Ja, meine neue Bezeichnung heißt "Mission JOGLE". Gegeben wurde er mir unterwegs von einem Wanderer, mit dem ich mich einige Zeit unterhalten habe.
JOGLE steht als Abkürzung für John o´Groats to Lands End, also der Durchquerung Englands von Nord nach Süd. Im Gegensatz dazu steht LEJOG, für vom Süden nach Norden.
Leider konnte ich im Moment nur ein paar Bilder retten,weil das Handy kaputt wurde. Ich reiche sie nach,wenn ich wieder rankomme.
Der Tag beginnt früh in Inverness. Zunächst steht der Great Glen Way am Programm. Es geht einen Kanal entlang, unterbrochen von Seen, die die Ost mit der Westseite Schottlands verbindet. Kleinere Schiffe können hier queren und es war sicher ein imposantes Schauspiel, als er um 1830 gebaut wurde.
Von flach kann erst keine Rede sein, immer geht es über Hügel rauf und runter. Dazwischen aber immer wieder flache Abschnitte entlang des Kanals.
Schönes Wetter begleitet mich und macht das Gehen zum Vergnügen. Allerdings bin ich mit meinen Schuhen nicht ganz glücklich. Die Altras sind super Schuhe, aber nicht wirklich für mich. Ich habe Blasen, in erster Linie wegen einer gebrochenenen Einlage und die Dämpfung hat mittlerweile stark nachgelassen, was meinen Nervenstörungen nicht zusagt.
Am ersten Tag komme ich am Loch Ness an, dessen dunkles Wasser mich empfängt. Jetzt stehe ich also hier an diesem Ort, wo es das Ungeheuer von Loch Ness geben soll. Der Ort Drumnadrochit gleicht aber eher einem Disneyland, so viel ist hier los. Aber nur hier, denn Abseits am Trail bin ich fast den ganzen Tag alleine.
Der nächste Tag ist wieder voller Waldenergie, nur unterbrochen von kurzen Regenschauern. Nach dem Loch Ness kann ich erstmals die Schleusen sehen, welche die Schiffe höherbringen und später wieder runter. Der Kanal führt ja von Meeres- zu Meeresseite.
Der zweite Tag wird sehr lange, denn Forst- und Bauarbeiten machen einen langen Umweg nötig, ohne das ich es vorger wusste. Auf den steilen Anstiegen verliere ich viel Zeit und komme erst spät zum Zeltplatz, der aus forstlichen Gründen noch um eineinhalb Meilen nach hinten verlegt wurde. Erst um 10 Uhr Abends komme ich an, dafür zelte ich am Seestrand und bin alleine.
Der letzte Tag wird regnerisch, allerdings immer wieder von der Sonne unterbrochen. Wieder einmal später als gedacht, komme ich in Fort Williams an. Ich bekomme etwas außerhalb ein Bett in einem Hostel, aber nur für diese Nacht, sonst ist alles ausgebucht. Das heißt, ich werde ohne Ruhetag in den West Highlander Weg starten müssen.
Um sechs Uhr in der Früh geht es bei Regen los, auf den West Highlander Way. Steil geht es hoch, auf schmalem Trail. Ich wohnte abseits, daher muss ich erst auf den Trail kommen. Ein Nachteil im Regen ist es, kaum Pausen machen zu können, da ich dann im Regen stehe. Hinsetzen ist auch fast nie drin, weil dafür alles zu nass ist, auch unter Bäumen.
Allerdings wie früher beim Radfahren, habe ich mich daran gewöhnt, während des Gehen zu essen. Schon in der Früh richte ich mir alles griffbereit her, eingeschlichtet in die zahlreichen Taschen auf der Vorderseite des Rucksacks.
Der Weg wird immer anstrengender und lässt mich nur langsam vorankommen. Ich gehe über unangenehm große Steine und ich muss immerfort aufpassen, nicht umzukippen. Mein Ziel ist es, die ersten beiden großen Berge zu überwinden und dann zu gehen, soweit ich komme. Um fünf Uhr erreiche ich Kingshouse, eigentlich ein Nobelhotel, wo es aber eine Stube für die Wanderer gibt. Nach einem Kaffee mit Muffin gehe ich noch zwei Stunden im strömenden Regen und schlage mein Zelt zwischen Bäumen auf.
Es regnet so stark, dass ich hoffe, halbwegs trocken zu bleiben. Am nächsten Morgen richte ich alles her, springe aus dem Zelt, baue es ab und spurte los. Die hiesigen Mücken, Midges genannt, fallen sofort über mich her und da bleibt nur die Flucht. Alle nicht geschützten Hautstellen werden befallen und die Viecher beißen zu. Echt unangenehm.
Sie können allerdings nicht schnell fliegen, deshalb ist man geschützt, solange man geht. Bleibt man stehen, ist man sofort umzingelt. Deswegen bleibe ich tagsüber kaum stehen und esse im Gehen.
Das Gehen über die Steine war für mich gestern am Limit und heute wird es nicht besser. Jeder Schritt ist eine Qual. Mein Gehirn ist übermüdet von der dauernden Anstrengung, alles auszugleichen und andenken zu müssen. Ab der zweiten Tageshälfte ist es ein dahinwanken, weil das Gehirn nicht mehr mitkommt.
Den Tag beende ich am Eingang zum Loch Lomond, weiter schaffe ich es nicht. Auf einer Bergkuppe zelte ich über dem See und es lässt sich sogar die Sonne erblicken. Ich schlafe zehn Stunden und komme am Morgen erst gegen Acht los. Es wird ein Tag, den ich nicht so schnell vergesse.
Der Trail ist schmal und wird immer blockiger, mit großen Steinen. Für zwei Kilometer brauche ich über eine Stunde, so wild geht es neben dem See voran. So etwas habe ich selten erlebt. Ich brauche die Hände, um vorwärts zu kommen. Es ist manchmal wie klettern und es ist mir unbegreiflich, wie hier manche mit ihren doppelt so großen und schweren Rucksäcken vorankommen können.
Einige hundert Meter nach dem Abschnitt treffe ich auf zwei englische Herren. Einen Fotoapparat umgehängt, kurzes Leibchen und kurze Hose, sehen sie aus, als ob sie aus einem Pub vom Tee trinken gekommen sind. So stelle ich mir typische Engländer vor.
Sie fragen mich nach dem Weg. Ich antworte: "Da kommt jetzt ein wirklich rauhes Stück, etwa ein, zwei Meilen lang.". Als Antwort bekomme ich: "Puuhhh, ja, bei uns waren die letzten zwei bis drei Meilen auch wirlich tricky (Schwierig). Wie weit ist es bis ans Ende des Sees?". Für sie ist es bis dahin noch mehr als 10 Kilometer, gar nicht so einfacher Trail, aber das schreckte sie gar nicht. Wir verabschiedeten uns und gingen jeder seine Wege.
Ich erwartete hinter jeder Biegung, dass es wieder los geht, mit den Schwierigkeiten, aber es kam nichts. Nach 5 Kilometern über gute Trails, erreichte ich eine Schiffsanlegestelle, wo man sich aussetzen lassen konnte, um einen kleinen Teil des Weges zurückzulegen. Ob, wie und wann die beiden am Ende ankamen, blieb mir verwehrt zu erfahren, aber sie hatten es sicher nicht leicht, wenn schon der erste Teil für sie anstrengend war.
Es kamen noch einige schwierige Abschnitte und nach 35 Kilometern, am Ende des Sees, schlug ich das Lager an einem dort befindlichen Campingplatz auf. Nach zwei Tagen im Regen, konnte eine Dusche nur gut tun. Es war leider 10 Kilometer unter meinem Soll, denn so hatte ich am nächsten Tag noch fast 50 Kilometer bis Glasgow.
Wieder schlief ich lange und kam erst um acht Uhr weg. Nach dem üblichen Midges-Problem beim Abbau des Zeltes, ging ich bei Sonnenschein los, um bald darauf wieder meinen Poncho überzuziehen. Dieses Prozedere sollte sich sicher zwanzig- bis dreissigmal an diesem Tag wiederholen. Sonnenschein wechselte sich andauernd mit Regenschauern ab, die teils heftig waren.
In einem wunderschönen Hotel mit Restaurant bekomme ich ausnahmsweise eine Kanne Kaffee, mit den Hausgästen. Das war ein Highlight diesen Morgen. Verschwitzt von drei Tagen im Zelt, saß ich neben sauberst gekampelten Wanderern, mit ihrem frischen Gewand.
Ich war mit ein, zwei anderen vom Norden kommend unterwegs, der Haupteil startet in Milngavie Richtung Norden. Dementsprechend viel Gegenverkehr hatte ich, was oft nicht einfach war, wegen der schmalen Trails. Immer wieder musste ich stehenbleiben und den Gegenverkehr abwarten.
Ziemlich gerade, bergauf, bergab, ging es dahin in Richtung Milngavie und dann passierte es, kurz vor dem Ende des West Highland Way. Ein graviereder Fehler, müde und schon etwas unachtsam, fingerte ich das Handy heraus. Dabei entglitt es mir und fiel mit der Displayseite voran auf den steinigen Boden. Das Malheur war passiert. Das Display hatte an mehreren Stellen Sprünge und funktionierte nicht mehr. In einem kurzen Moment konnte ich noch zwei Fotos auf gut Glück vorm Steinbild am Ende in Milngavie machen, aber danach ging nichts mehr.
Mit unzähligen Umwegen und immer wieder der Versuch, nach dem Weg zu fragen, kämpfte ich mich nach Glasgow, ohne die Unterstützung des Handys. Der Weg ist nicht markiert und deswegen schwer anzufinden.
Am Limit erreiche ich das Hostel und war zunächst einmal gerettet. Allerdings nur zunächst, denn noch stand mir das Wäsche waschen bevor. Im Hostel gab es keine Waschmaschiene, aber gleich daneben, an der Tankstelle. Leider war diese kaputt und man schickte mich 15 min Wegzeit zur nächsten. Die machte aber gleich zu, erbarmte sich aber meiner und zu meinem großen Glück, konnte ich zumindest die Wäsche waschen, aber nicht trocknen. Also wieder zurück zur Tankstelle, wo zumindest der Trockner funktionierte. So konnte ich endlich wieder einmal trockene Wäsche anziehen.
Unterwegs war ich nur mit einer kurzen Laufhose, dem Anorak und nassen Schuhen. Alles andere musste in die Wäsche. Noch am Abend kaufe ich ein neues Handy, um weitergehen zu können. Allerdings überschreite ich mein Geldlimit und neue Schuhe müssen damit warten.
Die Landschaft ist wunderschön. Selten habe ich mich so wohl gefühlt. Durch das viele Zelten, bin ich der Natur noch mehr ausgesetzt, was mir unheimlich gut tut.
Auf der anderen Seite kostet es viel Energie, mit Zelt und selbst zu kochen, unterwegs zu sein. Da ist Pilgern natürlich leichter. Es tut aber gut,einmal aus meinen Routinen herausgerissen zu werden und mein Gehirn zu fordern.
Dieser Abschnitt bleibt mir in Erinnerung, weil ich schon lange nicht mehr so an meine Grenzen gegangen bin, aber nur die bringen mich weiter. Auf meinem letzten Jakobsweg habe ich zum ersten Mal wieder gelebt, hier hat der Weg mehr therapeutische Wirkung.
Es ist faszinierend zu sehen, wie sich mein Körper weiter entwickelt. Dazu habe ich hier tolle Möglichkeiten. Es ist besser, als wie jede Reha-Anstalt.
Ich bin auf (in) meiner Mission JOGLE!
Das Abenteuer "Across Britain" oder der in Großbritannien benannte JOGLE, hat begonnen. Zwei bis dreitausend Kilometer warten auf mich, je nachdem wie ich gehe. Im Hinterkopf geistert in mir herum, dass ich wieder alle vier Kardinalpunkte erreichen möchte, also die vier entferntesten Punkte aller Himmelsrichtungen.
Dazu müsste ich nach der Durchquerung noch weiter nach Brighton und hoch nach Lowestoft, dem östlichsten Punkt. Die reine Nord-Süd-Durchquerung wären etwa 2.000 km oder bis zum Ende des SWCP 2.500 km.
Für mich beginnt der Trip "Across Britain" in Thurso, der nördlichsten Stadt von England/Schottland. Von hier gehe ich zu Fuß zum nördlichsten Punkt nach Dunnet Head und weitere 30 km nach John o'Groats, dem offiziellem Startpunkt für die Durchquerung Großbritanniens.
Wetterglück empfängt mich, das heißt, blauer Himmel und Temperaturen tagsüber von 25 Grad. Die Nächte sind manchmal trotzdem kalt und vor allem sehr feucht. Ein guter Zeltplatz ist wichtig, sonst verliert man viel Zeit am nächsten Tag, mit Zelt trocknen.
Die Einheimischen leiden unter dieser "Hitzewelle", normalerweise hat es hier 17 Grad und viel Regen. Schon den ersten Tag verbringe ich praktisch nur in der Natur und im Grünen, gehe allerdings viel auf der Straße. Deshalb wird wahrscheinlich John o'Groats als Startpunkt angegeben.
Die Farben hier tun meiner Seele gut und ich kann nicht genug vom Grün bekommen. Ich entschließe mich dem John o'Groats Coast Trail zu folgen und nicht durch die Highlands zu gehen. Dort sind oft mehrere Tage zwischen den Ortschaften und für das Tragen von soviel Essen und Wasser ist mein Körper noch nicht so weit, dass musste ich erkennen. Diese zwei bis drei Kilo mehr machen bei meiner Muskelschwäche viel aus. Obwohl ich seit Jahren daran trainiere und übe, meine Muskelkraft und mein Bindegewebe hat sich nur minimal verbessert.
Tiefes Gras lässt mich meine Füße nicht sehen und so stolpere ich auf den engen Pfaden dahin. Hätte ich nicht so viele Kilometer in den letzten Jahren zurückgelegt, wäre es hier bereits aus gewesen. Jeden Tag ist eine Konzentration aufzubringen, die mich an die geistige Grenze bringt.
Ich brauche für jeden Schritt das Gehirn und dazu kommt, dass der Weg oft sehr schmal ist und immer außerhalb von Mauern entlang der Grundstücke führt, wo aber gleich die Abgründe ans Meer beginnen.
Oft geht es steil hoch oder runter zum Meer, dass ich manchmal sogar die Hände benötige. Bis Inverness bin ich acht Tage unterwegs und schlafe immer im Zelt. Hotels sind zu teuer und billige Herbergen kommen erst später. Bei Regen zu Zelten wird sicher eine Herausforderung, besonders wenn es einige Tage durch regnet.
In Inverness bin ich jetzt am achten Tag angelangt und mache eine Zwangspause, denn nach sechs Tagen bildete sich eine große Blase. Die letzten Kilometer humpele ich in den Ort, denn diese Blase hat mein System derart gestört, dass das Gehen zur Herausforderung geworden ist. Meine Propriozeption ist überlagert vom Schmerz und funktioniert gar nicht.
Dabei bin ich über vorsichtig mit den Füßen, aber diesmal hat keine Vorsichtsmaßnahme geholfen. Ein Fehler war sicher die Verwendung neuer Schuhe. Meine Hoka habe ich diesmal gegen Altra getauscht, was ich bitter bereue. Das Eingehen zu Hause hat nichts geholfen, aber auf die Schnelle habe ich keinen neuen Hoka daheim bekommen. Vielleicht bekomme ich in Inverness einen neuen, denn so kann ich nicht weitermachen.
Der Kocher, den ich mithabe, tut mir zwar gut, bringt mich aber über mein Gewichtslimit. Besser wäre es gewesen, ich hätte mich von Anfang an auf kalte Küche einstellen sollen und warmes nur gegessen, wenn ich unterwegs etwas finde. Bisher war es mir immer zu schade den Kocher und Titantopf wegzugeben, also nutze ich ihn eben doch. Der Geldbeutel freut sich dafür, der Körper und Krafthaushalt weniger.
