Für den Weg von Logrono nach Burgos, benötigt man einige Tage. Zuerst noch schön, wechselte bald das Wetter. Es wurde bitterkalt und es begann zu schneien. Schnee hatte ich bisher noch nicht einmal auf meinem Wintercamino erlebt.
Als am 1.April der erste Pilger in der Herberge aus dem Fenster blickte und sagte das Schnee liegt, glaubte jeder an einen Aprilscherz. Es war aber Realität.
Von Logrono aus der Stadt hinaus, übte ich sehr foccusiert an meinem rechten Beinabdruck. Seit den Nierenkoliken ist meine Halbseitenlähmung wieder stärker spürbar und ich muss das rechte Bein stärken. Konnte ich schon recht gut in nicht zu schweren Gelände gehen, so musste ich mich jetzt selbst auf Asphalt, auf jeden Schritt konzentrieren. Schon von den Pyrenäen weg habe ich mich daher nicht viel mit anderen Pilgern unterhalten, den die
ses Multitasking, Gehen und Sprechen, strengte an. Viele Kilometer legte ich so alleine und in Stille zurück. Es sind zum Glück nicht allzuviele Pilger unterwegs, so ist meine Kommunikation auf ein Minimum gestellt. Es ging durch zahlreiche Dörfer, die ich mittlerweile ja schon recht gut kenne.
Dazwischen wechselten steile Anstiege mit Abstiegen ab. Es war einfach nur wunderschön in dieser Gegend zu sein, an meinen Defiziten zu arbeiten und das Leben zu genießen. Der März fällt noch in den Winter, daher hat nur hin und wieder eine Bar, ein Cafe oder Herbergen geöffnet. Es waren aber schlußendlich doch viel mehr, als auf meinem Wintercamino, im Jänner und Februar 2020.
So ging ich von Dorf zu Dorf, aber selten mehr als 20 bis 25 km. Eigentlich wollte ich unterwegs gerne schreiben und malen, aber zum Hinsetzen war es zu kalt und die Pausen in den Bars inspirierten mich nicht. So achtete ich in erster Linie auf meine Propriozeption, meine Bewegung im allgemeinen und schaute auf die Kleinen Dinge am Wegesrand.
In Granion, einer Herberge in einer alten Kirche, nahm ich wiedereinmal Quartier. Hier spiegelt es das frühere Herbergs Leben am besten. Man nächtigt auf Turnmatten am Boden und es wird gemeinsam mit den PilgerInnen am Abend gekocht und gegessen.
Danach sitzt man zusammen im Kreis und jeder erzählt etwas über sein Leben oder etwas am Weg Erlebtes. Dabei ist es finster und nur der Sprechende bekommt eine Kerze in die Hand. Da ich der einzige Deutschsprachige war, habe ich natürlich wenig verstanden, was die anderen sagten. Aber allein am Ausdruck der Gesichter konnte man erkennen, wie sehr der Weg manche bisher verändert hat.
Für mich war es der Augenblick, wo ich erkannte, dass mein Ziel "zurück ins Leben" eigentlich erreicht ist. Mit meinen Defiziten bewege ich mich mal besser, mal schlechter durchs Leben. Es darf mich aber nicht vom Leben abhalten.
"Es ist wie es ist, weil es ist und nicht weil es gut ist."
Da ich noch immer "Dranbleiben" möchte, um das Erreichte zu halten oder zu verbessern, kann ich lange auf dieses "zurück ins Leben" warten oder eben gleich Leben. Dazu gehört eben einmal Therapie und an mir arbeiten. Wieder Leben zu können, macht eigentlich nur der mentale Zustand aus. Also zu Ende mit dem "zurück ins Leben" und einfach damit glücklich sein, mit dem was ist. Glücklich sein auch mit Therapie und mit dem allem, was dazu gehört. Es gehört zu mir, wie alles andere auch. Bisher haz es mich vom Leben abgehalten.
Diese Erkenntnis hatte ich in Granon und konnte sie diesmal auch Verinnerlichen. Denn gewußt habe ich es schon länger, bis zur Umsetzung und zur Verinnerlichung dauert es eben.
