"Menschen im Porträt", das Interview!

Für die YouTube Serie, "Menschen im Porträt", von Markus Leyacker Schatzl, habe ich mich letztes Jahr bereit erklärt, nach langer Zeit, vor die Kamera zu treten. 2017 gab es einen Beitrag von Puls4, wo ich mit meinen Handicaps noch sichtlich zu kämpfen hatte. Das war einer der Gründe, dass ich ein längeres Interview bisher immer abgelehnt hatte.

Besonders die Wortfindungsstörungen waren unangenehm. Ich vergaß oft mitten im Satz, worüber ich weiter sprechen wollte oder vergaß einzelne Wörter im Satz. Deswegen hatte ich alles abgelehnt, was mit einer Kamera zu tun hatte.

Markus hat mich schon vor einigen Jahren das erste Mal gefragt, aber ich fühlte mich nicht bereit dazu. Für ein längeres Interview fehlte mir die Konzentrationsfähigkeit und mich entsprechend ausdrücken zu können.

Einen Wendepunkt brachte eine Einheit beim therapeutischen Tanzen, vor zwei Jahren. Damals verbesserte sich meine Wahrnehmung und für einige Minuten konnte ich mich, gefühltermaßen ohne Denken, bewegen. Es hatte großen Anteil daran, es zu versuchen.

Ich habe aber auch Markus zu danken, für seine verständnisvolle Art mich zu Interviewen. Die Unterhaltung ließ mich die Anwesenheit einer Kamera vergessen und war wie ein Gespräch im Kaffeehaus.

Das Ergebnis kann man hier anschauen:

Ich hoffe, es kann ein bisschen vermitteln, was ich in den letzten Jahren alles erlebt habe und eigentlich noch immer erlebe. Mit dem Gehen habe ich mir etwas erarbeitet, was mein größter Wunsch war. Es ermöglicht mir das Abenteuer Leben, mit all seinen Facetten, neu zu entdecken. In gewisser Weise bin ich wie ein Kind, daß genauso wie ich, das Leben entdecken möchte.

Der vielleicht irreführende Titel meint, ich sei um die Welt gegangen. Das bin ich natürlich nicht, sondern ich bin seit 2016 rund 45.000 Kilometer in Summe gegangen. Das wäre einmal am Äquator rundherum, was über 40.000 Kilometer wären.

Sehr viel bin ich in meiner Heimat gegangen und rund 16.000 Kilometer auf Pilgerwegen und Fernwanderungen. Ich habe meine Automatik verloren und die millionenfachen Wiederholungen, helfen mir Gehen zu können. Tue ich nichts, bildet sich alles schnell zurück.

So lange es brauchte und so schwer es war, wieder gehen zu lernen, so wartet jetzt ein noch größeres Abenteuer auf mich, nämlich LEBEN zu lernen.

Menschen im Porträt, Jörg Krasser

„Das größte Abenteuer, das du haben kannst, ist das Leben, das du dir erschaffst.“

Unbekannt

Camino France 2023 - Von Burgos nach Astorga, die Meseta

Als Erstes steht die Meseta an, bevor es dann über die Berge nach Santiago de Compostela geht. Die Meseta beginnt in Burgos und reicht bis nach Astorga, 226 km weit. Die endlosen Geraden bieten sich zum Gehen an.

Das Schreiben stelle ich in den Hintergrund, zu groß ist die Freude am Gehen und das (Er)leben im Hier und Jetzt. Ich habe die letzten Jahre viel dafür getan und darf nun die Früchte ernten, denn ich kann alles besser wahrnehmen und es wird dadurch leichter.

Gehen auf der Meseta
Gehen auf der Meseta

Von Burgos nach Hontanas

Ich starte im Dunkeln, lasse mir aber Zeit. Die Morgenstimmung in der Meseta ist immer etwas Besonderes. Beladen mit frischem Brot, einer Avocado und genug zum Trinken, mache ich mich auf den Weg. Die ersten Kilometer noch total flach, zieht es sich dann leicht an- und absteigend dahin.

Hontanas ist mein Ziel und der Himmel wolkenlos. Beim Weg aus der Stadt erreicht mich die Sonne. Nach zehn Kilometern gibt es den ersten Kaffee unterwegs, der an diesem Tag auch mein einziger bleiben wird.

Einen Fuß vor den anderen, so schreite ich dahin. Die ersten zwei Tage auf der Meseta sind nicht total flach, sondern ziehen sich leicht über die Hügel. Meine Bewegung spielt nur am Rande eine Rolle. Dieses Gefühl habe ich erstmals und kann daher viel mehr sehen.

Am nächsten Tag geht es im Dunkeln los, die bis Castrojertz anhält. Ich erlebe ein tolles Ende der Nacht und einen schönen Sonnenaufgang. Bei einigen der eindrucksvollsten Gegenden der Meseta komme ich bei schönstem Wetter vorbei.

Allerdings ist es noch recht kalt, wird sich aber bis Mittag auf mehrere Plus-Grade erhöhen. Die ersten schönen Meseta Bilder gelingen mir bei schönstem Wetter, es ist wieder Wolkenlos.

Carrion de la Condes, Meseta

Diesmal nehme ich mir einen langen Tag vor. Diese langen, flachen Geraden überspringen viele und nehmen lieber den Bus. Damit versäumen sie einiges. Für mich hingegen ist es einer der schönsten Abschnitte am Camino Frances und besonders, sie zu Fuß zurückzulegen. Dabei achte ich sehr darauf, wohin sich meine Gedanken bewegen.

Los geht es um 7h Morgens und gegen 18 Uhr Abend möchte ich in Carrion de los Condes sein. Das gibt einem viel Zeit, mit sich ins Reine zu kommen, Gehen reinigt den Geist, wenn man es zulässt.

Fromista erreiche ich nach 34 km, entschließe mich aber zum Weitergehen, hier bleibe ich nicht. Es fühlt sich alles so leicht wie noch nie an. Der Rucksack, das Gehen, alles geht leicht von der Hand. Meine Behinderungen sind noch da, aber alles fühlt sich irgendwie unwirklich an. Seit dem therapeutischen Tanzen im September im letzten Jahr veränderte sich die Wahrnehmung in eine positive Richtung. Natürlich gibt es auch kleine Rückschläge, aber immer zeigt die Tendenz über einen längeren Zeitraum nach Richtung oben. Manchmal kommen mir die Tränen vor Freude, so viel erreicht zu haben.

Da ich die Halbseitenlähmung noch immer spüre, ist es mir wichtig darauf zu achten, den rechten Fuß entsprechend zu belasten und kein Vermeidungsverhalten einreißen zu lassen. Das passiert oft und deswegen muss ich sehr bewusst auftreten und vor allem, einen guten Abdruck geben.

Ich bin froh darüber, das Schreiben einige Zeit sein zu lassen und mich mehr auf das Leben zu konzentrieren. Im Hier und Jetzt lebt es sich am besten.

