In Viviers, welches an der Rhone liegt, beginnt der 4. Abschnitt des Hexatrek. Der Süden Frankreichs, mit der Ardeche und den Cevennen, warten auf mich.
Die Alpen liegen hinter mir und ich überlege kurz, hier abzubrechen und nach Hause zu fahren. Ich habe meine Ziele erreicht, allerdings überwiegt die Freude hier zu sein und den Hexatrek vielleicht zu vollenden. So gehe ich nach einem Ruhetag in Le Chateaneuf weiter und freue mich auf die Ardeche.
Vor 12 Jahren war ich schon einmal hier, damals für Filmaufnahmen. In Erinnerung hatte ich einen Weg durch die Schlucht, aber was ich hier vorfinde, ist mir bald zu viel. Nach etwa 30 Kilometern stehe ich vor dem Abstieg nach ganz unten und ich freue mich zunächst noch über den bevorstehenden Weg.
Auf dem Wasser sind viele Kajaks und Rafting Boote unterwegs und geben ein buntes Bild ab. Der Fluss wird rechts und links von hohen Felswänden eingerahmt und ein Durchkommen zu Fuß erscheint unmöglich. Ich finde Markierungen und kämpfe mich Meter für Meter vorwärts. Und Kämpfen ist der richtige Ausdruck. Tiefe, sandige Passagen wechseln mit dem Springen von Stein zu Stein ab.
Seit dem Hirnabszess versuche ich es zu vermeiden zu Kämpfen, alles soll mit einer Leichtigkeit passieren und einfach sein. Hier stoße ich aber an Grenzen, die für mich zu hoch sind. An einer Stelle steht auf den Fels geschrieben: "Ab hier müssen sie klettern". Allerdings ist mir nicht klar, wohin?
Eine etwa drei Meter hohe senkrechte Stelle führt hinunter zum Fluss, auf eine nächste Felsebene und ebenso steil geht es nach oben, ohne zu sehen wohin. Für mich unüberwindbar. Ich gehe auf und ab und kann mich nicht entscheiden, also gehe ich zurück. Über riesige Felsblöcke, durch Brennnessel, mit Gestrüpp und ausgesetzte Stellen versuche ich diese Kletterstelle zu umgehen und gelange wirklich an die Stelle darunter, wo ich vorher oben umdrehte.
Es geht weiter durch ausgewaschene Felswände, ich klettere über Felsbrocken und wate durch tiefen Sand. Meine Füße und Knöchel sind derart beansprucht, wie noch nie in den Wochen zuvor am Hexatrek. Dazwischen sind immer wieder ausgesetzte Stellen, auf denen man auf Eisenklammern zehn Meter über dem Fluss dahin steigt. Ich habe so viel am Hexatrek bisher geschafft, aber hier bin ich mit meiner Propriozeption am Ende. Zusätzlich das Wasser unter mir bereitet mir die größte Angst. Außerdem spüre ich, es tut mir nicht gut, aber ich muss weiter.
In einer Stunde komme ich nicht einmal zwei Kilometer vorwärts und es sind noch sechs bis zum nächsten Campingplatz. Es hat über 30 Grad und meine Wasservorräte sind bald erschöpft. Schritt für Schritt kämpfe ich mich vorwärts, jeden Schritt muss ich genau wählen, wo ich ihn hinsetze. Für die nächsten Kilometer würde ich so noch drei bis fünf Stunden brauchen.
Zu Biwakieren wäre eine Möglichkeit, allerdings müsste ich dann zu lange ohne Wasser auskommen, also verwerfe ich es. Der Fluss ist zwar nur wenige Meter entfernt, aber ich erreiche ihn nicht. Außerdem ist das Biwakieren in der Schlucht verboten, da es ein strenges Naturschutzgebiet ist.
Ich entscheide mich dafür, bei der nächsten Möglichkeit zur Straße aufzusteigen. Ein kaum erkennbarer Pfad schlängelt sich wie eine Schlange steil nach oben und verliert sich im Nichts. Einem Höhenbergsteiger ähnlich steige ich langsamen Schrittes nach oben. Die Erinnerung an die Krankheit bleibt mein stummer Begleiter, doch die Schönheit der Wildnis gibt mir Kraft und Stärke. Meine superleichten Wanderstöcke aus Carbon unterstützen mich, so kann ich Steilstufen leichter überwinden, wenn ich Kniehoch nach oben steige muss.
Die Muskelschwäche wird mir dabei oft bewusst gemacht, trotzdem ich die Alpen hinter mir habe. Das bisherige Gehen und Steigen war gutes Training und ich fühlen mich stärker als nie zuvor. Trotzdem ist steiles Gelände noch immer eine Herausforderung und bringt mich schnell an die Belastungsgrenze. Gerade rechts, wo ich die Lähmung hatte, verweigert ein zu starkes Abwinkeln des Beines, dass ich mich aufrichten kann. Aus der Hocke aufstehen, gar mit Rucksack, ohne mich wo anzuhalten, kann ich noch heute nicht.
Plötzlich türmt sich eine Felswand unüberwindbar vor mir auf. Ich pendle darunter nach rechts und links und wieder zurück, um einen Ausweg zu finden. Zum ersten Mal fühle ich mich erschöpft. Anfangs noch euphorisch, wandeln sich meine Gefühle in "...ich möchte nur mehr nach oben kommen!". In dieser steilen Wand suche ich lange nach dem Ausstieg auf die Straße. Nach einer gefühlten Ewigkeit bin ich endlich oben.
Der Schweiß rinnt in Strömen, im wahrsten Sinn des Wortes. T-Shirt und kurze Hose sind klatschnass. Oben angelangt werfe ich mich und den Rucksack müde in den Staub. Nach einer kurzen Pause steht mir ein langer Fußmarsch auf der Straße bevor, was aber immer noch besser ist, als über die ausgesetzten Stellen am Fluss zu klettern. Atemberaubende Tiefblicke in die Schlucht lenken vom eintönigen Gehen auf der Straße ab.
Kurz vor La Combe, wo das Ende der Schlucht ist, nimmt mich eine Familie mit dem Auto mit, da es hier durch mehrere Tunnel geht. Am Fußweg außen herum, käme ich heute nicht mehr zum Campingplatz, abgesehen vom schon dringend benötigten Wasser. Vom Auto aus sehe ich den Pont d'Arc ein bisschen wehmütig und vermisse es, nicht zu gehen. Andererseits hätte ich ihn nur gesehen, wenn ich mit dem Kajak gefahren wäre.
In Le Comb springe ich aus dem Auto, bedanke mich und gehe zum Campingplatz. Ein riesiger Stellplatz erwartet mich dort, sogar mit Stromanschluss, trotzdem bezahle ich nur als Wanderer. Es ist bereits das Ende der Ferien und viel Platz. Da merke ich wieder, dass ich bereits den ganzen Sommer unterwegs bin und der Herbst vor der Tür steht. Die Annehmlichkeiten des Platzes nutze ich, besonders eine heiße Dusche bringt Erholung.
Es scheint, dass die Gegend zum Meer hin, von Nord nach Süd, mit zahlreichen Flüssen gespickt ist, die tiefe Furchen gezogen haben. Da ich von Ost nach West quere, ist ein Auf und Ab vorprogrammiert. Drei bis fünfhundert Meter, meist steil, im Auf und Abstieg, sind es jedes Mal.
Die traumhafte Gegend wechselt von Hochebenen auf Wege entlang des Flusses tief unten, unterbrochen von kleinen Ortschaften, die oft verlassen wirken. Der steile Trail fordert mich körperlich heraus, aber die Belohnung ist der atemberaubende Ausblick, der sich mir jedes Mal eröffnet, wenn ich oben ankomme. Nie hätte ich gedacht, dass mich die Gorges de Tarn so fordern würden.
Die eigentümlichen Knieschmerzen trüben meine Freude ein wenig. Nach den Alpen, wo ich mich so fit gefühlt habe, ist das eine echte Überraschung. Ich frage mich, ob es an der unterschiedlichen Beschaffenheit des Untergrunds liegt oder ob ich vielleicht eine Überlastung habe.
Eine muskuläre Dysbalance kann von den Schuhen kommen, da ich aufgrund meiner gestörten Propriozeption und Muskelschwäche eine lange Eingewöhnungszeit auf neue Modelle habe. Ein Wechsel kann dazu führen, dass meine Knie einer anderen Stoßbelastung ausgesetzt sind, was zu Schmerzen führen kann. Deshalb verwende ich seit Jahren nur zwei Modelle, an die sich die Füße gewöhnt haben. Hier war ich aber gezwungen auf ein anderes Modell umzusteigen.
Diese Region ist Heimat einer Vielzahl von Tier- und Pflanzenarten, darunter seltene Vögel, Schmetterlinge und Blumen. Vor einigen Jahrzehnten waren Geier in dieser Region ausgestorben. Dank einem erfolgreichen Wiederansiedlungsprojekt sind sie wieder heimisch, besonders der Gänsegeier. Von Ihnen geht eine Faszination aus und es ist ein Erlebnis, sie in ihrer natürlichen Umgebung zu beobachten.
Mich selbst erfahren bekommt jetzt immer öfter Sinn. Die letzten Wochen musste ich so konzentriert gehen, dass fürs Nachdenken nichts übrig blieb. Es wurde zu einseitig und die psychischen Erfahrungen kamen zu kurz. Die größten Erfahrungen sind dann möglich, wenn ich geistige Erfahrungen realisiere und umgekehrt, körperliche vergeistige.
Bewege ich mich zu einseitig im Physischen, besteht die Gefahr, dass ich mich selbst zerstöre. Bewege ich mich im Gegensatz dazu zulange im Psychischen Grenzbereich, ist ebenfalls Selbstzerstörung die Folge. Die Balance zwischen beiden ist das Beste.
Aufgrund der Wege in den Alpen war es mir aber nicht möglich, öfter auch das Psychische einzubeziehen. Zu sehr musste ich aufpassen, wohin ich trete. Eigentlich bin ich dauernd damit beschäftigt. Das Physische hat überhand genommen.
Seit dem Hirnabszess mache ich täglich neue Erfahrungen. Mache ich keine, stagniere ich. Was mir am Hexatrek gut gelingt ist, die Bereitschaft und Fähigkeit zu haben, möglichst viel bewusst zu erleben. Ich, als Mensch, kann mich verwirklichen. Dieses Gefühl ist Gold wert. Auch unter Belastung, ruhe ich in mir. Vermeidung von Stress ist nicht nur hier, sondern seit Jahren, mein oberstes Prinzip. Außerdem sauge ich die Natur in mir auf.
Wenn der Trail es zulässt, versuche ich die Erfahrungen der letzen Wochen zu vergeistigen. Das gelingt nur selten, denn der Weg lässt es kaum zu. Dieses einseitige, in diesem Fall physisch, artet in Stress aus und ist in Folge schädlich. Immer öfter denke ich an einen ruhigen Camino in Spanien und das so etwas jetzt ideal wäre. Am Camino lernte ich gehen und denken, auf ruhige Art. Daher schwanke ich zwischen aufhören und heimfahren oder doch weitergehen und den Hexatrek beenden.
Die Erfahrungen in den Alpen waren so intensiv, dass ich eigentlich heimfahren kann und auf diesen in der Tanz-Therapie aufbauen kann. Auf der anderen Seite fühle ich mich so wohl hier, dass ich den Hexatrek beenden möchte. Es stehen ja nur mehr die beiden Stage 5 und 6 durch die Pyrenäen aus. Wie ich weiter mache, werde ich in den nächsten Tagen entscheiden.
Es passt eigentlich alles, bis auf die Schuhe. Da ist der Wurm drinnen. Es ist ein etwas schwererer Wanderschuh und kein Laufschuh. Diese Veränderung beschert mir Knieschmerzen, dass ich so bisher nicht kenne. Der Schuh ist zwar von meiner Lieblingsmarke Hoka und fühlt sich eigentlich auch gut an, aber verändert mein Gehen doch zu sehr. Ich hätte doch einen Laufschuh nehmen sollen, dachte mir aber nichts schlimmes dabei.
Der Weg führt mich an Sehenswürdigkeiten vorbei, wie einer Templerburg und einem Felsbogen. Die Landschaft ist traumhaft und ich genieße es hier gehen zu dürfen.
Schon am Morgen, als ich losgehe, meldet die Wetter-App für den Nachmittag heftige Gewitter. In einem kleinen Städtchen gehen ich einkaufen und setze mich in ein Cafe. Bis zum nächsten Campingplatz sind es nur noch 10 Kilometer und daher lasse ich mir Zeit. Der Pfade windet sich rauf und runter. Dann, etwa zwei Kilometer vor einem Dorf, beginnt es zu regnen. Aber was für ein Regen. Er prasselte wie tausend kleine Nadeln auf mich herab und wird immer stärker.
Innerhalb Minuten stürzt ein Sturzbach auf mich herab, wo auch der Poncho nicht mehr hilft. Ein Unterstand ist weit und breit nicht zu sehen. Das Wasser kommt mir Knöcheltief auf der Straße wie ein Fluss entgegen. Das Handy gibt seinen Geist auf und reagiert nicht mehr, so feucht und nass ist es. Der Campingplatz ist nirgends angeschrieben und somit weiß ich nicht wohin.
Unter einem dürren Baum suche ich verzweifelt nach Schutz. Der Wind peitscht den Regen gegen mich und ich fröstle am ganzen Körper. Endlich entdecke ich einen Hauseingang, der mir einen kleinen Unterschlupf bietet. Nach vielen Versuchen bekomme ich das Handy trocken und starte es.
Meine Feinmotorik ist in den vom Wasser aufgeweichten Fingern ungeschickt. Kurz sehe ich auf der Hexatrek-App wohin ich muss, da schaltet es sich schon wieder ab. Im ersten Moment wie der Regen nachlässt, mache ich mich auf den Weg. Nach weiteren zwei Kilometern erreiche ich den Campingplatz. Es hat mittlerweile stark abgekühlt und es ist bitterkalt geworden.
Meine Hände gehorchen mir nicht mehr. Da es wieder schüttet, macht es keinen Sinn das Zelt aufzubauen. Ich dusche und setze mich unter ein Vordach. Praktisch alles was ich dabei habe, lege und hänge ich rund um mich auf, damit es wenigstens trocken wird.
In einer kurzen Regen Pause versuche ich das Zelt aufzustellen. Der Regen ist aber schneller als ich und im vom Himmel stürzenden Wasser gelangt Wasser ins Zelt, bevor ich es schaffe, daß Überzelt überzuwerfen. Zum zweiten Mal erwischt mich ein Unwetter und bringt mich ans Limit.
Nass und durchgebeutelt gehe ich weiter. Innerhalb weniger Tage hat der Herbst Einzug gehalten. Da ich mich für die Pyrenäen nicht ausgerüstet fühle, werde ich von Carcassonne heimfahren.
Mein Telefon spinnt und funktioniert wegen der Feuchtigkeit kaum noch. Dazu werden die Berghütten in den Pyrenäen ab 15.Septmber größtenteils geschlossen, was die Folge hat, mehr zu tragen. Mein Entschluss steht damit fest, aufzuhören. Wegen dem Telefon habe ich auch kaum Bilder vom Schluss, was mir sehr leid tut.
Mein Fazit fällt durchwegs positiv aus. Nie hätte ich gedacht soweit zu kommen. In den Alpen hat ein neuer Zeitabschnitt begonnen, auf dem ich aufbauen kann. Mein Ziel, für das ich acht Jahre gearbeitet habe, konnte ich verwirklichen.
Mit dem Erreichen dieses Ziel ist es aber nicht vorbei. Die Behinderung und die Handicaps bleiben. Dranbleiben wird auch weiterhin mein Motto bleiben. Mich mehr in der Natur aufzuhalten und weniger in der Stadt, kann ich akzeptieren. Die Hochsensibilität bleibt und lässt sich kaum verbessern.
Die gewonnenen Erfahrungen werde ich in den nächsten Wochen und Monaten in mein Leben integrieren lernen und weiterhin an mir arbeiten. Da habe ich genug zu tun. An erster Stelle steht, ein neues Ziel zu finden. Besonders wichtig ist es, die richtige Formulierung zu finden.
"Alles, was ich verarbeiten kann, schafft mir ein Fundament"
Die Pyrenäen mit Stage 5 und 6, über 900 km des Hexatrek, nehme ich mir für nächstes Jahr vor. In Hendaye ins Meer zu springen, ist nach wie vor mein Ziel!
Nachdem ich die majestätischen Nordalpen hinter mir gelassen habe, stehe ich nun am Beginn der dritten Etappe des HexaTrek - einer Route, die mich tief in die Südalpen führen wird.
Die Berge vor mir sind wild, rau und wunderschön. Ich bin gespannt, was mich in den kommenden Tagen erwartet. Der Start ist frostig, aber voller Vorfreude gehe ich los.
Mein Tag beginnt auf 2000 Metern Seehöhe, und die Kälte macht sich deutlich bemerkbar. Der Boden ist feucht vom Nebel, der sich in der Nacht bildete und meine Schuhe sind im feuchten Gras schnell nass. Der Start fühlt sich zunächst düster und bedrückend an, denn die Sonne schafft es noch nicht über die Berghänge.
Mein Weg führt an der Schattenseite eines Berges entlang. Bei jedem Schritt bremst mich die Kälte, die mich daran erinnert, wie zerbrechlich ich noch bin, trotzdem ich am Hexatrek unterwegs bin.
Im Moment habe ich mit mir selbst zu tun, denn zum ersten Mal, seit ich am Hexatrek unterwegs bin, hat die Kühle des Morgens einen großen Einfluss auf die Funktion meiner Nerven. Steif und unkoordiniert gehe ich los, mit der Hoffnung, dass es bald besser wird. Ich kann es nur abwarten.
Die gegenüberliegenden Berge liegen bereits in der Sonne und so nehme ich mir vor, erst dann zu frühstücken, wenn ich in der Sonne bin, vorher ist es mir zu kalt.
Dann passiert es. Die ersten Sonnenstrahlen erreichen mich und tauchen die Landschaft in ein sanftes, goldenes Licht. Die Kälte wird weniger und ich nutze diesen Moment, um eine Pause einzulegen. Schnell ist der Kocher bereit und ich setze Wasser für einen Kaffee auf. Dazu gibt es das übliche, Brot mit Käse. Umgeben vom Rauschen des Windes und dem fernen Rufen von Krähen, genieße ich es, hier in der Einsamkeit mitten in den Bergen zu sitzen.
Nach dieser Stärkung gehe ich gestärkt los. Der Pfad führt entlang eines steilen Berghangs, und der Abhang zu meiner rechten erfordert volle Konzentration. Jeder Schritt muss wohlüberlegt sein. In diesen Momenten fühle ich, wie ich eins werde mit der Natur. Jeder Schritt, jeder Atemzug wird bewusster. Der Weg ist wieder einmal anspruchsvoll, aber genau das suche ich und macht diesen HexaTrek für mich so wertvoll. Step by Step verbessere ich meine Wahrnehmung und wie schnell ich etwas erfassen kann.