Am Morgen wachen wir mit Schnee auf. Minusgrade und leichte Schneegrundlage auf den Wegen und der Landschaft ließen mich als äußerste Schicht den Anorak oft auch Tagsüber verwenden. Der kalte, schneidende Wind machte es nicht gerade angenehm.
Trotzdem pfeife ich beim Gehen fröhlich dahin. Das Wetter kann mir nichts anhaben, egal wie es ist. Erinnerungen aus dem Krankenhaus kamen allerdings immer wieder hoch. Aufstehen war mir damals unmöglich, geschweige denn konnte ich gehen, noch hatte ich eineAussicht darauf. Ich war Bettlägrig, ein Pflegefall und das für längere Zeit. Von alldem bekam ich nichts mit und konnte ich auch nicht denken. Beim Blick aus dem Fenster war immer wieder auf einen entfernt liegenden Hang mit Wiese und Obstbäumen gerichtet. Das Grün sog ich auf und inhaliert es. Auch wenn alles triest aussah, ich wollte wieder auf eigenen Füßen spazieren können. Derweil musste der Blick darauf genügen.
Niemand wollte oder konnte mir sagen, wie es um mich steht. In Wirklichkeit war es ein Kampf um Leben oder Tod, den ich aber nicht mitbekam. Ich akzeptierte mein Befinden und tat alles, was ich konnte, um es zu verbessern. Das gilt auch heute noch.
Der Schneefall hier in Spanien glich dem im Krankenhaus. Der grüne Hang gegenüber, war eines Tages plötzlich bedeckt vom Schnee. Es hatte Ähnlichkeit mit der Überzuckerten Landschaft hier in der Gegend um Granon.
Während des Gehen drückte es mir oft die Tränen heraus, denn die Gefühle von damals sind noch stark in mir vorhanden - und auch jetzt beim Schreiben kollern mir die Tränen herab. Ich konnte zwar schon viel am Walkabout verarbeiten, aber die Krankenhauszeit war doch sehr intensiv und ich hatte noch keine professionelle Hilfe dazu.
Das ist mein vierter großer Camino und er ist noch immer nah am Wasser gebaut. Den Tränen lasse ich freien Lauf, denn zulange waren meine Emotionen und Gefühle aufgetaut oder konnte sie nicht zulassen. Da habe ich viel nachzuholen.
Am frühen Morgen stieg ich den Anstieg zum Kreuz hoch. Der Schneebedeckte Weg machte den Aufstieg einfacher, als die Jahre zuvor im Trockenen. Beim Losgehen noch Schneefall, stand ich beim Kreuz von Wolken umringt. Irgendwo an diesem Haufen unter dem Kreuz liegt auch ein Stein von mir, von 2018. Wieder kommen Erinnerungen von damals hoch, wie ich mich hier hochschleppte, mühsam auf den Beinen hielt und jeden Schritt mir hart erkämpfen musste.
Die Gedanken gingen wirr umher und es überraschte mich, dass ich noch immer so stark auf alte Geschichten reagierte.
Das Plateau war mit Schnee voll und ich machte mich nach einer Fotopause an den Abstieg. Ich merkte mein rechtes Bein, welches merklich schwächer war, als das linke. Die Anstrengung des Aufstiegs und die Kälte hatten auf das von der Halbseitenlähmung geschwächte Bein ihre Auswirkungen.
Vorsichtig und langsam stieg ich bergab. Jetzt wartete noch die 10 Kilometer Gerade nach Burgos. Die Hauptstraße vermied ich und nahm den Alternative entlang des Flughafens und später am Fluss entlang. So spazierte ich unter aufkommende Sonne dahin und kam mitten in Burgos an der Kathedrale an. Einen Stempel holte ich noch und ab ins Quartier.
Somit habe ich 285 Kilometer seit dem Start in Frankreich hinter mir und rund 6.000 Höhenmeter.
Am 03.04.2022 hat Leon-Kastilien eine Inzidenz von 270. Im Vergleich dazu Österreich mit über 1800.