In Carrion de los Condes komme ich erst spät an, so gegen 19 Uhr, bei Sonnenuntergang. Die dortige Nonne, beim Check-in im Kloster, möchte gar nicht glauben, dass ich 52 Kilometer hinter mir habe. Wahrscheinlich wird auch der Aussteller der Compostela in Santiago nachfragen, ob ich mit dem Bus gefahren oder wirklich gegangen bin.

18 km durchs Nichts der Meseta

Nach Carrion kommt ein berüchtigter Abschnitt, der im Winter ein bisschen von seinem Schrecken verliert. Auf 18 km ist rein gar nichts, außer einer Geraden und keine Wasserstellen. Im Sommer braucht man da drei bis  fünf Liter Wasser, denn Temperaturen von 40 Grad sind keine Seltenheit. Im Februar hat es beim Weggehen allerdings –3 Grad, was zwar kalt ist, es aber erträglicher als im Sommer macht.

18 km Zeit zum Nachdenken oder aber, auch nichts denken. Ich genieße das Nichtdenken und die Kilometer fliegen nur so dahin. 2018 bekam ich meine wirre Gedankenwelt hier in den Griff, einfach durch langes Nichtdenken. In meinem Gehirn schwirrten damals viele Fragen umher, allerdings nur die Fragen. Weiterdenken war nicht möglich, die Folgen des Hirnabszesses ließen es nicht zu.

Im letzten Jahr passierte mir in Burgos eine posttraumatische Belastungsstörung, die ich durch intensives Gehen auf der Meseta einigermaßen in den Griff bekam. Diesmal kam durch das Schreiben viel hoch, aber ich reagierte rechtzeitig, dass es mich nicht übermannt. Eine große Hilfe ist es dann, im Hier und Jetzt zu sein und im Moment zu leben.

Denn es gibt auch heute noch praktisch kein Weiterdenken von Situationen, vor allem Vergangenen. Dann verfalle ich in eine endlose Schleife aus Fragen, aus der es kein Entrinnen gibt. Der Körper funktioniert nicht mehr, alle Systeme sind blockiert und ich kann kaum gehen. Deshalb ist die Arbeit an Traumas so wichtig, die ich zu einem großen Teil beim therapeutischen Tanzen bearbeite.

Diesmal nutze ich die Konzentration des Gehens. Ich fühle mich frei wie ein Vogel, der durch die Welt schwirrt und lasse mich von meinen Defiziten nicht beherrschen. Ein tolles und unglaubliches Gefühl, dass ich erstmals habe.

Nach diesen ersten 18 Kilometern durch die Kälte erscheint das Dorf Calzadilla de Cueva wie eine Oase, inmitten der Sahara. Im Winter ist man froh, endlich einen heißen Kaffee zu bekommen und eine erste Rast einlegen zu können. Zum Hinsetzen unterwegs ist es zu kalt und zu windig.

Noch ist der Tag aber nicht zu Ende. Immer weiter geht es, durchs flache Gelände. Eigentlich ist Sahagun mein Ziel, aber wie es der Teufel so will, haben alle Herbergen an diesem Wochenende zu und Zettel an den Toren verweisen auf das nächste Dorf. Am Vortag habe ich noch eine Pilgerin in Carrion getroffen, die mit dem Rad auf dem Rückweg nach Burgos war und die mir versicherte, dass Sahagun offen hat. Deswegen habe ich mich auch nicht weiter informiert.

Es hilft alles nichts, ich muss weiter. Zwar habe ich einen guten Schlafsack, eine aufblasbare Matte und den Poncho als Biwaksack, aber bei Minusgraden im Freien zu Campieren, möchte ich doch vermeiden. Also Zähne zusammenbeißen und weitere 12 Kilometer drauflegen. Nach 19 Uhr komme ich bei der Herberge an, wo ich vorsichtshalber vorher noch anrufe. Weitere 8 km bis zur nächsten offenen Herberge wollte ich mir nicht zumuten. Da hätte ich dann doch campiert.

Leon

Da ich schon so im Gehen drinnen bin, gehe ich am nächsten Tag die 47 km bis nach Leon. In der mir bekannten Albergue de la Benedictinas quartiere ich mich ein. Ich freue mich den mir schon bekannten Hostaliero Lukas zu sehen, der immer im Winter hier die Stellung hält. Ich übergebe ihm meine gesamte Wäsche zum Waschen und sitze in der Regenhose und im Anorak beim Essen. Nach einer Stunde bekomme ich die Wäsche gewaschen und getrocknet zurück und ich rieche wieder gut.

Danach gehe ich durch Leon, esse und trinke heiße Schokolade mit Churros und schlendere herum. Dann lege ich mich hin und raste mich aus, denn morgen möchte ich unter Umständen in einem Tag nach Astorga gehen, denn ich habe etwas vor.

Astorga, der Gaudi Palast

An Astorga habe ich viele Erinnerungen. 2018 habe ich hier meinen Weg im Juli beendet und nach dem Reha-Aufenthalt im September wieder fortgeführt. Erinnerungen an 2018 habe ich öfter, besonders viele aber in den folgenden Tagen. Eine davon betrifft den Gaudi-Palast.

Schon viermal habe ich ihn von Außen gesehen, aber noch nie war es mir möglich, ihn von Innen zu besichtigen. Meine Hochsensibilität hinderte mich daran. Bevor ich zur Reise aufgebrochen bin, habe ich mir als Ziel vorgenommen, ihn zu besuchen.

Aber hat sich meine Wahrnehmung schon so gebessert, dass ich ihn mir zutrauen kann? Gesagt, getan, nehme ich mir einen Ruhetag in Astorga und reserviere diesen Tag nur für das Museum. Meine Sinne werden so angestrengt, dass für mehr kein Platz ist. Zu meinem Glück bin ich der einzige Besucher so früh am Morgen und kann mich voll und ganz auf den Besuch einlassen.

Museen kosten noch so viel Kraft, aber diesmal gibt es kein Zurück. Die Bauweise kommt mir allerdings entgegen, mit ihren großen Sälen und geschwungenen Formen. Es ist ein Bischofssitz, der allerdings nie benutzt wurde. Zahlreiche Ausstellungsstücke kirchlicher Natur und die Bauweise des Gebäudes werden erklärt.

Ich versuche soviel aufzunehmen, wie möglich und lasse es dann sein. Stolz, mein erstes Museum seit langem besucht zu haben, lasse ich den Tag im Café ausklingen. Danach geht’s wieder in die Herberge, wo ich mich hinlege und versuche zu erholen. Die Meseta habe ich jetzt hinter mir und ab morgen geht es in die Berge.

Ja, morgen geht es ja in die Berge. Optisch reicht der Schnee weit herunter, das hieße auch, dass oben mehr Schnee liegt. Das Gehen im Schnee ist immer wieder eine Herausforderung, denn ich spüre ja nicht, wie stark ich auftrete. Auf hartem Untergrund funktioniert es schon, aber im Schnee oder weichem Schlamm tue ich mich schwer.