Seit Jahren konnte ich mich von Jakobswegen, bis hin über Fernwanderungen, gesundheitlich steigern. Es half mir, mich mit verbesserter Wahrnehmung in der Stadt besser zu bewegen und ich entdeckte auch das Fernwandern für mich. Die Natur bekam einen immer größeren Stellenwert.
Rehabilitation ist eigentlich nicht mehr das richtige Wort dafür. Man spricht eher von einer Langzeitversorgung oder chronischer Versorgung. Regelmäßige Therapien sind trotzdem erforderlich, um meinen Gesundheitszustand beizubehalten oder zu verbessern.
Der schmale Pfad windet sich den Berghang entlang. An den absturzgefährdeten Stellen bieten mir eiskalte Ketten Halt. Jeder Schritt ist bedacht, jede Bewegung muss präzise ausgeführt werden. Fehler sind hier nicht erlaubt. Erinnerungen an meine ersten Schritte kommen mir hoch. Auch damals durfte ich nicht stürzen, denn meine Reaktion war so langsam, dass ich umfiel wie ein Holzklotz. Heute genieße ich die Herausforderung, die Berge zu bezwingen, umso mehr, auch wenn die Anstrengung nicht weniger geworden ist.
Bald gehe ich in einem Tal leicht aufwärts, es sind ein paar Hundert Höhenmeter zu überwinden. Auf der anderen Seite des Wildbachs sehe ich neben einer Almhütte mehrere Zelte stehen. Es ist halb Neun, aber sie liegen noch im Schatten, während ich bereits in der Sonne gehe. Ich kann ihnen nachfühlen, wie kalt und feucht es ist und auch sie auf die Sonne warten.
Im noch einigermaßen flachen Teil gerate ich unter eine Rinderherde. Sie kommen von hinten und gehen etwas schneller als ich. Sie haben junge Kälber bei sich, was eine ungute Situation ist, denn es wird immer davor gewarnt, sich Kühen mit Kälbern zu nähern. Aufgrund von Wölfen haben sie einen besonderen Beschützerinstinkt, den sie auch gegenüber Menschen wahrnehmen. Daher bin ich dementsprechend vorsichtig und versuche so schnell es geht, ins steilere Gelände zu kommen. Das laute, aggressive brüllen einiger Kühe schreckt ab.
Plötzlich stehe ich einer stattlichen Rinderherde gegenüber. Ihre großen Augen fixieren mich, während sie gemächlich auf mich zukommen. Die Kälber trotten dicht bei ihren Müttern. Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Der Instinkt dieser Tiere ist unberechenbar, besonders wenn sie ihren Nachwuchs schützen. Ich versuche, einen Bogen um sie zu machen, aber ihr tiefes, bedrohliches Brüllen lässt mich unwillkürlich innehalten. Die Natur zeigt hier ihre ungezähmte Kraft, und ich fühle mich klein und verwundbar, selbst gegenüber Kühen.
Nach dem Pass windet sich ein steiniger Pfad wie ein schmaler Grat durch die Landschaft. Jeder Schritt ist ein Balanceakt, denn die losen Steine geben unter meinen Füßen nach. Alles an Steinen fällt in den Weg und sammelt sich dort, dementsprechend schwer ist das Gehen darauf.
Ich fühle mich wie in einem Gemälde, umgeben von kräftigen Farben und weichen Formen. Ich wandere durch ein Meer aus Blau und Grün, umgeben von schroffen Felswänden und grünen Almwiesen. Schon bald treffe ich auf den ersten See, der in einem tiefen, satten Blau schimmert. Mal mehr, mal weniger steil geht es nach unten, von einem See zum nächsten, jeder in einem anderen Blauton leuchtend.
Zu Mittag erreiche ich die nächste Ortschaft, nachdem ich die letzten Kilometer im Eilschritt zurücklege. Ich komme aber um wenige Minuten zu spät, der dortige rustikale Gasthof schließt gerade, wie ich ankomme. Ich versuche den Wirt noch zu bitten, eine Ausnahme zu machen. "Tut mir leid, mein Freund", sagt er und verschwindet im Haus. Der Gastgarten ist mit Ketten verschlossen, obwohl er noch voll ist. Niemand wird mehr eingelassen.
Wieder einmal keine französische Küche, mit der ich seit Beginn ein Problem habe. Essen im Restaurant konnte ich erst ein paar Mal genießen, da die Restaurants für Fernwanderer wie mich, keine guten Öffnungszeiten haben. Es widerstrebt mir allerdings, meine Wanderung danach zu richten. Im Gegensatz dazu ist es auch anstrengend, ständig nach Alternativen suchen zu müssen, wenn die geplanten Einkehrmöglichkeiten ausfallen.
So werde ich doch noch zum Bergziegen-Gourmet. Käse und Wurst sind schließlich die Grundnahrungsmittel aller echten Wanderer, und dazu koche ich mir einen Kaffee. Und wer weiß, vielleicht entwickel ich ja noch eine Vorliebe für französische Küche – wenn ich sie denn jemals zu Gesicht bekomme.
So setzte ich mich auf eine nahe Bank hinter der geschlossenen Kirche und diniere wieder einmal das Übliche. Als Nachspeise genehmige ich mir ein Stück Nuss-Schokolade. Dabei habe ich mich so auf eine Abwechslung gefreut und bin deswegen die letzten Kilometer besonders schnell gegangen.
Zunächst geht es ein breites Tal hinaus, auf einem schönen Wanderweg. Aber ehe ich mich versehe, bin ich wieder steil hinauf, auf einem schmalen Steig. Ich folge der Markierung und gehe immer weiter.
Zunächst schlängelt sich der Weg gemächlich durch ein breites Tal. Doch je weiter ich komme, desto mehr verschwindet der Pfad in dichtem Gebüsch. Unachtsam bin ich dem Hauptweg gefolgt, dabei hätte ich einer kaum sichtbaren Abzweigung folgen sollen. Immer und jederzeit die Karte am Handy zu kontrollieren, ist mir aber zu viel.
Diesmal habe ich mich zu sehr treiben lassen und finde mich nun an einem Punkt, an dem ein Umkehren kaum mehr in Frage kommt. Ich studiere die Karte und komme zum Schluss, weiterzugehen. Es ist um wenige Kilometer weiter, dafür sind aber einige hundert Höhenmeter mehr zu überwinden. Und diese haben es in sich.
Ein schmaler Pfad windet sich immer steiler werdend einen Hang hinauf. Auf 2500 Metern Höhe erreiche ich endlich den Pass und es eröffnet sich mir ein atemberaubender Blick über die darunter liegende Landschaft. Auf der anderen Seite geht es gleich steil hinunter, nur nicht so weit. Bald darauf stoße ich wieder auf den Original-Trail, wo weitere 1400 Meter Abstieg ins Bergdorf Vallouise auf mich warten.
Der Abstieg fühlt sich endlos an und ich erreiche Vallouise am späten Nachmittag. Der große, am Ortrand liegende Campingplatz ist beeindruckend, aber der Bereich für kleine Zelte ist bei einem jüngsten Hochwasser komplett zerstört worden. Enttäuscht stehe ich da und werde von den Betreibern auf den nächsten Platz verwiesen, ganze fünf Kilometer weiter, ein kleines Tal aufwärts.
Nach kurzer Pause mache ich mich auf den Weg Eine weitere Stunde, auf einen vom Hochwasser zerstörten Weg. Dort angekommen, stellt sich heraus, dass es sich um einen spartanischen Platz handelt, ohne jegliche Infrastruktur oder Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe. Mein Gehirn kann die Situation kaum fassen. Irgendwie fühlt sich alles falsch an, denn mir fehlt es an allem, was ich für die nächsten Tage brauche.
Es wächst die Erkenntnis: Dieser Weg, der vor mir liegt, ist mit meiner Ausrüstung nicht zu beschreiten. Der Gedanke, noch weitere Tage so zu verbringen, ist unerträglich. Mit hängenden Schultern packe ich meine Sachen zusammen. Die Entscheidung zum Umkehren fällt mir schwer, aber die Vernunft siegt. Die fünf Kilometer ins Dorf zurück, ziehen sich, aber um acht Uhr morgens bin ich dort. Im Wasch-Saloon des Campingplatzes wasche ich meine gesamten Sachen, dusche mich und atme danach tief durch. In Regenhose und Regenjacke sitzend, alles andere ist in der Wäsche und bei einem selbst gekochten Kaffee mit frischem Crossant, schaut die Welt wieder anders aus.
Heute werde ich einen Ruhetag einlegen und ich treffe auf die beiden Neuseeländer, Sam und Matt. Sie laden mich ein, mein Zelt neben ihres aufzuschlagen. Heute ist Sonntag und viele Plätze wurden wegen der Abreise anderer frei. Hätte ich das nur gestern schon gewusst? Beim gemeinsamen Essen schmieden wir Pläne für die kommenden Tage. Matt hat noch etwas zu erledigen und wird in einigen Tagen nachkommen. Am nächsten Morgen brechen Sam und ich auf, um unser Abenteuer fortzusetzen.
Wir bleiben auf der linken Seite des reißenden Flusses. Nach wenigen Kilometern stoßen wir auf ein unüberwindliches Hindernis: Die Brücke, die das gegenüberliegende Ufer verbinden sollte, ist spurlos verschwunden. Das Hochwasser hat sie mitgerissen. Jeder Versuch hinüberzukommen scheitert. Ein Umweg würde uns zu viel Zeit kosten, deshalb beschließen wir, den Fluss trotzdem ein wenig weiter abwärts zu überqueren. Wir suchen eine nicht so tiefe Stelle, wo es gelingt.
Mit Sam überquere ich die L'Argentière-la-Bessée, durch eine Atemberaubende Landschaft, die dem Mond ähnelt. Ich übernachte auf einer Hütte, die zum Glück noch ein freies Bett hat. Auch am nächste Tag bleiben die überlangen An- und Abstiege, wo es erforderlich ist, in meiner Konzentration zu bleiben. Nur so kann ich diese Anstrengung bergauf händeln, mit den Gedanken ausschließlich beim nächsten Schritt zu bleiben.
Tja, daß das Leben in den Bergen seine Tücken hat, durfte ich bald erfahren. Nachdem ich den ganzen Tag über Felsbrocken und lange Steilhänge geklettert war, bekomme ich im Refuge de Souffle keinen Platz mehr, alles ist ausgebucht. Keine guten Aussichten für mich, da es in der Nacht Gewitter geben soll. Mit ein paar anderen schlage ich in der Nähe das Zelt auf.
Von 21 Uhr bis 2 Uhr morgens tobt ein Unwetter, aus Donner, Blitz und Regen. Von überall her kriecht das Wasser ins Zelt und meine ganze Ausrüstung ist nass oder zumindest feucht. Besonderes Glück habe ich mit meiner Isomatte, die ist sechs Zentimeter hoch und ich liege damit knapp über dem nassen Boden.
Die Nacht hat ihre Spuren hinterlassen. Müde und durchnässt schleppe ich mich aus dem Zelt. Ich bin nur mehr froh, die Nacht überstanden zu haben. Ich kämpfe mich durch das Chaos meiner nassen Ausrüstung. Jede Bewegung kostet Überwindung, aber ich möchte nicht noch mehr Zeit verlieren. Den Treffpunkt mit Sam, der in der Hütte schläft, verpasse ich dennoch.
Endlich, nach gefühlten Stunden, bin ich um Acht startklar und mache mich auf den Weg. Bis zum nächsten Dorf sind es zwar nur zehn Kilometer, allerdings über 800 Meter im Aufstieg und 1300 Meter Abstieg. Der Weg ist vom nächtlichen Gewitter stark ausgewaschen und besonders die Wasserquerungen fordern mich heraus. Der Aufstieg ist rutschig und ein paar Bereiche sind sogar mit Stahlstangen gesichert.
Diese andauernd übermäßige Konzentration kostet mir viel Energie. Mit jedem Schritt muss ich befürchten auszurutschen, was fatale Folgen hätte. Eine solche Herausforderung hatte ich seit dem Hirnabszess noch nie und habe ich in diesem Ausmaß nicht erwartet. Ich habe in den letzten Jahren gelernt, meine Grenzen zu respektieren. Diese Herausforderung treibt mich an meine absoluten Grenzen, körperlich und geistig, trägt aber auch dazu bei, mich als Person weiterzuentwickeln.
Am Pass angekommen, steht mir jetzt ein langer Abstieg bevor. Über steile, steinige und teilweise nasse Pfade springe ich nach unten.
Der Hexatrek ist ein ewiges rauf und runter. Über 1000 Höhenmeter sind keine Seltenheit. In Le Bourg d´Oissan kaufe ich bereits mein drittes Paar Schuhe. Es ist unglaublich, wie sehr das Material hergekommen wird.
Nicht nur die schlechten Wege sind Schuld, mein Gehstil hat auch seinen Anteil. Egal wie und wo ich hintrete, absoluten Vorrang hat es, nicht umzukippen oder zu stürzen. Daher sind meine Schuhe mehr beansprucht, als normal.
Erst im zweiten Geschäft bekomme ich etwas passendes. Es ist diesmal kein Trailrunning-Schuh, sondern ein Wanderschuh von Hoka. Von allen probierten scheint er die beste Alternative zum Altra oder Hoka Speedgoat zu sein, die es beide nirgends in meiner Größe gibt.
Er trägt sich recht gut, ist aber kein Laufschuhe. Um einiges schwerer ist er, aber dafür mit mehr Leder und deshalb stabiler. Ein Vorteil am weiteren Weg. Was ich aber nicht bedachte, die Gewöhnung daran. Schellen Schrittes oder gar laufen, ist nicht möglich.
Gerade bergab versuche ich immer öfter zu Laufen. Das langsame Gehen kostet mir zu viel Kraft, daher habe ich mir eine Technik angewöhnt, trotz Muskelschwäche zu laufen. Das funktioniert nur bergab. Mit den neuen Schuhen ist das aber nur schwer möglich, dafür sind sie nicht geeignet. Die verschiedensten Muskelgruppen gehören eigentlich umgewöhnt und trainiert, was am Hexatrek aber nur schwer möglich ist.
So werden speziell die Abstiege zu einer eigentlich unnötigen Erschwernis. So versuche ich das beste daraus zu machen, trotzdem gerate ich in einen Zustand, den ich immer schwerer Händeln kann.
Zunächst merke ich die körperliche Veränderung aufgrund der neuen Schuhe noch nicht stark, das sollte sich aber bald ändern. Ich übernachte selten unter 1800 Meter und das meist bei schönstem Sonnenunter- oder Aufgang.
Der Hexatrek ist mehr als nur eine Wanderung für mich. Es ist eine Reise zurück ins Leben und ein Beweis dafür, dass auch nach Rückschlägen wieder neue Wege entstehen können.
Der Hexatrek fordert mich körperlich und mental heraus. Ich verlasse meine Komfortzone immer wieder, denn nur so kann ich wachsen. Auch nach acht Jahren ist das Gehen für mich die größte Übung. Jede Bewegung, jeder Schritt schult meine Wahrnehmung und erweitert meine Grenzen.
Nach dem Jura bin ich mit dem Boot über den Genfer See gefahren, nach Thonon Les Bains (Beginn des HexaTrek Stage 2, die Nordalpen). Es geht durch das Herzstück der Alpen, die für mich allerdings die größte Herausforderung darstellen. Es war ein jahrelanges herantasten und Training, um diese durchgängig langen Anstiege bewältigen zu können. Die Muskelschwäche und neurologischen Probleme sind ja nach wie vor da.
Vor den hier beginnenden Nordalpen habe ich gehörig Respekt, denn es beginnen für mich die größten Schwierigkeiten in Bezug auf Ausgesetztheit und die große Höhenlage. Im geheimen überlege ich mir, manche dieser Abschnitte zu umgehen, wobei es allerdings auch die Schönsten sind. Alleine traue ich mich aber noch nicht darüber.
In Thonon finde ich auch Shops für neue Schuhe. Der Hexatrek forderte das Material bisher sehr stark, besonders die Schuhe, die bereits nach 700 km total hinüber sind. Am Camino war ich gewohnt, die Schuhe erst nach 1200 bis 1400 Kilometer zu wechseln, hier sind sie schon nach 550 km fast hinüber und nach 700 km total am Limit.
Neue Schuhe sind jetzt vonnöten. Erst im dritten Shop von Thonon werde ich fündig. Mein bisheriger, ein Hoka Speedgoat 5 in der Wide Version, war mein bisher bester Schuh. Allerdings werde ich die Wide Version hier kaum bekommen. Ich probiere alle möglichen Modelle durch, aber keiner ist auf den ersten Versuch bequem genug.
Mein alter Schuh schaut zwar optisch noch gut aus, aber die Sohle und die Dämpfung ist bereits sehr in Mitleidenschaft gezogen. Bereits nach 400 km begann sich die Sohle zu lösen und ich musste sie immer wieder mit Superkleber ankleben. Nach 700 km war nur mehr ein dünner Belag, zuwenig für die Alpen.
In einem Ausrüster Shop entscheide ich mich für den Altra Olympus 5, den ich bereits in England verwendete und mir daher vertraut ist. Seine breite Zehenbox ist bequem und er hat eine zwar gute, aber geringere Dämpfung, als der Speedgoat. Die beste Alternative zu allen anderen angebotenen ist er allerdings.
In den Alpen geht es dauernd rauf und runter, ähnlich wie in den Vogesen davor, nur sind die Auf- und Abstiege wesentlich länger. Mit 1000 Höhenmetern komme ich gerade mal 10 Kilometer weit. So heißt es einen neuen Rhythmus finden, der es mir ermöglicht am Tag mehr Höhenmeter zurückzulegen. Am Campingplatz de l´Essert werde ich einen Ruhetag einlegen.
Nach meinem Ruhetag gehe ich früh los und hole später am Tag den tags zuvor gestarteten Willy mit seiner Katze Jamy ein. Wir gehen ein Stück des Weges gemeinsam. Es ist faszinierend zu beobachten, wie Jamy, seine Katze, aufmerksam die Umgebung während des Gehens studiert, während sie gemütlich auf Willys Rucksack ruht.
Als uns Regen überrascht, finden wir Unterschlupf unter dem Vordach einer geschlossenen Hütte und warten das Ende des Schauers ab. Wir werden von Kühen bedrängt, die ebenso unter dem Vordach Schutz suchen wollen.
Auf dem nächsten Abschnitt werde ich von Sam und Matt, zwei Thruhikern aus Neuseeland, eingeholt. Sie gehen ein flottes Tempo, und ich beschließe, ihnen zu folgen. Ihre Führung spart mir viel Energie, die ich lieber ins Gehen investiere, als mich selbst um die Navigation kümmern zu müssen.
Am Nachmittag, als der Regen und ein angekündigtes Gewitter näherkommen, erreichen wir das Refuge de Chesery gerade rechtzeitig, um uns vor dem Unwetter zu schützen. Da es andauert, beschließen wir, hier zu übernachten.
Am folgenden Tag stellt sich mir die Frage: Soll ich mit Sam und Matt den schwierigen Weg versuchen oder eine Abkürzung nehmen, um die steilsten und gefährlichsten Passagen zu vermeiden? Ich entscheide mich bewusst dafür, auf dem Hexatrek zu bleiben und nehme die Herausforderung der Cheval Blance an – einem anspruchsvollen Abschnitt, der nicht nur physische, sondern auch mentale Stärke erfordert.