Es besteht Maskenpflicht in Innenräumen, wie zum Beispiel in Bars, außer am Sitzplatz. In den Herbergen ist ebenfalls Maskenpflicht, aber es es gibt kaum noch Beschränkungen bei der Belegung der Betten.
Kommt man durch größere Städte, sieht man mehr Maskenträger auf der Strasse. Es bleibt einem aber frei, ob man eine aufsetzt. Speziell ältere Menschen haben eine medizinische Maske auf, selbst im Park, bei großem Abstand. Allerdings hat es derzeit auch "Vorteile", wegen der Kälte.
Jetzt freue ich mich auf die Hochebene, die meist auf 800 bis 900 Höhenmeter liegt. Rund 250, großteils flache, Kilometer warten auf mich und unter anderem die Stadt Leon.
Auf den endlosen Geraden hat man viel Zeit zum Überlegen und nachdenken oder aber auch, nicht zu denken. Bin schon neugierig, wie ich das hinbekomme.
Buen Camino, auch allen Zuhause gebliebenen!
Link zu: Über die Pyrenäen
Link zu: Das Glück des Augenblick am Camino Frances
Am Camino Frances geht es dir umso besser, als du den Augenblick wahrnehmen kannst. Das erfahre ich immer wieder aufs neue.
Im Augenblick zu sein, bedeutet auch mit nicht so angenehmen Situationen klarzukommen, wie manchmal dem Wetter oder Schmerzen. Es ist nämlich alles kein Dauerzustand und gehört ebenso zum Leben.
Manch einer lenkt sich damit am Weg ab, dass er unentwegt Begleitung braucht oder sucht. Er entgeht damit der Konfrontation mit sich selbst, der er aber nicht entkommen kann. Spätestens auf der Meseta mit ihren endlosen, langen und flachen Geraden, kommt er mit sich selbst in Berührung. Da ich nach dem Hirnabszess noch immer sehr viel Ruhe benötige, gehe ich meist alleine. Gespräche kosten mir Energie und Aufmerksamkeit, die ich fürs Gehen brauche.
Heute gings zum Beispiel von Logrono nach Najera, rund 30 Kilometer. Eine einzige Pilgerin habe ich gesehen und kurz mit ihr gesprochen, sonst hatte ich niemanden gesehen.
Zuhause war mein Ziel, meine Gedanken zu leeren, Platz schaffen für neue. Das funktioniert so weit recht gut. Ich kann abschalten, wenn ich es brauche und diese Zeit ist eine Menge, die ich brauche.
Ich genieße es, im Augenblick zu sein. Dann nehme ich die Umwelt besonders gut wahr, besonders die Kleinigkeiten am Weg. Es fängt gerade alles zum Blühen an und die Farben sind besonders schön.
Diese Kleinigkeiten können eine Blüte, ein Käfer oder eine Pflanze sein, die mir ins Auge fällt. Dadurch bleibe ich ganz im Hier und Jetzt verankert. Außerdem spüre ich mich selbst besser und welche Emotionen und Gefühle meinen Körper durchströmen. Ich versuche sie zu benennen und lerne dadurch, mich besser zu verstehen.
Welche Gedanken helfen mir und verbessern mein Befinden, dass gehört zu meinen Aufgaben. Natürlich gehört auch dazu, alles störende zu erkennen und wie ich es wieder gehen lassen kann. Das versuche ich immer weiter zu perfektionieren. Im besten Fall kommen gar keine schlechten Gedanken auf.
Das Wetter kann mich zum Beispiel nicht mehr aus der Ruhe bringen, egal wie schlecht oder gut es ist.
Es waren Tage, wo ich zwischendurch die letzte Zeit aufzuarbeiten versuchte. Anfangs noch mit Problemen beim Gehen behaftet, änderte es sich täglich zum Besseren.
Pamplona zu durchqueren ist immer wieder etwas Besonderes. Es ist die erste große Stadt nach den Pyrenäen. Man kommt recht schnell hinaus auf das Land und dann in Richtung dem ersten Pass, dem Alto de Plano.