Dazu aber mehr im nächsten Bericht.


Camino France 2023 - Von Pamplona nach Burgos, 2.Teil

Nach meinem Ruhetag in Pamplona geht es früh morgens los, in Richtung Burgos. Ich habe keine Eile, denn die erste Etappe sind nur 25 Kilometer, bis nach Puenta de la Reina. Ich bin bestens erholt, nach dem Camino Baztan.

Denn Sonnenaufgang am Alto de Pleia versäume ich zwar wieder, aber auf dem Weg dorthin geht die Sonne auf und die Lichtstimmung ist genau so toll, wie die Jahre zuvor.

Berg auf dem Weg nach Burgos

Mein Plan, weniger Rehabilitation, dafür mehr Leben

Zum ersten Mal achte ich nicht mehr so auf die Bewegung und die Behinderung. Ich lasse mehr das Leben auf mich einfließen und das Erleben bekommt einen neuen Stellenwert. Bisher war ich so mit meiner Bewegung beschäftigt, dass das Leben nebenher stattfinden musste.

Seit dem therapeutischen Tanzen im letzten Jahr, konnte ich einen entscheidenden Schritt nach vorne machen. Meine Wahrnehmung hat sich stark verbessert, so erlebe ich das, was ich sehe, auf intensivere Art.

Auf dem Weg nach Burgos

Plaio del Alto

Der Plaio del Alto ist immer wieder aufs Neue ein Erlebnis, die Aussicht und Lichtstimmung sind toll. Beim Aufstieg habe ich einen Spanier kennengelernt, den ich die nächsten Tage immer wieder treffen werde und mit dem ich mich gut unterhalten kann. Diese einzelnen Begegnungen sind für mich sehr wertvoll, denn sie helfen mir weiter, sozialen Kontakt zu halten.

Allerdings, mehr als drei Leute um mich herum stressen mich. Aber dadurch lerne ich immer öfter soziale Kompetenz und komme Schritt für Schritt weiter.

Am Übergang des Alto del Plaia schaue ich weit ins Land hinein, wo ich die nächsten Tage gehen werde. Solche Fernblicke tun der Seele gut, drum ist es so wichtig nach draußen zu gehen und ins Land zu schauen. Nach dem Alto del Pleia geht es wieder den berüchtigten Schotterweg runter. Ich muss diesmal  nicht so sehr aufpassen, nicht umzuknicken, sondern um nicht zu emotional zu werden.

Alto del Plaia, auf dem Weg nach Burgos

2018 habe ich hier noch bei jedem Schritt vor Schmerzen geschrien, da meine Knöchel noch so schwach waren und ich immer wieder umknickte. So sehr ich wieder leben möchte, so sehr sind diese Momente genauso präsent, wo nicht alles glatt ging oder schwer und unerträglich war. Schritt für Schritt wurden Sie erträglicher, dafür brauchte ich allerdings Millionen und Aber Millionen Schritte, bis es soweit war.

Zu groß sind die Eindrücke gewesen, denen ich ausgesetzt war. Heuer ist es erstmals, daß ich es besser zu-, einordnen und verstehen kann. Der Playo del Alto war damals 2018 ein Hindernis, welches mir ordentlich Respekt einflösste, besonders der Abstieg.

Rioja, das Weingebiet

Diesmal gehe ich, zumindest am Anfang, nicht so weit und lege keine so großen Distanzen zurück, wie in den letzten Jahren. Eher langsam und verträumt gehe ich am Weg und lasse mich voll darauf ein, was die wunderschöne Landschaft bietet. Das Weinbau Gebiet Rioja, mit seiner Landschaft um Logrono, genieße ich und lasse mich immer wieder nieder, um einen Kaffee zu trinken. Wein trinke ich noch immer selten, obwohl mich die Weinhänge und der Weinanbau fasziniert.

Wenn es passt und ich finde ein geöffnetes Cafe, schreibe ich an meinem Buch weiter. Die Schreib-App am Handy und eine faltbare Tastatur muss allerdings reichen, mehr ist aus Gewichtsgründen nicht möglich. Bisher gelingt mir das Schreiben recht gut, besser als erwartet.

In Logrono bleibe ich diesmal nicht, durchquere es nur, um nach Najera zu gelangen. Es sind nur wenige Pilger unterwegs und an diesem Tag sehe ich keinen einzigen unterwegs auf dem Weg.

Morgenaufgänge

Es wird hier recht spät hell, viel später, als ich von zu Hause gewohnt bin. So breche ich fast immer als einer der ersten von der Herberge auf, noch im Dunklen. Während die anderen Pilger noch beim Frühstück sitzen, erlebe ich das Erwachen des Tages draußen in der Natur.

Ein Morgen ist schöner als der andere und niemals gleich. Es ist zwar kalt, aber die Natur entschädigt für so vieles. Es ist meine liebste Zeit am Camino, wenn die Sonne beginnt, sich zu erheben. Das bringt mich immer wieder zur Zeit im Krankenhaus. Monatelang konnte ich nur den Kopf zur Seite zum Fenster neigen und den Beginn des Tages erleben, ohne nach draußen gehen zu können. Daher erlebe ich es jetzt so intensiv, wie kaum was anderes.

Jeder Morgen ist ein neuer Anfang und erinnert mich, den Tag voll auszukosten, egal was ist. Auch in dunkelsten Momenten sehe ich etwas positives und halte daran fest. Denn nicht jeder Tag beginnt mit Sonnenschein, sondern manchmal bewölkt oder mit Regen, sinnbildlich für das Leben. Allerdings schreite ich gerade dann fröhlich vor mich hinsummend oder manchmal auch laut singend, dahin. Dann scheint die Sonne eben in mir drinnen, denn ich darf gerade wieder einen neuen Tag erleben, unabhängig davon, wie das Wetter ist oder die Lage um mich herum.

Bei Sonnenaufgang unterwegs zu sein, zählt für mich mit zu den schönsten Erlebnissen am Camino. Oft bin ich verwundert zu hören, dass manch einer noch kaum einen zu sehen bekam, weil er so spät aufsteht. Ja, auch das gibt es am Camino, jedem wie es gefällt.

Jeder erlebt das, was er braucht, nicht was er sich wünscht, sagt ein Camino Spruch.

Frühstück und Regen

Im Winter haben viele Bars geschlossen und Dörfer präsentieren sich als Geisterstädte. Oft sind es viele Kilometer bis zur nächsten Gelegenheit, ein Frühstück zu bekommen. Dann heißt es, sich auf einer Bank bequem zu machen und trotz der Kälte, etwas zu sich zu nehmen.

Oft ziehe ich es allerdings vor, im Gehen zu essen. Schon in der Früh richte ich mir alles griffbereit her und brauche so nur in die Taschen um mich herum zu greifen, um Brot, Käse oder Wurst zu erreichen. Einzig der Kaffee, mein Lebenselexier am Camino, geht mir dann ein bißchen ab. Aber das nächste Dorf kommt bestimmt und dann wird das eben nachgeholt.