Die Cheval Blance ist bekannt für ihre ausgesetzten Stellen, steilen Anstiege und technisch anspruchsvollen Passagen. Um es klarzustellen, wir reden hier vom Weitwandern und nicht vom Klettern, allerdings reicht das schon für mich, wenn die Hände des öfteren zu gebrauchen sind. Schon beim ersten Blick auf den felsigen Grat wird mir klar, dass dies keine einfache Etappe wird. Der Trail ist oft schmal, und ein falscher Schritt könnte fatale Folgen haben.
Die größte Frage ist für mich, wie werde ich all das Wahrnehmen? Diese Gedanken begleiten mich während des gesamten Aufstiegs. Sam und Matt, die sicher und zielstrebig vorgehen, geben mir das Selbstvertrauen, mich auf diesem schwierigen Weg zu bewegen.
Die steilen Passagen sind besonders fordernd. Die Hände kommen oft zum Einsatz, um den Fels zu greifen und mich sicher weiterzubewegen. An manchen Stellen führt der Pfad so nah an den Rand, dass der Abgrund tief unter mir zu sehen ist. Hier hilft es mich voll und ganz auf die Bewegungen und Schritte der Neuseeländer zu konzentrieren, die mir als erfahrene Thruhiker Sicherheit geben.
Diese Etappe fordert mir mental alles ab. Vor allem das Überwinden der ausgesetzten Stellen, bei denen es keinen Spielraum für Fehler gibt, verlangt höchste Konzentration. Es ist nicht nur die physische Anstrengung, die mich fordert, sondern auch die ständige Präsenz der Angst vor einem Sturz, die ich Schritt für Schritt überwinden muss. Wenn ich daran denke, dass ich vor zwei Jahren noch an einigen Brücken Probleme hatte, speziell beim Walkabout oder auch noch am JOGLE?
Rückblickend ist die Überquerung der Cheval Blanche einer der intensivsten Momente meiner Reise und zugleich der Höhepunkt seit meiner Rehabilitation. Noch vor zwei Jahren hätte ich mich nicht imstande gefühlt, solche Passagen zu bewältigen. Der Gedanke an schwankende Brücken, exponierte Grate und schwindelerregende Tiefblicke hätten mich zurückgehalten. Diese Wahrnehmung zu verbessern, ist seit vielen Jahren mein Ziel.
Hier, inmitten der Alpen, habe ich mich dieser Herausforderung gestellt und sie gemeistert. Ich bemerke es zwar, es dauert aber einige Tage, bis mir das alles bewusst wird. Zu groß ist meine Anspannung, die ja auch die nächsten Tage halten soll, wo noch einige schwierige Passagen auf mich warten.
Die Überquerung der Cheval Blanche markiert für mich nicht nur den physischen Höhepunkt dieser Wanderung, sondern auch einen emotionalen Meilenstein. Noch vor zwei Jahren hätte mich der bloße Gedanke an solche Herausforderungen vor unlösbare Probleme gestellt. 2021, beim Walkabout durch Austria, scheiterte ich beinahe am Arlberg, weil es links vom Wanderweg steil zum Bach abfiel. Diesen Ausblick konnte mein Gehirn nicht verarbeiten und ich musste die Augen schließen, um nicht schwindlig zu werden.
Brücken, egal ob klein oder groß, bereiten mir immer wieder immense Schwierigkeiten. Das Schwanken und die tiefen Abgründe lassen mich oft wegen Schwindel innehalten. Doch heute, nach acht Jahren harter Arbeit daran und kontinuierlicher Rehabilitation, habe ich diese Hürden zum größten Teil überwunden. Trotzdem kann ich mir nicht sicher sein, dass es hier und da auftritt.
Dank der Unterstützung von Sam und Matt, sowie meiner eigenen eisernen Willenskraft, habe ich einen Traum wahr gemacht, der lange Zeit unerreichbar schien: Die Besteigung der Cheval Blanche war der krönende Höhepunkt bisher, einer Reise durch die Alpen, die mein Leben für immer verändert. Nach acht langen Jahren habe ich mein Ziel, dass ich mir noch im Krankenhaus gesetzt hatte, erreicht – ein Moment, der mich mit tiefer Dankbarkeit und unbeschreiblicher Freude erfüllt. Gleichzeitig schwingt aber auch die Angst mit - was jetzt?
Meine Handicaps sind damit nicht weg. Trotzdem heißt es jetzt ein neues Ziel zu definieren und zu finden.
Fragen, die mich in letzter Zeit immer öfter beschäftigen, denn trotz der Behinderungen möchte ich noch etwas tun. Dass ich nicht arbeiten kann, ist mir inzwischen bewusst geworden. Jetzt heißt es etwas anderes kreieren, dass meinen derzeitigen Fähigkeiten entspricht. Körperlich wird es das Weitwandern bleiben, aber auch der Geist möchte beschäftigt sein.
Das Wandern spielt in meiner Zukunft eine besondere Rolle. Auf jeden Fall sehe ich meine Handicaps mit neuen Augen. Ich konnte meine Wahrnehmung verbessern und stabilisieren. Mein automatisches Gehen ist allerdings trotz der vielen Kilometer nicht wiedergekommen. Das habe ich hier besonders gemerkt. Der HexaTrek ist besonders für das Gehirn eine so große Herausforderung, denn die Wege sind schlecht (für mich), sodass ich mit dem Gehirn und dem Denken aktiv bei jedem Schritt dabei sein muss.
Es muss einfach jeder Schritt und Tritt sitzen. Einen Fehltritt darf und kann ich mir nicht erlauben. Das erfordert eine besondere Achtsamkeit und Wachsamkeit. Die Schwierigkeiten an der Cheval Blance, wie eigentlich auch am gesamten Hexatrek, liegt in den oftmals ausgesetzten und steilen Stellen. Ein Bergsteiger würde lächeln darüber, für mich stellt der Hexatrek aber die ultimative Herausforderung dar. Wobei ich noch nicht ahne, dass mir ähnliche Schwierigkeiten am weiteren Weg bleiben.
Von den schwersten Stellen habe ich keine Bilder, da das Fotografieren für mich unmöglich war. Ich wollte durch nichts abgelenkt sein und machte in höchster Konzentration Schritt um Schritt.
Meine Dankbarkeit ist grenzenlos, diesen Abschnitt doch in Angriff genommen zu haben und dieser Dank gilt auch Sam und Matt, ohne die ich es nicht gewagt hätte. Auf einem teilweise mit Seilen gesicherten Steig geht es in Richtung Chamonix. Ich bewege mich ständig in etwa 2100 m Seehöhe.
In Chamonix besorge ich mir in einem der vielen Sportgeschäfte ein neues T-Shirt, Heringe für das Zelt und ersetze den Spritus-Kocher durch einen Gas-Kocher. Mit meiner schlechten Feinmotorik ist der Umgang damit leichter. Am Campingplatz in Le Houches repariere alles was kaputtgegangen ist und bereite ich mich auf die nächsten Etappen vor. Größere Ortschaften werde ich in den nächsten Tagen keine haben, deswegen muss ich mehr an Lebensmitteln tragen.
Mit Le Houches verbinde ich gute Erinnerungen. 2002 filmte ich die Radzwillinge auf ihrer Nonstop Tour von Graz auf den Mt.Blanc. Ich kreuzte auch den Weg, den wir damals beim Aufstieg auf den Mt.Blanc nahmen. Mit diesen Erinnerungen nehme ich die nächsten Kilometer in Angriff, die zum Teil zur Tour de Mt.Blanc gehören, die teilweise der gleiche Weg ist.
Schön langsam realisiere ich, was ich geleistet habe. Das Gehen bereitet mir viel Freude und jeden Morgen kann ich es kaum erwarten, wieder am Trail unterwegs zu sein. Mein Tagesablauf in den Alpen bekommt eine Routine. Diese Routinen helfen mir, nicht so stark mein Gehirn zu belasten. Im Moment fühle ich mich wohl und alles funktioniert.
Ich gewöhne mich zwar immer besser an die langen An- und Abstiege, allerdings verbessert sich meine Muskelschwäche kaum. Gehe ich in die Hocke, kann ich nicht aufstehen, ohne mich irgendwo aufzuziehen oder anzuhalten. Das schaut in Supermärkten komisch aus, kann ich aber nicht ändern. Dafür hat sich mein Atmen geändert, ich gerate nicht mehr bei jeder kleinsten Steigung außer Atem.
Ab jetzt geht es immer in Richtung Süden. Hin und wieder Schneefelder, auf denen ich besonders aufpassen muss. Das Gehen auf Schnee ist nach wie vor nur schwer möglich. Die Schwierigkeit am HexaTrek sind auch die oft von Steinen und Felsen übersäten Wege.
Achtsam jeden Schritt setzen, ist die Voraussetzung, daß kostet aber viel Konzentration und Energie. Ausblick in die Gegend erhalte ich nur, wenn ich stehen bleibe. Sonst muss mein Gehirn bei jedem Schritt bleiben. Es ist um vieles anstrengender, als jeder Camino bisher.
Die größten Bedenken hatte ich ja darin, wenn ich in schwierigem Gelände unterwegs bin, womöglich Doppelbilder zu bekommen. Deswegen möchte ich stabiler werden, was mir nicht nur am Berg, sondern in Zukunft auch in der Stadt und überhaupt helfen wird. Die Kunst ist es, mich an der Grenze zu bewegen und diese immer weiter hinaus zu schieben.
Am letzten Tag der Nordalpen gehe ich Nachmittags den Col du Galibier hoch. Der genaue Weg der GPS Daten ist nicht anzufinden, so gehe ich die ersten Kilometer die Straße hoch. Es ist ein eigenartiges Gefühl diesen Geschichtsträchtigen Berg zu Fuß zu erklimmen und nicht mit dem Rad. Diese Tage sind geprägt von der Tour de France, denn immer wieder quere ich bekannte Pässe, die ich großteils nur vom Fernsehen kenne.
Nach 5 Kilometern auf der Straße, wechsle ich auf den Bergpfad. Der weitere Aufstieg ist zäh. Ein kaum begangener und noch wenig sichtbarer Weg führt nach oben und oft geht es durch steiles Geröll, wo der Weg überhaupt nicht zu sehen ist. Mit dem Handy navigiere ich mich hier durch, wobei es oft kerzengerade den steilen Hang hoch geht. Den Pass erreiche ich hoch über dem Tunnel und der Straße und klettere vorsichtig über die steilen Schotterwände ab.
Das erste Gasthaus an der Straße hat geschlossen, so mache ich mich auf den Weg ins Tal, wo eine Herberge eingezeichnet ist. Aber auch die ist zu und sogar für immer geschlossen, so bleibt mir nur weiterzugehen in Richtung Col de Lauteret.
Mit dem Erreichen des Col du Lauteret habe ich die Nordalpen geschafft. Es ist schon 18 Uhr und ich treffe auf ein offenes Restaurant auf der Passhöhe. Ich genehmige mir ein Essen und suche dann in der Nähe einen Biwakplatz.
Am bisher kältesten Morgen am Hexatrek beginne ich die Südalpen. Der Col du Lauteret bildet die Grenze dazu, immerhin 2050 m hoch. Zuerst noch im Schatten, beginne ich mit der aufkommenden Sonne die Südalpen.
Mehr dazu im nächsten Blogbeitrag.
Die ersten 700 km des Hexatrek in Frankreich liegen hinter mir. Der erste Teil ist somit geschafft, mit den Vogesen und dem Jura.
Ich bin am Genfer See angelangt und jetzt warten die Alpen. Es ist sehr anstrengend und mir fehlt die Tastatur zum Schreiben, so gibt es nur einen kurzen Überblick.
Die Vogesen sind das Highlight bisher, denn mit soviel Kultur oder Burgruinen habe ich mich bisher noch nie auseinander gesetzt. Ich habe zwar ein Sparprogramm, doch es tut gut, mich doch mehr als gewohnt damit zu befassen. Auch die Habsburger mischten in dieser Gegend mit.
Es geht hier immer bergauf, bergab und meist vor der Sonne geschützt, im Wald. Ich biwakiere beinahe die meiste Zeit, was heißt, jederzeit genug Wasser für die Nacht dabei zu haben. Dementsprechend schwer ist der Rucksack, oft um die 10 kg oder mehr.
Nach den Vogesen folgt der Fluss Doubs. Der Regenwald Neuseelands kann kaum schöner sein.
Unglaublich viele Grün Schattierungen erfreuen das Auge und ist Heilung pur. Die Moose und Flechten hängen von den Bäumen und man fühlt sich in einem verzauberten Land.
Allerdings ist alles feucht und nass, besonders in der Früh. Die Auswahl des Zeltplatzes ist wichtig, hilft aber kaum gegen die Feuchtigkeit.
Das Jura ist am Anfang enttäuschend, denn es geht viel über die Straße. Geprägt ist es ausserdem von langen Strecken ohne Wasserstellen und Biwakieren, da viele Schutzhütten zu haben.
Ich entscheide mich für längeres Gehen und damit weniger Wasser zu tragen. Mindestens 3 Liter sind es trotzdem und das Rucksackgewicht erhöht sich so auf über 10 kg. So schwer habe ich seit dem Hirnabszess noch kaum getragen.
Mit ca. 1600 m erreiche ich meinen höchsten Punkt im Jura. Es gibt eine traumhafte Aussicht auf den Genfer See und die dahinter liegenden Alpen, mit dem Mt. Blanc.
Meine Schuhe sind hier bereits am Limit und vor den Alpen müssen neue her. Die Laufflächen sind bereits so dünn und beginnen sich abzulösen. Das erhöhte Gewicht macht sich auch hier bemerkbar und setzt mir und den Schuhen zu.
Die etwa 700 Kilometer von Wissenburg zum Genfer See lege ich in 23 Tagen zurück und ist eine gute Vorbereitung auf die Alpen. Die langen An- und Abstiege dort schrecken mich allerdings noch, es ist etwas anderes als Pilgern.
Mein Fazit vom ersten Teil ist sehr positiv, der zweite allerdings wird eine Herausforderung, wie ich sie schon lange nicht mehr hatte. Aber solche Bilder kreierte ich im Krankenhaus. Ich träumte davon, den Eiger Ultra Trail in den Schweizer Bergen zu laufen. Hier ist es ähnlich.
Wenn ich auf 1600 m Seehöhe, hoch über dem Genfer See stehe, dann kommen mir die Tränen, so etwas noch einmal erleben zu dürfen. 8 Jahre Rehabilitation, Training, Üben, Lernen und immer positiv bleiben, liegen hinter mir. Es ist der Lohn, nie aufgegeben zu haben.
Dieser Weg ist mir diesmal sehr wichtig, ob ich ihn schaffe, oder auch nicht. Denn in meinem Inneren und Äußeren habe ich mir damit etwas geschaffen, was am Anfang unmöglich schien, es zu erreichen.
Aus eigener Kraft, selbstbestimmt und ohne Begleitung aufs Klo gehen zu können, war mein erstes Ziel. Ich erreichte es nach vier Monaten. Ich war am Limit, ließ mir aber nichts anmerken.
Ein Arzt sagte mir bei meiner Entlassung aus dem Krankenhaus, "Wir können nichts mehr für sie tun, gehen sie heim". Allerdings hat mein Geist niemals aufgegeben und unmögliches möglich gemacht. Dafür bin ich besonders Harry Maier dankbar, mit dem ich schon in unserer gemeinsamen Radrennzeit durch eine außergewöhnliche Bewusstseins-Schulung gegangen bin. Dieses Wissen hat mir sehr geholfen, diese Talsohle zu durchschreiten.
Diese letzten acht Jahre, jeder einzelne Jakobsweg, das viele Gehen und Training für das Gehirn, ich möchte nichts davon missen. Manch einer mag mich für meine Obsession zu Gehen komisch anschauen, aber jeder Schritt war notwendig, um dorthin zu kommen, wo ich heute stehe.
Natürlich spüre ich die Halbseitenlähmung, den verlorenen Automatismus und die Muskelschwäche. Ich kann sie aber mittlerweile in mein Leben integrieren und gehe manche Sache eben anders an. Oft verstehe ich mich selbst nicht, wie ich in vielem neu funktioniere. Ich kann mich nur an das Sprichwort halten:
Es ist wie es ist, weil es IST und nicht, weil es gut ist!
Mein anderes Schicksal, ein Pflegefall zu werden, war nur eine hauchdünne Entscheidung von mir fern. Mein unbeugsamer Wille und die Entscheidung zu Leben, hielten mich davon ab, auf einen Rollstuhl angewiesen zu sein oder überhaupt Bettlägrig zu bleiben.
Schön langsam beginne ich wieder zu Leben! ❤️🍀🙏
Im nächsten Teil werde ich dann über die Alpen berichten! Bis dahin auf Facebook und neuerdings auch wieder auf Instagram.
Vor acht Jahren änderte sich mein Leben schlagartig. Ein Hirnabszess brchte mich an den Rand des Lebens. Plötzlich musste ich alles neu lernen. sprechen, denken, die Bewegung und vor allem, Gehen.
Die Rehabilitation war lang und oft mühsam. aber sie lehrte mich auch, das Leben und jede einzelne Bewegung zu schätzen.
Heute, viele Jahre später, beginnt für mich eine neue Herausforderung. Dieses Abenteuer bringt mich, im Idealfall, 3000 km durch die atemberaubenden Landschaften der Vogesen, der Alpen und Pyrenäen – der Hexatrek, durch Frankreich.
Dieser Weitwanderweg durch Frankreich wurde 2022 gegründet und ich möchte euch einen Einblick in meine Vorbereitung geben, von der Ausrüstung bis zur mentalen Einstellung. Das ist nicht nur eine Reise durch wunderschöne Landschaften, sondern auch ein wichtiger Teil meiner Rehabilitation und meiner persönlichen Entwicklung.
Die Entscheidung den Hexatrek zu wandern, kam mir über Nacht. Nach Jahren intensiver Therapie und vieler kleiner Fortschritte fühle ich mich bereit für ein neues Abenteuer.
Meine bisherigen Caminos und Wanderungen in den letzten Jahren hatten jede ihren eigenen Zweck, so auch diese. Ich leide unter bleibenden Behinderungen, die mein Nervensystem, mein Gleichgewicht und meine Merkfähigkeit beeinträchtigen. Ich versuche was geht, Verbesserungen zu erzielen.
Rehabilitation und Leben unter einen Hut zu bringen, stellt eine enorme Herausforderung dar. Präferiere ich eines, leidet darunter das Andere und ich gerate aus meiner Mitte, daher soll beides sein. Es ist ein langer Prozess, in dem ich langsam Vertrauen in meinen Körper zurückgewinne.
Seit meinem Hirnabszess hat sich mein Leben grundlegend verändert. Ich kann nicht mehr arbeiten, was für mich eine enorme Herausforderung darstellte. Ich musste lernen, dass die Arbeit, die ich ja gerne machte, nicht alles im Leben ist. In dieser schweren Zeit habe ich jedoch eine Leidenschaft entdeckt, die mir hilft, wieder Lebensmut zu fassen und die mir Sinn gibt: das Wandern, Pilgern und Weitwandern.