Oben auf dem Bergpass steht eines der Wahrzeichen des Camino, Pilger Figuren aus Metall. Die Überquerung ist immer ein grosses Highlight. Beim ersten Mal 2018 war es eine große Herausforderung, besonders der Abstieg danach, über den steilen steinigen Weg.
Die Brücke in Puenta la Reina ist sehr eindrucksvoll und man kann sich gut in alte Zeiten versetzen. Das folgende auf und ab genieße ich, besonders die Städte, die auf einen Hügel gebaut sind.
In Logrono übernachtete ich wieder im Santiago El Real, einem Hostel auf Spendenbasis, angrenzend an eine Kirche. Mit hier verbinden mich schöne Erinnerungen an vor zwei Jahren.
Diesmal übernachten ich auch in Städten. Ich hoffe darauf, auch in Bezug auf Städte, meine Wahrnehmung verbessern zu können.
Das automatische Gehen gehört nach wie vor forciert. Im Moment muss ich zu oft an den Bewegungsablauf denken, besonders auf Schotter und schlechtem Weg. In mir drinnen ist Chaos, denn 5 Jahre Training haben scheinbar nichts geholfen und die eine Woche wegen der Nierensteine lässt mich quasi von vorne beginnen. Trotzdem darf ich mich freuen, denn hätte ich in den letzten Jahren nicht so viel geübt, wer weiß wo ich mich sonst befinden würde.
Das automatische Gehen konnte ich schon verbessern. Die vielen Wiederholungen machen es möglich. Trotzdem fühle ich mich erstmals nicht nur in der Rehabilitation, sondern auch dem Leben näher.
Aktuell geht es weiter in der Region La Riocha, dem Weinbau Gebiet. Was ich dort erlebe, dann das nächste Mal.
Meine Rehabilitation nach dem Hirnabszess hat sehr viel mit Bewegung zu tun. Zunächst war es mir nur wichtig, die Bewegung des Gehens zu lernen. Daran arbeite ich auch heute noch. Mit dem therapeutischem Tanzen kam das intuitive Bewegen in mein Leben und dieses brachte eine neue Dimension der Bewegung, nämlich die Innere, wie die Äußere Bewegung. Welche Impulse zur Bewegung habe ich und möchte oder kann ich diesen nachgehen.
Die letzte Tanztherapiestunde vor meinem Aufbruch zum Camino war sehr erkenntnisreich. Nach Wochen der Schwere nach dem Sturz am Eis und besonders nach dem Nierenstein, brachte diese Stunde einen Umschwung. Noch gezeichnet vom Abgang des Nierensteines, dem Kreuzweh und einer gestörten Propriozeption, fühlte ich mich erstmals seit Wochen danach wieder mit Leichtigkeit und Beschwingtheit erfüllt.
Eine Stunde Bewegung in der Therapie kann anstrengend sein. Diesmal fühlte ich mich aber beschwingt und leicht danach. Es tat so gut, dass ich beschloss, die über 20 Kilometer zu Fuß nach Hause zu gehen und diese intuitive Bewegungen unterwegs im Gehen zu spüren, sie zuzulassen und damit das Gelernte zu verinnerlichen. Es wurde ein Gehen unter Freude und die Bewegung tat gut.
Die in unserem Körper erlebten Erfahrungen, werden durch Bewegung sichtbar. Aufrichtung, Beweglichkeit, Geschmeidigkeit und vieles andere, zeigen vieles im Körper auf, was es schwer oder leichter macht. Einerseits sich diesem Fluss hingeben zu können und andererseits, bewusst etwas korrigieren zu können, macht es faszinierend.
Es kann aufregend sein, seinen Körper durchs Freie zu bewegen. Weder die Leistungsfähigkeit, das Befinden, die Form des Körpers oder irgendwas anderes sollte uns daran hindern, in die Natur zu gehen. Denn wir sind Natur und deshalb fühlen wir uns so wohl darin und es geht uns danach besser.
Natur ist kein Wettkampf und schaffen wir es, diesen (Leistungs-)Gedanken wegzulassen, kann es nur guttun. Dazu müssen wir aber aus diesem Leistungsgedanken aussteigen und nur das tun, was einem entspricht. Vergleich mit anderen gehört nicht dazu, besonders der Vergleich mit Sportlern, denn dann sind wir wieder im Leistungsgedanken.