Bei Belorado erwischt mich ein wenig der Regen. Der Poncho ist ebenfalls in Griffweite und schnell übergezogen. Es ist oft ein rauf und runter, je nach Wetter, denn oft sind es nur kurze Schauer, in Abständen. Mein Pilgerfreund Pau aus Spanien, schilderte das Anlegen des Poncho auf eine lustigen Art, dass der gesamte Pilger-Tisch in Tränen vor Lachen ausbrach.

"Ich blieb unter einer neugebauten Brücke stehen, um mir den Poncho anzulegen. Aber irgendwie schaffte ich es nicht, ihn über den Rucksack zu bekommen und ihn herunterzuziehen. Schlussendlich hängte ich mir den Rucksack auf die Arme, der Poncho über mir und vorsichtig versuchte ich den Rucksack hochzuziehen, aber ich verhedderte mich nur noch mehr in Rucksack, Poncho und mir selbst. Nach zehn Minuten Kampf gab ich erschöpft von den vielen Versuchen auf und ergab mich meinem Schicksal.

Erst da bemerkte ich eine Hebebühne, die auf der Brücke über mir stand. Zwei Bauarbeiter beobachteten meinen verzweifelten Versuch, den Poncho anzulegen. In Zeitlupentempo fuhr die elektrische Hebebühne mit einem Arbeiter zu mir herunter. Keine Regung in seinem Gesicht war während der gesamten Fahrt zu sehen, die rund zwei Minuten dauerte. Bei mir angelangt, der ich noch immer erschöpft am gleichen Punkt stand, stieg er aus, zog mit einem kurzem Griff meinen Poncho über den Rucksack, sagte nur "Itś ok!", stieg wieder ein und fuhr im Zeitlupentempo nach oben. Es war eine Slapstick Nummer vom Feinsten. Ich sah im nach, bedankte mich, bis er nach oben wieder entschwand und ging baff weiter."

Pilger Pau

Ja, solche Erlebnisse hält der Camino bereit für einen und macht selbst das Anlegen eines Poncho zum Erlebnis.

Mein Poncho und ich

Herbergen am Weg

Da ich am nächsten Tag vorhatte, in einem Rutsch nach Burgos zu gelangen, suchte ich nach einer offenen Herberge, ein Stück nach nach Belorado. Die Handy Apps sind zwar gut, zeigen aber nicht immer verlässlich an, ob eine Herberge offen hat oder nicht. Da ich mich noch immer mit dem Telefonieren schwer tue, gehe ich meist auf Vertrauen los und es hat mich noch nie getäuscht. Bisher habe ich immer etwas gefunden.

Da ich in Espinoza schon im Februar 2020 genächtigt habe, wollte ich auch diesmal mein Glück versuchen. Beim Herumspielen am Handy, entdecke ich eine Herberge, gedanklich darauf vorbereitet, dieselbe wie damals zu haben. Es gab die Möglichkeit über WhatsApp zu reservieren und so schicke ich auf gut Glück eine Nachricht ab. Und wirklich, es kommz eine Antwort, dass ein Bett zur Verfügung steht.

In Espinoza angelangt, ist es aber nicht die mir bekannte, sondern eine neue, gleich daneben. Sie wird von Sabine und Ulrich aus Deutschland geführt, die mir einen herzlichen Empfang bereiten. Das Haus ist auf eine angenehme Weise eingerichtet und als Pilger fühle ich mich sofort wohl. Die beiden hatten schon eine andere Herberge geführt und wieder einmal, an diesem Ort, eine behagliche Unterkunft geschaffen. Für mich ist es ideal zum Schreiben und später kommt noch Pau dazu und die zwei Koreanerinnen Sunny und Maria.

Schnee auf dem Weg nach Burgos

Schon beim Weggehen im Finsteren liegt Schnee, dabei wartet die lange Querung eines Gebirgszuges nach Villafranka noch auf mich. Im ersten Morgenlicht erreiche ich den Fuß des Berges. Eine tolle Winterstimmung auf den ersten Metern bergauf, lässt mich den Anstieg beginnen. Die folgenden zwölf Kilometer durch den Wald, lege ich durch Schnee zurück.

Normalerweise tänzle ich hier zwischen tiefen Schlammlöchern, diesmal ist aber alles gefroren. Ich bin früh genug dran, dass die morgendliche Kälte alles gefrieren lässt. Da heute ein sonniger Tag wird, werden es die nachfolgenden mit tiefem Boden und Schneematsch zu tun bekommen.

Zu Mittag bin ich in Atapuerca, einem Fundort der Neandertaler. Am Crux de Atapuerca, einer Hügelüberquerung, verweilte ich fast eine halbe Stunde am Kreuz. Tiefe Emotionen begleiten mich, denn wieder einmal wird mir mein Weg von 2018 bewusst und damit auch die Folgen der Krankheit.

Jeder Schritt damals war wie beim Höhenbergsteigen und erschöpft erreichte ich damals das Kreuz auf der Höhe. Damals legte ich meinen ersten Stein hier nieder und kroch mehr, als ich ging. Ich wusste noch nicht, wo mein Leben hinführen wird und wieweit ich ein "normales" Leben wieder führen würde können. Diese paar Höhenmeter, waren damals wie der Everest für mich. Trotz Muskelschwäche und neurologischer Probleme gehe ich diesmal ohne Schmerzen und viel sicherer.

Trotz der Schmerzen, der Gefühllosigkeit in den Füßen und allen anderen Handicaps, war ich damals glücklich, wie schon lange nicht mehr. Ich war überzeugt, alles schaffen zu können, auch wenn es noch lange dauern würde. Mit den Folgen des Hirntumors hatte ich Anfangs keine guten Aussichten, die erst mit der Fahrt zu meinem ersten Camino Frances 2018 eine unglaubliche Wendung nahm.

Nach Burgos

Auf dem Weg nach Burgos war ich nur glücklich. Das Gehen ging leicht und ich war voller Freude darüber. Ich "tanzte" auf dem Weg dahin, dass es eine Freude war. Ich bin wie in einem neuen Leben angelangt. Natürlich muss ich noch aufpassen, denn solche Zustände halte nicht ewig an und es kann schnell anders werden. Aber wichtig ist das Jetzt und diesen Zustand so gut wie möglich zu erleben.

Da ich merkte, dass das viele Schreiben manch alte Sachen hochbringt, vor allem aus dem Krankenhaus, verlegte ich mich mehr aufs Gehen, was ich die nächsten Tage beibehalte.

Schon im letzten Jahr hatte ich hier meine Erfahrungen mit dem Aufkommen von alten Traumas. Diese konnte ich damals am besten mit dem Gehen begegnen, wie auch diesmal, denn es hält mich ganz im Hier und Jetzt.