Leider konnte ich mich noch immer nicht an die fummelig Arbeit mit dem Kochen gewöhnen. Einmal war das Wasser heiß und ich stieß den Topf um, dass sich das Wasser auf mir und dem daneben liegenden Rucksack ergoss. Wäre weiter nicht tragisch gewesen, wenn ich nicht mit dem Wasserhaushalt aufpassen müsste und am nächsten Tag nicht noch über drei Stunden ins nächste Dorf gehabt hätte.
Es blieben mir am nächsten Tag nur 500 mml zum Trinken, bei Hitze und Schwerstarbeit die steilen Hügel hoch und runter. Trotzdem werde ich den Kocher behalten, denn ihn wegzugeben ist zu schade und es kommen noch einsame Gegenden, wo ich ihn brauchen werde.
Bisher hatte ich nur wenige Begegnungen. An einem einsam gelegenen Haus am Weg sprach mich der Besitzer an und es entwickelte sich ein tolles Gespräch.
In Berriedale traf ich den jungen Einheimischen James, der seit einem Jahr im Haus seiner Großeltern lebt, der Programmierer ist und deswegen ortsunabhängig arbeiten kann. Auch hier entwickelte sich ein interessantes Gespräch, welches mir mehr über Land und Leute erklärt. Es ist sicher nicht einfach für junge Leute, hierher zurückzukommen. Danke nochmals für das Gespräch James, solltest es du lesen. 🙏
Weiters möchte ich noch David mit seiner Frau Julie erwähnen, die auch schon lange unterwegs sind und mir unterwegs entgegengenommen sind. Sie machen diesen Weg gemeinsam. Leider habe ich vergessen ein Foto zu machen, deshalb verlinke ich auf Ihren Facebook Kanal, wo sie über Ihren Weg berichten. 👍
Überhaupt fühle ich mich sehr wohl in Schottland und fühle mich fast heimisch. Die Menschen sind sehr freundlich und jederzeit hilfsbereit.
Dass es schwer werden würde, wusste ich. Allerdings, so schwer habe ich es mir nicht vorgestellt. Ich komme öfter ans Limit, körperlich wie geistig. Den ersten Abschnitt habe ich jetzt hinter mir, mit den bereits angesprochenen Wehwehchen.
Aber es ist auch gut, herausgefordert zu werden, denn nur so komme ich weiter. Es ist jedenfalls eine neue Art des Gehens, als wie am Jakobsweg. Das Gehirn ist mehr angestrengt und ich lerne, mit den verschiedensten Verhältnissen klarzukommen und auch Lösungen zu finden.
Und wie sagt man auch:
"Was mich nicht umbringt, macht mich nur stärker!“
Soweit möchte ich aber nicht gehen, ständig meine Grenze auszuloten, denn eines ist mir klar, dieser Weg "Across Britain" kann sehr schnell zu Ende sein und ich möchte mich ja verbessern!
Der Camino Portugiese, den ich bereits im März absolvierte, hat eine Menge Herausforderungen für mich bereitgehalten, besonders auch danach. In Porto beginnt ja der "schöne" Camino Portugiese, zumindest der leichter begehbare, wo ich mehr genießen konnte.
Nach dem immensen Energie Aufwand von Lissabon bis Porto, wollte ich es ab hier ruhiger angehen. Dafür passte es, dass mein Freund Alexander Rüdiger dazu kommt, der extra für den Camino Portugiese nach Porto kam, um mich hier zu treffen und mit mir die restlichen, knapp dreihundert Kilometer, zu gehen. Bisher waren wir beide zusammen auf allen möglichen österreichischen Jakobswegen unterwegs, diesmal, zum ersten Mal, auf der Iberischen Halbinsel.
Für mich auch ein Novum, denn alle großen Caminos in Spanien, habe ich bisher alleine bestritten, nun erstmals mit Begleitung. Wir wählen den Küstenweg, meist am Meer entlang führend, mit wundervoller Landschaft. Und so schön dieser Weg auch werden sollte, so ereilte mich unterwegs etwas, das ich gGefühlsmäßig kaum verarbeiten könnte. Aber dazu später.
Porto war nach den vielen Tagen alleine ein bisschen viel für mich. Am frühen Morgen ging ich hinunter zum Meer, wo ich mich mit Alexander treffen wollte. Ich war praktisch alleine unter der bekannten Brücke von Porto, bestellte mir einen Kaffee und wartete.
Bald kam er daher und wir gingen gleich los, fort vom inzwischen beginnenden Trubel. Es ging immer entlang des Meeres, manchmal unterbrochen von Holzstegen, die Kilometerlang die Sanddünen säumten. Immer wieder tauchten Dörfer auf, die man durchquerte, um gleich darauf wieder am Grün gesäumten Meeresrand einzutauchen.
Das Wetter beinhaltete von allem etwas. Sonne wechselte mit Regen und einem stetig wehenden Wind ab. Vom kurzen Leiberl, bis zur Fleecejacke und Regenponcho kam alles zum Einsatz, ebenso die Temperaturen, die ein oftmaliges Umziehen erforderte.
Malerische Landschaften mit Meer zeigten mir einen neuen Jakobsweg und eine neue Landschaft. Dieses "neue" tut meinem Gehirn gut, wird aber immer wieder auch zur Herausforderung.
Seit Herbst des Vorjahres habe ich eine neue Wahrnehmung, die jede Anstrengung der letzten Jahre wert war. Es ist die Bestätigung dafür, drangebleiben zu sein und nie aufgegeben zu haben.
Im Gruppentraining beim therapeutischen Tanzen lerne ich, wieder mit Menschen oder Dingen in Beziehung zu kommen. Dieses Wissen hilft mir auch am Jakobsweg, Schritt für Schritt, diese für mich neue Welt zu erkunden.
Da bin ich besonders meinen litauischen, französischen Pilgerfreunden und Alexander dankbar, wo ich viel dazulernen konnte. Das alles lässt mich wieder einen Schritt mehr ins Leben treten.
Fünf Tage vor Schluss ereilt mich die Nachricht vom Tod meiner Tante. Sie stand mir sehr nahe, war meine Taufpatin und hat mir in den ersten Jahren nach dem Hirnabszess sehr geholfen.
Deshalb war es mir unmöglich, die letzten Wochen weiter am Camino-Bericht zu Schreiben. Mein Herz und Gehirn waren zu sehr damit beschäftigt, es zu verstehen, aufnehmen zu können und die Trauer zu verarbeiten. Trotzdem möchte ich ein bisschen darüber erzählen, über Dinge, die mir noch am Weg passiert sind.
Wir waren gerade am Meer unterwegs, da hatte ich das Bedürfnis, eine in Lissabon gefundene und zum Andenken mitgenommene, portugisische Scherbe am Weg, vielleicht an einem Kilometerstein, abzulegen. Als ich um eine Ecke biege, steht er plötzlich vor mir, ein mit zahlreichen bunt bemalten Steinen umgebener Kilometerstein. Da wußte ich sofort, hier wollte ich ihn ablegen.
Auf den letzten Schritten hin, stolpere ich noch fast über eine vom Winde verwehte Blüte, die ich aufheben und zur Scherbe dazulegte. Es ist für mich stimmig und passte.
Dann nur ein paar Stunden später, bekam ich die Nachricht vom Tod meiner Tante. Mein Ablegezeitpunkt der Scherbe, war um den Zeitpunkt ihres Todes. Ich erinnerte mich noch daran, dass Sie oft in Portugal auf Urlaub war und eine besondere Beziehung zu diesem Land hatte. So bekam diese Scherbenniederlegung eine besondere Bedeutung für mich.
Meine Tante war es auch, die mir die letzten Vorbehalte vor meiner Reise zum Camino nahm und mir nachdrücklich sagte: "Mach es, mach es!"
Für mich hieß es allerdings aufpassen, mir nicht zuviele Fragen wegen ihrem Tod zu stellen, denn da behindert mich noch immer das Nicht-Weiterdenken können. Ich durfte nur ja nicht in Gedankenschleifen verfallen, denn das konnte meinen Körper komplett durcheinander werfen.
Mir kam das eine oder andere Erlebnis mit Ihr in Erinnerung und immer öfter kam die Frage auf, ob es ihr jetzt gut geht? Vielleicht könnte sie mir ein Zeichen geben, so wie mir immer wieder die Krafttiere erscheinen, um mir etwas mitzuteilen.
Am nächsten Tag ging ich mit Alexander einige Höhenmeter über dem Meer, auf das wir immer wieder hinunterschauten. Es war regnerisch und zwischendurch schien die Sonne. Auf einmal sehe ich eine große Brücke unter mir, mit einem großen Regenbogen über sich, wie ich ihn in einer solchen Pracht noch nie gesehen habe. Die Bilder können es nur Ansatzweise zeigen, wie es wirklich war. Es ist, als ob meine Tante damit herunterschaut, um mir zu sagen, dass alles OK ist.
Es sind komische weitere Tage, wo ich die Trauer im Gehen verarbeite. Die Gespräche mit Alexander bringen mich immer wieder auf andere Gedanken. Mit Begegnungen am Weg tue ich mich noch schwer, versuche aber mich darin zu üben, um dem Leben mehr Chancen zu geben. Trotzdem verbringe ich immer wieder viele Kilometer alleine, um meine Gedankengänge verarbeiten zu können.
Da ich mich seit dem Hirnabszess in einem ständigen Lernprozess befinde, speziell um auch wieder mit Gefühlen umgehen zu können, war es diesmal eine besondere Herausforderung, mit dem Gefühl der Trauer umgehen zu können. Bis heute kann ich in Bezug auf die Trauer noch nicht weinen, was so viel erleichtern würde.
Der Weg nach Santiago war noch nie so wie diesmal. Ich genoss die Strecke und kurz vor Santiago eröffnet sich ein schöner Blick auf die Kathedrale. Den Einzug auf dem Platz vor der Kathedrale war ich nachdenklich und still und ich zog mich an den Rand zurück, wo ich mich hinsetzte.
Einige Pilgerfreunde waren anwesend und man freute sich gemeinsam über das erreichen des Zieles. Alex und ich holten uns die Compostela und verabredeten uns mit anderen Pilgern für den Abend zum Essen und anschließend für den Gottesdienst in der Kathedrale.
Es war das erste Mal, dass ich daran teilnehmen wollte. Die Jahre zuvor war es mir nicht möglich und diesmal nur Aufgrund der Gruppe. Den schwingenden Weihrauch Kessel erlebte ich bisher noch nie live, aber durch meine Verbesserte Wahrnehmung wollte ich es unbedingt versuchen. Es wurde ein Erlebnis, nach so vielen Caminos zum ersten Mal den Botafumo zu sehen.
Der Camino Portugiese war zusammen mit dem Camino Frances ein weiterer Meilenstein in meiner Rehabilitation. Im großen und ganzen ging ich erstmals diese zwei Monate in einer neuen Wahrnehmung.
Das ist für mich umso bemerkenswerter, da ich dieses Mal nicht auf Verbesserung fokussiert war. Dafür war ich noch mehr auf die kleinen Dinge aus, die mir den Tag verschönern. Das waren Schmetterlinge und Insekten am Weg, aber auch Pflanzen und Blumen oder sonstige Wegbegebenheiten und Ausblicke.
Ich genoss diese bessere Wahrnehmung und am meisten freute mich, dass der Schwindel viel seltener auftrat. Jahrelang ging es nur in kleinsten Schritten vorwärts und das Ergebnis freute mich, immer drangebleiben zu sein und motiviert mich, auch weiterhin Dranzubleiben.
Allerdings bin ich mit dem Tod meiner Tante an Grenzen gestoßen, die den Fortschritt relativieren. Vorsichtig zu sein, wird auch in Zukunft wichtig sein und meinen Zustand gut zu spüren und wie weit ich gehen kann. Denn mein Limit kann unverhofft schneller da sein, als ich oft glaube.
Überschreite ich dieses Limit, setze ich alles aufs Spiel und brauche danach lange, um wieder dorthin zu kommen, wo ich war. Daher bleibt es oft noch immer eine Gratwanderung, wie ich vor wenigen Wochen erfahren durfte.
Auf den Erfahrungen dieser zwei Monate kann ich aber aufbauen und trotz mancher Rückschläge, geht es vorwärts. "Gehen als Medizin", habe ich noch nie so intensiv gespürt, wie diesmal.
Also bleibe ich dem Gehen treu, denn es bildet die Basis für meine Genesung.
Ultreia
Die Extrameile einlegen, mache ich seit dem Hirnabszess immer wieder. Diesmal sollte der Camino Portugiese diese Extrameile werden. Egal was ich seit dem Hirnabszess machte, ich tat einfach ein bisschen mehr. Ich reize immer wieder mein Limit aus, denn nur so kann ich es immer weiter hinausschieben.
Anfangs war es nicht schwer war, ans körperliche Limit zu gelangen, denn das lag bei 15 min. am Tag auf der Intensivstation und später bei 30 min. auf der Reha-Station. Es brauchte Monate bis Jahre, bis mehr möglich wurde. In ganz kleinen Schritten und die meist immer am Limit, konnte ich es steigern. Heute, sieben Jahre später, hänge ich nach dem Camino France noch den Camino Portugiese dran, es sollte meine Extrameile werden.
Das bedeutet, nicht den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen, sondern sich auch mit den Hindernissen am Weg auseinanderzusetzen. Man gibt damit einer bestimmten Sache den Wert, die sie für einen hat. Der Unterschied liegt darin, etwas nicht nur zu versuchen, sondern etwas WIRKLICH zu wollen. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Denn wieviel ist man WIRKLICH bereit zu geben? Ich wollte wieder Gehen lernen, egal wie und wie lange es dauern sollte. Ich wollte wirklich alles dafür geben!
Krankheit ist der Beginn der Heilung und der Weg zur Gesundheit beginnt. Auch mit meinen Handicaps und Defiziten ist ein gesundes Leben möglich und es ist wichtig, noch in der Krankheit Gesundheit zu leben. Materie folgt der Aufmerksamkeit, also beschäftigte sich mein gesamtes Ich und mir mögliches Denken mit Gesundheit.
Auf dieser Pilgerreise war allerdings so vieles anders, als auf allen meinen Caminos zuvor. Zum ersten Mal wollte ich am Jakobsweg nichts verbessern oder therapieren und diese Einstellung zog sich auch am Camino Portugiese fort.
Seit Jahren versuche ich ins Leben zu kommen und nicht in allem Therapie zu sehen. Die Defizite begleiten mich täglich, trotzdem gibt es auch ein Leben mit diesen Handicaps und nicht nur Therapie. Da einen Unterschied zu machen, war mir bisher kaum möglich.
Meine schlechten Phasen oder zumindest die nicht so Guten, die sieht ja niemand. Genausowenig wie die vielen Stunden hinter dem Computer mit Trainingsprogrammen für das Gehirn, das Stretching, Kraft- und Gleichgewichtstraining oder das geistige Arbeiten. Dieses Chaos in meinem Kopf bekomme ich manchmal kaum in den Griff und das ist eben nicht für jeden Sichtbar. Das sind eben die unsichtbaren Behinderungen, die kaum wer sieht und die von außen kaum wer sieht.
Gesundheit zu leben, war mir schon immer wichtig und das hilft mir heute, meine Defizite und Handicaps immer besser in den Griff zu bekommen. Kann ich dann über einen längeren Zeitraum gehen, ist mein gesamter Organismus nur mit lebensnotwendigen Dingen beschäftigt. Allerlei Randgetöse von zu Hause fällt weg. Dabei bleibt mehr Energie für die nicht so gut funktionierenden Sachen übrig, die vor allem das Gehirn betreffen. Achtsamkeit zu entwickeln, ist für mich eine lebensnotwendige Sache.
Normalerweise liegt der Energieverbrauch des Gehirns bei etwa 20%, bei mir höher, da einige Bereiche zerstört sind und das Umgehen viel Kraft erfordert. Daher ist mein Gehirntraining auch so anstrengend, wie zum Beispiel Krafttraining.