Mache ich das, was mir guttut, komme ich mir näher und damit verbessert sich mein Befinden. Die richtige Balance zu finden und früh genug zu sagen, es reicht, ist eine Sache, wie gut ich mich spüren und auf mich hören kann, die andere. Dieses Spüren ist immens wichtig, für mehr Wohlbefinden. Das ist meine wichtigste Sache in der Rehabilitation, seit Anfang an.
Der Nierenstein war für mich ein Aufwecken, wieder mehr in mich zu vertrauen, mich zu spüren und meinem Weg treu zu bleiben.
Das therapeutische Tanzen ist meine wichtigste Therapie seit zweieinhalb Jahren und es tut mir leid, nicht früher davon erfahren zu haben. Es hätte vieles erleichtert und gerade in der ersten Zeit nach dem Hirnabszess, vieles besser vorangebracht. Gerade die ersten zwei Jahre waren so wichtig danach.
Die Tanztherapie ist eigentlich für jeden etwas, der Probleme damit hat, sich mit sich selbst zu verbinden. Es ist toll zu sehen, wie es Menschen verändert, oft nach nur wenigen Sitzungen und das in vielen Bereichen. Das über die Bewegung zu sehen, ist einfach genial und leider in unserem Gesundheits- besser gesagt Krankeits-System, nicht sehr bekannt und anerkannt.
Je nachdem wie Corona vorherrschte, fand die Therapie bisher in der Gruppe oder im Einzeltraining statt. Auch die Gruppe hat für mich Vorteile, denn wenn ich mir das Gesamte anschaue, so sind es Meilensteine, die ich ohne Tanztherapie nie erreicht hätte. Meine Bewegung hat sich auf eine Art verbessert, die mir viel mehr Lebensqualität gebracht hat.
Gerade seit Corona hat mir die Tanztherapie sehr geholfen, um über die Runden zu kommen. Sie hat meine Bewegung im Alltag sehr verbessert und durch das intuitive Erfassen erleichtert. Natürlich geht es auch um Leistungssteigerung, aber um keinen Leistungsvergleich mit anderen. Ich verfolge noch immer Trailrunning, obwohl ich seit 6 Jahren nicht mehr gelaufen bin. Es hilft mir nach wie vor, diese innere Leichtigkeit durch Beobachtung zu verinnerlichen, auch wenn ich es im Außen gar nicht kann.
Meine Behinderungen" sehe ich selbst gar nicht als solche, denn eigentlich gibt es keine Behinderungen. Wir werden nur sehr oft in ein Eck gedrängt.
Am Camino merkte ich sehr schnell, ob man sein eigenes Tempo geht oder versucht, das Tempo anderer mitzugehen. Hier lernt man sehr gut, seinem eigenen Tempo zu vertrauen und sich durch nichts aus der Ruhe bringen zu lassen. Allerdings nur, wenn man es möchte.
Der Camino in Spanien war die beste Heilung für mich, genauso wie für viele andere Menschen. Hier konnte ich zum ersten Mal wieder mit mir in Verbindung kommen.
Corona machte es für mich zwei Jahre lang nicht möglich, diesen Weg und diese Art der Heilung weiterzuverfolgen. Dieses Jahr scheint es zu gehen und ich werde es ab nächster Woche wagen. Mit dem Bus werde ich nach Frankreich fahren, um den Camino France zu gehen.
Ich weiß noch, wie ich mich letztes Jahr auf dem Weg durch Österreich, noch oft schwergetan habe. Pilgern in Spanien hätte ich vorgezogen. Corona hat das Reisen zu meinem Nachteil sehr verändert. Aber ich habe mich letztes Jahr quasi hineingeworfen und die Herausforderung angenommen, dieses neue Leben zu lernen. Genauso mache ich es auch dieses Mal. Ich lasse alle Regeln auf mich zukommen und versuche damit klarzukommen. Allein die Anreise ist für mich schon eine Herausforderung.