Ja nicht wieder in Gedankenspiralen geraten, die ich nicht weiter denken kann, wie im Vorjahr. In der Freude und im Glücklichsein bleiben, ist die beste Therapie und das bringt mir das Gehen. Noch schützt mich mein Gehirn, mich intensiver mit diesen Themen befassen zu können. Es ist kein Verdrängen, nur ein Vertrauen darauf, dass alles zur rechten Zeit passiert. Wenn es sein soll, wird es passieren und ich kann es aufarbeiten und verstehen. Bis dahin heisst es, sich in Geduld zu üben und alles so nehmen wie es ist.

Weiter geht es links neben dem Flughafen, in Richtung Burgos. Es ist eine Alternativroute, die viele nicht kennen. Statt entlang einer Straße mit viel Verkehr, wandere ich entlang einem Fluss, gesäumt von einem Park und Bäumen.

Der Weg bringt mich bis kurz vor die Kathedrale in Burgos. Trotz der 50 Kilometer, tun mir die Füße nicht weh. Es ist kaum beschreibbar, in welcher Gefühlslage ich mich befinde. Ich bekomme ein Bett in der Herberge, gehe duschen und danach meine Vorräte aufstocken.

Wieder zurück, esse ich nur eine Tütensuppe, denn ich bin dank der vielen kleinen Happen unterwegs, nicht hungrig.

Die folgenden Tage auf der Meseta, werde ich mich mehr aufs Gehen konzentrieren und weniger aufs Schreiben. Die Gefahr, dass die Traumata überhand nehmen, möchte ich nicht eingehen. Ich folge seit dem Hirnabszess immer meiner Intuition und es hat mich noch nie getäuscht. Darauf kann ich vertrauen.

Ein großer Dank gebührt meiner Therapeutin Hanna Treu vom therapeutischen Tanzen, wo ich die meisten meiner Grundlagen fürs Leben lerne. Am Camino habe ich die Möglichkeit diese auch außerhalb dieses geschützten Rahmen anzuwenden und genauso zu dosieren, wie es mir guttut und anders als Zuhause.

Mein Winter Camino 2020 war schon toll, wird aber von 2023 geschlagen. Was sich seither, trotz Pandemie, in der Wahrnehmung getan hat, ist unglaublich. Dieser Camino ist eine Bestätigung für meinen Weg, wobei das therapeutische Tanzen einen großen Anteil hat.

Wen ich heute daran denke, dass mir eine Ärztin 2017 erklärte, dass sich nicht mehr viel verbessern würde, denn die meisten Fortschritte sind im ersten Jahr danach möglich. Damals konnte ich 300 Meter mit Pausen am Stück gehen und war ein Pflegefall.

Es hat vielleicht lange gedauert, viele Jahre und viel Training, aber mit der Tanztherapie hat sich seit 2019 ein völlig neues Kapitel aufgetan und mir zu einem neuen Leben verholfen.

All mein Gelerntes werde ich auf der Meseta umsetzen und meinem Gefühl vertrauen, was mir gut tut, aber davon dann im nächsten Bericht.

Buen Camino


Das Glück des Augenblick am Camino Frances

Am Camino Frances geht es dir umso besser, als  du den Augenblick wahrnehmen kannst. Das erfahre ich immer wieder aufs neue.

Im Augenblick zu sein, bedeutet auch mit nicht so angenehmen Situationen klarzukommen, wie manchmal dem Wetter oder Schmerzen. Es ist nämlich alles kein Dauerzustand und gehört ebenso zum Leben.

Den Augenblick einfangen

Ablenkung

Manch einer lenkt sich damit am Weg ab, dass er unentwegt Begleitung braucht oder sucht. Er entgeht damit der Konfrontation mit sich selbst, der er aber nicht entkommen kann. Spätestens auf der Meseta mit ihren endlosen, langen und flachen Geraden, kommt er mit sich selbst in Berührung. Da ich nach dem Hirnabszess noch immer sehr viel Ruhe benötige, gehe ich meist alleine. Gespräche kosten mir Energie und Aufmerksamkeit, die ich fürs Gehen brauche.

Heute gings zum Beispiel von Logrono nach Najera, rund 30 Kilometer. Eine einzige Pilgerin habe ich gesehen und kurz mit ihr gesprochen, sonst hatte ich niemanden gesehen.

Den Augenblick einfangen

Aber was mache ich so den ganzen Tag mit mir und meinen Gedanken?

Zuhause war mein Ziel, meine Gedanken zu leeren, Platz schaffen für neue. Das funktioniert so weit recht gut. Ich kann abschalten, wenn ich es brauche und diese Zeit ist eine Menge, die ich brauche.

Ich genieße es, im Augenblick zu sein. Dann nehme ich die Umwelt besonders gut wahr, besonders die Kleinigkeiten am Weg. Es fängt gerade alles zum Blühen an und die Farben sind besonders schön.

Diese Kleinigkeiten können eine Blüte, ein Käfer oder eine Pflanze sein, die mir ins Auge fällt. Dadurch bleibe ich ganz im Hier und Jetzt verankert. Außerdem spüre ich mich selbst besser und welche Emotionen und Gefühle meinen Körper durchströmen. Ich versuche sie zu benennen und lerne dadurch, mich besser zu verstehen.

Welche Gedanken helfen mir und verbessern mein Befinden, dass gehört zu meinen Aufgaben. Natürlich gehört auch dazu, alles störende zu erkennen und wie ich es wieder gehen lassen kann. Das versuche ich immer weiter zu perfektionieren. Im besten Fall kommen gar keine schlechten Gedanken auf.

Das Wetter kann mich zum Beispiel nicht mehr aus der Ruhe bringen, egal wie schlecht oder gut es ist.

Von Pamplona nach Logrono

Es waren Tage, wo ich zwischendurch die letzte Zeit aufzuarbeiten versuchte. Anfangs noch mit Problemen beim Gehen behaftet, änderte es sich täglich zum Besseren.

Pamplona zu durchqueren ist immer wieder etwas Besonderes. Es ist die erste große Stadt nach den Pyrenäen. Man kommt recht schnell hinaus auf das Land und dann in Richtung dem ersten Pass, dem Alto de Plano.

Oben auf dem Bergpass steht eines der Wahrzeichen des Camino, Pilger Figuren aus Metall. Die Überquerung ist immer ein grosses Highlight. Beim ersten Mal 2018 war es eine große Herausforderung, besonders der Abstieg danach, über den steilen steinigen Weg.

Die Brücke in Puenta la Reina ist sehr eindrucksvoll und man kann sich gut in alte Zeiten versetzen. Das folgende auf und ab genieße ich, besonders die Städte, die auf einen Hügel gebaut sind.

Bilder vom weiteren Weg, Augenblick eines Pilgers

Logrono

In Logrono übernachtete ich wieder im Santiago El Real, einem Hostel auf Spendenbasis, angrenzend an eine Kirche. Mit hier verbinden mich schöne Erinnerungen an vor zwei Jahren.