Bin ich zum Beispiel am Jakobsweg unterwegs, fallen viele Anforderungen von zu Hause weg und ich kann mich auf mich selbst und mein Gehirn, immer im Hier und Jetzt, besser konzentrieren. Deswegen geht es mir am und kurz nach dem Jakobsweg auch so viel besser. Meist solange, bis diese anderen Anforderungen wieder da sind.
Im Laufe dieses Camino Portugiese sind so viele Dinge passiert, im Positiven wie im Negativen. Einige Tage vor Ende bekam ich es mit einem Todesfall in der Familie zu tun, dem ersten seit dem Hirnabszess 2016. Mein Gehirn ist bis heute damit beschäftigt, es zu verarbeiten.
Der Verstand versteht es, allerdings macht das Herz Probleme. Emotionen und Gefühle, wie Trauer, sind mir noch immer nur sehr schwer möglich, wenn nicht unmöglich. Irgendwas ist in mir, dass mich davor schützt, wenn zu viele Dinge auf mich einprasseln. Da heißt es dann aufpassen und akzeptieren, dass es so ist und nicht darüber nachdenken, denn das darüber Grübeln lässt mich nicht Weiterkommen und ist kontraproduktiv.
Jetzt aber zum Camino Portugiese. Ich nutze die Chance, in Santiago zu sein, um nach Lissabon zu gelangen, um den Camino Portugiese in seiner ganzen Länge zu gehen, nicht nur von Porto aus, so wie es die meisten tun. Von Zuhause aus würde ich nicht so weit fahren, denn Lissabon ist mit dem Bus fast 50 Stunden entfernt, das wäre zu weit für mich. Deshalb war der Camino Portugiese auch noch nie ein Thema und ich wollte die Gunst der Stunde nutzen.
Bereits am nächsten späten Nachmittag bin ich, von Finesterre kommend, in Lissabon am Busbahnhof und durchquere die Stadt, um zur Herberge zu gelangen.
Immer wieder habe ich Probleme damit, an Menschengruppen vorbei- oder durch sie hindurchzugehen. Nach dieser langen Zeit in der Natur stresst es mich, so viele Menschen auf einem Platz zu sehen. Überall wird gefeiert und die Straßen sind voll. Was ich nicht bedacht habe ist, es ist Freitag und es geht rund in der Stadt.
Dazu sind die Gehsteige sehr schmal und die Autos fahren knapp an einem vorrüber. Bei der Herberge angekommen, ist sie geschlossen. Damit habe ich nicht gerechnet. Sie liegt nahe am Weg und wäre ideal, um am nächsten Tag zu starten. Es ist bereits sieben Uhr am Abend und mittlerweile finster. Im Urban Garden Hostel finde ich dann Unterschlupf, muss aber deswegen wieder durch die gesamte Innenstadt.
Mit vier Algeriern am Zimmer, komme ich dort kaum zum Schlafen. Bis drei Uhr früh geht dauernd das Licht an und aus oder es geht jemand aus dem Zimmer oder kommt. Ich stehe deshalb um halb sechs Uhr auf, mache Licht, packe mein Zeug zusammen und gehe los. Ich kümmere mich nicht darum, leise zu sein, denn um mich hat sich auch niemand gekümmert. Diese Schroffheit und Direktheit ist eine Folge des Hirnabszesses, es gibt kein dazwischen. Das wird mich diesmal noch öfter begleiten.
Ich möchte nur mehr weg aus der Stadt. Im aufkommenden Samstag ist es noch ruhig in der Stadt und mein Weg führt mich zunächst durch die Luxus Einkaufsstraße der Stadt. Wahrscheinlich kostet eine Handtasche dieser Luxusmarken so viel, wie meine gesamte Ausrüstung, die ich mit mir führe. Welch verrückte Welt!
Trotzdem bin ich wahrscheinlich glücklicher als viele, die diesen Wert brauchen und ihr Glück davon abhängig machen. Ich habe nichts, außer dem Zeug in meinem Rucksack und ich brauche auch nicht mehr. Einige Fotos mache ich noch und dann nichts wie raus aus der Stadt. Die berühmten Straßenbahnen habe ich bereits gestern gesehen und damit auch Lissabon. Für mehr, wie Museen oder Galerien, wäre ich nicht tauglich, da reicht mir oft schon ein kurzer Aufenthalt und ich sehne mich wieder nach dem Trail, dem Wald und der Einsamkeit.
Auf dem Weg zur Kathedrale setze ich mich in eine Bar und frühstücke. Langsam erwacht die Stadt. Im ersten Morgenlicht komme ich zur Kathedrale, die in der Nähe des Meeres liegt, mache ein Foto und gehe los.
Den Camino Portugiese werde ich in zwei Teilen schreiben, da meine Konzentration nicht für einen längeren Bericht reicht. Daher behandle ich zunächst einmal nur den Teil bis Porto.
Gleich die ersten Meter geht es über das portugiesische Pflaster, dass mich immer wieder begleiten wird. Es schaut zwar schön aus, macht das Gehen für mich aber schwierig. Es ist praktisch in jeder Ortschaft anzutreffen, in all seinen Varianten und es gibt kaum einen nicht gepflasterten Gehsteig.
Für mich weniger gut, denn an Pflastersteine konnte ich mich noch immer nicht gewöhnen. Das Nicht-Spüren der Stellung der Gelenke ist auf Pflasterwegen so viel ausgeprägter, als auf allen anderen Untergründen. Ich gehe steif, wie ein Roboter, darüber, um nicht umzuknicken. Ich fühle mich wie beim Radrennen Paris-Roubaix, alle paar Kilometer sind Abschnitte mit Pflaster.
Als Radrennfahrer war ich einmal auf der Titelseite einer belgischen Tageszeitung bei der Belgien Rundfahrt, auf einem gepflasterten Anstieg. Ich liebte das früher und fühlte mich wohl. Mit ein Grund, warum ich wieder einigermaßen gehen kann, weil ich seit jungen Jahren eine besonders gut entwickelte Propriozeption hatte.
Allerdings habe ich über den Abschnitt von Lissabon nach Porto nicht viele gute Meinungen gehört, das möchte ich aber selbst erfahren, ob es so ist und warum. Gehen tue ich sowieso überall und habe, trotz oft Widrigkeiten, meine Freude daran, die mir keiner und nichts nehmen kann.
Zu einem Land gehören außerdem nicht nur die schönen Seiten, sondern auch die weniger Guten, um es besser erleben und beurteilen zu können. Erstmals kann ich auch diese Seiten einer Reise intensiver kennenlernen. Es brauchte sieben Jahre dazu, deswegen hat sich der Aufwand der letzten Jahre auch gelohnt.
...sind ein eigenes Kapitel. Ich komme ja nach einem Monat am Camino France direkt nach Portugal. Portugal und Spanien habe ich in irgendeiner Weise bisher immer als dasselbe gesehen, vor allem in der Mentalität dachte ich mir, gibt es kaum einen Unterschied.
Diesmal lerne ich aber den Unterschied zu Spanien wirklich kennen und das beginnt mit den Autofahrern. Sind Pilger in Sicht, wird in Spanien das Tempo verringert und die Pilger in möglichst weitem Bogen umfahren. Oft wird man aus dem Auto winkend oder hupend mit einem Gruß bedacht.
Anders in Portugal, zumindest auf der Strecke von Lissabon nach Porto. Nach den ersten zwei, drei Tagen der Beobachtung, kam mir meine Lernaufgabe mit dem Hirnabszess in Erinnerung.
"Lernen, mit seiner Aggression umzugehen!", steht an vorderster Stelle.
Damit konnte ich hier beginnen, denn das gilt für 3 von 5 Autos. Zunächst einmal verringert kaum ein Auto seine Geschwindigkeit wegen eines Pilgers. Dazu fahren sie sehr knapp an einem vorbei, auch wenn viel Platz auf der Straße war. Ich merkte bald, dass sich manch einer einen Spaß daraus machte, Pilger damit zu erschrecken.
Für mich weniger gut, weil so sehr ich mich bisher in allen Belangen verbesserte, hier komme ich an meine Grenzen der Propriozeption. Gerade knapp vorbei rasende Autos kann ich nicht schnell genug einschätzen und kosten mich viel Energie.
Eigentlich hilft oft nur der Schritt in den Straßengraben und das, obwohl kein Gegenverkehr ist und damit genug Platz für uns beide wäre. Ein guter Zeitpunkt, um mit meiner Aggression umgehen zu lernen.
Nach einigen Tagen nahm ich die Herausforderung an, denn ich wollte nicht mehr in den Straßengraben springen oder mich erschrecken lassen. Ich brauchte Jahre, um meinen Puls zu beruhigen und habe erstmals seit Jahren wieder innert Sekunden einen hohen Puls, einfach weil ich mich erschreckte und das mehrmals am Tag. So konnte und durfte es nicht weitergehen.
Ich fixierte mit Augenkontakt jeden entgegen kommenden Autofahrer und merkte sofort, wenn er mich erschrecken wollte, denn dann zog ein süffisantes Grinsen über seine Gesichtszüge. Das hieß meistens, dass er eher noch mehr Gas gab und möglichst knapp an mir vorbeizog. Durch den Hirnabszess muss ich wieder lernen, Geschwindigkeiten und Abstände einschätzen zu können, um mich sicher im Verkehr bewegen zu können. Das hier war aber eine neue Art.
In für mich relevanten Situationen kann ich es schon ganz gut. Ich habe nur mehr wenig Probleme damit zu wissen, wie weit und wohin ich den nächsten Schritt setzen kann oder wenn ich etwas aufheben möchte, es auch wirklich mit dem ersten Griff erfassen zu können. Mit so etwas wie den Autofahrern war es allerdings eine neue Situation für mich. Anfangs ärgerte ich mich über den verursachten Schreck, aber wie gesagt, ich nahm die Herausforderung an.
Zielte wieder auf mich jemand zu, obwohl genug Platz war, nahm ich beide Wanderstöcke in die zur Straßenseite liegende Hand und hielt sie seitlich von mir weg. Man muss dazusagen, auf vielen Abschnitten gibt es kein Straßenbankett. Man geht auf der Straße und hat kaum Möglichkeit, auf die Seite zu treten, da das hohe Gras direkt daneben beginnt oder ein abschüssiger Straßengraben. Es war für mich jedoch ein gutes Training, um Abstand und Geschwindigkeiten abschätzen zu lernen.
Mit dem Blick blieb ich bis zum Schluss in den Augen des Autofahrers, die sich vom ersten Grinsen in ein "...was macht er denn jetzt?", erschrecktes Gesicht wandelte. Es hatte jeder im Endeffekt mehr Angst um sein Auto, ging kurz vom Gas und machte damit kurz vor mir doch einen Bogen um mich.
Ein paarmal blieb das Auto fast stehen, da jetzt der Autofahrer ärgerlich war. Sofort deutete ich ihm, mit den Stöcken in der Hand nach, er solle nur herkommen, dafür fehlte aber allen der Mut. Sie gaben wieder Gas und fuhren weiter, denn meine gesamte Körperhaltung strahlte Ärger aus und darauf wollten sie sich dann doch nicht einlassen, denn sie spürten, dass sie im Unrecht waren.
Sie wussten natürlich nicht um meine körperliche Unterlegenheit, denn eigentlich hätte ein Windhauch gereicht und ich falle um. Und da sind wir wieder beim Thema "nicht sichtbare Behinderungen". In diesem Fall habe ich es nicht mehr hingenommen, mich so behandeln zu lassen und mich zur Wehr gesetzt. Zu lange habe ich Dinge hingenommen und den Ärger in mich hineingefressen. Da war es natürlich eine gute Möglichkeit, mit diesen Emotionen umgehen zu lernen.
Das kann natürlich zweierlei Konsequenzen haben. Die erste wäre, der Autofahrer hat dazugelernt und wird keine Pilger mehr erschrecken, um nicht selbst dadurch Konsequenzen zu erleiden. Die zweite ist die nicht so schöne, er wird seinen Hass auf Pilger, wo immer der herkommt, weiter ausleben, solange, bis er dann doch einmal die Konsequenzen erleben wird. So hatte dies doch recht negativer Erlebnis für beide Seiten gute Lehren, die ich dankbar annahm.
Vom schwierigen Verkehr auf diesen ersten rund 400 Kilometern hatte ich schon gehört, aber diesmal auch erlebt. Deshalb empfehle ich jedem, ab Porto loszugehen und den Teil ab Lissabon auszulassen. Es ist ein schöneres Pilgererlebnis ab Porto, außer man hat ähnlich gelagerte Themen.
Trotz der oft schwierigen Verhältnisse, nicht nur mit dem Verkehr, möchte ich keinen Meter dieser Strecke vermissen.
Da ich jeden Meter zu Fuß gehe, habe ich auch alles kennengelernt. In den vereinzelten Herbergen habe ich dann andere Pilger kennengelernt, die es anders handhabten. Man geht nämlich praktisch immer in der Nähe der Eisenbahnstrecke und kommt immer wieder an Stationen vorbei. Viele überbrücken dann nicht so schönen Abschnitte mit der Eisenbahn und gehen eben dann wieder weiter. Auch eine Möglichkeit, ich aber wollte wirklich alles zu Fuß zurücklegen.
Und da kommen wir zum Geruch. Speziell auf den ersten 200 Kilometern liegt oftmals ein Fäkaliengeruch in der Luft, der einem den Atem nimmt. Erst viel später erfuhr ich von einem in Portugal lebenden Deutschen, dass viele Portugiesen keinen besonderen Umwelt- oder Naturschutzgedanke haben. Dazu kommt die Teuerung, dass viele kaum mehr Geld haben. Aus diesen Gründen, werden die Senkgruben oft nicht ausgeleert und gehen über. Das mündet in einem übelriechendem Gestank im Straßengraben, neben dem man ja viele Kilometer zurücklegt.
Das alles klingt sehr negativ über Portugal, aber das gehört auch einmal gesagt. Es ist natürlich nicht überall so und es gibt auch Abschnitte, die wirklich schön sind.
Zwischendurch findet man sich wieder in duftenden Eukalyptuswäldern. Es ist oft eine einzige Dufttherapie, durch den, mit ätherischen Ölen angereicherten Wald, zu gehen. Das ist das Positive, beinhaltet aber gleichzeitig auch Negatives.
Der Eukalyptus ist in Portugal nicht heimisch und wächst bereits auf mehr als einem Viertel der portugiesischen Waldfläche. Er dient der Papierherstellung, weil er so schnell wächst und wird in den meisten Regionen angebaut. Beim Gehen macht sich der Duft bemerkbar und tut vielen Menschen gut.
So schlecht ist es aber für die Tier- und Pflanzenwelt. In einem solchen Wald gibt es keinen Vogelgesang, also auch keine Vögel und die restliche Tierwelt, wie Mäuse, andere Nager oder Rehwild, halten den starken Eukalyptusduft ebenfalls nicht aus. Und das auf einem Viertel der Waldfläche Portugals!
Dem Kommerz wird viel geopfert und dazu kommen jedes Jahr enorme Waldbrände, wo das Feuer viele Häuser und Dörfer verschluckt. Wenn ich genau überlege, habe ich meinen ersten bewussten, dort heimischen Wald, erst nach Tagen gesehen, als es über einen 600 Meter hohen Bergrücken ging.
Es ist zwar im ersten Moment wohltuend durch diese Eukalyptuswälder zu gehen, aber mit dem Wissen um die Hintergründe verliert es seinen Zauber.
Hatte ich am Camino Frances in vier Wochen nur zwei Tage wirklich Regen, so erwische ich hier des Öfteren Regentropfen. Die Stärke wechselt immer ab zwischen leicht, gar nicht und stark. Sobald es beginnt, ziehe ich so schnell wie möglich den Poncho über, denn man hat nur wenige Sekunden Zeit, bis es zu schütten beginnt.