Bin ich zum Walkabout von zu Hause losgegangen, reise ich diesmal mit dem Bus an, so wie zu meinem letzten Camino, im Jänner 2020. Von daheim losgehen nach Santiago de Compostela, geht für mich diesmal nicht, denn wenn ich es auch noch so gerne täte, es ist zu früh, zu kalt und nach dem Nierenstein ist mein Zustand auch nicht gut.
Ich verfolge dieses Mal andere Ziele. Ich werde versuchen zu Schreiben und an meinem Buch weiterarbeiten, meine Bewegung zu verfeinern, zu Malen und einfach eine gute Zeit zu verbringen. Nach diesen zwei Jahren mit Corona, wo es im Gesamten mit meiner Rehabilitation bergab ging, ist es dringend an der Zeit, wieder etwas in die andere Richtung zu machen.
Mein Glaube in die Politik und die Ärzte hat in dieser Zeit sehr gelitten und nur das therapeutische Tanzen hat mich einigermaßen oben gehalten. Es geht in unserem System noch immer sehr um das Geld und weniger um den Menschen. Daher werde ich meinen Weg weiterhin verfolgen.
Bewegung in der Natur hilft mir schon lange, trotz der Behinderung, ein erfülltes Leben zu leben. Innere und äußere Bewegung wurden mein wichtigstes und das kann ich in der Natur am besten ausleben. Mein "Zurück ins Leben" veränderte sich sehr, hauptsächlich durch Corona.
Es ist mir wichtig, wieder Beziehung zu Menschen zu lernen, mich austauschen zu können und andere Sichtweisen kennenzulernen. Das wird am Camino besonders interessant, da dort so viele verschiedene Nationalitäten anzutreffen sind. So lasse ich mich überraschen, wie sich meine innere und äußere Bewegung verändert.
Bezüglich der Nationalitäten möchte ich noch eine Geschichte vom Camino Norte 2019 erzählen. Ich übernachtete in einem Kloster und war zu einem Empfang und Gottesdienst für die Pilger eingeladen. Allerdings kam ich mit einem Israeli zu spät zum Treffpunkt und so suchten wir den Raum, wo es stattfinden sollte.
Jemand schickte uns nach außerhalb des Klosters, in deren Nähe eine Kirche stand. Wir öffneten die große Eingangstüre und blickten vorsichtig hinein. In diesem Augenblick drehten sich dreißig Köpfe nach uns um und der Pfarrer winkte uns mit einer einladenden Geste zu sich. Wir überlegten kurz, konnten aber nicht mehr zurück.
Es waren nur Einheimische anwesend und beim Hineingehen flüsterte der Israeli in Englisch zu mir: "But it´s not my Confession!". "I think, it´s ok. No problem!", antwortete ich ihm. Sein Gesicht dabei werde ich nie mehr vergessen.
Beim nach vorne gehen an den Sitzreihen vorbei, bekamen wir aus jeder Reihe einen Gruß oder ein "Buen Camino" zu hören. Der Pfarrer setzte uns in die erste Reihe und führte seine Predigt auf Spanisch fort. Es war zum Glück bereits das Ende des Gottesdienstes, aber er hatte dann noch eine Extrazulage, eine Pilgergeschichte über den heiligen Jakob auf Englisch für uns, dem auch die dreißig Einheimischen gespannt zuhörten.
Im Anschluss gab es sogar noch einen Pilgerseegen für uns. Daraufhin sollte jeder von uns beiden erzählen, woher wir kamen und etwas, was wir am Weg erlebt haben. Danach wurden wir vom Pfarrer und allen dreißig Personen persönlich mit Handschlag verabschiedet und uns alles Gute für den weiteren Weg gewünscht.
Ein tolles Erlebnis, das zeigte, wie tief verankert der Jakobsweg in Spanien ist und wie freundlich alle Nationalitäten aufgenommen werden. In dieser heutigen Zeit keine Selbstverständlichkeit. Es wird spannend, wie ich es diesmal aufnehmen werde.