Der Hexatrek, ein wenig bekannter Weitwanderweg durch Frankreich, ist jetzt genau das Richtige. Er ist Herausforderung, aber auch eine Chance, meine Fortschritte unter Beweis zu stellen und weiter zu festigen.
Das Wandern hat mich auf eine Weise zurück ins Leben geführt, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Anfangs war es einfach ein Mittel, um gehen zu lernen, aus dem Haus zu kommen und meinen Körper zu bewegen. Es ist noch immer die beste Rehabilitation - Gehen als Therapie.
Doch bald merkte ich, dass das Wandern viel mehr ist, als nur eine körperliche Betätigung. Es wurde zu einer Therapie für die Seele und einer Möglichkeit, den Geist zu beruhigen und den Kopf freizubekommen.
Mit jedem Schritt den ich mache, fühle ich mich der Natur und mir selbst näher. Die sanften Hügel, die rauschenden Bäche und die weiten Felder – sie alle haben eine beruhigende Wirkung auf mich und therapieren meinen Körper.
Das alles erinnert mich daran, dass das Leben auch außerhalb meiner eigenen vier Wände weitergeht und dass es überall Schönheit und Freude zu finden und erleben gibt. Die Natur ist meine Medizin und mit jedem Weg finde ich mehr und mehr Vertrauen in mich.
Das Wandern bietet mir die Möglichkeit, mich wieder lebendig zu fühlen und das mit oder trotz Behinderung. Ich kann den Alltag hinter mir lassen und lebe im Moment. Diese Präsenz im Hier und Jetzt ist für mich von unschätzbarem Wert und kann ich in der Natur noch besser ausleben.
Noch habe ich Probleme damit, an die Vergangenheit oder in die Zukunft zu denken. Den Moment zu leben, ist für mich die einzige, aber auch die beste Möglichkeit.
Das Wandern rückt die innere Ruhe in den Vordergrund, die sich nur dann einstellt, wenn ich im Einklang mit mir selbst und meiner Umgebung bin. Durch den Hirnabszess habe ich gelernt, dass das Leben aus vielen kleinen Schritten besteht. Jeder einzelne mag unscheinbar erscheinen, doch in ihrer Gesamtheit ergeben sie einen Weg, der mich weiterbringt.
Manchmal ist es ein steiniger Pfad, manchmal eine sanfte Wiese – jeder Weg kann eine Metapher sein, für den eigenen Weg. Jeder Weg hat seine eigene Schönheit und seinen eigenen Wert. Das Wandern hat mir geholfen, wieder Vertrauen in mich selbst und in das Leben zu finden.
Wandern hat mir gezeigt, dass es immer einen Weg gibt, auch wenn er nicht immer geradeaus führt. Diese Erkenntnis gibt mir Kraft und Zuversicht, auch die Herausforderungen des Alltags zu meistern, so wie ich sie auf meinen Weitwanderwegen meisterte.
Eine so lange Wanderung erfordert eigentlich eine sorgfältige Planung, besonders mit meiner Vorgeschichte. Mein Gehirn lässt aber seit dem Hirnabszess kein detailliertes Planen mehr zu. Die Erfahrung aus den letzten Jahren lässt mich leichter damit umgehen.
Die Entscheidung, es zu versuchen, kam mir erst vor 14 Tagen. Die Hexatrek-App und ein paar YouTube-Videos, in denen Wanderer ihre Tipps und Erfahrungen teilen, haben mir geholfen, mich auf diesen Weg vorzubereiten.
Der Hexatrek ist kaum mit meinen bisherigen Wegen vergleichbar. Die oft große Höhenlage, Ausgesetztheit und das oftmalige Zelten machen es für mich unberechenbar, gleichzeitig aber auch interessant, wie mein Körper reagieren wird. Die optimale Ausrüstung wird eine wichtige Rolle spielen.
Die Wahl der richtigen Ausrüstung ist entscheidend. Ich achte darauf, dass meine Ausrüstung leicht und funktional ist, um meinen Körper nicht unnötig zu belasten. Es geht durch viele verschiedene Höhenlagen und Klimazonen, daher lege ich auf die Ausrüstung einen besonderen Augenmerk.
Das Basisgewicht beträgt 5 kg. Dazu kommen Nahrungsmittel und Wasser, die immer variieren.
Hier eine Liste der wichtigsten Gegenstände, die ich mitnehmen werde:
Zur Ausrüstungsliste auf lighterpack geht's hier.
Ein 3000 km langer Trek erfordert eine gute körperliche Verfassung. In den letzten Monaten, nach der Via de la Plata in Spanien, habe ich mein Training, bzw. meine Rehabilitation intensiviert. Regelmäßige Wanderungen und Gleichgewichtstraining haben meinen Körper auf die bevorstehenden Herausforderungen (hoffentlich) vorbereitet.
Seit meinem Hirnabszess und den folgenden Jahren der Rehabilitation habe ich unermüdlich daran gearbeitet, Kraft und Ausdauer aufzubauen. Allerdings mehr Ausdauer, denn durch die Muskelschwäche bin ich in der Kraft limitiert. Darum werden die vielen langen Anstiege eine Herausforderung.
Im therapeutischen Tanzen konnte ich, wie die Jahre zuvor, interessante neue Aspekte gewinnen, die mir auf diesem Weitwanderweg helfen werden. Ohne die Tanztherapie wäre ich nicht da, wo ich heute bin.
Es ermöglicht mir, mit diesem Leben immer besser zurechtzukommen und hat mir durch die Pandemie geholfen. Ich lernte unter anderem, mich, mit gestörter Tiefensensibilität und Nervensystem, besser zu bewegen. Keine andere Therapie konnte mir bisher so viel vermitteln.
Es ist mir eine Freude, mich im Tanz selbst wiederzuentdecken. Unter Anleitung meiner Therapeutin Hanna Treu, konnte ich in den letzten Jahren enorme Verbesserungen machen, die mir kaum wer zugetraut hätte. Diese neu gewonnene Selbstwahrnehmung hat mir eine Lebensqualität beschert, die ich so nicht erwartet habe.
Es bleibt ein tägliches Arbeiten an mir. Für den Hexatrek wird es besonders wichtig, mich zeitweise an das Tragen eines schweren Rucksacks zu gewöhnen, soweit es eben die Muskelschwäche zulässt. Das war die letzten Jahre noch nicht möglich. Ich werde allerdings wieder im Leicht- oder Ultraleicht Modus unterwegs sein, denn nur so ist es für mich möglich.
Der Hexatrek ist in sechs Abschnitte unterteilt. Diese führen durch verschiedene Landschaften Frankreichs:
Jeder Abschnitt hat seine eigenen landschaftlichen Highlights und Herausforderungen.
Neben der körperlichen Vorbereitung spielt die mentale Vorbereitung eine entscheidende Rolle für den Ausgang eines solchen Unternehmens. Ich habe zu lernen, mit meinen Ängsten umzugehen und Vertrauen in meine Fähigkeiten zu gewinnen. Meditation und Achtsamkeitstraining helfen mir, inneren Frieden und Klarheit zu finden.
Für mich ist das mentale Training genauso wichtig wie das physische, besonders angesichts meiner gesundheitlichen Herausforderungen. Vor kurzem habe ich auf einer Probetour getestet, wie ich mich an ausgesetzten Stellen verhalte. Es ging zum Lugauer, er war das ideale Testgelände dafür.
Vor zwei Jahren habe ich an dieser Stelle noch umgedreht. Die Ausgesetztheit verursachte damals noch Drehschwindel. Es war diesmal zwar noch ein Unbehagen dabei, aber ich meisterte die Stelle, rauf wie runter. So teste ich immer wieder, wie ich auf verschiedene Situationen reagiere.
Eine der größten mentalen Hürden ist das Aufbauen und Bewahren von Selbstvertrauen. Seit meinem Hirnabszess habe ich oft Zweifel an meinen Fähigkeiten und meiner Belastbarkeit.
Durch das Wandern habe ich jedoch gelernt, dass ich mehr erreichen kann, als ich oft glaube. Jeder erfolgreich gemeisterte Abschnitt stärkt mein Vertrauen in mich selbst.
Lange Wanderungen erfordern ein hohes Maß an Durchhaltevermögen. Es gibt Tage, an denen ich müde und erschöpft bin. In solchen Momenten ist es wichtig, die innere Stärke zu finden, um weiterzumachen.
Das Wandern hat mich gelehrt, dass es in Ordnung ist, Pausen einzulegen und sich Zeit zu nehmen, um wieder Kraft zu schöpfen. Diese Erkenntnis hilft mir auch im Alltag, Herausforderungen gelassener anzugehen und Rückschläge als Teil des Weges zu akzeptieren.
Eine Wanderung bietet die perfekte Gelegenheit, Achtsamkeit zu üben. Durch die ständige Bewegung in der Natur und das bewusste Erleben der Umgebung kann ich meine Gedanken beruhigen und mich auf den Moment konzentrieren.
Achtsamkeit hilft mir, Stress abzubauen und die Schönheit des Augenblicks zu genießen. Diese Praxis hat auch meine allgemeine Lebensqualität verbessert und mir geholfen, eine positive Einstellung zu bewahren.
Angesichts meiner gesundheitlichen Situation habe ich manchmal mit Ängsten und Unsicherheiten zu kämpfen. Das Wandern lehrt mich, diese Gefühle zu akzeptieren und ihnen nicht die Kontrolle zu überlassen.
Indem ich mich Schritt für Schritt vorwärts bewege, lerne ich, meine Ängste zu überwinden und mich auf das zu konzentrieren, was ich kontrollieren kann. Diese Fähigkeit überträgt sich auch auf andere Bereiche meines Lebens und gibt mir die Kraft, mich neuen Herausforderungen zu stellen.
Ängste treten vor allem in der Stadt auf und überall wo viele Menschen sind. Ich bin dann in einem Daueralarmzustand, aus dem ich kaum raus kann. Diese erhöhte Anspannung ist natürlich nicht gesund.
Ich möchte deshalb einerseits meinen Körper kontrollieren lernen, andererseits, das Gegenteil von Kontrolle, ist Vertrauen. Beim Gehen in der Natur kann ich beides üben und verbinden, Kontrolle und Vertrauen in mich finden. Die richtige Balance zwischen beidem zu finden, ist mir wichtig. Dann wirds auch in der Stadt für mich leichter.
Während des Wanderns finde ich eine innere Ruhe, die ich im Alltag oft vermisse. Die Natur bietet einen Rückzugsort, an dem mein Körper entspannen kann und das Nervensystem beruhigt.
Ich brauchte fast vier Jahre, bis mein Ruhepuls von 85 im Krankenhaus, auf knapp über 50 heute, gesunken ist. Das viele Gehen und Ausdauertraining hat dazu entscheidend beigetragen.
Der Hexatrek wird sicherlich eine der größten Herausforderungen der letzten Jahre und wird weitere wichtige und lohnende Erfahrungen beinhalten. Er wird mir Erfahrungen bringen, die mich im Leben erneut weiter voranbringen werden.
Abenteurer und Entdecker von mir selbst bin ich seit dem Hirnabszess geworden und dazu verhelfen mir meine Reisen und Pilgerwege. Mit der richtigen Vorbereitung und der notwendigen mentalen Stärke bin ich zuversichtlich, dass ich auch dieses Abenteuer erfolgreich meistern und eine Menge dazulernen werde.
Ich freue mich darauf, meine Erfahrungen und Erlebnisse mit euch zu teilen. Bleibt dran für Updates hier im Blog (abonnieren) und auf Facebook. Folgt mir auf diesem spannenden Weg, der wieder ein wichtiger Schritt für mich ins Leben ist.
Das Gehen gibt mir Freude und auf diese Art kann ich wieder zu mehr Kontakt zu meinen Mitmenschen kommen. Es wird nie mehr wie früher sein, aber wichtig ist, dass ich immer einen Sinn im Leben finde und Freude daran finde.
Abenteurer zu sein, begleitet mich schon mein ganzes Leben. Doch der Hirnabszess eröffnete mir eine neue Dimension, mit der Erkenntnis, im Abenteuer das Leben wieder neu zu entdecken, das Abenteuer der Selbstentdeckung.
Mein aktuelles Abenteuer besteht darin, mich selbst zu erforschen und verstehen zu lernen. Denn wenn das Gehirn plötzlich anders funktioniert als die 50 Jahre zuvor, habe ich selbst das Einfachste neu zu entdecken. Diese Reise führte mich zum Pilgern und Weitwandern, was mich zu meinem Ursprung brachte.
Die letzten sieben Jahre fühlten sich oft wie ein endloser Kampf an. Der Weg zur Heilung forderte meine gesamte Kraft und ich war oft am Limit. Es gab Tage, an denen ich nicht wusste, woher ich die Energie nehmen sollte, um weiterzumachen. Doch eines war mir immer klar: Ohne diesen unermüdlichen Einsatz wären die Folgen des Hirnabszesses weitaus gravierender gewesen.
Im Jahr 2017 riet mir eine Ärztin sogar, ich solle zurückschalten, meine Behinderung endlich akzeptieren, denn es wird nicht mehr besser werden, da die neurologischen Defizite zu groß seien. Doch ich weigerte mich, das zu tun.
Diese Worte trafen mich tief, aber sie entfachten ein Feuer in mir. Statt aufzugeben, entschied ich mich, weiterzukämpfen und das Beste aus meiner Situation zu machen, ganz getreu meinem Motto:
Manchmal liegt mein Fokus eben nicht auf vollständiger Heilung, sondern darauf, die Behinderung anzunehmen, mich anzupassen und so ein erfülltes, selbstbestimmtes Leben führen zu können. Die Förderung solcher Lebenskompetenzen ist nicht nur gesundheitsfördernd, sondern auch zutiefst heilend. Positive Erfahrungen und gut abgestimmte Maßnahmen sind dabei von entscheidender Bedeutung.
Nicht immer gelingt es mir, manchmal falle ich in eine Phase, wo mir scheinbar nichts gelingt. Dann durchschreite ich ein Tal, wobei ich mir nur bewusst sein muss, dass auf der anderen Seite wieder ein Weg herausführt.
Abenteuer, in all seinen Variationen, bekommt eine ganz neue Bedeutung. Der gezielte Einsatz solcher Erlebnisse, angepasst an den jeweiligen Menschen, kann heilende und gesundheitsfördernde Wirkungen haben.
Eines dieser Abenteuer sind meine oft wochenlangen Weitwanderungen oder Pilgerfahrten, es können aber auch Abenteuer bei mir zu Hause ums Eck sein. So taste ich mich in kleinsten Schritten vorwärts und bin stolz auf mich, wenn ich wieder etwas erreicht habe. Wobei mir immer wieder bewusst wird, der Weg ist das Ziel.
Solche, oft kleine Erfolge, passieren am Weg und es war mir letztens zum Beispiel nicht wichtig, Spanien von Süd nach Nord zu durchqueren. Nur 170 km vor diesem vermeintlichen Ziel, bog ich nach Finesterre ab. Hier wurde es mir so richtig bewusst, der Weg ist das Ziel, nicht ein Ort oder etwas für das Ego.
Eine innere Stimme flüstert mir oft: "Nimm die einfachste Variante!". Aber ich habe gelernt, dass ein freies Leben Disziplin, Aufmerksamkeit und Offenheit erfordert, was nicht immer die einfachste Variante beinhaltet. Meine Wanderungen zeigen mir, wie wahr Friedrich Nietzsches Worte sind: "Wer ein Warum zu ertragen hat, erträgt fast jedes Wie!". Dieser innere Antrieb treibt mich vorwärts, weil ich weiß, was hinter diesem Wie, mich näher zum Warum bringt. Das Wie brauche ich selten zu hinterfragen, kommt aber natürlich auch mal vor.
Das Leben hat das Potenzial, zutiefst sinnvoll zu sein, wenn man > nicht < den Weg des geringsten Widerstandes wählt. Die wahre Herausforderung liegt dann darin, aus meinen Erfahrungen einen Sinn zu ziehen. Denn Abenteuer mache ich für neue Erfahrungen und die sollen einen Sinn beinhalten.
Falle ich zu tief in Gewohnheiten, schränkt es mich in meiner Freiheit und Unabhängigkeit ein. Es ist ein Balanceakt, entlang dieses Grates zu gehen. Mein Gehirn funktioniert zwar leichter mit Gewohnheiten, aber nicht immer ist das gut.
Brauche ich all diesen vermeintlichen Luxus und Komfort? Nein, denn am glücklichsten fühle ich mich im Zelt, auch bei Regen, mit nur 5 kg im Rucksack. Dort habe ich alles, was ich wirklich brauche. Es überkommt mich oft eine tiefe, einfache Glückseligkeit. Es entsteht eine andere Bewusstheit, wenn man sich so reduziert. Durch diese Reduktion lässt es mich das wirklich wesentliche erkennen.
Wenn ich stundenlang durch die Natur gehe, erlebe ich viele Abenteuer, die mir das Wesentliche im Lebens lehrt. Denn Leben lernen, steht für mich in der Rangliste ganz oben. Die Natur spricht oft in Metaphern und lehrt mir Weisheiten, für die ich bereit bin, zuzuhören. Es ist eine Weisheit, die ich in der Stadt nie erfahren könnte.
Seit der Via de la Plata kann ich erstmals seit vielen Jahren, an meinen Haupttraumen arbeiten. Mit Beginn der Pandemie 2020, wurde meine Traumatherapie eingestellt.
Mit dem therapeutischen Tanzen wurden einige Themen bearbeitet. Einigen verweigerte ich mich aber. Seit meiner Rückkehr vom Camino habe ich die Kraft, mich diesen Themen zu widmen. Es bleibt mir nicht langweilig!
Nach 1.430 Kilometer habe ich meinen Camino über die Via de la Plata von Tarifa nach Santiago bis nach Finesterre abgeschlossen. Es fühlte sich für mich richtig an, nicht mehr in den Norden weiterzugehen, um Spanien von Süd nach Nord zu duchqueren, ich wollte den Weg in Finesterre enden lassen. Die Durchquerung ist mir nicht mehr wichtig gewesen, sondern nur was mir gut tut und was sich richtig anfühlt.
Die Via de la Plata ist für mich die anstrengendste aller großen Caminos in Spanien geworden. Sie ist der Inbegriff für Gehen, große Distanzen und so habe ich es auch erlebt. Für 6 -7 Stunden alles Wasser mithaben und die Verpflegung organisieren, macht den Rucksack dementsprechend schwer.
Das ich nach dem Hirnabszess überhaupt hier stehen und gehen konnte, dass habe ich vielen Menschen zu verdanken. Zunächst all die Menschen im Krankenhaus, von denen ich, bis auf wenige Ausnahmen, nicht einmal die Namen kenne. Eine ist meine damalige Ergotherapeutin Kerstin, sowie den Krankenschwestern und Pflegern auf der Neurologie Station. Weiters danke ich allen meinen Freunden, die mich von Anfang an unterstützten und besonders meiner Familie, die mir sehr viel ermöglichte, besonders in den letzten Jahren.