Nass unter dem Poncho zu sein, mag ich nicht besonders. Es wird daher an manchen Tagen ein An- und Ausziehen. Ich bin erstmals in normalen Schuhen von Hoka unterwegs, nicht mit Gore-Tex, das ist für mich gewöhnungsbedürftig. An manchen Tagen habe ich von Früh bis Spät nasse Schuhe, Socken und Füße. Meine Hoka Gore-Tex habe ich ja in Santiago entsorgt, nach 1.200 km, die sie drauf hatten und neue besorgt. Diesmal nur mit Mesh, das ist gewöhnungsbedürftig, wenn es nass ist.
Die knapp 400 Kilometer von Lissabon nach Porto legte ich in 9 Tagen zurück. Ab Porto begleitet mich Alexander Rüdiger, der aus Wien nachkommt. Eine Premiere für uns beide, da wir zwar schon oft die heimischen Pilgerwege in Österreich begangen sind, aber zusammen noch nie in Spanien oder Portugal waren.
Am letzten Tag lege ich 65 km zurück, da ich mich am nächsten Tag in der Früh in Porto mit Alexander treffe. Der Tag besteht fast zur Gänze aus Asphalt und Kopfsteinpflaster, mit immer wieder leichtem Regen dazwischen. Erst im Finsteren treffe ich in Porto ein und muss noch durch die ganze Stadt zur Herberge gehen.
So sehe ich, gleich wie in Lissabon, die ganze Stadt während des Gehens. Spät treffe ich in der Herberge ein, wo ich zum Allerersten die Wäsche wasche. Nach der Dusche sitze ich wieder im Regenzeug in der Küche und bereite ich mir ein Essen. Danach hole ich die Wäsche ab und gehe schlafen. Das war mein bisher längster Tag.
Für diesen ersten Abschnitt habe ich mich bewusst für das Gehen und täglich viele Kilometer entschieden, ab Porto stehen dann weniger Kilometer am Tag auf dem Programm. Darüber im nächsten Teil.
Teil 2 behandelt den Camino Portugiese, von Porto nach Santiago de Compostela.
Am Tag nach meiner Ankunft in Santiago de Compostela geht es wieder weiter. Der Camino Finesterre, mit Muxia, steht an. Diese Runde ist besonders gut geeignet, um den langen Camino France zu verarbeiten, herunterzukommen und sich Zeit zu nehmen. Es sind geplante 230 Kilometer, mit dem Rückweg nach Santiago.
Heute, wo ich das niederschreibe, ist bereits über einen Monat vergangen, seit ich dort war. Es ist viel passiert seither und das fließt natürlich in mein Befinden, Fühlen und Bewerten ein. Denn manches verstehe ich jetzt besser, was mir damals noch nicht klar war. Für viele Dinge brauche ich noch immer lange, um es zu verstehen, bzw. es in mein Herz aufzunehmen.
Schon früh starte ich und mache noch Fotos vor der Kathedrale in Santiago. Mein übliches Cafe hat geschlossen, so muss ich mir ein neues suchen. Gesagt, getan und nach einem Kaffee mit Tostada, wie ein getoastetes Brot in Spanien heißt, gehe ich in einen kleinen Supermarkt und kaufe für unterwegs ein. Ich möchte zuerst nach Muxia, erst danach nach Finesterre und wieder nach Santiago zurückgehen.
Da ich Zeit habe, gehe ich langsam und möchte nur genießen, um die Zeit am Camino gut abschließen zu können. "Das Leben zelebrieren", war ein geflügeltes Wort meines Mit-Pilgers Günter, im Jahr 2019. Trinken und Snacks für unterwegs sind besorgt und los geht's.
Bergauf, bergab führt der Weg durch den Galizischen (Regen-)Wald, den ich schon Ende Februar in allen Grüntönen erleben darf. Der typische Eukalyptus Geruch tut mir gut, allerdings ist er hier nicht heimisch und verdrängt immer mehr die heimische Tier- und Pflanzenwelt. Daran muss ich immer denken und es bekommt einen Schalen Beigeschmack dazu.
In Negreira gehe ich in die öffentliche Herberge, wo ich als einer der ersten eintreffe und mein Bett beziehe. Alle öffentlichen Herbergen in Galizien sind neu renoviert, ein Ergebnis aus der Covid-Zeit. Es gibt hier ein eigenes WC und Badezimmer für Behinderte, einzig der Stiegen Aufgang ist der gleiche seit Jahren.
Über Eisengitter geht es nach oben oder unten. Wie ein Flamingo stolziere ich darauf herum, die Propriozeption lässt grüßen. Noch immer habe ich mit Eisengittern, besonders auf Brücken, meine Probleme, da reicht selbst schon ein Stiegen Aufgang. Solche Eindrücke durch die Umwelt, kann mein Gehirn noch nicht richtig verarbeiten. Die Wahrnehmung umfasst dabei Prozesse wie Reizaufnahme, Weiterleitung, Speicherung und Koordination.
Da die Sonne scheint, nutze ich die Zeit zum Waschen und kann die Wäsche im Freien aufhängen. Ein seltener Luxus im Winter, auch weil ich meistens bis zum späten Nachmittag unterwegs bin und die Sonne bereits im Untergehen ist.
Am nächsten Tag geht es nach Oliveiroa. Die öffentliche Herberge hat diesmal offen. Es ist kalt, aber dafür scheint die Sonne. Letztes Jahr hatte ich Regen und Sturm den ganzen Tag über. Besonders über einen steilen Hügel erwischte mich ein Sturmregen, wie ich ihn selten bisher erlebt habe.
Den ganzen Tag spaziere ich dahin und denke nicht viel. Irgendwie fühle ich mich am rechten Platz und auch wieder nicht. Darüber nachzudenken ist mir nicht möglich, um ein Warum zu finden. Ich rekapituliere den bisherigen Camino und versuche mich an Begebenheiten zu erinnern, die mir besonders in Erinnerung geblieben sind. So halte ich Rückschau über meinen bisherigen Weg und was er mir bisher gebracht hat.
Schon früh starte ich, aber alle Cafés haben noch geschlossen. Ich habe mich entschieden zuerst nach Muxia zu gehen und dann erst nach Finesterre. Nach den Camino-Wegweisern, wo einer nach Muxia und der andere nach Finesterre weist, geht es eine Zeitlang durch den Wald. Plötzlich kommen Gedanken in mir auf: Bin ich am richtigen Weg?
Die letzten beide Tage waren dafür da, alles bisher Erlebte zu verarbeiten. Es war ein toller, erlebnisreicher Camino, wo ich erstmals das Leben genießen konnte, statt in allem Therapie zu sehen. Es fehlte aber bisher die eine große Erkenntnis oder das Erlebnis, dass immer einen Wow-Effekt ausgelöst hat. Daher war ich mir nicht sicher, auf dem richtigen Weg zu sein. Wäre ich besser zuhause aufgehoben, in meiner Rehabilitation?
Normalerweise ein doch recht scheue Vogel, der schnell davon fliegt. Meistens sieht man seinen roten Schwanz noch im Wegfliegen. Dieser aber blieb etwa eineinhalb Meter vor mir sitzen, starrte mich an und zwitscherte, flog aber nicht weg, so als wollte er mir was sagen.
Am gesamten Weg bisher sah ich viele Rotkehlchen und viele Meisenarten, aber keinen einzigen Hausrotschwanz. Es war mein erster am Weg, nach einem Monat durch Spanien. Erst nach etwa 30 Sekunden flog er davon und ich schaue sofort nach, was er bedeutet.
Die genaue Bedeutung und was er mir sagen wollte, könnt ihr hier nachlesen. Ich habe einen eigenen Blog-Artikel dazu geschrieben (Zum Blog-Artikel). Hier reicht die Überschrift der Beschreibung dafür, die da lautete:
"Du bist auf dem richtigen Weg"
Die mich seit dem Morgen beschäftigende Frage, war damit beantwortet. Die Grübelei hatte ein Ende und ich schritt fröhlich mit mir und der Welt weiter. Es war wichtig, aus dieser Grübelei auszusteigen und wieder mehr auf mein Herz zu hören. Denn das Herz lässt mich im Hier sein und den Moment voll auskosten. Pflanzen, Insekten und die Natur bekommen dann wieder mehr Wichtigkeit und gerade das, tut mir gut.
Wenn diese Grübelei auch zum Glück nicht lange andauert, hält sie mich doch davon ab, mir gutes zu tun. Mein Gehirn funktioniert seit dem Hirnabszess anders und ich lerne jeden Tag dazu und besser damit umzugehen.
Überhaupt habe ich seit dem Beginn des Camino Finesterre das Gefühl, besser geerdet zu sein. Immer öfter weicht die Schwere meines Körpers einer Leichtigkeit, die ich in der Natur besonders spüre. In Städten wird es wieder schwerer, darum bevorzuge ich den Aufenthalt in der Natur.
In Muxia angekommen, gehe ich zuerst ans Meer. In der Nähe der Kirche Virxe da Barca lege ich mich auf die Felsen, hin zum Meer und spüre einen Frieden in mir. Einen Frieden, in mir angekommen zu sein. Minutenlang schaue ich auf die stürmische See, ohne einen Gedanken zu haben. In solchen Momenten fühle ich mich am wohlsten, mit den Elementen der Natur um mich.
Das Gehen hat eine gesundheitliche Komponente, die mir hilft, dem Leben einen Sinn zu geben. Mit dem Erreichen von Muxia habe ich rund 1.000 Kilometer im letzten Monat zurückgelegt. Jeder Meter davon ist ein Meter zu mehr Gesundheit und mehr zu mir selbst. Gesundheit und Heilung hat für mich vielleicht eine andere Bedeutung, als was die meisten darunter verstehen könnten.
Es sind in erster Linie der Geist und die Seele für mein Befinden verantwortlich. Denn ob ich daran verzweifle oder akzeptieren kann, wie es ist, findet in meiner Seele und dem Geist statt, nicht im Körper.
Fähigkeiten, die ich vielleicht nie mehr wiedererlangen werde. Was kaputt ist, ist kaputt, Nervenverbindungen zum Beispiel. Trotzdem arbeite ich daran, denn der Körper ist so toll, wie er manche Dinge plötzlich auf andere Weise zustande bringt und umgeht. Das geht nur Step by Step und gehen war mir am wichtigsten.
Mir fällt eine Sendung auf Arte ein, die vom Gehen handelt. Gehen für die Gesundheit, ist das Thema und es erklärt, was alles im Körper dabei passiert. Jede einzelne dieser Aussagen kann ich nur unterstreichen.
Das Gehen ermöglicht mir, mich in dieser Welt zurechtzufinden und kein Pflegefall zu sein. Das muss mir immer wieder bewusst bleiben, denn der Grad zurück, kann sehr schnell sein. Solange ich gehen kann, kann ich ein eigenständiges Leben führen und das möchte ich mir erhalten, solange ich kann. Niemals wieder möchte ich in eine so ausweglose Situation geraten.
Vor genau einem Jahr hatte ich den Nierenstein und durfte an mir sehen, wie schnell es auch in die andere Richtung gehen kann. Hier gehts zum damaligen Bogbericht.
Immer wieder ergoss sich ein kurzer Regenschauer über mich und um 16 Uhr komme ich zur öffentlichen Herberge, wo ich wieder der erste war. Nach mir kamen allerdings nur zwei weitere Pilger, die ich aber nur am Rande wahrnahm.
In einem nahen Café genehmigte ich mir einen Burger mit Pommes und ging zurück zur Herberge. Zufrieden schlief ich schon früh ein und konnte nach langer Zeit wieder einmal ohne aufzuwachen durchschlafen.
In der Früh ging ich als Erstes in ein Café, um zu Frühstücken. Dort traf ich auf den Pilger Kai aus Deutschland. Wir hatten einen guten Draht zueinander und in der nächsten Stunde erfuhr ich einiges über mich, bzw. über das, was mir die Numerologie, in Kombination mit der Astrologie, aktuell zu sagen hatte.
Das sind Dinge, die ich teilweise schon wusste, mir aber seit dem Hirnabszess entfallen sind. Die Stunde war eine Wiederherstellung meiner Synapsen in diese Richtung. Vieles habe ich zwar aufgrund des fehlendes Kurzzeitgedächtnis wieder vergessen, trotzdem ist mir einiges in Erinnerung geblieben und vieles war mir neu. Es waren Dinge, die ich hier nicht genau erläutern kann, um es niederzuschreiben. Es wird mir aber viel für die Zukunft bringen, vor allem, welche Themen bei mir in Zukunft eine Rolle spielen werden.
Im Nachhinein gesehen, bekam jede Entscheidung, jeder Schritt und jeder Tag seit dem Losgehen auf diesem Camino seinen Sinn. Manchmal fragte ich mich, warum gehe ich bloß 20 Kilometer? Einen anderen Tag fragte ich mich, warum gehe ich heute 55? Aber jeder Tag war genau richtig, um nach einem Monat, genau um diese Uhrzeit und an diesem Tag, hier in diesem Café zu stehen und diese Begegnung zu haben.
Wäre nur ein kleiner Baustein in den vergangenen vier Wochen anders gewesen, wäre ich nicht an diesem Platz gestanden und hätte den Pilger Kai nicht kennengelernt. Damit bekam das Krafttier Hausrotschwanz vom Vortag noch mehr Bedeutung, auf dem richtigen Weg zu sein. Dieses Gespräch rundete meinen Camino ab und es fehlte nur mehr mein Weg nach Finesterre, um ihn zu vollenden.
Der Camino Finesterre hat ja eine besondere Bedeutung, die ich in dieser Weise noch nie so erklärt bekommen habe. Muxia ist Wasser und Finesterre Feuer. Zusammen mit Santiago ergibt das ein Kreuz und gehört zusammen. Mit diesem neuen Wissen bekam mein Camino Finesterre eine neue Bedeutung, die ich so noch nicht kannte. Bei der Verabschiedung von Kai, gab er mir noch den Tipp, auf halben Wege nach Finesterre, im Restaurant in Lires, Pulpo zu essen. Es war der beste, den er je gegessen hat.
Gesagt, getan, es wurde auch für mich ein bisheriges Highlight in Sachen Kulinarik. Leider hat die ans Restaurant angeschlossene Herberge noch nicht offen, sonst wäre ich geblieben. Überhaupt ging ich es diesen Tag langsam an und trödelte auf dem Weg. An besonders schönen Stellen rastete ich, viel öfter als bisher, hatte keine Eile und nahm mir Zeit, die Gegend zu genießen.
So kam ich erst am späten Nachmittag in Finesterre an und nahm mir ein Einzelzimmer. Ich wollte in Ruhe meine Gedanken ordnen können, dazu war die Herberge nicht geeignet. Ich blieb nur kurz, denn ich wollte noch hinaus ans Cap, wo meine Reise erst wirklich zu Ende war.
Auf dem Weg dorthin traf ich auch eine Pilgerin aus England wieder, die von der Via de la Plata gekommen ist, sowie ihren französischen Freund, der eine Herberge in Saint Jean Pied de Port betreibt und seit Santiago dabei ist. Ich traf sie einige Tage zuvor, noch vor Santiago und konnte so einiges über die Via de la Plata in Erfahrung bringen.
Das neuerliche Gespräch verkürzte den Weg und die Sonne stand schon tief, als wir das Cap erreichten. So waren auch mir bekannte Gesichter am Cap und ich war nicht allein. Trotzdem suchten dort jeder seinen eigenen Platz, denn jeder hat ein eigenes Ritual, um seine Reise abzuschließen. Bald darauf begann der Sonnenuntergang, den ich bisher jedes Mal anders erlebt habe.
Nach längerer Zeit konnte ich diesmal wieder einen Sonnenuntergang erleben, denn letztes Jahr war das Wetter so schlecht, dass ich beide Male nicht bis zum Abend geblieben bin. Diesmal erinnerte es mich wieder daran, dass jeder Tag ein Ende hat und tags darauf neu beginnt. Auf jeden Untergang erfolgt ein Aufgang, als bildliches Gleichnis für das Leben, was besonders für mich gilt.
