf.
...war es ein mehr als erfolgreicher Tag. Das Gehen bleibt auch in Corona-Zeiten eine der wichtigsten Teile meiner Rehabilitation, besonders das Gehirn, bzw. das Denken, steht und fällt damit. Das Pilgern war die mit Abstand beste Therapie seit 2018.
Seit Corona ist es aber nicht mehr möglich und ich habe noch keine adäquate Therapie gefunden, die mir mehr helfen kann.
"Gehen als Therapie" gewinnt für mich immer mehr an Bedeutung und wie komplex dieser Vorgang ist, wird mir immer mehr bewusst. Eine amerikanische Ärztin brauchte 8 Jahre für die Rehabilitation nach einer Gehirnblutung, dessen Auswirkungen mit mir vergleichbar sind.
Deshalb gebe ich nicht auf, was auch immer sein mag. Corona hat es verzögert, aber es ist weiterhin noch viel möglich. Wichtig ist nur, dass ich mir meinen inneren Frieden erhalte. Nur so ist es möglich, die Folgen des Hirnabszesses annehmen zu können und weiterzukommen.