Dazu gehören auch die vielen PilgerInnen, die einen großen Anteil daran haben, denn mit jedem Pilgerweg konnte ich ein Stück mehr am Leben wieder teilnehmen.
Ohne all diese Menschen wäre ich heute nicht dort, wo ich jetzt bin. Wenn ich zurückblicke auf die vergangene Zeit der letzten acht Jahre, dann kommen mir in erster Linie solche Erinnerungen, die ich mit Menschen erlebt habe. Ich bin den Großteil meiner Zeit alleine unterwegs und verbringe die meiste Zeit meines Trainings alleine, trotzdem fallen mir immer Situationen als erstes ein, wo ich mit Menschen zu tun hatte. Jedem Einzelnen Danke dafür!
Die Via de la Plata wurde ein riesiges Dankeschön an alle meine Caminos bisher, die mir seit dem Hirnabszess das Leben wieder näher bringen. Jeder dieser Caminos ist ein kleiner Baustein in meiner Rehabilitation, wo ich keinen einzigen Tag vermissen möchte.
Der Camino und die Tanztherapie sind das, was meinen Körper und Geist wieder zusammen gebracht hat. Die beiden ergänzen sich so toll, dass ich nicht wüsste, was ich anderes oder noch dazu machen könnte.
Ab Sevilla beginnen die langen Geraden. Die erste Teilstrecke von Tarifa habe ich ja schon im vorangegangenen Blog (Die Via de la Plata, endlich wieder unterwegs!) beschrieben. Hier machen die oft großen Abstände zwischen den Ortschaften und Herbergen sie zu einer besonderen Herausforderung.
Kaum Wasserstellen und lange Distanzen konnte ich ein wenig damit umgehen, dass ich bereits Mitte Februar startete. Das kältere Wetter erleichtert einiges, gegenüber im späteren Frühjahr oder gar im Sommer. In der Hochebene war es gleich kühler, als zuvor am Meer.
Es nicht wie am Camino Frances, wo es alle fünf bis zehn Kilometer eine Bar oder Wasserstellen gibt. Immer wieder muss man sich für sechs, sieben Gehstunden oder länger, selbst vorsorgen, Wasser und Verpflegung. Selbst im Winter trägt man oft drei bis vier Liter Flüssigkeit mit sich.
Es ist ein Gehen mit sich selbst. Man wird auf sich selbst zurückgeworfen, was ein oft meditatives Gehen wird. Dadurch wurde es für mich auch ein großes Dankeschön für die letzten Jahre. Am Camino habe ich wieder Gehen gelernt und konnte mich Jahr für Jahr immer mehr in kleinen Schritten ans Leben gewöhnen, wie ich es zu Hause nie machen hätte können.
Außerdem hatte ich auf diesen langen Geraden genug Zeit zum Reflektieren, was in den letzten Jahren geschehen ist. Es tut gut, wenn man weiß, wo man herkommt und nichts für selbstverständlich hält. Die verlorene Automatik macht das Gehen auch nach acht Jahren noch schwer, aber ich lernte immer besser damit umzugehen.
Der Tag war bis auf den Anfang verregnet, daher war ich im Nachhinein froh, an einem Tag von Salamanca nach Zamora zu gehen, denn die vielen Flussdurchquerungen sind bei noch höherem Wasserstand noch viel unangenehmer oder müssen umgangen werden. Es gibt meistens keine erhöhten Steine zum Darüber kommen. Viele Pilger ziehen jedes Mal die Schuhe aus, wenn sie zu einer Wasserfurt kommen. Ich mit meinen Turnschuhen ging einfach hindurch, denn nasse Füße hatte ich durch den Regen ja sowieso schon.
Gefühlt trockneten sie bis zur nächsten Furt, wo alles von vorne begann. Es waren bestimmt zehn an der Zahl, die tiefer waren. Vormittags kam ich an einem richtigen Fluss vorbei, der noch ein Rinnsal und eigentlich einfach zu bewältigen war. Die Pilger am nächsten Tag standen vor einem einen Meter höheren Fluss und mussten einen großen Umweg über die Straße machen, wie mir Fotos zeigten.
Bereits im Finsteren unterwegs, begann es zu Hageln und kurz darauf zu Schneien. Durch Schlamm, Überflutungen und die Nacht suchte ich meinen Weg nach Zamora. Um halb zehn Uhr Abends erreichte ich mein Hotel. Ich buchte es von Unterwegs aus über Booking.com, und normalerweise ist die Lage darin genau angegeben. Ich kopierte die Adresse in Google Maps und ließ mich vom Handy hinführen.
Am angegeben Punkt stand ich aber auf einer mehrspurigen Straße im Nichts. Dort kam ich drauf, dass nur die Straße angegeben war und die leider am verkehrten Ende. Wäre ich normal auf geraden Weg direkt zum Hotel gegangen, hätte ich mir mehrere Kilometer Umweg erspart.
Am Ende des Tages standen dann 75 Kilometer zu Buche, was geschlossenen Herbergen, überteuerten Hotels und dem Umweg am Schluss geschuldet war. An der ersten und einzigen offenen Herberge nach über 30 Kilometer bin ich vorrüber gegangen, was im Nachhinein ein Fehler war.
Die folgenden Tage waren eigentlich wie in der Meseta, die ich vom Camino France kannte. Nur leicht auf und ab, meistens lange Geraden. Unterwegs traf ich auf den 71-jährigen Amerikaner Marlin, der mit 67 Jahren den Appalachen Trail gegangen ist. Zum ersten Mal konnte ich mit jemanden sprechen, der diesen Weg selbst gegangen ist und bin nicht auf Berichte im Internet angewiesen. Es wurden interessante Gespräche.
Zusammen mit Sema aus der Schweiz, bildete sich eine kleine Gruppe, die oft zusammen blieb und die zwei höheren Berge an der Grenze zu Galizien in Angriff nahm. Auf den Höhen von 1400 m lag Schnee und besonders der zweite Berg war eine Herausforderung. Der in den letzten Tagen gefallene Schnee knickte viele Bäume um und der Weg war oft ein Bachbett, unter dem Schnee.
In diesem Wirrwarr kletterten wir nach oben, mit nassen Schuhen und teilweise im Regen. Wir waren jetzt in Galizien und mit jedem Meter auf der anderen Seite bergab, wurde es grüner und wärmer.
Für diesen Weg verwendete ich die Hoka Speedgoat 5 Goretex. Im Nachhinein war es nicht die richtige Wahl, aber die Passform ist trotzdem einmalig. Das Prolem war, dass ich in relativ großer Tageshitze im Süden gestartet bin und in den Winter gegangen bin. Mit so einer Wärme am Anfang habe ich nicht gerechnet und dafür war Goretex nicht geeignet. Erst nach 1000 Kilometer kam ich in die Schneebedeckten Berge, da war allerdings das Goretex bereits kaputt und undicht.
Die ersten Risse bekamen die Schuhe bereits nach 400 Kilometer, die in Folge immer größer wurden. Der Weg war gerade am Anfang sehr anspruchsvoll für das Material und der Verschleiss begann früh. Mit Klebeflicken für ein Zelt und Superkleber versuchte ich die Risse klein zu halten, bzw. das Auseinanderreissen zu verhindern.
Sie waren zwar nicht mehr wasserdicht, aber ich konnte noch bis zum Schluss gut darin gehen. Auch die Sohle hat gut gehalten, immerhin hatte der Schuh am Schluss rund 1500 km drauf.
Im großen und ganzen konnte ich zufrieden sein, trotzdem habe ich eine Menge dazugelernt. Die lange Unterhose hätte ich mir sparen können oder in Kombination mit einer dünneren Wanderhose. Meine Karpos Hose war an vielen Tagen ein bisschen zu warm und da werde ich mir für die Zukunft noch was überlegen.
Den Decathlon Anorak tauschte ich auf dem Hinweg in Malaga noch aus. Im dortigen Shop war ein Angebot des mit Daunen gefüllten. Der große Vorteil ist das Packmaß und das Gewicht, bei etwa gleicher Wärmeleistung, gegenüber der Kunststoff Füllung. Bei 370 zu 290 gramm und um nur € 50,- brauchte ich nicht lange überlegen. Da ich den Anorak oft nur am Abend brauchte und den Rest des Tages im Rucksack verstaute, brachte mir die Daune einen großen Vorteil.
Die Wrightsocks Socken sind zwar hervorragend zum Tragen, aber sie verschleissen doch recht schnell. Das eine Paar, welches ich mit hatte, war nach 500 Kilometer kaputt. Als zweites Paar hatte ich Darn Tough mit, die ja eine lebenslange Garantie bieten. Sie bewährten sich gut, später abwechselnd mit einem Paar doppellagiger Socken von Decathlon, die ich unterwegs erstand.
Zwei extraleichte Leibchen von Salomon, eines um die 90 gramm, erleichterten das Wäsche trocknen. Im Winter sind die Herbergen nachts kalt und trocknen ist oft unmöglich. Nicht so diese leichten, denn ich habe sie oft gewaschen und sie waren bis zum nächsten Tag trocken.
Mit dem Rucksack, dem Ultimate Direction 30, war ich sehr zufrieden, da ich so immer Reserven hatte, um mehr Wasser oder Verpflegung tragen zu können. Manchmal wünschte ich mir allerdings den kleineren 20 Liter, der auch gereicht hätte, wenn ich den kleineren Schlafsack genommen hätte. Die vielen kleinen Taschen vorne sind optimal, um während des Gehens zu Essen. Besonders im Nassen ist das ein Vorteil, weil es kaum Sitzgelegenheiten gab oder auch nur, den Rucksack trocken hinzustellen.
In Verwendung hatte ich den Sea to Summit Spark II Schlafsack, mit 500 gramm. Wahrscheinlich hätte auch der Spark I gereicht, nur 350 gramm schwer. Für die Übernachtung im Freien hätte ich eben mehr Bekleidung anhaben müssen. Für die Herbergen wäre der leichtere voll ausreichend gewesen.
Bei Rucksack, Schlafsack und noch einigen anderen Dingen, hätte ich bis zu 750 gramm einsparen können. Das werde ich auf jeden Fall in Zukunft stärker beachten. Im Zweifelsfall gehe ich halt doch mehr auf Sicherheit, da ich oft nicht weiß, wie mein Körper reagiert.
Hier meine Ausrüstungsliste auf lighterpack:
https://lighterpack.com/r/57nlxb
Ein Pilgerfreund, Kai aus Deutschland, riet mir, auf den Pico de Sacro zu steigen. Ein neben dem Weg liegender Berg, den nur wenige besuchen, der aber sehr Energiereich ist. Als Besonderheit ist er am Gipfel gespalten und sieht aus, wie zwei Gehirnhälften. Für mich also noch besonderer.
Schon in der Früh, noch im Finsteren, verlassen Marlin und ich die Herberge. Nur einige Kilometer bergan, stehen wir bald am Gipfel. Die Sonne beginnt gerade aufzugehen und taucht die Umgebung in ein besonderes Licht. Ich mache Fotos und setze mich hin, um zu meditieren. Langsam kommt die Sonne hervor und ich spüre eine Wärme, wie nie zuvor auf meinem Gesicht. Von der Stirn, über die Wangen und weiter nach unter, spüre ich eine Wärme und Energie, die einzigartig ist.
Ich fühle mich angekommen, angekommen in mir und im Leben. Ab hier bekommt mein Leben eine neue Bedeutung.
Die letzten 8 Jahre der Therapie habe ich am Pico de Sacro abgeschlossen. Es mag zwar noch einiges fehlen, aber ich bin froh darüber, wie es sich entwickelt. Der Camino lehrte mich, wieder ein Selbstbestimmtes Leben führen zu können. Die Tanztherapie gab mir Werkzeuge, mit denen ich mich wieder Bewegen lernte, löste viel im geistigen Bereich und half mir, mich wieder zurechtzufinden.
Zeit, Raum und Menschen bekamen eine neue Bedeutung, die ich langsam in mein Leben integrieren lerne. Ich wurde ein Abenteurer und Entdecker, der das Leben neu (er-)finden muss. Das wichtigste wurde es, Gelegenheiten selbst zu erzeugen und auf nichts zu warten. Ich kann behaupten, keinen einzigen Tag seit dem Hirnabszess vergeudet zu haben und wenn es auch oft am Limit ist, ich LEBE jeden einzelnen Tag und fülle ihn mit Geschichten.
Manches gelingt noch immer nicht. Gerade jetzt wo ich schreibe, fehlen mir Wörter, um es beschreiben zu können. Aber ich versuche es, egal was dabei herauskommt. So ist es mit vielen Dingen.
Noch sind es 15 Kilometer bis nach Santiago de Compostela. Es ist ein teilweiser ruhiger, in mich gekehrter Weg. 1.274 km werden mir im Pilgeroffice für meinen Weg bestätigt, weitere wertvolle Kilometer ins Leben. Am Platz vor der Kathedrale setze ich mich hin und es gehen im Eilzugstempo verschiedenste Stationen dieser vergangenen acht Jahre in Gedanken vorüber.
Den Entschluss, nicht mehr in den Norden zu gehen, habe ich am Pico de Sacro gefällt. Die Durchquerung Spaniens von Süd nach Nord hätte nur meinem Ego geschmeichelt, ich bin aber für etwas anderes da und das habe ich auf dem letzten Berg vor Santiago gefunden. Diese ersten Sonnenstrahlen auf meiner Stirn werde ich nicht so schnell vergessen.
Zu Mittag erreiche ich mit Marlin Santiago und entschließe mich, einen Ruhetag hier zu verbringen. Mit Marlin war ich erstmals etwa zehn Tage zusammen unterwegs, was ich bisher noch kaum mit jemanden geschafft habe. Bisher war ich zumindest untertags alleine. Auch unter dem Gehen mich mit jemanden zu unterhalten, das war in dieser Menge neu für mich. So konnte ich gleichzeitiges Gehen und Sprechen üben, was immer noch eine Herausforderung für mich ist.
Danke Marlin, für die oft sehr interessanten Gespräche und auch für die Möglichkeit, mit dir meine Aufnahmefähigkeit zu üben.
Da in Santiago die Osterfeiern im Gange waren, entschloss ich mich, weiter nach Muxia und Finesterre zu gehen. Inzwischen war auch Sema aus der Schweiz in Santiago angelangt und so trafen wir uns auf dem Weg nach Muxia. Es war nass und regnete immer wieder und ein sturmartiger Wind machte das Gehen schwer. Trotzdem ist es immer wieder ein Genuss, den Weg hier abzuschließen und am Schluss in Finesterre am Kap zu stehen.
Am Ende der Welt, was es ja vor hunderten Jahren war, dreht man um und beginnt ein neues Leben. Man sagt ja, das Leben beginnt erst nach dem Camino. Wie wahr!
Mit dieser Reise hat meine Rehabilitation nach dem Hirnabszess eine neue Stufe erreicht. Nach acht Jahren Training, Üben und das Leben lernen, habe ich auf irgendeine Art meinen Frieden gefunden und mich selbst. Es wird sich äußerlich nicht allzu viel ändern, sicher aber meine Einstellung zu manchem.
Ich habe es schon am Weg gemerkt, dass ich kaum mehr ans reparieren oder therapieren denke und lockerer Gehen und Aufnehmen kann. Besser gesagt, ich kann einfacher Leben, ohne mich durch die Behinderungen gestört zu fühlen. Damit wird das Leben einfacher, wenngleich die Rehabilitation noch immer dazugehört.
Kaum wieder zu Hause, fehlt mir das unbekümmerte Gehen am Camino. Zu viele Pflichten und Erledigungen machen es schwer, zu Hause anzukommen. Ich denke darüber nach, Vorträge zu halten oder mein Buch zu schreiben, allerdings bleibt es beim Versuch, darüber zu denken. Noch komme ich nicht damit weiter.
Viel lieber denke ich über einen nächsten Weg nach, wo ich mich mit meinen Defiziten besser aufgehoben fühle und das Leben noch mehr genießen kann. Wohin wird mich das Leben führen, ich kann es nicht sagen. Ich lebe im Jetzt und kann nicht über die Zukunft nachdenken oder mir zu viele Gedanken darüber machen. Es endet am Schluss ja doch im "Nicht denken können".
Daher gehe ich in der Natur spazieren, wo mir ständig die Jakobsmuschel über den Weg läuft und mich an die Via de la Plata erinnert. Ich bin noch immer beim Aufarbeiten, was ich unterwegs lernte und was ich in mein Leben integrieren werde.
Schlussendlich fülle ich mein Leben mit immer mehr Geschichten. Geschichten, die mein Leben bereichen und wieder lebenswert machen.
Für "Menschen im Porträt", habe ich erstmals voriges Jahr ein Interview gegeben, wo ich über die Zeit nach dem Hirnabszess spreche. Dieses ist seit kurzem online. In einem nächsten Blogbeitrag werde ich über das Interview berichten, meinen Beweggrund, warum ich es getan habe und darüber schreiben, wie es mir heute geht.
Hier gehts zum Interview:
Buen Camino und Ultreia (Guten Weg und immer vorwärts)
Meine Durchquerung von Großbritannien ist Wirklichkeit geworden. Mit dem Erreichen von Lands End und mit dem südlichsten Punkt, Point Lizard, habe ich den JOGLE und die Nord/Süd Durchquerung von Großbritannien abgeschlossen.
Warum es diesen geografischen Unterschied überhaupt gibt, hat sich mir bis heute nicht erschlossen und ich habe auch bis heute vergessen, danach zu fragen. Liegen die beiden jeweiligen Punkte, im Norden, wie im Süden, doch nicht so weit auseinander.
Mit dem Erreichen von Lands End durfte ich wieder eine tolle Erfahrung hinter mich bringen, die mir viele neue Erkenntnisse in Bezug auf mein Funktionieren nach dem Hirnabszess brachte und das mir zeigte, dass das Lernen immer weiter geht.
Den Weg mochte ich zuerst mehr unter Rehabilitation einordnen, als unter "wieder Leben lernen". Wobei im Nachhinein gesehen, auch das nicht zu kurz gekommen ist und ich wesentliche Dinge auch geistiger Natur lernen durfte. Solche Weitwanderwege sind ganzheitlich zu verstehen.
Das Schlechtwetter verlässt mich auch diese letzten Tagen nicht. Stürmisch und regnerisch bleibt es, aber es kommt an manchen Tagen doch immer wieder kurz die Sonne heraus. Meine Fotos zeigen deswegen fast immer Sonnenschein, weil ich im Regen nicht immer das Handy zücke, um zu fotografieren.
Das Kaputt werden meines alten Handys, mit der guten Kamera, macht mich vorsichtig. Noch einmal ein neues zu kaufen, kann ich mir finanziell nicht leisten, aber gerade im Regen wird es nass und gleitet mir somit noch leichter aus den Händen. Daher heißt es, aufpassen. Ich habe überhaupt ein sehr geringes Budget, das macht diese Reise für mich sowieso schon besonders.