Diesmal übernachten ich auch in Städten. Ich hoffe darauf, auch in Bezug auf Städte, meine Wahrnehmung verbessern zu können.

Reha uund Leben

Das automatische Gehen gehört nach wie vor forciert. Im Moment muss ich zu oft an den Bewegungsablauf denken, besonders auf Schotter und schlechtem Weg. In mir drinnen ist Chaos, denn 5 Jahre Training haben scheinbar nichts geholfen und die eine Woche wegen der Nierensteine lässt mich quasi von vorne beginnen. Trotzdem darf ich mich freuen, denn hätte ich in den letzten Jahren nicht so viel geübt, wer weiß wo ich mich sonst befinden würde.

Das automatische Gehen konnte ich schon verbessern. Die vielen Wiederholungen machen es möglich. Trotzdem fühle ich mich erstmals nicht nur in der Rehabilitation, sondern auch dem Leben näher.

Aktuell geht es weiter in der Region La Riocha, dem Weinbau Gebiet. Was ich dort erlebe, dann das nächste Mal.


In letzter Zeit ist es etwas ruhiger geworden auf meinem Blog. Die Traumaverarbeitung ist seit Corona ins Stocken gekommen und ich habe mich auf die körperliche Rehabilitation konzentriert. Mein "Leben lernen" hat auch mit der Traumaverarbeitung zu tun. Es sind noch zu viele Dinge, die ich vermeide oder aufzuarbeiten habe.

Corona hat viel verändert, was auch seine Auswirkungen auf das Schreiben hatte. Gerade die Konzentration hat im letzten Jahr gelitten. Schreiben, Bücher lesen oder etwas gestalten wollen, ist im Moment kaum möglich.

Es hat keinen Sinn, es herbeizwingen zu wollen. Daher versuche ich mich in der Bewegung auszudrücken, dabei hilft mir das therapeutische Tanzen und lange Einheiten beim Gehen.

Traumaverarbeitung im Wald

Trauma - was ist das?

Laut Wikipedia und in der Psychologie wird Trauma eine seelische Verletzung genannt. Sie wird meist durch eine körperliche Verwundung hervorgerufen, aber auch durch eine psychische Erschütterung, ein sogenanntes Psychotrauma.

Meine Traumatisierung zeigt sich auf verschiedene Arten. Schon kleinere Stimulationen können zu heftigen Empfinden führen, die Wut, Angst, Furcht oder Panik auslösen. Das hat wiederum zur Folge, dass ich leicht überreagiere, mich verschließe oder in Starre verfalle. Diese Momente heißt es zu erkennen und richtig darauf zu reagieren.

Zumindest habe ich gelernt, nicht auf alles sofort zu reagieren, deshalb erscheine ich oft eher teilnahmslos. Stück für Stück taste ich mich vorwärts, um einen normalen Umgang zu lernen. Mein Alltag steht noch immer unter den Folgen verschiedener Traumas.

Alle an das Trauma erinnernde Situationen, lösen noch immer körperliche Erregung oder Fluchtbereitschaft aus. Es ist nach wie vor nicht leicht, daher auch das gesteigerte Bedürfnis, wieder mehr Vertrauen im mich zu finden. Das kann ich nur langsam steigern und braucht seine Zeit. Corona hat eben viel verändert, vor allem im sozialen Umgang. Seit einem Jahr war ich praktisch nicht mehr in der Stadt, Social Distancing bleibt mir bis heute erhalten und lässt mich in die körperliche Rehabilitation flüchten.

Das Gehen, vor allem das Pilgern, hat mir bis Corona am meisten geholfen, besonders in der Traumaverarbeitung. Ich konnte mich dosiert an Situationen gewöhnen, die mich wieder an soziale Kontakte gewöhnen ließen. Von einem Tag auf den anderen war es durch Corona anders. Die Traumatherapie wurde abgesagt.

Traumaverarbeitung
Wallfahrtskirche Judendorf

PTSD - Posttraumatische Belastungsstörung 

Die Folgen treten nach traumatischen Erlebnissen auf. Von einem Tag auf den anderen aus dem Leben gerissen, verbrachte ich fünf Monate im Krankenhaus. Ich war nicht fähig, über das Vorgefallene nachzudenken. Es hinterließ jedoch Spuren, die ich erst nach zwei Jahren aufzuarbeiten beginnen konnte.

Ein Jahr nach dem Krankenhaus begann ich den Blog zu schreiben, der einer Verarbeitung des Geschehen dient. Schreiben als Therapie, hilft mir sehr. Seit damals berichte ich darüber, was ich in meinem Therapie-Leben mache.

Schreiben wurde zu einer Therapie, die mich nach wie vor begleitet. Das Buch-Schreiben ist vorläufig in den Hintergrund getreten, besonders seit Corona. Diese Ausnahmesituation veränderte alles, wo für mehr als die körperliche Rehabilitation nichts übrig blieb. Mein Gehirn ist nach wie vor die größte Herausforderung, denn "Leben lernen" ist eigentlich nichts anderes, als das Arbeiten an diesen posttraumatischen Belastungsstörungen.

Gerade das Pilgern war die beste Therapie dafür. Jeder Camino war eine Steigerung des letzten, körperlich wie geistig. Auch für die Bewältigung der Traumen war es hilfreich. Am Camino gilt die Regel, du bekommst, was du brauchst, nicht was du willst. Beim ersten Camino habe ich mich noch relativ fern von allen Menschen gehalten und mich immer zurückgezogen. Ich war zu schnell körperlich und emotional erschöpft. Diese ständige somatische Stressreaktion bewirkt jedoch, dass ich meinen Körperempfindungen nicht vertrauen konnte. Ich hatte zu lernen, wieder angemessen zu handeln und meine Emotionen entsprechend einzusetzen. 

Mit Gefühlen und Emotionen tue ich mich noch heute schwer. In den meisten Momenten gibt es noch immer nur Null oder 100%. Daher muss ich mir lange Zeit lassen, wenn Emotionen im Spiel sind. Kleinste Stimulationen lassen mich überreagieren oder in den Fluchtmodus wechseln. Man nennt es auch den Verlust der Affektregulierung. Man wird Über-Wachsam, Schreckhaft und Ruhelos. Ich fühle mich nicht nur, ich bin wie ein kleines Kind, das noch viel zum Lernen hat.

Im Pilgern zur Ruhe kommen

Die Auswirkungen sind auch körperlich zu spüren. Anfangs hatte ich einen extrem hohen Ruhepuls von 75 bis 80 Schlägen. Ich war ständig in einem innerlichen Fluchtmodus, was ja kein Wunder war. Ich wurde im Krankenhaus alle paar Stunden, auch in der Nacht, zum Wechseln der Antibiotika-Infusionen, aufgeweckt. Das geschah fünf Monate lang, jeden Tag. Ich konnte nie länger als drei, vier Stunden durchschlafen.