Es ist ein dankbarer Zustand, in dem ich mich befinde, dankbar dem Leben gegenüber. Es sind auch viele Touristen anwesend, unter denen sich aber nur eine Handvoll Pilger befinden. Allen gemeinsam ist, dass wir den Abend mit dem Schauspiel der Sonne genießen.
Es hat eine besondere Wirkung, bis ans "Ende der Welt" zu Fuß zu gehen und hier die Sonne unterzugehen zu sehen. Ich muss an die Pilger vergangener Zeiten denken und was für Strapazen sie auf sich genommen haben, um hier stehen zu können. Mir kommen auch viele Bilder aus den vergangenen Jahren und was ich seit dem Hirnabszess erleben durfte. Ja, auch ich bin dankbar hier stehen zu können, nach all dem, was ich durchgemacht habe.
Viele Bilder tauchen in meinem Gehirn auf, während ich auf die im Meer verschwindende Sonne schaue. Auf der einen Seite stehe ich hier mit dem Verstand, auf der anderen mit dem, was mein Herz fühlt. Gefühle und Gedanken springen umher und ohne dass ich es steuern kann, rinnen mir auch ein paar Tränen über die Wange.
Da ich um die Wichtigkeit der Tränen und Trauer weiß, möchte ich dem freien Fluss lassen. Daran hindert mich aber der umherspringende Verstand, der alles unterbindet, besonders aber, Gefühle spüren zu können. Kurze Momente sind möglich, aber sofort holt mich der Verstand zurück und lässt keine Emotionen zu. Er lässt mich in einer Verwirrung zurück. Ich arbeite daran, komme aber nur Stück für Stück damit voran.
Trotzdem verlasse ich freudig diesen Kraftort und bei beginnender Dunkelheit gehen wir Pilger zu Fuß zurück nach Finesterre, den schmalen Pfad entlang, neben der Straße. Dort treffe ich wieder auf meine Pilgerfreunde und wir unterhalten uns den ganzen Weg zurück. So erfahre ich viel über das Hospidalero-Dasein und was es für einen Unterschied macht, eine Herberge am Start des Camino France zu betreuen oder später, weiter im Lande.
Den Tag nach meiner Ankunft habe ich als Ruhetag eingeplant. Als Erstes geht es zum Wäschewaschen. Die Bedienung des Trockners ist kompliziert und aufgrund meines letztjährigen Erlebnisses bin ich vorsichtig. Stufe 2 beim Trockner sollte gehen und so warte ich 20 Minuten darauf, bis es fertig ist.
Ich sitze nur im Daunenanorak und der Regenhose da, denn alles andere habe ich gewaschen. Dann der Schock, wieder ist einiges eingegangen. Auch die Stufe zwei ist zu stark. Beide Unterhosen, die Haube und was mich am meisten schmerzt, die Fleecejacke sind derart eingegangen, dass ich sie nicht oder kaum mehr benutzen kann.
Zum Glück geht meine Hose noch und die Handschuhe. Auch die kurzen Leibchen sitzen etwas strenger, eines muss ich danach wegwerfen. Alles mit spezieller Gummierung ist dahin. Für die letzten Tage eigentlich nicht so schlimm, aber andere Gedanken kommen immer stärker in mir auf. Ich möchte noch weitergehen.
Nach diesem neuerlichen Schock im Waschsaloon spaziere ich durch den Ort und lasse es mir gutgehen. In einer Bar überlege ich, was ich jetzt mache. Ich bin jetzt einen Monat unterwegs und hätte noch Zeit. Der Camino Ingles kommt mir in den Sinn, er wäre in einigen Tagen machbar.
Als Alternative überlege ich auch den Camino Portugiese, der ab Porto in gemütlichen 10 bis 12 Tagen machbar wäre. Allerdings beginnt er eigentlich in Lissabon. Ich überschlage kurz die Distanz von 600 bis 700 km und komme darauf, dass ich es in den verbleibenden 25 Tagen schaffen könnte. Meinen Verstand schalte ich aus und lass das Herz entscheiden.
Da es sich zeitlich nicht ausgeht, nach Santiago zurückzugehen, beschließe ich doch den Bus zu nehmen und dann eine weitere Busverbindung nach Lissabon. Die Überlegung ist nämlich diese, von Graz aus zum Camino nach Lissabon zu gelangen, ist mir bisher zu weit gewesen, denn Fliegen kommt für mich (normalerweise) nicht infrage. Daher war der portugiesische Weg auch noch nie ein Thema für mich.
Als nutze ich die Gunst der Stunde und werde 8 Stunden mit dem Bus nach Lissabon fahren, zum Start des Camino Portugiese. Den Camino Finesterre beende ich somit in Finesterre und werde mit dem Bus zurückfahren. Die drei Tage zu Fuß würden mir am Ende fehlen oder zumindest unnötig Stress verursachen.
In Santiago angekommen, führt mich mein erster Weg in ein Sportgeschäft am Weg. Eine neue Fleecejacke bekomme ich stark ermäßigt und auf dem Weg zur Kassa frage ich noch um Schuhe. Meine derzeitigen haben 1.200 km drauf und reichen für etwa noch weitere 200 km. Da ich dann aber in der Pampa stehen würde, überlege ich mir neue zu besorgen.
Nach vielem Anprobieren bringt mir der Chef des Geschäfts einen Hoka Mafate, sogar das neueste Modell, die er mir mehr als günstig gibt. Allerdings ist er ein wenig zu groß. Die rettende Idee kommt mir im Austauschen der Einlagen, auf meine zwar schon durchgegangenen speziellen Einlagen, aber er passt damit recht gut. Mit diesen neuen Teilen werde ich mich auf den Camino Portugiese wagen.
Mit den Erlebnissen am Camino Finesterre kann ich einen recht guten Zwischen-Abschluss unter einem Monat unterwegs sein ziehen. Meine Wahrnehmung hat sich wieder verbessert und beim Gehen fühle ich mich stabiler.
Das größte war allerdings für mich, dass ich erstmals gehen konnte, ohne etwas verbessern zu wollen. Das brachte mich dazu, den Weg anders genießen zu können, als wie bisher. Bisher war es so, dass ich in allem, was ich getan habe, Therapie sah. Dass es diesmal nicht so war, ist zu einem Großteil auf das therapeutische Tanzen zurückzuführen, mit dem ich schon so lange arbeite.
Mein sechster großer Camino brachte mir viele tolle Momente im Hier und Jetzt, die für mich so wertvoll sind. Aufgrund meines eingeschränkten Denkvermögens und dem fehlenden Kurzzeitgedächtnis, geben mir solche Erlebnisse wie am Camino einen Sinn im Leben. Gehen eröffnet mir eine Tür zur Welt!
Gehen ist für mich eine Kunst geworden. Wie ich mich bewege, so fühle ich mich. Gehen und Bewegen ist ein Gradmesser geworden für mein Befinden geworden, nicht zuletzt durch das therapeutische Tanzen. Am Camino beginnt jetzt auch meine Seele zu heilen, denn wie sagte schon Platon:
"Willst du den Körper heilen, musst du zuerst die Seele heilen!"
Teil 6 wird die Extrameile Camino Portugiese sein. Es ist viel passiert in den letzten Wochen, daher tut es gut, es mit ein bisschen Abstand zu schreiben.
Bis bald und Buen Camino
Astorga, ab hier wird es bergig, nach den endlosen, flachen Geraden der Meseta. Bis Santiago de Compostela wird es ein auf und ab, auf dem Camino Frances 2023.
Nach dem Ruhetag und der Gaudi-Palast Besichtigung fühle ich mich gut und starte früh. Es ist mir nicht klar, welche Herbergen am Weg offen haben werden, so spiele ich bereits am Anfang mit dem Gedanken, dass Bergmassiv an einem Tag zu überqueren.
Bevor ich nach Rabanal komme, kehre ich diesmal noch in Santa Catarina ein. Ein Kaffee mit Croissant muss sein, denn wenn ich Pech habe, ist es die letzte Gelegenheit, bis ins weit entfernte Molinaseca. Eventuell gibt es noch etwas in Rabanal, aber darauf möchte ich mich nicht verlassen.
Unerwartet kommt der Franzose Pierre in den Gastraum. Er hat mich an meinem Ruhetag überholt und hier genächtigt. Er ist Trailrunner und bereitet sich auf einen Lauf vor. Jeden dritten Tag macht er etwa 50 Kilometer, wovon er die Hälfte läuft und dann zwei Tage lang etwa 25 km, in denen er nur geht. So gewöhnt er seinen Körper an die Belastung. Wir haben uns das erste Mal in Carrion getroffen, wo wir zu dritt im Kloster genächtigt haben. Er hat nur einen kleinen Laufrucksack mit 15 Liter Volumen dabei und daher nur das Notwendigste. Sehr bescheiden für den Winter, aber eben nur das, was er wirklich braucht.
Ich beneide ihn um das geringe Gewicht, denn ich habe mindestens das Doppelte mit. Ich starte vor Ihm, im Glauben, von ihm bald eingeholt zu werden. Doch wiedersehen werde ich ihn erst in Villafranka wieder, zwei Tage später. In Rabanal, 10 Kilometer weiter, hat mein Lieblings-Café erstmals geschlossen. Enttäuscht gehe ich weiter und jausne etwas außerhalb der Ortschaft. Allerdings soll in Foncebadon etwas offen haben, der letzten Ortschaft vor dem Crux de Ferro. Auf meinem Wintercamino 2020 hatte dort damals alles zu.
Es überrascht mich, dass auf dem Weg nach oben nur wenig Schnee liegt und das meist nur in Schattenlagen oder auf der nördlichen Seite. Trotzdem ist es heftig, denn Schnee ist nicht mein Terrain. Da merke ich besonders, wie sehr mir das Gefühl und die fehlende Propriozeption in den Beinen fehlt. Ich trete im Schnee zu hart auf, weil ein anderer Krafteinsatz gebraucht wird, den ich nur selten üben kann. Die Bewegung gleicht einem Betrunkenen, da ich immer wieder wegrutsche und die Kraft nicht richtig dosieren kann.
Aber ehe ich mich versehe, bin ich in Foncebadon. Und wirklich, die Herberge hat offen, aber auch doch nicht. Ich überlege kurz, hierzubleiben, um am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang am Crux de Ferro stehen zu können.
Allerdings verwerfe ich den Gedanken gleich wieder, weil eine Pilgerin vor der Herberge wartet und mir sagt, dass die Wirtin erst wieder in zwei Stunden zurück kommt. Solange möchte ich nicht im Freien warten und entschließe mich für den langen Weg nach Ponferrada und gehe weiter.
Um 13 Uhr bin ich am Kreuz angelangt. Alleine, denn Pierre hat mich noch nicht eingeholt. Ich lasse mir Zeit, denn das Ritual ist mir wichtig, hier einen Stein abzulegen, als Metapher für eine Last, die man ab jetzt hinter sich lässt. Nur der Wind pfeift, ansonsten stört mich kein Geräusch. Ich mache ein paar Fotos, lege mich ins Gras und esse wieder.
Im Sommer spielt es sich hier ab, aber jetzt im Winter, bin ich alleine und genieße es. Obwohl noch über 20 Kilometer vor mir liegen, habe ich keine Eile. Es zählt der Moment und der sagt mir, lass dir Zeit.
Nach einer halben Stunde mache ich mich auf den Weg. Der Herausfordernste Teil steht mir bevor. Die extrem vielen Steine machen den Weg besonders schwer. Viele haben hier zu kämpfen, mir aber gefällt das Terrain, denn hier lernte ich viel in den vergangenen Jahren. Seitdem kippe ich kaum noch um.
Diese Kräftigung im Sprunggelenk hatte ich zu lernen, um nicht dauernd umzukippen, was bei mir ein großes Problem darstellte. Allerdings wurde mit der Stärkung das Roboterhafte Gehen stärker, was ich erst später, mit dem therapeutischen Tanzen, in den Griff bekam.
Geschmeidigkeit und Stärke verbinden, seither sieht es normal aus, wie ich gehe und deshalb sieht man mir fast nichts an. Die Tanztherapie verhilft mir, meine Muskeln, Sehnen und Gelenke elastischer und schonender zu verwenden. Es dauerte lange, bis es so weit war, aber es war der Grundstock dafür, um lange Wanderungen machen zu können. Das hilft mir im Alltag sehr, denn ich kann mich seitdem mehr um den Verkehr in der Stadt oder was ich einkaufe, kümmern.
Früher war die Aufmerksamkeit bei meiner Bewegung und darauf zu achten, nicht umzukippen. Ein riesiger Lebensgewinn.
Abwechselnd zwischen Schnee, Nordhängen und den vielen Steinen, "tänzle" ich nach unten. Kurz nach Mandarin überhole ich eine Pilgerin, die übervorsichtig und langsam dahinschreitet. Ich frage sie, ob es ihr gut geht und ob sie was braucht. Sie sieht abgekämpft und müde aus, was um diese Zeit und in dieser Gegend ein schlechtes Omen ist. Sie verneint aber, was ich ihr aber nicht so recht glaube. In diesem Tempo braucht sie noch lange bis ins nächste Dorf.
Da es mittlerweile schon 14 Uhr ist, wird sie bis zum Anbruch der Dunkelheit unterwegs sein. In diesem nächsten Dorf, in El Acebo, gibt es nur ein teures Hotel, dass offen haben soll. Gut für Wanderer, die es nicht so weit schaffen, aber nichts für meinen doch recht schmalen Geldbeutel. Ich habe zwischen 20 und 30 Euro am Tag, für Nächtigung und Essen, Hotelzimmer sind da nicht drin. Ich gebe der Pilgerin den Rat, auf die Straße zu wechseln, da sie über den Pfad zu langsam vorwärts kommt.
Mein Körper fühlt sich hingegen immer leichter an und die Bewegung auch. Bergab überkommt es mich und ich versuche immer wieder, 20 - 30 Meter zu laufen. Es ist ein so tolles Gefühl, denn die Erschütterung beim Auftreten bewirkt eine elektrische Ladung meines gesamten Körpers. Wie sehr habe ich das vermisst!
Dann noch die letzte Steilstufe und ich stehe in Molinaseca. Da es schon spät ist, verzichte ich darauf einzukehren und gehe weiter nach Ponferrada, in die öffentliche Herberge. Der Hospidalero serviert mir eine selbstgemachte Suppe, mit allem drinnen, was man sich vorstellen kann. Nach 11 Stunden am Weg, eine Köstlichkeit, wie ich sie mir nicht besser vorstellen kann.
Am Abend liege ich im Bett und plane die weitere Strecke. Ich muss mich entscheiden, ob ich am Camino Invernio gehe oder am Camino Frances bleibe. Aufgrund der ungewissen Herbergssituation entscheide ich mich für den Französischen Weg. Im gesamten Jänner waren nur rund 30 Pilger auf diesem Weg unterwegs und auch jetzt sind nur wenige Pilger unterwegs. Die Frage, wieviele Herbergen sind geheizt, möchte ich mir nicht stellen, da ist der französische Weg sicherer. Also weiter, dem Camino France folgen.
In der Herberge lerne ich Frederic aus Tschechien kennen, der mit noch weniger Geld unterwegs ist, als ich. Er ist Yoga-Lehrer und spielt eine Menge Musikinstrumente. Die Unterhaltung tut mir gut mit ihm.
In Ponferrada lasse ich mir Zeit und gehe erst spät los. Nach Villafranka sind es nur 23 Kilometer. Auf dem Weg überhole ich Frederic und wir unterhalten uns, im speziellen über Musik. In einem Cafe lade ich ihn zu einem Kaffee ein und er lernt mir einen Rhythmus, der zwar einfach ist, aber doch wieder nicht für mich. Ich merke, wie sich mein Gehirn anstrengen muss, diesen Rhythmus länger aufrecht zu halten. Eine gute Übung für mein Gehirn und die folgenden Etappen übe ich immer wieder mit meinen Stöcken, am Boden aufschlagend, den Rhythmus.