Wildnis und Wildheit wird mir auf diesen letzten 400 km am SWCP besonders gut vermittelt, aber auch, wie ich sie in meiner Rehabilitation einsetzen kann. Denn Wildnis erdet, etwas, was ich seit dem Hirnabszess brauche. Wildnis möchte auch keine Begrenzungen und sie zeigt mir immer wieder, mit meinen eigenen Begrenzungen umgehen zu lernen. Denn Begrenzungen erlebe ich oft genug aufgrund meiner Handicaps. Damit umzugehen, ist oft nicht so leicht. Sie sind von Außen nicht für jeden ersichtlich und das macht es für mich noch schwieriger.
Die Wildnis zeigt mir auch, wie ich authentisch leben und mit meinen Ängsten umgehen kann, welche Risiken ich eingehen möchte und welchen Selbstschutz ich brauche. Somit ist die Wildnis meine Therapeutin, die mir das Leben lehrt, wie kaum etwas zuvor. Genau das brauche ich jetzt, genauso, wie die Wildheit. Sie erinnert uns daran, wie wir instinktiver und im Einklang mit der Natur lebten.
...um überhaupt leben zu können. Es brachte mich die letzten Jahre immer mehr ins Leben hinein und war eine Voraussetzung, um das alles hier überhaupt erleben zu können. Meine Selbstwahrnehmung steigerte sich, ebenso wie die Wahrnehmung im Außen.
Jede einzelne absolvierte Stunde der letzten Jahre war ein Baustein und so immens wichtig, ich kann es gar nicht oft genug betonen. Das Bewegen im Tanz brachte mir so viele Erfahrungen und Erkenntnisse und ich bin meiner Therapeutin Hanna Treu so sehr dankbar für alles, was sie in den letzten Jahren für mich getan hat.
Genauso dankbar bin ich auch für die Tatsache, meine Rehabilitation in die eigenen Hände genommen zu haben und meinem Instinkt zu folgen, was mir guttut. Der Kontakt mit den Kräften und Energien der wilden Natur hilft mir, besser zentriert zu sein und wieder ins Gleichgewicht zu kommen, meiner Intuition zu vertrauen und diese auch zulassen.
Wildnis und Wildheit spürte ich schon früher, aber der Verstand ließ vieles nicht zu. Ich gehe heute einen Weg, der sich für mich richtig und stimmig anfühlt. Das bekomme ich immer wieder bestätigt, allerdings habe ich die letzten Jahre diese Wildheit in mir wieder zulassen lernen müssen. Sie ist meine Freundin, die mich wieder ins Leben bringt, denn am meisten spüre ich mich selbst, wenn ich mich der Wildnis aussetze.
Auf diesem Weg langen Weg durch England stellte ich mich vielen Mustern und Ängsten, konnte vieles bearbeiten und manches lösen. Es hat mich wieder einen Schritt nach vorne gebracht. Diese Wildheit durch Großbritannien und besonders entlang des Ozean am SWCP, spürte ich besonders gut, wobei es wichtig ist, Wildnis für sich zu definieren.
Wildnis hat für mich mit Freiheit zu tun. Wobei es mir wichtig ist, die innerer Freiheit zu leben. Nämlich dann, wenn ich Begrenzungen erfahre, im Innern wie im Außen, die ich mir ja oft selbst unbewusst auferlege.
Diese letzten Tage dieser Reise sind immer wieder ein Versuch, Resümee über diese zwei Monate am JOGLE zu ziehen. "Du bekommst, was du brauchst, nicht was du möchtest!", dieser Spruch vom Jakobsweg hat auch hier Gültigkeit. Meine Frage ist manchmal, WARUM brauche ich über vierzig Regentage und all die anderen Herausforderungen?
Darüber denke ich in diesen letzten Tagen nach und kann es gar nicht glauben, dass es bald vorbei ist. Allerdings nicht ganz vorbei, denn ich möchte ja noch nach Poole gehen, dem Ende des South West Coast Path. Davor heißt es aber die letzten Kilometer überstehen, die Konzentration aufrecht zu halten. Die haben es nämlich noch einmal in sich.
Mein vorletzter Tag beginnt in Portreath. Regen und Sturm Peitschen vom Meer kommend ans Land und machen es mir nicht leicht. Es geht Ausgesetzt am Meer entlang, mit so einem starken Gegenwind, dass ich kaum vorwärtskomme. Es gibt kaum Hecken, hinter denen ich vom Wind geschützt gehen kann und immer wieder Regen, der mir waagrecht entgegen kommt, mit starkem Sturm.
Eine Weile gehe ich zwischen Dünen entlang und dann wieder direkt am Strand. Ich kann zwischen steilen Hügeln im tiefen Sand oder am flachen Strand, mit stürmischem Gegenwind entscheiden. Beides ist gleich schwierig und nach Stunden diesen Elementen ausgesetzt, wechsle ich auf die im Land gelegene Straße, denn neben dem Meer wird es mir zu gefährlich.
Die Windböen kommen zum Glück vom Meer, so werde ich immer nach links, gegen die steile Böschung gedrückt. Rechts geht es genauso steil nach unten, wo das Meer wartet. Es wird mir zu gefährlich auf den schmalen Steigen weiterzugehen und ich schlage mich irgendwie in die Richtung zur Straße durch. Wobei auch diese nicht ungefährlich ist.
Schmal, rechts und links, mit hohen Hecken, kein Seitenstreifen für Fußgänger, viele Kurven und Verkehr. Immer wieder wechsle ich die Straßenseite, da ich den Gegenverkehr nicht einsehen kann. Nach vier Kilometer erreiche ich den Stadtrand von Hayle und beim ersten Gehsteig kann ich Durch- und Aufatmen.
Das erste Pub am Weg nutze ich zum Frühstücken. Obwohl ich damit mein Budget überschreite, bestelle ich mir ein ordentliches, bestehend aus Omelett, Speck, Würstchen und Bohnen. Dieses Unwetter zehrt an meinen Kräften und ich muss aufpassen, nicht in ein kalorisches Defizit zu laufen. Besonders auf genug Eiweiß muss ich achten und genug zu mir zu nehmen. Wegen der Muskelschwäche dürfen Defizite erst gar nicht aufkommen.
Nach Hayle beginnt wieder einmal die Sonne zu scheinen und ich genieße die warmen Strahlen. Unterwegs trockne ich mein Zelt und alles andere, was feucht ist, lege es in die Wiese, in die für ein paar Minuten heiße Sonne. Ein Kaffee ist schnell zubereitet und in der Sonne liegend raste ich.
Nach einer halben Stunde ist die Sonne wieder weg und bei den ersten Regentropfen packe ich schnell alles ein. Bei Bewölkung nähere ich mich auf schönen Pfaden St. Ives. Die Zeichen des Camino Ingles erlebe ich bei Sonne, um St. Ives wieder im Regen zu erleben. Es ist eine der teuersten Gegenden von Cornwall. Schon seit Wochen sind alle Quartiere hier ausgebucht, so auch das einzige Hostel in der Gegend. Mir ist daher klar, dass ich hier nur durchgehe und mich nur versorge.
In der Stadt beschränke ich mich auf eine Dose Baked Beans. Diese esse ich, vom Regen geschützt, unter einer Markise vor einem Geschäft, in der belebten Fußgängerzone. Am Boden sitzend, schaue ich aus wie ein Obdachloser, denn der viele Regen und das Zelten der letzten Tage hat Spuren hinterlassen. Es ist aber egal ist, denn Essen, Einkaufen und danach möglichst schnell wieder auf den Trail, was anderes zählt für mich nicht. Mein Ziel ist es, noch möglichst weit in Richtung Lands End zu kommen, denn nur dann dann kann ich es morgen erreichen.
In einem Outdoorladen ergänze ich meine Vorräte mit Flipjacks, von denen jeder fast 400 Kalorien hat und mit speziellen Mint Riegeln, die schon Edmund Hillary auf seinem Gipfelgang zum Everest dabeihatte. Die Firma hat ihren Sitz in Kendal, nicht weit vom Weg, wo ich vor ein paar Wochen vorbeigekommen bin.
Es ist schon später Nachmittag und ich möchte noch einige Kilometer in Richtung Lands End zurücklegen. Allerdings sind diese Kilometer nach St.Ives bei diesem Wetter besonders schwierig. Als wollte mich dieses Land vor dem Ende nochmals prüfen, führt ein schmaler Steig entlang des Meeres, gespickt mit großen Steinblöcken, durch die ich durch und drüber klettern muss. Dazu gibt es immer wieder Regenschauer. Die Wildheit nimmt wieder zu.
Ich brauche oft die Hände, um mich hochzuziehen oder abzustützen. Mit dem Rucksack ist es ein immenser Aufwand, die Balance zu halten. Nur langsam komme ich weiter, denn ständig muss jeder Schritt hochkonzentriert gesetzt werden. Ein Fehltritt hätte fatale Folgen, inmitten dieses Steinfeldes. Gegen sechs Uhr Abend überhole ich zwei junge Wanderinnen, mit riesigen Rucksäcken. Ich kann mir gar nicht vorstellen, so etwas auf meinen Rücken zu schnallen, geschweige denn, über diesen Trail zu tragen.
Da ich nicht vom Trail weg ins Hinterland gehen möchte, um einen Zeltplatz zu finden, bleibt Wildcampen die einzige Möglichkeit. Allerdings findet sich kein einziges, halbwegs ebenes Stück Wiese und ich sehe mich schon irgendwo zwischen Steinen sitzend, biwakieren. Seit dem Start am Nachmittag in diesen Abschnitt sind schon Stunden vergangen und die Sonne geht bald unter.
Da führt der Trail für kurze Zeit an einer Steinmauer entlang, bis an ein Gatter, mit einem schmalen Wiesenstück davor. Unbequem, aber zur rechten Zeit, denn bis zur Dunkelheit ist es nicht mehr weit. Der Blick hinter das Gatter verheißt ein mehr ebene Fläche, allerdings bin ich mir nicht sicher, ob es nicht irgendwo Kühe gibt.
Es ist alles ruhig und so baue ich schnell das Zelt dahinter auf, richte mich und alles andere her. Es ist viel ebener. Meine Füße sind vom vielen Regen verschrumpelt und alles ist nass und schmutzig. Diese letzte Nacht vor Lands End hält mich noch auf Trab. Kein Gedanke daran, dass morgen mein großer Tag ist, keine Gedanken an die vergangenen zwei Monate, kein Resümee ziehen oder nachdenken an das, was bisher war. Ich bin so fest in der Gegenwart verankert und darf nicht nachlässig werden oder die Konzentration beenden. Meine über die letzten zwei Monate erlangten Routinen und das Jetzt sind wichtiger, als über Vergangenes zu sinnieren.
Diese zwei Monate waren so lebensbejahend, wie auch das Gefühl, mit der Natur zu verschmelzen, wenn ich der Kraft der Naturelemente begegne und das Gefühl habe, genau hierher zu gehören. In solchen Momenten wird mir bewusst, was Heilung ist. Es ist nicht das völlige Verschwinden von Krankheit, es hat mehr mit einem Inneren Heil werden zu tun. Werde ich Innen Heil, kann auch das Außen folgen.
Mit einem satten, vollen und Erdverbundenen Gefühl, blicke ich weit übers Meer, vor mir die steil abfallenden Klippen, an die das Wasser tief unter mir an die Felsen schlägt. Ich bin einfach nur glücklich, hier zu stehen.
Nach einer Regenreichen Nacht wache ich im Morgengrauen auf, zum Glück ohne Regen. Als erstes wische ich die Zeltinnenseite mit meinem kleinen Wetex-Tuch ab. Die Kondensation war stark diese Nacht, wie so oft. Um beim Herrichten im Zelt nicht nass zu werden, wische ich es vor dem Aufstehen immer ab. Ich packe alles im Zelt fertig, erst dann stehe ich auf, denn das Zelt kommt als letzer dran.
Wie ich die Plane öffne, schaue ich in die mich fixierenden Augen einer stehenden Kuh, etwa 100 Meter entfernt. Weiter dahinter kommen andere, mit ihren Kälber, alle auf mich zutrottend. Schnell werfe ich den Rucksack über den Zaun, ziehe die Heringe aus dem Boden, werfe das Zelt über das Gatter und springe hinterher. Auf eine Konfrontation mit Ihnen möchte ich mich nicht einlassen, der letzte Schreck liegt mir noch in den Knochen und liegt noch nicht so lange zurück und diesmal sind auch Kälber dabei.
Es regnet zwar nicht, aber die Gräser sind voll mit nassen Tropfen der Nacht und der Trail ist glitschig. Auf meiner Wander-App ist nicht erkennbar, wo das einfachere Gelände vor Lands End beginnt. Nach zwei Stunden Kraxelei durch dieses nasse Wirrwarr komme ich zu ersten Ruinen, wo ein idealer Zeltplatz gelegen wäre. Leider bin ich gestern nicht mehr so weit gekommen.
Ab jetzt ist Bergbaugebiet, in dem früher Zinn und Kupfer abgebaut wurde, teilweise schon im 18. Jahrhundert. Eindrucksvolle Zeugnisse vergangener Epochen. Es tauchen vereinzelt Spaziergänger auf, also kann es nicht mehr weit bis in die "Zvilisation" sein. Es ist immer wieder ein eigenartiges Gefühl, dort aufzutauchen, diesmal sogar mit dem Gefühl, England durchquert zu haben.
Noch ein bißchen Auf und Ab, dann bin ich da. Allerdings stellt sich kein Gefühl der Freude oder das Glücklichsein über die Durchquerung bei mir ein. Im Gegenteil, ich bin überfordert mit Lands End und eigentlich enttäuscht. Es erwartet mich ein kleines Disneyland, viele Menschen und eine endlos lange Schlange, vor dem Schild von Lands End. Das ist zuviel für mich, da macht mein Gehirn nicht mehr mit. Mickey Mouse und Konsorten laden ein und alles geht zu, wie am Rummelplatz.
Ich bin so von der Rolle, dass mir fast keine Bilder gelingen. Diesen Trubel habe ich nicht erwartet und schneller als gedacht, gehe ich weg von dort. Mein Ankommen ist zugleich ein Weitergehen. In einem nahen Campingplatz entschließe ich mich dazu, am nächsten Tag, noch ganz in der Früh, noch einmal das Schild zu besuchen. Damit habe ich also den JOGLE beendet.
Jetzt fehlt nur noch der südlichste Punkt, in Point Lizard gelegen, den ich nach einigen weiteren Tagen erreiche. Es ist ein nebeliger Tag, mit kaum Aussicht. Ich gehe bis ans Meer, wo ich die durch ganz Grobritannien gesammelte Federn und einen Stein ins Meer werfe. Die Federn Symbolisieren Leichtigkeit, eine Leichtigkeit im Leben, aber auch eine Leichtigkeit des Körpers, an der ich seit 2016, wie ich aus dem Krankenhaus gekommen bin, arbeite.
Damals war alles schwer, besonders die Bewegung. Das Heben eines Armes war schwer, die Beine beim Gehen und erst mit dem Beginn des therapeutischen Tanzen im Jahr 2019, brachte von Jahr zu Jahr mehr Leichtigkeit in mein Leben.
Mit dem JOGLE habe ich mein bisheriges Meisterstück vollbracht, was allerdings nicht heißt, dass ich die vollendete Leichtigkeit erreicht habe. Da sind wir wieder beim Heil werden, noch fehlt trotzdem viel.
Die Heilwerdung schreitet voran, ungeachtet der noch vorhandenen Defizite. Die 2.000 km durch England habe mich wieder weitergebracht. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass ich nicht damit aufhören darf, mich zu bewegen. Ein einmal erreichtes Plateau bleibt mir nicht erhalten, zu schnell geht es wieder in die andere Richtung, wenn ich mich weniger bewege. Deshalb ist Dranbleiben so wichtig.
Solange ich durch Gehen mein körperliches Befinden besser erhalten kann, werde ich gehen. Das werde ich machen, solange ich kann oder motiviert dazu bin. Das ist die wohl wichtigste Erkenntnis von diesem Weg.
Zum Abschluss möchte ich mich bei allen bedanken, die mich auf dem Weg unterstützt haben. Ohne Euch wäre es anders abgelaufen. 😉 DANKE
Mein letzter großer Teilabschnitt des JOGLE steht bevor. Ich entscheide mich für den Weg an der Küste, mit dem South West Coast Path am Ende. So lerne ich auf meiner Mission JOGLE beinahe alle großen Weitwanderwege Englands kennen.
Zum South West Coast Path habe ich eine besondere Beziehung aufgebaut, da er schon seit Jahren in meinem Geiste herumschwebt, mir aber immer zu schwer war. Nicht umsonst gilt er als einer der schwersten Weitwanderwege in Europa. Eigentlich hatte ich ihn zuerst alleine ins Auge gefasst und erst danach die England-Durchquerung für mich entdeckt.
Die letzten zwei Wochen habe ich mich gut erholt, allerdings nicht meine Geldtasche. Ich merke, dass die Ferienzeit in England beginnt, denn alle Quartiere sind preislich merklich gestiegen. Hostels, die noch im Mai 15 - 20 Pfund verlangten, wollen plötzlich das doppelte und mehr, nur für ein Bett im Schlafraum, wohlgemerkt.
Ein Hotel oder eine Pension unter 100 Euro zu finden, wird fast unmöglich. Wenn ich etwas finde, ist es zu Fuß meist zu weit abseits vom Trail oder ausgebucht, so bleibt mir meist nur das Zelt.
Frühmorgens gehe ich los und finde natürlich kein offenes Café. Ich habe schon damit gerechnet, denn so früh hat hier kaum was offen. Die meisten sperren erst ab 10 Uhr auf. Ich möchte aber am liebsten in zwei Tagen in Minehead sein, wo sich der offizielle Start des South West Coast Path befindet, daher mein früher Aufbruch.
Um Strom für das Handy zu sparen, möchte ich den Samarither Weg gehen, der an für sich gekennzeichnet ist und ich daher nicht so oft das Handy zum Navigieren brauche. Allerdings wird der Weg anscheinend wenig begangen, denn die Wege sind schlecht, führen durch hohe Wiesen mit Brennesseln und sind nicht gepflegt.
Es sind oft öffentliche "Footpath Wege", die meist über privates Land führen. Schon auf den ersten Kilometern vergehe ich mich einige Male, weil die Wegweiser zugewachsen oder gar nicht vorhanden sind. Dann stehe ich mitten im Nirgendwo und muss mich in die richtige Richtung selbst durchkämpfen. Also wieder nichts mit Dahinspazieren, ohne nachdenken zu müssen.
An einem Gatter gehe ich durch, um nach einem Hügel eine Rinderherde zu bemerken. Ich habe noch etwa hundert Meter bis zum nächsten Gatter, da bemerkt mich die erste Kuh. Aufschauen und losrennen passiert in einem Augenblick, aber nicht nur sie, auch die anderen dreißig Kühe laufen augenblicklich los. Es wird einem zwar geraten stehenzubleiben, aber wenn dreißig Kühe hinter dir losstürmen, dass der Boden wackelt, habe selbst ich kein Vertrauen mehr darauf, dass sie ebenfalls stehenbleiben, wenn ich es tue.
Es wird mein längster Sprint seit sieben Jahren. Wenige Meter vor dem für mich "lebensrettenden" Gatter, ist die erste Kuh noch etwa zwanzig Meter hinter mir. Da sehe ich, dass der Riegel für mich, mit meiner schlechten Feinmotorik, zu langsam zu öffnen ist. Also entscheide ich mich fürs raufklettern und auf der anderen Seite hinunterspringen. Das Gatter ist allerdings höher als normal, nämlich rund 2 Meter und damit noch mehr ein Hindernis.