Ich brauchte über drei Jahre, um meinen Puls zu beruhigen. Nach dem zweiten Camino fiel er, fast drei Jahre nach dem Hirnabszess, auf ein relatives Normalmaß von 55 bis 60 Schläge. Seither verbessert er sich immer mehr. Aktuell liege ich in Ruhephasen um 50 bis 55. Als Vergleich dazu hatte ich als Radrennfahrer etwa 35 Schläge in der Minute. Später, als ich mit dem Rennfahren aufhörte, waren es rund 45 Schläge.

Die unzähligen Pilgerkilometer bisher, waren ein hervorragendes Ausdauertraining und beruhigten meinen Körper. Gelassenheit nahm immer mehr von mir Besitz und ich kann seither dem Alltag besser begegnen. 

Ein Trauma äußert sich vor allem in der Vermeidung von Situationen und von Orten. Das Pilgern half mir, mich im Alltag langsam wieder besser zurechtzufinden. Dabei habe ich immer die Wahl, etwas zu vermeiden oder mich dem zu stellen. Ich war jetzt mehrere Jahre nicht mehr im Krankenhaus und habe eine Scheu, hinzugehen. Ich wurde dort wirklich gut behandelt, vor allem von den Krankenschwestern und Therapeutinnen.

Trotzdem ist es mit zu vielen Erinnerungen verbunden, die ich nicht erwecken möchte. Das Gleiche ist mit vielen Orten in Graz, wo ich viele Erinnerungen an die Zeit mit meiner Familie habe. Die Trennung hat Traumen verursacht, denen ich mich noch nicht stellen kann. Diese zusammen mit den Folgen des Hirnabszess, lassen mich nur in kleinen Schritten vorwärtskommen.

Traumaverarbeitung am Pilgerweg

Der Camino im Februar 2020

Gerade der letzte Camino zeigte mir viel auf. Jedes Jahr stand ich vor der Kathedrale in Santiago, aber die Angst in den Innenraum zu gehen, war zu groß. Vier Jahre nach dem Hirnabszess war es so weit. Erstmals traute ich mich in Begleitung von meinem Pilgerfreund Pedro hinein. Wenn ich das heute schreibe, kommen mir die Tränen. Es war ein emotionaler Erfolg, auf den ich lange hingearbeitet habe. Dem war aber noch nicht genug, denn einen Tag später besuchte ich mit einer Pilgerfreundin das Pilgermuseum in Santiago. Ich konnte damit wichtige Dämonen besiegen und mich ihnen stellen.

Die zahlreichen Exponate zu besichtigen, brachte mich zwar ans Limit, aber es waren wichtige Schritte für die Zukunft. Das Pilgern, das viele Training und Üben und die viele Arbeit an mir, zeigte endlich seine Wirkung. Ich konnte die Vermeidung erstmals erfolgreich Besiegen, nach fast vier Jahren, auf meinem dritten großen Camino.

Santiago de Compostella

Dann kam Corona

Wieder zu Hause, wollte ich meinem Üben und Training eine neue Richtung geben und intensiver an der Traumaverarbeitung weitermachen. Corona aber hatte etwas anderes vor. Ich entschied mich, dem Körper Vorrang zu geben und konzentrierte mich auf die Verbesserung der körperlichen Defizite.

Es kam eine beschädigte Propriozeption heraus, wegen der ich unter anderem die Schwierigkeiten in der Bewegung bisher habe. Es war sinnvoll daran zu arbeiten, denn Corona veränderte alles, besonders die Traumaverarbeitung. Termine für Therapien wurden abgesagt, aber nach einiger Zeit begann das therapeutische Tanzen wieder. Nur mit wenigen Lockdown Ausnahmen, ist es meine wöchentliche Therapie.

Therapeutisches Tanzen,
Traumaverarbeitung

Nicht nur für die Propriozeption (Wahrnehmung), sondern es ist auch eine gute Unterstützung, um an den Traumen zu arbeiten. Meine schon so lange dauernde Übererregung, störte die Fähigkeit mich zu konzentrieren und aus Erfahrungen lernen zu können. Diese bekam ich, durch das Pilgern, immer besser in den Griff. Allerdings war Pilgern plötzlich nicht mehr möglich.

Ich benötigte bis ins heurige Jahr, um mich wiederzufinden und dem "Leben lernen" eine neue Richtung geben zu können. Ganz habe ich es immer noch nicht geschafft, aber die Wege werden immer klarer. 

Die Herausforderungen in den letzten Jahren waren enorm und sie sind noch lange nicht zu Ende. Denn die größte Frage für mich ist, wie soll ich mich wieder sozialisieren, wenn es nicht erlaubt ist. Das wird eine besondere Herausforderung, für die ich langsam Antwort bekomme. Die wird es in einem der nächsten Blogs geben.

Trauma und Behinderung

Die Behinderung ist für mich gar nicht so das Thema, denn ich habe sie annehmen können und arbeite daran, sie zu verbessern. Es ist eben nicht mehr alles möglich wie früher und damit komme ich klar. Die Langsamkeit hat mir ein neues Leben gegeben, was aber nicht heißt, es nicht verbessern zu wollen.

Behindert zu sein heißt vor allem, mit der Vergangenheit im Reinen zu sein. Da die Folgen des Hirnabszess mich aber im Hier und Jetzt halten, sind Gedanken an die Vergangenheit noch immer kaum möglich. Daher lasse ich sie, denn ich komme damit ja doch nicht weiter. Akzeptanz und Gelassenheit sind wichtige Eigenschaften geworden.

Wie beim Pilgern auf einem 1000 km langen Weg, gehe ich in allem Schritt für Schritt weiter. Was heute nicht geht, geht vielleicht morgen oder eben später. Eines habe ich über die Jahre gemerkt: Mit Druck geht gar nichts!

Mein Gehirn gibt nach wie vor das Tempo vor und Stress verträgt es überhaupt nicht. Ich nehme es, wie es ist und vermeide stressige Situationen. Wobei ich unterscheiden lerne, zwischen wirklichen Stress und der Vermeidung, wo ein Trauma im Spiel ist.

Ich habe mittlerweile gelernt, mit der Behinderung umzugehen. Es gibt zum Beispiel noch immer Ampeln, wo ich nur unter Anstrengung bei Grün über die Straße komme. So etwas kann mich in Stress versetzen. Seit Corona halte ich mich fast nur mehr in der Natur auf und das tut mir gut.

Traumaverarbeitung in der Natur

Wie geht es weiter mit der Traumaverarbeitung?

Es geht nur Schritt für Schritt. Das wichtigste sind Sicherheit und Beruhigung. An hilfreiche Gewohnheiten anknüpfen und ja nicht wieder in eine Dauerbereitschaft fallen. Man erlebt vieles als eine Art Film, das durch Gerüche, Farben oder Gefühle angestoßen werden kann. Für mich als ehemaligen Filmer besonders schwierig, da ich in Filmen denke. Vielleicht auch daher die Vermeidung vor dem Filmen. Zu schnell kommt altes Hoch, denn ich erlebe alles als Film.