In der Herberge in Villafranka treffe ich wieder auf Pierre. Ich schlage ihm vor, in C´Obreiro weiterzugehen und in der nächsten Herberge zu Nächtigen. Bis dorthin geht fast keiner weiter und die Herberge dort ist toll. Es ist eine Öffentliche, aber auf dem neuesten Stand. Allerdings gibt es keine offene Bar oder etwas zum Essen, man muss alles selber mitbringen. Wir sind dort dann die einzigen Gäste und haben das Haus für uns. Kein Geschnarche anderer stört uns und wir können seit langem ungestört schlafen. Die paar Kilometer Mehrweg haben sich ausgezahlt.
Am Morgen gehen wir zusammen bis Triacastele, wo wir hervorragend Frühstücken. Hier trennen sich unsere Wege, denn ich gehe nach Samos und möchte im dortigen Kloster nächtigen. Es ist ein Umweg von 15 Kilometer, der es aber wert ist.
Traumhafte verschlungenen Pfade und eine einmalige Natur empfangen mich. Moosbewachsene Bäume und Steine, in allen Grüntönen, lassen mich wie im Paradies sein. Als ich in Samos ankomme, wähne ich mich im Ziel, aber es sollte anders kommen. Der Mann, der die Herberge betreut hat, dürfte gestorben sein, wenn ich es vom Tankwart der Tankstelle neben der Herberge, richtig mitbekommen habe. Die Mönche haben die Leitung übernommen, kommen aber erst am Abend wieder.
Solange möchte ich aber nicht warten und obwohl es schon spät ist, werde ich weitergehen. Um halb vier starte ich in Samos und gehe im Schnellschritt ins 15 Kilometer entfernte Sarria, dass ich eigentlich vermeiden wollte. Ich bin schon nach zweieinhalb Stunden dort und gerate in den Karnevallsumzug. Nach den Tagen in den Bergen ein Kulturschock, mit so viel Pauken und Trompeten empfangen zu werden. Der Fasching ist in vollem Gange und ich habe ihn voll vergessen.
Ich habe mir ein Zimmer genommen und schreibe Pierre, dass ich jetzt doch nach Sarria gekommen bin. Ein paar Minuten später schreibt er zurück und wir kommen drauf, dass wir einander angrenzende Zimmer im gleichen Hotel haben. Wir verabreden uns zum Abendessen, wo wir eine angenehme Unterhaltung führen. Mit einer Person geht es ganz gut, aber mehrere am gleichen Tisch überfordern mich noch.
Die kurze Etappe nach Portomarin ist schwerer als gedacht. "Nur" 25 km, aber die haben es in sich. Allerdings eher mental, als körperlich. Wobei das eine, es mit dem anderen hat. Es ist eine mentale Sache, denn ich bin kaum motiviert und schlendere dahin. Pierre bricht erst viel später auf und berichtet mir in Portomarin, daß es ihm gleich ging. Schwere Beine und kaum offene Cafés, machen es "schwer".
Ich kehre nur in ein einziges offenes Café unterwegs ein und schaue sonst nur, daß ich den Zielort erreiche. Testhalber versuche ich mich zu motivieren und siehe da, es funktioniert. Kaum bekomme ich Spannung in den Körper, sind die Beine ok und das Gehen passt. Ich mag aber nicht und lasse mir Zeit.
Trotzdem überholen ich viele Tagespilger. Es sind Spanier, die das Wochenende nutzen oder in den folgenden Tagen auch nach Santiago gehen. Man erkennt sie an den meist sehr kleinen Tagesrucksäcken, denn der große wird vom Gepäckdienst transportiert. Es sind im Verhältnis bisher sehr viele unterwegs, allerdings sind die öffentlichen Herbergen zum Glück den Pilgern vorbehalten, die ihr Gepäck selbst tragen. So bleibt immer genug Platz.
Mein langer Tag bringt mich bis nach Arzua. Ein Regnerischer Morgen zieht sich durch den Tag. Richtig schön wird es nie und es bleibt kühl. Das motiviert aber zum Gehen und in Bewegung bleiben. Wenn ich daran denke, daß ich vor Jahren noch solche Probleme in der Kälte hatte. Das viele Training und das oftmalige Kneipen im Winter, hat mich daran gewöhnt und es hat sich ausgezahlt, über die vielen Jahre, die Mühen auf sich zu nehmen.
Auf diesem Camino ist es erstmals, eben seit sieben Jahren, dass ich über viele Dinge, unter anderem die Kälte, kaum mehr nachdenken muss. Allein dieser Gedanke lässt mich frei und unbekümmert dahin schreiten.
Eine kurze Etappe bringt mich nach O Pedrouzo. Hier treffe ich mich wieder mit Pierre, der heute seinen langen Tag macht. Seine 50 Kilometer hat er in etwa 6 Stunden zurückgelegt. Da kann er ruhig später aufstehen. Wir unterhalten uns viel über Ausrüstung und deren Optimierung. Das macht mir Spaß, denn in den letzten Jahren konnte ich mich kaum mit jemanden darüber unterhalten oder austauschen und musste alles selbst ausprobieren.
Da Pierre heute seine Wäsche wäscht, leihe ich ihm meine Regenhose zum Einkaufen gehen. Er ist so minimalistisch unterwegs, dass er keine Ersatzkleidung dabei hat.
In der Früh lassen wir uns Zeit und gehen spät los. Es ist Anfangs regnerisch, aber das macht uns mittlerweile nichts mehr. Wir tratschen viel auf dem Weg nach Santiago und erreichen zu Mittag die Kathedrale. Nach 26 Tagen habe ich Santiago de Compostela erreicht und 845 km liegen hinter mir. Regen, Schnee und Sonne waren mein Begleiter und tatsächlich habe ich nur einige Regentage darunter, vor allem am Schluss.
Allerdings habe ich kaum Gefühle oder Emotionen in Santiago. Ich freue mich zwar, aber nicht mehr. Zu sehr fordert mich die große Stadt und Emotionen haben keinen Platz. Am Abend gehen Pierre und ich noch essen und verabschieden uns dann. Es waren feine Tage mit ihm.
Als Resümee vom Weg kann ich bisher ziehen, dass ich alles anders erleben durfte, als bisher. Es stand nicht die Therapie im Vordergrund, sondern erstmals das Leben. Ich hatte mir zwar Aufgaben vorgenommen, sowie die Achtsamkeit beim Gehen, denn die Automatik fehlt eben noch, aber nicht mehr. Jedoch war es eine tolle Erfahrung, dass ich nicht mehr in allem was ich tue, Therapie darin sehe. Das ist ein wichtiges Stück näher zum Leben, dass ich hier erreicht habe und zuhause auch umsetzen möchte.
Einen großen Anteil daran hatte meine Tanz-Therapeutin Hanna Treu, wo ich speziell im letzten Jahr wieder intensiv übte und trainierte und der mein besonderer Dank für die Arbeit mit mir gilt. Ohne Das therapeutische Tanzen wäre viel nicht möglich geworden.
Santiago ist für mich aber nur ein Zwischenziel, denn noch wartet der Camino Finesterre, wobei ich allerdings dieses Mal erst Muxia ansteuern und dann nach Finesterre komme werde. 200 Kilometer, die ich zum Ausklingen nutze werde.
Dazu mehr das nächste Mal.
Seit einem Monat bin ich am Camino France unterwegs und dabei begleitet mich immer wieder ein Krafttier, dass mir etwas sagen möchte. In diesem Fall möchte ich näher auf das Krafttier Hausrotschwanz eingehen.
Immer wieder entstehen mit Tieren Situationen, die oft unwirklich scheinen und Emotionen und Gefühle in mir wecken. Die Begegnung mit dem Krafttier Hausrotschwanz war so eine.
Schon in der Früh war ich unruhig und ich bemerkte, mein Geist ist mit etwas beschäftigt. Der Weg war schön, von Oliveiroa weg, nach Muxia, ans Meer führend. Es war die erste Stadt am Meer, vor Finesterre. Diesmal wollte ich den Weg umgekehrt gehen, wie im Jahr zuvor, zuerst nach Muxia und dann erst nach Finisterre.
Im ersten aufkeimenden Tageslicht kamen mir so manche Gedanken, allerdings einer hielt sich besonders fest. War ich noch am richtigen Weg?
Diese Frage stellte sich mir? Es war nicht der richtige Weg nach Muxia gemeint, sondern mein Weg durchs Leben. Denn nur Gehen konnte nicht alles sein. Mein "Überleben" des Hirnabszess hat einen tieferen Sinn, den ich mittlerweile zwar logisch verstehe, den ich aber noch nicht leben oder umsetzen kann.
Eigentlich ist es eine Frage nach dem Sinn des Lebens, die immer öfter aufkommt. Welchem Zweck dient mein Dasein? Es geht hier um tiefgreifende Dinge, denn von einem "normalen" Leben, wie die meisten es kennen, bin ich ausgeschlossen. Arbeit, Familie, Pension - alles ist anders für mich.
Seit bald sieben Jahren besteht mein Leben aus Rehabilitation, darum gehe ich auch hier am Jakobsweg in Spanien, mittlerweile zum sechsten Mal. In der Bewegung bin ich behindert, trotz der vielen Kilometer, die ich bisher zurücklegte.
Bin ich also noch am richtigen Weg?
Die letzten sieben Jahre waren von Rehabilitation geprägt, alles andere war zweitrangig. Ich bin froh darüber, solange durchgehalten zu haben, denn nach diesem Siebener-Zyklus kann ich mir erstmals Gedanken über meinen weiteren Sinn des Lebens machen. Einen wichtigen Hinweis gab mir das Krafttier Hausrotschwanz.
Der Hausrotschwanz ist normalerweise sehr scheu und fliegt davon, wenn wir uns ihm nähern. Ich hatte in den letzten Wochen viele Begegnungen mit dem Rotkehlchen, das mir die Lebensfreude vermittelt, allerdings einen Hausrotschwanz bin ich auf diesem Camino noch nie begegnet.
...und dann saß es plötzlich da! Direkt vor mir und starrte mich an. Nur rund eineinhalb Meter entfernt und flog nicht weg. Ich blieb stehen und schaute es freundlich an. Es war ein tolles Gefühl, uns gegenseitig ins Gesicht zu schauen. Nach einer Minute, die wie eine Ewigkeit schien, ging ich weiter. Der Hausrotschwanz flog mit mir mit und setzte sich alle paar Meter auf einen Ast neben dem Weg und beäugte mich, als wolle er mir etwas sagen. Nach einiger Zeit verschwand er.
Ich sah nach, was es bedeutet und schon die Überschrift überraschte mich. Das folgende ist dem Blog von Kathrin Siedler entnommen. Der Link dazu ist weiter unten:
"Der Hausrotschwanz fliegt in dein Leben und bringt dir Klarheit, intuitive Gabe und Heiterkeit.Wenn das Leben wieder einmal den Zweifel hereinspült, dann halte inne. Bleib bei dir und halte inne. Berühre den Zweifel und dann gib dem Vertrauen Platz. Der Weg, auf dem du bist, ist jetzt der für dich richtige. Das ist klar. Gehe weiter mit all den Erkenntnissen, die du in letzter Zeit hattest und vertraue. Jetzt bekommst du nämlich Führung. Führung von deiner Intuition. Lasse dich führen und die Antworten auf deine Fragen werden zu dir kommen. Lasse Emotionen zu, lasse sie ziehen und genieße die Klarheit.
Dein dich verführender Hausrotschwanz"
Der Link zur Seite: https://kathrinsieder.at/krafttier-hausrotschwanz
Jede dieser Zeilen passt. Am nächsten Tag traf ich einen Pilger, mit dem ich in der Früh eine Stunde sprechen konnte. Es war genau das Gespräch, dass ich zu diesem Zeitpunkt brauchte. Es brauchte dazu 1.000 Kilometer über Stock und Stein, um mich hierher zu führen.
Jeder Schritt, jede Entscheidung und jede Tat in den letzten 30 Tagen, war notwendig, um genau um diese Uhrzeit und an diesem Tag, an dieser Stelle zu sein und das Gespräch führen zu können.
Die Pilgertour von Bayonne nach Finesterre war toll, aber in den ersten 28 Tagen hatte ich noch nicht die erhofften Erkenntnisse erhalten. Aber das ist der Zauber des Camino. Erst am 29. Tag, fast am Ende, mit der Begegnung mit dem Krafttier Hausrotschwanz, änderte sich alles. "Du bist am richtigen Weg!", zerstreute alle meine Zweifel und Bedenken.
Am 30. Tag war es dann soweit. Es war nur eine Stunde, aber die war Richtungsweisend für mein Leben. Während des Weges fragte ich mich öfter, was hat das jetzt wieder für einen Sinn? Ich vertraute darauf, dass das Richtige schon kommen wird. Mal kommt es früher, mal später, aber es kommt. Viele geben zu früh auf, wenn sie nicht das bekommen, was sie wollen. Sie bekommen nämlich das, was sie brauchen und geben dann auf, weil es nicht das erhoffte ist.
So hält der Camino zahlreiche Weisheiten bereit für den, der bereit ist hinzuhören und hinzuschauen. Das macht den Weg so besonders und macht ihn so magisch.
Jetzt weiß ich einen weiteren wichtigen Punkt, um den Sinn, den mein Leben ausmacht. Ich bin froh mir gegenüber, im Vertrauen geblieben zu sein. Die nächsten Tage werde ich ruhig angehen, um darüber nachzudenken und es im Herz aufnehmen zu können.
Herzlichen Dank, lieber Hausrotschwanz!
Als Erstes steht die Meseta an, bevor es dann über die Berge nach Santiago de Compostela geht. Die Meseta beginnt in Burgos und reicht bis nach Astorga, 226 km weit. Die endlosen Geraden bieten sich zum Gehen an.
Das Schreiben stelle ich in den Hintergrund, zu groß ist die Freude am Gehen und das (Er)leben im Hier und Jetzt. Ich habe die letzten Jahre viel dafür getan und darf nun die Früchte ernten, denn ich kann alles besser wahrnehmen und es wird dadurch leichter.
Ich starte im Dunkeln, lasse mir aber Zeit. Die Morgenstimmung in der Meseta ist immer etwas Besonderes. Beladen mit frischem Brot, einer Avocado und genug zum Trinken, mache ich mich auf den Weg. Die ersten Kilometer noch total flach, zieht es sich dann leicht an- und absteigend dahin.
Hontanas ist mein Ziel und der Himmel wolkenlos. Beim Weg aus der Stadt erreicht mich die Sonne. Nach zehn Kilometern gibt es den ersten Kaffee unterwegs, der an diesem Tag auch mein einziger bleiben wird.
Einen Fuß vor den anderen, so schreite ich dahin. Die ersten zwei Tage auf der Meseta sind nicht total flach, sondern ziehen sich leicht über die Hügel. Meine Bewegung spielt nur am Rande eine Rolle. Dieses Gefühl habe ich erstmals und kann daher viel mehr sehen.
Am nächsten Tag geht es im Dunkeln los, die bis Castrojertz anhält. Ich erlebe ein tolles Ende der Nacht und einen schönen Sonnenaufgang. Bei einigen der eindrucksvollsten Gegenden der Meseta komme ich bei schönstem Wetter vorbei.
Allerdings ist es noch recht kalt, wird sich aber bis Mittag auf mehrere Plus-Grade erhöhen. Die ersten schönen Meseta Bilder gelingen mir bei schönstem Wetter, es ist wieder Wolkenlos.
Diesmal nehme ich mir einen langen Tag vor. Diese langen, flachen Geraden überspringen viele und nehmen lieber den Bus. Damit versäumen sie einiges. Für mich hingegen ist es einer der schönsten Abschnitte am Camino Frances und besonders, sie zu Fuß zurückzulegen. Dabei achte ich sehr darauf, wohin sich meine Gedanken bewegen.