Ich springe gleich auf eine obere Sprosse, klettere höher und werfe mich auf die andere Seite hinunter. Nach unten sind es rund eineinhalb Meter, zu viel für mich, um eine Landung auf zwei Beinen zu überstehen. Irgendwie schaffe ich es, mich mit Rucksack in der Wiese abzurollen und liege dann wie erschlagen da, hinter mir das Gatter mit schnaubenden, mit den Hufen am Boden scharrenden Kühen. Wäre es mit Vertrauen leichter abgegangen? Ich weiß es nicht und muss mich erst einmal erholen.
Ab diesem Erlebnis gehe ich erst einmal auf der Straße weiter, verzichte auf "Footpath" Wege, bis ich bei Bridgwater an den Meeresarm gelange. Zum Übernachten klettere ich am Abend über ein Gatter, auf eine Weide neben der Straße. Dort finde ich eine ebene Flächen für das Zelt, nicht ohne mich vorher zu vergewissern, dass ich alleine bin und die Weide nicht von Kühen besetzt ist. Von den Farmern wird das allgemein toleriert, wenn man nichts zurück lässt und sich entsprechend verhaltet.
Starker Wind erschwert mir das Vorwärtskommen. Dazu regnet es immer wieder und die schmalen Pfade kommen mir nicht entgegen. Wegen dem Gleichgewicht gehe ich eher breitbeinig und so wanke ich oft von links nach rechts, als wäre ich betrunken. Seit Beginn in Schottland, erarbeite ich mir jeden Meter, ein einfaches Dahingehen ist einfach nicht möglich.
In der Ferne tauchen riesige, alleinstehende Gebäude neben dem Meer auf, die sich als Atomkraftwerk entpuppen. Es steht direkt am Meer und muss von uns Wanderern umgangen werden. Dabei merkt man erst die eigentliche Größe, denn für den Umweg brauche ich fünf Kilometer, immer entlang eines stark gesicherten Zaunes. Das sind immerhin etwa eine Stunde Gehzeit, immer das Kernkraftwerk neben sich.
Irgendwie habe ich ein mulmiges Gefühl, wie ich daran vorbeigehe und bin froh, als ich vorüber bin. Von weitem sehe ich es noch lange, wenn ich zurückblicke. Bilder von Demonstranten vor einem Atomkraftwerk kommen mir in Gedanken. So allein und abseits stehend, inmitten von grasenden Kühen, hat es etwas befremdliches, verstörendes an sich.
Kurz vor Minehead übernachte ich und am nächsten Vormittag gehe ich in die Stadt. Die vielen Menschen erschlagen mich. Es wimmelt nur so an jeder Ecke von Touristen und mehrere Vergnügungsparks machen Lärm. Überall befinden sich Spielsaloons für Kinder und Geschäfte für Souveniers. Es ist so ein Trubel, der mich nach so langer Zeit in der Natur verstört und ich bin ein wenig enttäuscht, dass an einem solch geschäftigen Ort der "berühmte" South West Coast Path beginnt.
Noch schnell in einem Laden einkaufen, denn die nächsten Tage weiß ich nicht, was mich erwartet. Für zwei Tage möchte ich immer mit Essen grundversorgt sein. Das heißt, genug Energieriegel, Brot und Fertignudeln.
Nach diesem letzten Einkauf gehe ich weiter ans Ortsende. Plötzlich treffe ich auf die Jakobsmuschel und Hinweise auf den Jakobsweg. Sie werde ich immer wieder treffen und mir kommt die Idee, danach mit der Fähre nach Spanien zu fahren und den Camino Ingles nach Santiago zu gehen. Mit dem Blick auf den Preis für die Fähre, verwerfe ich aber diesen Plan.
Dann das Schild, wo der South West Coast Path beginnt. Während dem Fotografieren sehe ich in der Nähe eine alte Dame am Gehsteig stürzen. Sie fällt so unglücklich auf das Gesicht, dass ihre Lippe aufplatzt und sie Schürfwunden im Gesicht und an den Händen erleidet. Sie ist geschockt und kommt kaum hoch. Ich setze mich zu ihr und wir reden beruhigend, so kann sie sich ein wenig erfangen. Bekannte warten 15 Gehminuten entfernt, so helfe ich ihr auf, bis sie kommen und sie setzt sich in ihr Auto, welches nicht weit entfernt parkt.
Ich mache meine Fotos fertig, immer mit einem Blick auf die Dame, bis ihre Bekannten kommen. Für mich beginnt nach dieser Aufregung der letzte große Abschnitt, der berühmte South West Coast Path.
Rund 1400 km liegen hinter mir und etwa 500 km bis Lands End und Point Lizzard, vor mir. Da ich niemals die Kilometer zähle, weiß ich es gar nicht genau. Gleich der erste Anstieg zeigt mir, was mich hier erwartet. Steil geht es lange durch einen Wald bergauf und ich spüre den überladenen Rucksack. Immer wieder einsetzender Regen erschwert alles. Das kann ja heiter werden.
Seit dem West Highländer Way in Schottland habe ich täglich Regenwetter und wie es ausschaut, wird sich das in nächster Zeit nicht ändern. Kurze Regenpausen, manchmal auch mit ein wenig Sonne, erleichtern alles, bevor es gleich wieder zu schütten beginnt.
Mein Empfinden ist es, seit dem Start des JOGLE, jeden Meter hoch konzentriert gehen zu müssen. Das bleibt auch auf diesem Abschnitt so. Der Regen, die steilen An- und Abstiege und praktisch kein Stück zum Erholen, machen erneut eine Konzentration nötig, wie ich sie auf noch keinem Weg auf diese Art erlebt habe.
Oft schnaufe ich durch, weil das Gehirn eine Pause braucht, oft mehr noch als der Körper. Dieser Weg ist seit Wochen eine einzige Übung im Hier und Jetzt zu sein und im gegenwärtigen Augenblick zu leben. Damit komme ich auch mir immer näher.
Denn du findest dich selbst, indem du in die Gegenwart kommst und das bietet hier jeder Augenblick. Schön langsam fügt sich eins zum Anderen, die tausenden Kilometer der letzten Jahre waren nicht umsonst und ich werde weitergehen, bis ich wieder ganz bei mir bin.
Es weht ein starker Gegenwind, der sich immer wieder zum Sturm mausert. Da ist nichts mit, Fuß heben und er fällt alleine nach vorne. Nein, jeder Schritt muss aktiv nach vorne gesetzt werden und wenn ich nicht aufpasse, weht der starke Wind den Fuß zurück und ich treffe beim Auftreten nicht die gedachte Stelle. Stolpern ist oft unvermeidlich, aber daher ist meine Aufmerksamkeit auch größer.
Dazu kommen die schmalen Steige, in welche die Gräser hineinhängen und die Füße bei jedem Schritt bedecken. Deswegen kann ich oft meine Füße nicht sehen und stolpere dahin. Nebenbei streife ich beim Gehen das an den Halmen gesammelte Wasser ab, was mir fortwährend nasse Schuhe und Socken beschert.
Dazu die vielen Höhenmeter, denn es geht in einem auf und ab. Die Steige sind so steil, dass mit Brettern die Stufen befestigt sind. Allerdings für mich oft Kniehoch, was den Aufwand steigen lässt. Kleine Leute werden hier ihre Schwierigkeiten haben, wenn ich mich schon schwertue.
So viele Stufen bin ich in seit dem Hirnabszess nicht mehr gestiegen. Bilder von zu Hause, vom Schlossberg, kommen mir in den Sinn. Dort lernte ich Stufensteigen. Am Anfang meiner Rehabilitation dachte ich nur daran, ich muss wieder Kraft aufbauen. Ich erhoffte mir eine Verbesserung der Kraft, dass sich aber schließlich als Muskelschwäche herausstellte. Dazu gesellte sich die gestörte Propriozeption, die nichts mit der Kraft zu tun hat und wo ich erst lernen musste, damit umzugehen.
Die Nervenverbindungen sind nachhaltig gestört, trotzdem habe ich mich seither enorm weiter entwickelt, aber eben im Rahmen mit der Muskelschwäche und der verloren gegangenen Propriozeption. Vom Bett aufstehen erforderte anfangs eine Höchstleistung. Heute geschieht es noch immer nicht leicht, aber ich empfinde es als nicht mehr als so anstrengend und so ist es in vielem. Die Möglichkeit 50 Kilometer gehen zu können, hilft mir im täglichen Leben zu Hause länger durchhalten.
Das viele Gehen ist im weitesten Sinne auch eine Flucht. Ich fliehe vor einer Starre und der Angst, mich nicht bewegen zu können. Daher vermeide ich alles, was diese Situation auslösen könnte und spüre schnell, wenn etwas passiert, was mich erstarren lässt. Gehe ich ein paar Tage nicht, falle ich sofort zurück und das möchte ich verhindern. Denn was damals dafür notwendig war, möchte ich nicht nochmals erleben.
Gerade das Gehen ist ein guter Parameter dafür, denn dann merke ich sofort, wenn etwas nicht stimmt. Durch die Hochsensibilität sind meine Sensoren so fein, dass ich mich nicht belügen kann. Zu spüren und anzunehmen, was ist, sowie für mich das Beste zu tun, ist ein Lernprozess, der bis heute anhält.
Für mich ist es wichtig, ohne Ziele genauso glücklich zu sein. Klar habe ich den JOGLE als Ziel, jedoch mache ich mein Glück nicht davon abhängig, ob ich es erreiche oder nicht. Nur wenige Tage vor dem Beginn des SWCP, fühlte ich mich so glücklich und gut drauf, dass ich nach Hause fahren hätte können. Mein Glück hing nicht davon ab, ihn zu beenden oder nicht, so wie alle Wege die ich bisher bestritt.
Mein Weg darf niemals ein Kampf sein oder mich in ein Ziel gar zu verbeißen. Natürlich ist der JOGLE das bisher schwierigste Unternehmen, welches ich seit dem Hirnabszess mache, aber ich denke in anderen Dimensionen. Es geht mir nicht um das Prestige oder damit ich sagen kann, ich habe England durchquert. Jeden Schritt mache ich für mich und mein Leben, welchem ich damit einen Sinn gebe.
In den letzten Jahren hat sich immer mehr gezeigt, wie sehr mir der Aufenthalt in der Natur guttut. Die ersten Jahre war ich noch bemüht, mich auch wieder in der Stadt zurechtzufinden. Das ging nur schleppend und langsam dahin und in der Pandemie verschlechterte es sich sogar. Bis ich mich entschied, vorrangig in der Natur zu bleiben und mithilfe der Natur Verbesserung zu erwirken.
Deshalb tut es so gut, England, praktisch bis auf wenige Ausnahmen, in der Natur zu durchqueren. An größeren Städten besuchte ich nur Inverness, Glasgow, Bristol, Penzance und Exiter, wo ich Ruhepausen einlegte.
Meine Highlights sind die kleinen Fischerdörfer am Weg. Oft, aber nicht immer, bekomme ich hier meinen Kaffee und kann das Telefon und die Powerbank aufladen. Dann bleibe ich bei meiner Tasse eineinhalb Stunden sitzen oder zumindest so lange, bis ich wieder genug Strom bis zum nächsten Tag habe.
Es ist meistens meine einzige Pause am Tag, denn der Sturm und Regen verhindert es, mich unterwegs wo hinzusetzen. Es gibt keine Unterstände am Weg und alles ist nass. Die wenigen kurzen Sonnenpausen nutze ich, um das Zelt zu trocknen.
Die Dörfer bestehen aus Steinhäusern, mit oft liebevoll angelegten Gärten davor. Zumindest am Anfang stellte ich mir so typische Dörfer an der Küste vor. Je näher ich Lands End komme, umso touristischer wird jedes Dorf und die Menschenmenge wird immer größer. St. Ives ist eine der teuersten Städte und Gegenden und alles ist ausgebucht.
Der totale Kontrast zu den bisherigen Fischerdörfern auf der Westseite. Hier scheint sogar für ein paar Stunden die Sonne, in denen ich auf das Jakobswegzeichen und die Muschel stoße.
Mir ist der Sturm gar nicht so bewusst, denn ich erlebe ihn zwar jeden Tag, aber was soll ich anderes machen. Für mich ist es jeden Tag ein Suchen, bis ich einen Schlafplatz finde. Hinter den Hecken, geschützt vom Wind, geht es einigermaßen, aber das muss ich erst einmal finden.
Über steile Stufen geht es eine Klippe nach der anderen rauf und runter. Da dauert es oft lange, bis ich einen Platz fürs Zelt finde. Ungut ist es, am Morgen, wenn es regnet, das Zelt abzubauen und einzupacken. Dann brauche ich später eine Regenpause, am besten mit Sonne, um das Zelt unterwegs trocknen zu bekommen. Es gibt kaum was Unangenehmeres, als am Abend das nasse Zelt aufzubauen und hineinzuschlüpfen. Oft bleibt mir nichts anderes übrig. Dann passe ich auf, dass der Schlafsack nicht den Boden berührt, damit er ja nicht feucht wird. Ich esse noch etwas und versuche dann einzuschlafen.
An Abenden mit Regen lasse ich das Kochen meist sein und verpflege mich kalt, mit allem, was ich habe. Ein Stück Brot, dazu Käse und manchmal ein Stück Salami. Ist am späteren Tag noch ein Kaufhaus am Weg und konnte ich mich dazu aufraffen mehr zu tragen, kam eine Avocado dazu. Man wird sehr genügsam, denn in den gesamten drei Monaten habe ich nur ein paar Mal Butter gegessen, es ist jedes Mal ein Highlight.
Überhaupt bekommt mit Fortdauer der Tour Fett und Zucker eine immer wichtigere Stelle in meiner Ernährung ein. Für genug Protein habe ich mir unterwegs Kapseln besorgt und ich kaufe mir Mozzarella, wenn ich ihn bekomme. Da er recht schwer ist, ist er nach ein paar Metern aufgegessen.
Manchmal koche ich am Nachmittag in einer Regenpause und erspare mir dann das Essen machen am Abend. Da es oft kalt ist, besonders wenn die Sonne untergeht, bin ich froh darüber, dass ich mich in meinen Schlafsack legen kann und nichts mehr machen muss.
Eigentlich dachte ich ja, am South West Coast Path auf mehr Menschen zu treffen, an meiner Kommunikation arbeiten zu können und mich mit mehr Menschen zu unterhalten. Durch das schlechte Wetter bin ich aber praktisch alleine und finde kaum jemanden zum Reden. Seit dem Beginn in Schottland, habe ich mit vielleicht 20 Personen richtig geredet. Die Bedienung im Pub oder der Supermarktkasse zähle ich nicht dazu.
Auf dieser JOGLE Reise bekommt das Alleinsein eine besondere Bedeutung. Aufgrund der Gegebenheiten entscheide ich mich dazu, dieses Alleinsein zu nützen. Ich fühlte mich nie einsam, sondern sehe es als eine gute Möglichkeit, Vertrauen zu bilden, um das Selbstvertrauen zu stärken. Nur wenn ich zu mir Vertrauen habe, sind andere eine Quelle der Freude, nicht der Angst oder Sorge. Diese Tage sind unheimlich lehrreich für mich und bringen mich wieder ein Stück weiter.
Diese Abgeschiedenheit gibt mir Raum für Heilung. Es ist das erste Jahr, dass ich solche Dinge wie Alleinsein verstehen und begreifen kann und was es für mich bedeutet. Ich sehe mich selbst und kann mich erstmals selbst bewerten, ohne auf andere angewiesen zu sein. Innere Konflikte kann ich in einer Gesamtheit sehen und erkennen, wie nie zuvor. Das macht Heilung aus.
In der rauen Natur neben dem Ozean, täglich den Elementen der Natur ausgesetzt, führe ich ein Leben, wie ich es möchte. Täglich geht es um nichts anderes, als das Leben selbst. Auf meine Intuition zu hören und ihr zu vertrauen, das erlebe ich speziell auf den wilden einsamen Wegen, über die Klippen.
Es sind oft mehrere Stunden, bis ich wieder in ein Dorf komme. In unserer Zeit ein Luxus, den viele gar nicht mehr kennen. Tagelang gehe ich nur Einkaufen und verschwinde dann sofort wieder in die Natur. Das, was ich hier lernen kann, habe ich nicht erwartet.
Das geht aber nur, wenn man mit sich allein sein möchte. Dabei lerne ich meine eigenen Grenzen, Bedürfnisse und Sehnsüchte kennen. Gedanken, die ich in dieser Form seit dem Hirnabszess noch kaum hatte. Langsam, aber doch, macht auch mein Gehirn Fortschritte und darüber bin ich froh.
Was die Natur für mich bisher getan hat, ist unbeschreiblich. Seit ich mich auf die Natur immer tiefer einlasse, erlebe ich die Schätze der Natur immer besser und was sie für mich tut. Wäre ich nicht vor fünf Jahren zum Jakobsweg aufgebrochen, hätte ich diese Art der Heilung so nie kennengelernt. Wenn ich daran denke, wie viele Menschen in Einrichtungen verkommen und gar nie die Chance haben, sich erneut so kennenzulernen.
In Portread übernachte ich in einem der seltenen Hostels. Die Besitzerin sperrt mit Ende des Jahres zu und geht in Pension. Ich bin mit einer Familie der einzige Gast, obwohl es ausgebucht war. Alle anderen haben wegen dem Wetter storniert, dadurch habe ich einen Platz bekommen. Viele Hostels liegen meist zu weit abseits vom Weg, um hinzugehen.
Platz wäre in diesen Tagen sicher des Öfteren, weil wegen dem Wetter viele absagen. Da ich aber nie weiß, wie weit ich gehe, kommt Vorreservieren für mich nicht infrage und das Zelt den Vorzug. Da fühle ich mich besser geerdet und bin der Natur noch näher.
Mit der Wirtin unterhalte ich mich lange über Gott und die Welt und sie gibt mir noch einen Tipp, wo ich Seehunde sehen kann. Zum Glück, denn ich wäre daran vorbeigegangen und hätte die Seehunde als Steine am Strand erkannt. Vögel, wie Möwen und Meisen, bringen trotz dem Wetter eine Abwechslung und es ist manches Krafttier darunter.
Unter all dem ist es mein Abenteuer, wieder einfaches zu finden und zu entdecken. Meine Gedanken drehen sich darum, was wieder möglich wird, nicht was ich bisher erreicht habe. Ich erkenne, dass das möglich wird, was ich möglich mache. Zum Beispiel fühle ich, trotz der Anstrengung, öfter keinen Schwindel mehr, wenn ich mich nieder bücke. In erster Linie, weil ich zu mir selbst stehe und das mache, was ich wirklich möchte. Jetzt zu Hause, wo ich das niederschreibe, muss ich wieder aufpassen beim Aufstehen und verspüre wieder mehr Schwindel.