Am Dienstag geht es in Saint Jean Pied del Port los und die nächsten Wochen werde mich 800 Kilometer zu Fuß nach Santiago bringen. Seit dem Nierenstein habe ich mich wieder verstärkt der Propriozeption gewidmet und auch am Camino werde ich mich dem widmen, ebenso wie dem Leben.
Am Camino kann ich so sein, wie ich bin und darauf freue ich mich.
"Buen Camino!"
Die Folgen des Hirnabszesses bereiten mir nach wie vor Schwierigkeiten. Der Abszess saß am Thalamus, der Steuerzentrale des Körpers. Durch die Corona-Pandemie musste ich meine Rehabilitation verändern und das war nicht leicht, denn viel Training der ersten Jahre war damit umsonst, wie das Gewöhnen an die Stadt.
Seit der Pandemie ist die Natur noch mehr mein "Rehazentrum" geworden. Das Idita Sport Race in Alaska nannte der Regisseur Gernot Lercher, die größte "Sportarena" der Welt. Heute ist die Natur meine größte "Reha-Arena" der Welt.
Oft geht ein Hirnabszess mit einer gesamten Wiederherstellung aller Funktionen aus. Bei mir ist das nicht der Fall, da der Abszess am Thalamus saß.
Der Thalamus ist die Steuerzentrale des Körpers und betrifft Körper und Geist. Daher bin ich auch noch nach über fünf Jahren in Therapie und Rehabilitation.
Er ist die Sammelstelle für alle Sinneseindrücke, außer dem Geruchssinn. Bei mir kommt es zu Störungen der Oberflächen- und Tiefensensibilität, welche eine Schwere in den Extremitäten zu Folge hat. Motorische Phänomene und eine Halbseitenlähmung kommen dazu.
Die Tiefensensibilität ist für die Eigenwahrnehmung der Motorik wichtig, um seine Lage im Raum zu bestimmen und seine Haltung zu entwickeln. Nur langsam kann ich mich wieder räumlich zurechtfinden und orientieren.
Bergauf und bergab wurde es zwar auch besser, ich habe aber noch immer Schwierigkeiten damit. Solange mein Kopf aufrecht bleibt, habe ich es unter Kontrolle. Muss ich den Kopf neigen, bekomme ich Wahrnehmungsschwierigkeiten, die sich in Schwindel äußern und Unsicherheit. Darum geht es in erster Linie, wenn ich von Wahrnehmung spreche.
Das Training dafür führt mich meist in die Natur. Steile Hänge querfeldein kletternd, bringen mich schnell ans Limit.
Da ich mit allen vieren dahin steige, bin ich außerhalb der Zentriertheit, was mein Gehirn nicht verarbeiten kann. Bleibe ich stehen, muss ich zuerst die Augen schließen, um den Schwindel zu verarbeiten. Nach ein paar Minuten kann ich weiter steigen.
So arbeite ich mich höher und höher. Es ist ein langsames herantasten, wie das Gehen lernen. Körperlich ist es anstrengend, denn die Muskelschwäche lässt mich schnell außer Atem kommen.
Die ersten Jahre war es mir nur wichtig, wieder aufrecht gehen zu können. Jetzt stehen die nächsten Hürden an. Schnelle Lageveränderungen sind mir nicht möglich und daher mein nächstes Ziel. Es würde so viel mehr an Sicherheit bringen, nicht nur im Straßenverkehr.
Seit der Corona-Pandemie halte ich mich fast nur mehr in der Natur auf. Mich an die Stadt zu gewöhnen, habe ich derzeit aufgegeben. Ich genieße die Wunder der Natur und besonders die ersten Frühlingszeichen. Speziell die Bäume strahlen eine Stärke aus und passen sich oft der Natur ganz ungewöhnlich an.
Die Natur ist mir dabei sehr behilflich, meine Wahrnehmung zu verbessern. Allerdings ist es nur in kleinen Schritten möglich, denn nach einem solchen Training brauche ich mehrere Ruhetage.
Sobald es die Pandemie zulässt, möchte ich wieder Pilgern gehen, denn das ist dafür besonders geeignet, meine Wahrnehmung zu verbessern.