Los geht es um 7h Morgens und gegen 18 Uhr Abend möchte ich in Carrion de los Condes sein. Das gibt einem viel Zeit, mit sich ins Reine zu kommen, Gehen reinigt den Geist, wenn man es zulässt.
Fromista erreiche ich nach 34 km, entschließe mich aber zum Weitergehen, hier bleibe ich nicht. Es fühlt sich alles so leicht wie noch nie an. Der Rucksack, das Gehen, alles geht leicht von der Hand. Meine Behinderungen sind noch da, aber alles fühlt sich irgendwie unwirklich an. Seit dem therapeutischen Tanzen im September im letzten Jahr veränderte sich die Wahrnehmung in eine positive Richtung. Natürlich gibt es auch kleine Rückschläge, aber immer zeigt die Tendenz über einen längeren Zeitraum nach Richtung oben. Manchmal kommen mir die Tränen vor Freude, so viel erreicht zu haben.
Da ich die Halbseitenlähmung noch immer spüre, ist es mir wichtig darauf zu achten, den rechten Fuß entsprechend zu belasten und kein Vermeidungsverhalten einreißen zu lassen. Das passiert oft und deswegen muss ich sehr bewusst auftreten und vor allem, einen guten Abdruck geben.
Ich bin froh darüber, das Schreiben einige Zeit sein zu lassen und mich mehr auf das Leben zu konzentrieren. Im Hier und Jetzt lebt es sich am besten.
In Carrion de los Condes komme ich erst spät an, so gegen 19 Uhr, bei Sonnenuntergang. Die dortige Nonne, beim Check-in im Kloster, möchte gar nicht glauben, dass ich 52 Kilometer hinter mir habe. Wahrscheinlich wird auch der Aussteller der Compostela in Santiago nachfragen, ob ich mit dem Bus gefahren oder wirklich gegangen bin.
Nach Carrion kommt ein berüchtigter Abschnitt, der im Winter ein bisschen von seinem Schrecken verliert. Auf 18 km ist rein gar nichts, außer einer Geraden und keine Wasserstellen. Im Sommer braucht man da drei bis fünf Liter Wasser, denn Temperaturen von 40 Grad sind keine Seltenheit. Im Februar hat es beim Weggehen allerdings –3 Grad, was zwar kalt ist, es aber erträglicher als im Sommer macht.
18 km Zeit zum Nachdenken oder aber, auch nichts denken. Ich genieße das Nichtdenken und die Kilometer fliegen nur so dahin. 2018 bekam ich meine wirre Gedankenwelt hier in den Griff, einfach durch langes Nichtdenken. In meinem Gehirn schwirrten damals viele Fragen umher, allerdings nur die Fragen. Weiterdenken war nicht möglich, die Folgen des Hirnabszesses ließen es nicht zu.
Im letzten Jahr passierte mir in Burgos eine posttraumatische Belastungsstörung, die ich durch intensives Gehen auf der Meseta einigermaßen in den Griff bekam. Diesmal kam durch das Schreiben viel hoch, aber ich reagierte rechtzeitig, dass es mich nicht übermannt. Eine große Hilfe ist es dann, im Hier und Jetzt zu sein und im Moment zu leben.
Denn es gibt auch heute noch praktisch kein Weiterdenken von Situationen, vor allem Vergangenen. Dann verfalle ich in eine endlose Schleife aus Fragen, aus der es kein Entrinnen gibt. Der Körper funktioniert nicht mehr, alle Systeme sind blockiert und ich kann kaum gehen. Deshalb ist die Arbeit an Traumas so wichtig, die ich zu einem großen Teil beim therapeutischen Tanzen bearbeite.
Diesmal nutze ich die Konzentration des Gehens. Ich fühle mich frei wie ein Vogel, der durch die Welt schwirrt und lasse mich von meinen Defiziten nicht beherrschen. Ein tolles und unglaubliches Gefühl, dass ich erstmals habe.
Nach diesen ersten 18 Kilometern durch die Kälte erscheint das Dorf Calzadilla de Cueva wie eine Oase, inmitten der Sahara. Im Winter ist man froh, endlich einen heißen Kaffee zu bekommen und eine erste Rast einlegen zu können. Zum Hinsetzen unterwegs ist es zu kalt und zu windig.
Noch ist der Tag aber nicht zu Ende. Immer weiter geht es, durchs flache Gelände. Eigentlich ist Sahagun mein Ziel, aber wie es der Teufel so will, haben alle Herbergen an diesem Wochenende zu und Zettel an den Toren verweisen auf das nächste Dorf. Am Vortag habe ich noch eine Pilgerin in Carrion getroffen, die mit dem Rad auf dem Rückweg nach Burgos war und die mir versicherte, dass Sahagun offen hat. Deswegen habe ich mich auch nicht weiter informiert.
Es hilft alles nichts, ich muss weiter. Zwar habe ich einen guten Schlafsack, eine aufblasbare Matte und den Poncho als Biwaksack, aber bei Minusgraden im Freien zu Campieren, möchte ich doch vermeiden. Also Zähne zusammenbeißen und weitere 12 Kilometer drauflegen. Nach 19 Uhr komme ich bei der Herberge an, wo ich vorsichtshalber vorher noch anrufe. Weitere 8 km bis zur nächsten offenen Herberge wollte ich mir nicht zumuten. Da hätte ich dann doch campiert.
Da ich schon so im Gehen drinnen bin, gehe ich am nächsten Tag die 47 km bis nach Leon. In der mir bekannten Albergue de la Benedictinas quartiere ich mich ein. Ich freue mich den mir schon bekannten Hostaliero Lukas zu sehen, der immer im Winter hier die Stellung hält. Ich übergebe ihm meine gesamte Wäsche zum Waschen und sitze in der Regenhose und im Anorak beim Essen. Nach einer Stunde bekomme ich die Wäsche gewaschen und getrocknet zurück und ich rieche wieder gut.
Danach gehe ich durch Leon, esse und trinke heiße Schokolade mit Churros und schlendere herum. Dann lege ich mich hin und raste mich aus, denn morgen möchte ich unter Umständen in einem Tag nach Astorga gehen, denn ich habe etwas vor.
An Astorga habe ich viele Erinnerungen. 2018 habe ich hier meinen Weg im Juli beendet und nach dem Reha-Aufenthalt im September wieder fortgeführt. Erinnerungen an 2018 habe ich öfter, besonders viele aber in den folgenden Tagen. Eine davon betrifft den Gaudi-Palast.
Schon viermal habe ich ihn von Außen gesehen, aber noch nie war es mir möglich, ihn von Innen zu besichtigen. Meine Hochsensibilität hinderte mich daran. Bevor ich zur Reise aufgebrochen bin, habe ich mir als Ziel vorgenommen, ihn zu besuchen.
Aber hat sich meine Wahrnehmung schon so gebessert, dass ich ihn mir zutrauen kann? Gesagt, getan, nehme ich mir einen Ruhetag in Astorga und reserviere diesen Tag nur für das Museum. Meine Sinne werden so angestrengt, dass für mehr kein Platz ist. Zu meinem Glück bin ich der einzige Besucher so früh am Morgen und kann mich voll und ganz auf den Besuch einlassen.
Museen kosten noch so viel Kraft, aber diesmal gibt es kein Zurück. Die Bauweise kommt mir allerdings entgegen, mit ihren großen Sälen und geschwungenen Formen. Es ist ein Bischofssitz, der allerdings nie benutzt wurde. Zahlreiche Ausstellungsstücke kirchlicher Natur und die Bauweise des Gebäudes werden erklärt.
Ich versuche soviel aufzunehmen, wie möglich und lasse es dann sein. Stolz, mein erstes Museum seit langem besucht zu haben, lasse ich den Tag im Café ausklingen. Danach geht’s wieder in die Herberge, wo ich mich hinlege und versuche zu erholen. Die Meseta habe ich jetzt hinter mir und ab morgen geht es in die Berge.
Ja, morgen geht es ja in die Berge. Optisch reicht der Schnee weit herunter, das hieße auch, dass oben mehr Schnee liegt. Das Gehen im Schnee ist immer wieder eine Herausforderung, denn ich spüre ja nicht, wie stark ich auftrete. Auf hartem Untergrund funktioniert es schon, aber im Schnee oder weichem Schlamm tue ich mich schwer.
Dazu aber mehr im nächsten Bericht.
Nach meinem Ruhetag in Pamplona geht es früh morgens los, in Richtung Burgos. Ich habe keine Eile, denn die erste Etappe sind nur 25 Kilometer, bis nach Puenta de la Reina. Ich bin bestens erholt, nach dem Camino Baztan.
Denn Sonnenaufgang am Alto de Pleia versäume ich zwar wieder, aber auf dem Weg dorthin geht die Sonne auf und die Lichtstimmung ist genau so toll, wie die Jahre zuvor.
Zum ersten Mal achte ich nicht mehr so auf die Bewegung und die Behinderung. Ich lasse mehr das Leben auf mich einfließen und das Erleben bekommt einen neuen Stellenwert. Bisher war ich so mit meiner Bewegung beschäftigt, dass das Leben nebenher stattfinden musste.
Seit dem therapeutischen Tanzen im letzten Jahr, konnte ich einen entscheidenden Schritt nach vorne machen. Meine Wahrnehmung hat sich stark verbessert, so erlebe ich das, was ich sehe, auf intensivere Art.
Der Plaio del Alto ist immer wieder aufs Neue ein Erlebnis, die Aussicht und Lichtstimmung sind toll. Beim Aufstieg habe ich einen Spanier kennengelernt, den ich die nächsten Tage immer wieder treffen werde und mit dem ich mich gut unterhalten kann. Diese einzelnen Begegnungen sind für mich sehr wertvoll, denn sie helfen mir weiter, sozialen Kontakt zu halten.
Allerdings, mehr als drei Leute um mich herum stressen mich. Aber dadurch lerne ich immer öfter soziale Kompetenz und komme Schritt für Schritt weiter.
Am Übergang des Alto del Plaia schaue ich weit ins Land hinein, wo ich die nächsten Tage gehen werde. Solche Fernblicke tun der Seele gut, drum ist es so wichtig nach draußen zu gehen und ins Land zu schauen. Nach dem Alto del Pleia geht es wieder den berüchtigten Schotterweg runter. Ich muss diesmal nicht so sehr aufpassen, nicht umzuknicken, sondern um nicht zu emotional zu werden.
2018 habe ich hier noch bei jedem Schritt vor Schmerzen geschrien, da meine Knöchel noch so schwach waren und ich immer wieder umknickte. So sehr ich wieder leben möchte, so sehr sind diese Momente genauso präsent, wo nicht alles glatt ging oder schwer und unerträglich war. Schritt für Schritt wurden Sie erträglicher, dafür brauchte ich allerdings Millionen und Aber Millionen Schritte, bis es soweit war.
Zu groß sind die Eindrücke gewesen, denen ich ausgesetzt war. Heuer ist es erstmals, daß ich es besser zu-, einordnen und verstehen kann. Der Playo del Alto war damals 2018 ein Hindernis, welches mir ordentlich Respekt einflösste, besonders der Abstieg.
Diesmal gehe ich, zumindest am Anfang, nicht so weit und lege keine so großen Distanzen zurück, wie in den letzten Jahren. Eher langsam und verträumt gehe ich am Weg und lasse mich voll darauf ein, was die wunderschöne Landschaft bietet. Das Weinbau Gebiet Rioja, mit seiner Landschaft um Logrono, genieße ich und lasse mich immer wieder nieder, um einen Kaffee zu trinken. Wein trinke ich noch immer selten, obwohl mich die Weinhänge und der Weinanbau fasziniert.
Wenn es passt und ich finde ein geöffnetes Cafe, schreibe ich an meinem Buch weiter. Die Schreib-App am Handy und eine faltbare Tastatur muss allerdings reichen, mehr ist aus Gewichtsgründen nicht möglich. Bisher gelingt mir das Schreiben recht gut, besser als erwartet.
In Logrono bleibe ich diesmal nicht, durchquere es nur, um nach Najera zu gelangen. Es sind nur wenige Pilger unterwegs und an diesem Tag sehe ich keinen einzigen unterwegs auf dem Weg.
Es wird hier recht spät hell, viel später, als ich von zu Hause gewohnt bin. So breche ich fast immer als einer der ersten von der Herberge auf, noch im Dunklen. Während die anderen Pilger noch beim Frühstück sitzen, erlebe ich das Erwachen des Tages draußen in der Natur.
Ein Morgen ist schöner als der andere und niemals gleich. Es ist zwar kalt, aber die Natur entschädigt für so vieles. Es ist meine liebste Zeit am Camino, wenn die Sonne beginnt, sich zu erheben. Das bringt mich immer wieder zur Zeit im Krankenhaus. Monatelang konnte ich nur den Kopf zur Seite zum Fenster neigen und den Beginn des Tages erleben, ohne nach draußen gehen zu können. Daher erlebe ich es jetzt so intensiv, wie kaum was anderes.
Jeder Morgen ist ein neuer Anfang und erinnert mich, den Tag voll auszukosten, egal was ist. Auch in dunkelsten Momenten sehe ich etwas positives und halte daran fest. Denn nicht jeder Tag beginnt mit Sonnenschein, sondern manchmal bewölkt oder mit Regen, sinnbildlich für das Leben. Allerdings schreite ich gerade dann fröhlich vor mich hinsummend oder manchmal auch laut singend, dahin. Dann scheint die Sonne eben in mir drinnen, denn ich darf gerade wieder einen neuen Tag erleben, unabhängig davon, wie das Wetter ist oder die Lage um mich herum.
Bei Sonnenaufgang unterwegs zu sein, zählt für mich mit zu den schönsten Erlebnissen am Camino. Oft bin ich verwundert zu hören, dass manch einer noch kaum einen zu sehen bekam, weil er so spät aufsteht. Ja, auch das gibt es am Camino, jedem wie es gefällt.
Jeder erlebt das, was er braucht, nicht was er sich wünscht, sagt ein Camino Spruch.
Im Winter haben viele Bars geschlossen und Dörfer präsentieren sich als Geisterstädte. Oft sind es viele Kilometer bis zur nächsten Gelegenheit, ein Frühstück zu bekommen. Dann heißt es, sich auf einer Bank bequem zu machen und trotz der Kälte, etwas zu sich zu nehmen.
Oft ziehe ich es allerdings vor, im Gehen zu essen. Schon in der Früh richte ich mir alles griffbereit her und brauche so nur in die Taschen um mich herum zu greifen, um Brot, Käse oder Wurst zu erreichen. Einzig der Kaffee, mein Lebenselexier am Camino, geht mir dann ein bißchen ab. Aber das nächste Dorf kommt bestimmt und dann wird das eben nachgeholt.
Bei Belorado erwischt mich ein wenig der Regen. Der Poncho ist ebenfalls in Griffweite und schnell übergezogen. Es ist oft ein rauf und runter, je nach Wetter, denn oft sind es nur kurze Schauer, in Abständen. Mein Pilgerfreund Pau aus Spanien, schilderte das Anlegen des Poncho auf eine lustigen Art, dass der gesamte Pilger-Tisch in Tränen vor Lachen ausbrach.
"Ich blieb unter einer neugebauten Brücke stehen, um mir den Poncho anzulegen. Aber irgendwie schaffte ich es nicht, ihn über den Rucksack zu bekommen und ihn herunterzuziehen. Schlussendlich hängte ich mir den Rucksack auf die Arme, der Poncho über mir und vorsichtig versuchte ich den Rucksack hochzuziehen, aber ich verhedderte mich nur noch mehr in Rucksack, Poncho und mir selbst. Nach zehn Minuten Kampf gab ich erschöpft von den vielen Versuchen auf und ergab mich meinem Schicksal.