Vor dem Hirnabszess habe ich zu lange Dinge gemacht, die ich nicht wollte und die mir nicht gutgetan haben. Schwindel spüre ich jetzt in Städten stärker, weil es mir nicht guttut. Da ich hier fast ausschließlich in der Natur unterwegs bin, kommt mir das sehr entgegen. Schwindel hat viel mit verdrängten Themen zu tun, die man beiseite schiebt. So arbeite ich mich Schritt für Schritt voran, am Weg, wie auch mit mir.
Am schönsten ist es allerdings, hier derart in der Gegenwart zu leben, Tag für Tag. Anders wäre es für mich nicht möglich, weiterzukommen.
Den Abschluss bis zum Ende in Lands End und Point Lizzard, beschreibe ich dann das nächste Mal, mit einem Resümee, was mich der Weg durch England lehrte.
Zwischen meinem letzten Blog und heute liegen 800 Kilometer, randvoll mit Erlebnissen und Ereignissen. Meine Mission JOGLE wurde dem Namen gerecht, es wurde eine Mission. Mittlerweile liegen1.350 Kilometer hinter mir.
Ich habe Bristol erreicht, nach Wochen voller Regen und etwas Sonnenschein dazwischen. Es waren Hindernisse wie der knappe Strom und tagelang im Zelt unterwegs, weshalb ich lange keine Möglichkeit zum Schreiben fand. Darum erst jetzt eine Zusammenfassung der letzten Wochen.
Der mich schon am West Highländer Weg ereilende Regen sollte mich weiterhin begleiten. Bei Sonnenschein gehe ich aus Glasgow hinaus. Dabei fällt mir ein Logo am Boden auf, dass auf die kommende Rad WM hier hinweist.
Diese Tage sind wie eine Überstellungsetappe, bevor es wieder mit gekennzeichneten Wegen weitergeht. Unterwegs treffe ich auf Simon aus England, der wie ich, den Nord-Süd Weg geht. Er ist einen Tag vor mir gestartet, allerdings auf oft anderer Strecke, deswegen haben wir uns noch nie getroffen. Während er diesmal das Hotel vorzieht, gehe ich noch weiter.
Ich schaue nicht auf Kilometer und schlage mein Lager auf, wenn mir danach ist. Diesmal wird es immer weiter, weil ich keinen geeigneten Lagerplatz finde. Spät erst entdecke ich im Wald einen ebenen Platz.
Am nächsten Morgen wache ich früh auf und gehe los. Es wird ein Weg angezeigt, wo keiner ist. Ich brauche lange, um mich zurechtfinden. Das Ergebnis sind eine Kuhherde, die mir ein mulmiges Gefühl verursacht, hohes Gras, drei Zäune zum Überspringen und durchnässte Füße. Das Abenteuer hat mich viel Zeit und Kraft gekostet.
Im nächsten Dorf frühstücke ich ausgiebig an einem Take Away Imbissladen, die einzige Möglichkeit im Umkreis vieler Kilometer. Aufgrund des regnerischen Wetters entschließe ich mich, den restlichen Tag einem Radweg zu folgen. Über einen Berg komme ich in ein Paralelltal nach Moffart, wo ich ein Bett in einem Hostel bekomme. Trotz Problemen mit meiner Bankomatkarte nimmt mich der Inhaber auf, im Vertrauen, dass ich irgenwie bezahlen werde.
Es wird mein mit Abstand bestes Hostel am Weg, von der Sauberkeit, bis zur Ausstattung und auch der Freundlichkeit des Besitzers. Da auch der darauffolgende Tag regnerisch bleibt, bleibe ich der Straße treu und verzichte auf abseits gelegene Wege, um mich keiner weiteren Expedition mehr auszusetzen.
Ans Zelten habe ich mich eigentlich gewöhnt, aber noch nicht ans Zelten im Regen. Meine gestörte Propriozeption macht es ungemütlich, weil ich mich kaum bewegen kann, ohne nass zu werden. Bei einem einwandigen Zelt darf ich nicht an die Zeltwand stoßen, da sonst das Kondenswasser herunter perlt.
Es ist mir aber nicht möglich, alles unter Kontrolle zu halten. Ich habe damit zu tun, in den Schlafsack zu kommen. Dabei darauf zu achten, nirgends anzustoßen, ist mir unmöglich und so geht es mir mit vielem.
Alles ist dann feucht und nass, meist aufgrund meiner Ungeschicklichkeit. Gerade in Sachen Feinmotorik und Multi-Tasking habe ich noch eine Menge zu lernen. Dieser Weg fordert mich täglich, es gibt kaum eine Verschnaufpause.
In Caleile plane ich meine weitere Route. Ich möchte gerne die Hadriens Wall sehen und das geht einher mit dem Pennine Way, dem ich nachher folgen kann. Dafür verzichte ich auf den Lake District.
Zunächst geht es 35 Kilometer entlang der Hadrians Wall. Auf einer mehrtägigen Wanderung führt dieser Weg von der Westküste an die Ostküste der Insel (oder umgekehrt), immer entlang der Reste dieser alten Steinmauer. Die Mauer diente als Schutz gegen das Eindringen der Schotten nach England, das die Römer damals besetzten. Bestimmt auch eine tolle Wanderung, mit viel Kultur.
Auf diesen ersten Kilometern bekomme ich einen guten Eindruck über die Mauer und biege dann rechts ab, auf den Pennine Way. Diesen Weg in kurzen Worten beschrieben:
Wild, enorme weiten, Hochmoore, Regen, Einsamkeit.
Über mehrere Tage geht es auf schmalen Pfaden, nur unterbrochen von ausgelegten Steinen, über die Hochmoore, Gipfel und lange, gerade Pfade. Extremer Gegenwind erschwert das Vorwärtskommen, oft muss ich mich mit aller Kraft gegen den Wind stemmen. Zum ersten Mal durfte ich erfahren, warum die meisten die Süd-Nord Variante für die England Durchquerung wählten, den LEJOG, denn dabei hat man in der Regel Rückenwind, im Gegensatz zum JOGLE.
Schön langsam zeigen meine Schuhe Auflösungserscheinungen und ein junger Engländer gibt mir den Tipp, online neue zu bestellen und mir die Schuhe in ein Hostel schicken zu lassen. Wenn ich heute noch bestelle, sind sie in vier Tagen im nächsten Hostel am Weg. Zum Glück habe ich das dann nicht gemacht, denn am nächsten Tag am Abend war ich bereits in diesem Hostel.
Für diesen Weg hatte er vier Tage eingeplant. Kein Wunder bei dem Gewicht was die meisten und so auch er, hier tragen. Obwohl er auf einige Leichtsachen umgestiegen ist, hat er noch immer viel zu viel mit. Einen neuen leichten Rucksack hat er sich in dieses Hostel schicken lassen, aber selbst dieser Rest war noch viel zu schwer. Alleine sein Zelt würde die Hälfte des Platzes in meinem Rucksack benötigen. Als er mein Zelt sieht, möchte er es gar nicht glauben, dass es ein Zelt ist.
Mit seinen bisher bis zu 17 kg am Rücken, ist das Gehen in diesem Gelände eben sehr schwierig. Dabei fühlt sich mein Rucksack schon schwer an, der Basis 5 kg und vollbeladen etwa 8 - 9 Kilogramm schwer ist. Im Nachhinein gesagt hatte ich oft zu viel Wasser und Lebensmittel mit, welches natürlich viel vom Gewicht ausmacht.
Die Hochmoore sind interessant, trotzdem reicht es mir nach einigen Tagen, vor allem der Regen macht es nicht gerade leicht. Mein Pennine Way dauert normal um die 18 Tage, ich bin ihn in 8 Tagen gegangen. Einerseits, weil es dauernd regnete und man sich nirgends hinsetzen konnte, andererseits, weil ich von 6 Uhr morgens, bis 20 Uhr abends Zeit hatte zum Gehen.
Und ehrlich gesagt, länger wollte ich auch bei diesem Regen hier nicht unterwegs sein, denn die Bedingungen waren mehr als widrig.
Mit einer kurzen Unterbrechung, wo ich den Weg selber finden musste, kam ich zum Gritstone Way, eine Möglichkeit nach Westen zu gelangen, um zum Offas Dyke Way zu queren. Aufgrund des Regens entschied ich mich allerdings kurzfristig, nach dem Gritstone den direkten Weg nach Süden zu nehmen.
Der Gritstone Way war von Schafen, aber auch immer öfter von Kühen bevölkert. Seit einem Erlebnis in der Jugend, bin ich bei Kühen vorsichtig, ensprechend achtsam ging ich an ihnen vorbei. Der Weg ist wenig begangen und der Pfad oft schwer erkennbar, obwohl er eigentlich gut markiert ist. Den 56 km langen Weg ging ich an einem Tag. Im Internet ist er auf drei Tage ausgelegt.
Eine der wesentlichen Punke meiner Wanderung ist es, dass ich keinen Reiseführer vorher gelesen habe oder mich vorweg über die Gegend wo ich durchkomme, informiert habe. Ich hätte es aufgrund des fehlenden Kurzzeitgedächnisses mir sowieso nicht gemerkt und außerdem wollte ich alles so erleben, wie ich es vorfinde und sehe, ohne Vorbehalte oder Erwartungen.
Ich möchte alles so erleben, Menschen wie Gegend, ohne zu wissen, was auf mich zukommt. So habe ich keine Erwartungen darauf, wie es sein soll und ich kann mich jederzeit auf die Situation leichter einstellen. So schwer es oft für mich war, das fehlende Kurzzeitgedächtnis lässt mich jeden Tag neu beginnen und alles Schwere vom Vortag ist vergessen.
Mein Weg habe ich zwar grob geplant, aber nur um zu sehen, wieviele Kilometer es ungefähr sind. Den genauen Weg entscheide ich immer erst beim Losgehen in der Früh oder ich bin auf einem Fernwanderweg unterwegs, der gut markiert ist. Planen tu ich nur von Tag zu Tag, oder nehme mir die nächste große Stadt als Ziel, ohne zu wissen, was für Wege, Menschen und Landschaft mich unterwegs erwartet.
Auf diese Art bin ich bis jetzt bis Bristol gekommen, nur mehr wenige Tage vor dem Beginn des South West Costal Path in Minehead. Damit sind es noch ca. 500 Kilometer bis nach Lands End. Wobei das nicht mein oberstes Ziel ist, denn das liegt am südlichsten Zipfel, am Weg des SWCP, in Lizard Point. Erst damit habe ich England durchquert.
Nach dem Gritstone Way gehe ich direkt nach Süden. Ohne es vorher gewusst zu haben, gehe ich entlang eines Kanals, der mittels Schleusen die Schiffe über einen Berg führt. Zunächst war ich noch sauer darüber, denn ich erwartete mir, flach entlang am Fluss zu wandern. Dass der Kanal über einen Berg führt, verwirrt mich.
Unterwegs treffe ich den 74-jährigen Pensionisten Philipp, der auf einem der zahlreichen Boote wohnt. Er erzählt mir viel über die Geschichte dieses Kanals und dass England mit über 3.000 Meilen (ca. 5.000 km) dieser Kanäle durchzogen ist. So schippert er seit Jahren durchs Land, mal hierhin, mal dorthin. Er lebt von seiner nicht gerade üppigen Pension, lebt aber als freier Mensch und möchte nicht in einem Altersheim eingesperrt sein, wie er mir erzählt.
Diese Kanäle wurden von Hand gegraben, vor etwa 200 bis 250 Jahren. Waren aller Art konnte so schonend ins Land gebracht werden, ohne zu verschleißen oder zu zerbrechen. Der Transport war am Wasser ruhiger, als auf den damaligen holprigen Strassen. Heute wird er von Hausbooten bevölkert.
An einer Schleuse übernachte ich und kann beobachten, wie die Schiffer sie bedienen, um weiterzukommen. Insgesamt strahlen diese Menschen auf ihren Booten eine Ruhe aus, die auch mich erfasst. Stress gibt es für sie nie und die Bewegungen sind ohne Hektik und Schnelligkeit.
Leider ist dieser Weg nach einigen Tagen zu Ende. Aus dem Kanal wird ein Fluss und die Schiffe darauf größer. Der Weg wird kleiner und ist seltener begangen. Nach 10 Kilometern über Viehweiden, ist plötzlich Ende. Die Markierung führt ins Gestrüpp, umgehen ist nicht möglich, also kämpfe ich mich hindurch.
Für etwa 300 Meter muss ich mir einen Weg suchen, mit den Stöcken schlagend und kriechend, durch hohe Brennessel und dichtes Gestrüpp, bis ich wieder auf eine offene Viehweide komme. Die App zeigte mir einen Weg an. Es ist mir unverständlich, wieso auf diesen paar Metern der offizielle Weg nicht erhalten wird.
Zwei Tage später, meldet der hinter mir gehender Engländer Simon die gleichen Probleme zu haben und versteht nun, was ich meinte.
Dazu verlässt mich unterwegs meine Powerbank, deshalb gerate ich in Stromprobleme beim Handy, dass ich trotz der Markierungen zum Navigieren brauche. So klein und leicht die Powerbank von Nitecore auch ist, es ist nach meinem Walkabout durfte Österreich bereits zweite, die mir unterwegs kaputt wird.
In Takesbury kaufe ich mir eine neue, allerdings nur mit 5000 mA, denn Größe und Gewicht sind entscheidend.
Dem Gewicht ordne ich praktisch alles unter und verzichte dabei sogar auf etwas Komfort beim Schlafen. Aus diesem Grund wählte ich die Thermarest Uberlight, allerdings die kurze Version, mit 119 cm Länge und gerade mal 170 Gramm schwer. Ein absolutes Federgewicht. Gewicht zählt alles, auf meiner Mission JOGLE.
Allerdings sind bereits drei Tage nach meinem Aufbruch in John o'Groats die ersten Zwischenkammern im Innenbereich gebrochen, die mein Kopfkissen überflüssig machten, weil sie so aufgequollen sind. Nach einer weiteren Woche musste ich einmal in der Nacht Luft nach pusten, da sie begann, Luft zu verlieren. Ich habe einen Reparatur-Kit mit, aber es war kein Loch, sondern sie verlor die Luft über das Ventil.
Mit jeder weiteren Woche kam ein zusätzliches Aufpumpen in der Nacht dazu, bis sie praktisch die Luft gar nicht mehr hielt. Der Versuch, ein Ersatzventil zu bekommen, geht schief, denn kein Outdoorgeschäft, wo ich in den nächsten Tagen vorbeikomme, hat eines lagernd. Es bei Thermarest direkt zu bekommen geht auch nicht, denn sie empfehlen nur Geschäfte. Die Lieferzeit ist aber sehr vage angegeben, mit bis zu 10 Tagen, daher fälltl auch das aus, denn wohin sollte ich es denn schicken lassen.
Tagelang quäle ich mich damit ab, in der Nacht bis zu 10 x nachzupumpen, was natürlich auf Kosten des Schlafes geht. Erst in Bristol finde ich einen billigen Matratzen-Ersatz, denn die Uberlight kostet hier in England 220,- Pfund, was bei meinem Budget nicht drinnen ist.
Ich finde eine 350 Gramm schwere, mit einem nicht so guten R-Wert von 1,7. Damit muss ich mich zufriedengeben, zumindest ist sie recht kompakt zu verpacken, was bei meinem kleinen Rucksack eine große Rolle spielt.
Nach vielen Tagen im Inneren des Landes, komme ich wieder ans Meer, bzw. an einen, weit ins Land hineinreichenden Meeresarm. Grüne Wiesen und flaches Gelände erwarten mich. Trotzdem ist jeder Meter weiterhin nicht leicht, denn die letzten Tage machten mich müde und damit funktioniert meine Propriozeption nicht mehr so gut.
Besonders die schmalen Wege sind eine Herausforderung und machen das Gehen schwer. 90% meiner Mission JOGLE sind auf solchen Wegen bisher.
Das Gehen wird immer schwieriger, aber mein Zwischenziel Bristol ist nicht mehr weit. Dort möchte ich gerne einen, wenn nicht zwei Ruhetage einlegen.
Zur Abwechslung gibt es immer mehr Rinder auf den Weiden, an denen ich mit Vorsicht vorbeigehe. Einmal steht eine ganze Herde direkt vor dem Gatter, wo ich durch muss. Es sind Jung-Rinder und ich weiß nicht, wer mehr Angst voreinander hat, ich oder sie.
Zuerst warte ich noch in gebührlicher Entfernung, aber irgendwann gehe ich los, mit sicherem Schritt, dem Gatter entgegen und mitten durch die Herde durch. Sie sind unruhig, aber ich komme ohne Probleme durch. Ein andermal schreckt die ganze Herde auf und läuft mir entgegen. Ich gehe nicht weiter, sondern drehe um und gehe schnell zurück, zu aufgedreht scheint mir die Herde zu sein. Ich habe nicht weit zurück zur Straße und umgehe diesen Abschnitt auf einem Umweg.
Zwei tolle Schlafplätze lasse ich links liegen und spaziere noch weiter in Richtung Bristol, dass ich aber an diesem Tag nicht mehr erreichen werde. Vom Meeresarm weg, gibt es praktisch nur mehr eingezäunte Felder und Weiden, was das Finden eines Schlafplatzes erschwert.
Ich gehe, gehe und gehe, aber es findet sich nichts. Es ist schon neun Uhr Abends, da springe ich über einen Zaun und hinter einer nicht einsehbaren Hecke schlage ich mein Lager auf. Da meine Luftmatratze kaum mehr Luft hält, wird es sowieso nur eine kurze Nacht werden, da ich fast nichts mehr zwischen mir und dem kühlen Boden habe.
Es ist noch früh, als ich in Bristol eintreffe. Langsam schlendere ich Richtung Innenstadt. Auf dem Weg dorthin komme ich bei einem Outdoorladen vorbei, wo ich wegen des Ventil angefragt hatte. Ich sichte die Matten, aber es gibt keine unter hundert Pfund. Das liegt weit über meinem Budget.
Nur hundert Meter weiter ist ein anderes Geschäft und die haben eine Eigenmarke, mit gerade einmal 350 Gramm, allerdings schlechtem R-Wert. Die bisher beste Möglichkeit, aber schlechter als meine Uberlight, mit 170 Gramm und 2,3 R-Wert. Ob sie sich bewährt, werden die nächsten Tage zeigen.
Bristol ist eine coole Stadt, toll angelegt und mit zahlreichen Cafes und Restaurants. Dazu existiert eine tolle Kunstszene und ich fühle mich gleich wohl hier. Bei einem Punk-Friseur lasse ich mir die Haare schneiden und den Bart rasieren. In einem tollen Gespräch erzähle ich ihm über meinen Weg und die Krankheit und er gibt mir wertvolle Tipps für Bristol. Dazu motiviert er mich meine Vespa-Doku fertigzumachen, denn viele seiner Punk-Freunde sind in der Vespa-Szene und er meint, es wäre ein toller Schritt für mich, mich darüberzutrauen.
So erlebe ich Bristol von seiner schönen Seite und genieße zwei Tage Auszeit vom Gehen. Danach wartet der South West Costal Path (SWCP) auf mich, der mich nach Lands End und dem südlichsten Punkt Englands bringen wird.
Die Mission JOGLE bringt mir "Never give up!" nochmals näher.