Erst da bemerkte ich eine Hebebühne, die auf der Brücke über mir stand. Zwei Bauarbeiter beobachteten meinen verzweifelten Versuch, den Poncho anzulegen. In Zeitlupentempo fuhr die elektrische Hebebühne mit einem Arbeiter zu mir herunter. Keine Regung in seinem Gesicht war während der gesamten Fahrt zu sehen, die rund zwei Minuten dauerte. Bei mir angelangt, der ich noch immer erschöpft am gleichen Punkt stand, stieg er aus, zog mit einem kurzem Griff meinen Poncho über den Rucksack, sagte nur "Itś ok!", stieg wieder ein und fuhr im Zeitlupentempo nach oben. Es war eine Slapstick Nummer vom Feinsten. Ich sah im nach, bedankte mich, bis er nach oben wieder entschwand und ging baff weiter."
Pilger Pau
Ja, solche Erlebnisse hält der Camino bereit für einen und macht selbst das Anlegen eines Poncho zum Erlebnis.
Da ich am nächsten Tag vorhatte, in einem Rutsch nach Burgos zu gelangen, suchte ich nach einer offenen Herberge, ein Stück nach nach Belorado. Die Handy Apps sind zwar gut, zeigen aber nicht immer verlässlich an, ob eine Herberge offen hat oder nicht. Da ich mich noch immer mit dem Telefonieren schwer tue, gehe ich meist auf Vertrauen los und es hat mich noch nie getäuscht. Bisher habe ich immer etwas gefunden.
Da ich in Espinoza schon im Februar 2020 genächtigt habe, wollte ich auch diesmal mein Glück versuchen. Beim Herumspielen am Handy, entdecke ich eine Herberge, gedanklich darauf vorbereitet, dieselbe wie damals zu haben. Es gab die Möglichkeit über WhatsApp zu reservieren und so schicke ich auf gut Glück eine Nachricht ab. Und wirklich, es kommz eine Antwort, dass ein Bett zur Verfügung steht.
In Espinoza angelangt, ist es aber nicht die mir bekannte, sondern eine neue, gleich daneben. Sie wird von Sabine und Ulrich aus Deutschland geführt, die mir einen herzlichen Empfang bereiten. Das Haus ist auf eine angenehme Weise eingerichtet und als Pilger fühle ich mich sofort wohl. Die beiden hatten schon eine andere Herberge geführt und wieder einmal, an diesem Ort, eine behagliche Unterkunft geschaffen. Für mich ist es ideal zum Schreiben und später kommt noch Pau dazu und die zwei Koreanerinnen Sunny und Maria.
Schon beim Weggehen im Finsteren liegt Schnee, dabei wartet die lange Querung eines Gebirgszuges nach Villafranka noch auf mich. Im ersten Morgenlicht erreiche ich den Fuß des Berges. Eine tolle Winterstimmung auf den ersten Metern bergauf, lässt mich den Anstieg beginnen. Die folgenden zwölf Kilometer durch den Wald, lege ich durch Schnee zurück.
Normalerweise tänzle ich hier zwischen tiefen Schlammlöchern, diesmal ist aber alles gefroren. Ich bin früh genug dran, dass die morgendliche Kälte alles gefrieren lässt. Da heute ein sonniger Tag wird, werden es die nachfolgenden mit tiefem Boden und Schneematsch zu tun bekommen.
Zu Mittag bin ich in Atapuerca, einem Fundort der Neandertaler. Am Crux de Atapuerca, einer Hügelüberquerung, verweilte ich fast eine halbe Stunde am Kreuz. Tiefe Emotionen begleiten mich, denn wieder einmal wird mir mein Weg von 2018 bewusst und damit auch die Folgen der Krankheit.
Jeder Schritt damals war wie beim Höhenbergsteigen und erschöpft erreichte ich damals das Kreuz auf der Höhe. Damals legte ich meinen ersten Stein hier nieder und kroch mehr, als ich ging. Ich wusste noch nicht, wo mein Leben hinführen wird und wieweit ich ein "normales" Leben wieder führen würde können. Diese paar Höhenmeter, waren damals wie der Everest für mich. Trotz Muskelschwäche und neurologischer Probleme gehe ich diesmal ohne Schmerzen und viel sicherer.
Trotz der Schmerzen, der Gefühllosigkeit in den Füßen und allen anderen Handicaps, war ich damals glücklich, wie schon lange nicht mehr. Ich war überzeugt, alles schaffen zu können, auch wenn es noch lange dauern würde. Mit den Folgen des Hirntumors hatte ich Anfangs keine guten Aussichten, die erst mit der Fahrt zu meinem ersten Camino Frances 2018 eine unglaubliche Wendung nahm.
Auf dem Weg nach Burgos war ich nur glücklich. Das Gehen ging leicht und ich war voller Freude darüber. Ich "tanzte" auf dem Weg dahin, dass es eine Freude war. Ich bin wie in einem neuen Leben angelangt. Natürlich muss ich noch aufpassen, denn solche Zustände halte nicht ewig an und es kann schnell anders werden. Aber wichtig ist das Jetzt und diesen Zustand so gut wie möglich zu erleben.
Da ich merkte, dass das viele Schreiben manch alte Sachen hochbringt, vor allem aus dem Krankenhaus, verlegte ich mich mehr aufs Gehen, was ich die nächsten Tage beibehalte.
Schon im letzten Jahr hatte ich hier meine Erfahrungen mit dem Aufkommen von alten Traumas. Diese konnte ich damals am besten mit dem Gehen begegnen, wie auch diesmal, denn es hält mich ganz im Hier und Jetzt.
Ja nicht wieder in Gedankenspiralen geraten, die ich nicht weiter denken kann, wie im Vorjahr. In der Freude und im Glücklichsein bleiben, ist die beste Therapie und das bringt mir das Gehen. Noch schützt mich mein Gehirn, mich intensiver mit diesen Themen befassen zu können. Es ist kein Verdrängen, nur ein Vertrauen darauf, dass alles zur rechten Zeit passiert. Wenn es sein soll, wird es passieren und ich kann es aufarbeiten und verstehen. Bis dahin heisst es, sich in Geduld zu üben und alles so nehmen wie es ist.
Weiter geht es links neben dem Flughafen, in Richtung Burgos. Es ist eine Alternativroute, die viele nicht kennen. Statt entlang einer Straße mit viel Verkehr, wandere ich entlang einem Fluss, gesäumt von einem Park und Bäumen.
Der Weg bringt mich bis kurz vor die Kathedrale in Burgos. Trotz der 50 Kilometer, tun mir die Füße nicht weh. Es ist kaum beschreibbar, in welcher Gefühlslage ich mich befinde. Ich bekomme ein Bett in der Herberge, gehe duschen und danach meine Vorräte aufstocken.
Wieder zurück, esse ich nur eine Tütensuppe, denn ich bin dank der vielen kleinen Happen unterwegs, nicht hungrig.
Die folgenden Tage auf der Meseta, werde ich mich mehr aufs Gehen konzentrieren und weniger aufs Schreiben. Die Gefahr, dass die Traumata überhand nehmen, möchte ich nicht eingehen. Ich folge seit dem Hirnabszess immer meiner Intuition und es hat mich noch nie getäuscht. Darauf kann ich vertrauen.
Ein großer Dank gebührt meiner Therapeutin Hanna Treu vom therapeutischen Tanzen, wo ich die meisten meiner Grundlagen fürs Leben lerne. Am Camino habe ich die Möglichkeit diese auch außerhalb dieses geschützten Rahmen anzuwenden und genauso zu dosieren, wie es mir guttut und anders als Zuhause.
Mein Winter Camino 2020 war schon toll, wird aber von 2023 geschlagen. Was sich seither, trotz Pandemie, in der Wahrnehmung getan hat, ist unglaublich. Dieser Camino ist eine Bestätigung für meinen Weg, wobei das therapeutische Tanzen einen großen Anteil hat.
Wen ich heute daran denke, dass mir eine Ärztin 2017 erklärte, dass sich nicht mehr viel verbessern würde, denn die meisten Fortschritte sind im ersten Jahr danach möglich. Damals konnte ich 300 Meter mit Pausen am Stück gehen und war ein Pflegefall.
Es hat vielleicht lange gedauert, viele Jahre und viel Training, aber mit der Tanztherapie hat sich seit 2019 ein völlig neues Kapitel aufgetan und mir zu einem neuen Leben verholfen.
All mein Gelerntes werde ich auf der Meseta umsetzen und meinem Gefühl vertrauen, was mir gut tut, aber davon dann im nächsten Bericht.
Der Camino Baztan wurde mein alternativer Zubringerweg, zum Camino France. Direkt vom Meer weg in Bayonne, geht es über die Pyrenäen nach Pamplona, wo ich auf den Camino Frances treffe. Der Weg ist auf bis zu 6 Etappen ausgelegt, für mich im Winter rechne ich allerdings mit 4 Tagen, aber dazu später mehr.
Mein Gehirn zu trainieren, dazu braucht es eine neue Herausforderung. Seit der Pandemie habe ich in meiner Reha nach dem Hirnabszess eine Menge nachzuholen. Durch die neue Strecke erhoffe ich mir eine Aktivierung von neuen Synapsen. Jeder Weg brachte bisher eine Verbesserung, trotzdem soll es diesmal nebenbei passieren, denn in erster Linie steht bei mir das Leben an, es soll nicht alles aus Therapie bestehen.
Um 8h30 kommt mein Bus in Bayonne an und mein erster Weg führt mich zur Kathedrale. Einen Stempel suche ich vergebens und auch das einzige geöffnete Café kann mit keinem dienen. Da ich nicht zu viel Zeit verlieren möchte, starte ich bald darauf. Zuerst mache ich mich im Café noch fertig zum Gehen, nach der langen Busfahrt.
Durch Bayonne hindurch, geht es vorbei an alten Festungsmauern zum Beginn des Weges. Am Fluss Nive, an dem ein Fuß- und Radweg entlang führt, schlängeln sich die ersten 10 Kilometer den Weg am Flusses entlang, auf dem sich zahlreiche Radfahrer und Nordic Walker tummeln. Auf dem Fluss sind die Ruderer unterwegs.
Da es flach ist, komme ich schnell vorwärts. Danach geht es leicht bergauf und bergab und ich entschließe mich, bis nach Spanien, nach Urdax, zu gehen, um im Kloster zu nächtigen. Alles in allem rund 36 Kilometer. Allerdings sollten es dann um einige mehr werden.
Mit dem ersten Berg habe ich mich bereits ordentlich vertan. Kombiniertes und verschränktes Denken ist für mein Gehirn nach wie vor ein Defizit, dass ich bisher nicht beheben konnte. Die Orientierung ist mir das schon des Öfteren zum Verhängnis geworden, so auch dieses Mal.
Der Weg ist bisher an und für sich sehr gut gekennzeichnet, aber eine Tafel am Berg verwirrt mich. Ohne viel darüber nachzudenken, biege ich nach rechts ab und folge dieser Markierung. Das Jakobsweg Zeichen und die Camino Aufschrift bestärken mich. Allerdings ist ein anderer Camino gemeint, die richtige Strecke sollte für mich geradeaus weiter führen. Auf die Idee, dass hier noch ein anderer Camino kreuzt, komme ich nicht.
Ehe ich mich versehe, lande ich in einem Seitental, auf unwirtlichen Wegen. Plötzlich bin ich auch ohne weitere Wegweiser oder Markierungen unterwegs. Zurückzugehen ist zu weit, so nehme ich den ersten Weg wieder zurück hinauf auf die Höhe und schlage mich teilweise querfeldein durchs Gebüsch. Immer höher steige ich, um zurück zum Camino zu gelangen.
Nach einer anstrengenden Strecke bergauf durch den Wald, treffe ich auf Markierungen. Zwar bin ich wieder in die falsche Richtung unterwegs, aber zumindest auf einem Weg. Nach über 15 Kilometer Umweg, teils über Landstraßen, komme ich wieder auf den Camino Baztan und bin unterwegs nach Urdax, zum Kloster. Dort treffe ich erst um 19 Uhr ein.
Hier bin ich der einzige und gleichzeitig auch der erste Gast in diesem Jahr in der Herberge. 52 Kilometer stehen am Ende des Tages zu Buche. Die Herberge ist nicht geheizt, aber es gibt eine Mikrowelle, in der ich eine Suppe mache, die meine einzige warme Mahlzeit an diesem Tag ist.
Am zweiten Tag stehen rund 30 Kilometer am Programm, mit einer Bergüberquerung in rund 600 Meter Seehöhe. Gestartet bin ich am Vortag auf Meereshöhe. Nach einer kalten Nacht geht es im ersten Morgengrauen los. Ich bin jetzt mitten in den Pyrenäen und der Weg führt auf und ab. Am Pass stapfe ich nur die letzten 50 Höhenmeter im Schnee, denn die Schneegrenze liegt bei ungefähr 600 m.
Auf der anderen Seite geht es wieder runter und bald bin ich im Dorf, wo es eine Herberge geben soll. Ich telefoniere und zehn Minuten später wird mir aufgesperrt. Wieder bin ich der einzige Gast und im Steinbau ist es deutlich kälter, als draußen im Freien. Kein gutes Zeichen für die Nacht, denn ich gehe zum Aufwärmen nach Draußen. Wahrscheinlich wäre Biwakieren wärmer gewesen.
Zunächst noch kurz bergab, führt die weitere Strecke für lange Zeit nur mehr bergauf. Ab rund 600 Meter Seehöhe beginnt wieder der Schnee. Die letzte Abzweigung auf die Straße hinaus lasse ich aus und folge der Markierung des Weges im Wald. Die Straße wäre die Alternative bei zu viel Schnee gewesen, der noch nicht so hoch liegt. Am Puerto de Otsondo bin ich oben angelangt, aber noch nicht am Ende. Kilometerlang zieht es sich noch am Höhenrücken dahin.
Zunächst nur stapfen, ändert es sich aber bald in tiefes Spuren. Es wechselt ab, zwischen tiefen und weniger tiefen Schnee. Harschiger Schnee erschwert das Vorwärtskommen, immer wieder breche ich ein und stecke meist mit einem Bein bis zur Hüfte fest. Mühsam winde ich mich heraus. Zehn Kilometer wird diese Tortur dauern, das ich als willkommenes Training sehe. Zwar nicht erwartet, aber genau deswegen bin ich hier.
Auf den Spuren von Skitourengehern wandle ich dahin. Über 900 Meter Seehöhe erreiche ich, überwiegend im tiefen Schnee spurend. Ich freue mich, als es endlich bergab geht. Trotzdem hat die Plackerei kein Ende. Zwischen Schnee, Schlamm und tiefem Morast komme ich nur langsam nach unten.
Nach vielen Stunden im Schnee erreiche ich das Dorf Amairu. Allerdings hat alles geschlossen, so früh im Jahr geht eben niemand diesen Weg. So ziehe ich weiter bis Olagüe, wo die nächste Herberge wartet.
In Berroeta bin ich um 13h30. Der Anblick der Herberge lässt mich gefrieren. Noch eine weitere Nacht in so einem kalten Steinbau lässt mich gefrieren und dazu habe ich kaum mehr Verpflegung. Nein, das möchte ich nicht und so entschließe ich mich, weiter bis nach Pamplona zu gehen, auch wenn es ein weiterer langer Tag wird. Bei herrlicher Abendstimmung erreiche ich Pamplona. Wieder sind es 49 Kilometer geworden.
Zu meiner Überraschung hat dort die Herberge Jesus y Maria geschlossen, sie wird als Obdachlosen-Quartier genutzt und ich muss mich nach einem anderen Quartier umsehen. Nach diesen 130 Kilometern in drei Tagen, nehme ich mir einen Rasttag in Pamplona. Weiter geht es dann am Camino Frances, unter hoffentlich besseren Bedingungen.
Jetzt raste ich erstmal aus, denn mein Gehirn war ordentlich gefordert. Mal sehen, ob es mir neue Synapsen gebracht hat. Zumindest mit dem Zurechtfinden wird es etwas besser und mit dem Meistern von Bedingungen.