Die Auswirkungen von einem Trauma sind nicht steuerbar. Stress und Traumatisierung können Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen zur Folge haben, was ich im Moment an mir bemerke. Ich habe mehrere Bücher seit Monaten zu lesen, kann mich aber nicht darauf konzentrieren. Ein, zwei Seiten, dann lege ich es wieder weg. So und auf noch ganz andere Art äußern sich die Traumen.

Ich war bis Corona auf einem guten Weg, meine traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten. Seither muss ich meinen Weg erst wieder finden. Das therapeutische Tanzen ist mir dabei eine große Hilfe. Es ist die einzige Therapie, die mir erhalten geblieben ist. Es schafft positive Gegenbilder in mir, hilft zum Stressabbau und fördert meine Kreativität. In erster Linie, hat mich das therapeutische Tanzen über das letzte Jahr gebracht.

Umdrehen verboten - Schild
Uups, doch umgedreht! Besser nach vorne blicken,

Schritt für Schritt komme ich so weiter und mache das Beste für mich daraus. Die Natur und das Gehen sind eine weitere große Hilfe, in diesem aus unzähligen Puzzleteilen bestehenden Leben. Es braucht eine neue Strategie, diese vielen Teile zusammenzusetzen. Wie bei einem Puzzle muss ich meine Strategie erst finden, wie ich die Traumaverarbeitung mit Corona angehen kann.


Propriozeption, die Wahrnehmung des eigenen Körpers im Raum!

Propriozeption, was für ein schwieriges Wort! Eigentlich vermeide ich es, denn es kommt eigentlich nie richtig aus meinem Mund. Dabei beschreibt es, womit ich am meisten zu kämpfen habe. Ohne es, wäre keine körperliche Bewegung möglich.

Die Propriozeption ermöglicht dem Hirn, ständig zu erkennen, wo sich jeder Teil des Körpers gerade befindet, aber auch wie er sich bewegt. Es handelt sich um eine Eigenempfindung, also keine Wahrnehmung über Reize von Außen, sondern der Körper ist sich über die Lage der Gliedmaßen rein über innere Sensoren bewusst.

Der 6. Sinn und Gehen lernen

Dieser 6. Sinn wird für jede körperliche Bewegung gebraucht und interagiert mit allen anderen Sinnen. Dadurch ist es möglich, sich neben einer Tätigkeit auch zu unterhalten. Diese Propriozeption funktioniert normalerweise automatisch, bei mir allerdings leider nicht mehr. Ich habe jegliche Automatisation verloren.

Deshalb spreche ich auch nach über vier Jahren noch vom Gehen lernen. Am Anfang musste ich die Gliedmaße sehen, um sie ausführen zu können, wie zum Beispiel die Beine fürs Gehen. Sah ich sie nicht, kam ich ins Stolpern. Es ist wie Schreibmaschine schreiben lernen. Am Anfang muss man jede einzelne Taste sehen, um sie zu drücken. Später braucht man fast nicht mehr hinschauen, es wird automatisiert.

Ein gutes Beispiel ist auch Blindheit oder schlechtes Sehen. Wir können die Augen schließen und verstehen, wie sich diese Menschen verhalten und wie sich dieses Defizit anfühlt. Die Propriozeption ist aber eine innere Empfindung, die kaum zu verstehen ist und nachgestellt werden kann.

Diese Doku auf Arte beschreibt vieles davon, wie es mir geht und brachte mir neue Erkenntnisse.

Propriozeptionstraining

Durch viel Training kann ich mich wieder einigermaßen bewegen. Auf ebenen Asphalt kann ich mich fast "automatisch" fortbewegen. Aber auch dort können mich Unebenheiten ins Schleudern bringen. Aktuell versuche ich es auch unter schwierigen Bedingungen, mich bergauf zu unterhalten. So schule ich immer und immer wieder meine Automatik.

Ich mache deswegen soviel "Sport", weil ich als ehemaliger Leistungssportler durch mein jahrelanges koordinatives Training die Nerven sehr gut trainiert habe. In Radquerfeldeinrennen habe ich auf technischen Kursen immer gut abgeschnitten, hingegen wenn es um die Kraft ging, fuhr ich hinterher. Auch das Trailrunning hat mir sehr geholfen, jetzt vor allem das immer wieder in Gedanken vorstellbare. Neueste Erkenntnisse messen dem eine große Bedeutung bei, die Propriozeption in Gedanken zu üben.

Propriozeption und Radquerfeldein
Radquerfeldeinrennen

Übungen auf instabilen Untergründen, wie der Schaumstoffmatte oder auf dem Wackel-Board bilden den Standard. Jeden Tag in der Früh auf das Wackelbrett, ist auch heute noch Pflicht. Reaktionsmechanismen werden dadurch abgespeichert und hoffentlich wieder antrainiert.

Propriozeption und Faszien Training
Schaumstoffmatte

Bei Spitzensportlern schaut die Bewegung oft mühelos aus, weil ihre Bewegungsabläufe hocheffizient sind. Das ist auch mein Ziel, was aber oft noch nicht gelingt. Deswegen ist es mir viel Wert gewesen, die Technik des Gehens möglichst gut zu verstehen und zu lernen.

Meine Psychologin auf der Reha erkannte nach einigen Sitzungen, dass ich zwar wie viele andere auch, bei null gestartet bin, mich aber aufgrund meiner Vergangenheit auf einem wesentlich höheren Niveau befand. Meine Zeit im Sport kam mir jetzt zugute.

Körpererfahrungen

Wenn es doch nur so einfach wäre, einfach Gehen zu lernen. Dazu gehört weitaus mehr. Viele verschiedenste Bewegungsvarianten gehören dazu und machen mein Training abwechslungsreich. Es geht ja nicht nur um das Gehen, sondern auch das Greifen.

Mein erster Frisbee-Wurf ging genau zwei Meter weit. Ich hatte kein Gefühl für das werfen. Gleich geht es mir mit dem hineinwerfen in einen Mistkübel. Nur durch jahrelanges Training ist es mittlerweile besser geworden.

So gehört dazu:

  • Barfußgehen, besonders in der Natur
  • Im Wasser treten und gehen, Kaltwasseranwendungen
  • Auf unterschiedlichen Böden gehen, wie Sand, Rinde oder Waldböden
  • Im Schnee gehen
  • Balancieren (im Wald oder Balancepark)
  • Die Haut bürsten
  • Atemübungen
  • Frisbee-Golf
  • Gleichgewichtsübungen
  • Therapeutisches Tanzen

Nach viereinhalb Jahren kann ich sagen, zum Glück habe ich nicht aufgegeben. Ich habe seit 2016 rund 17.000 Kilometer zu Fuß zurückgelegt. Nur dadurch war es mir möglich, mich wieder einigermaßen zu bewegen und Vertrauen in mich zurückzugewinnen.

Camino Frances gehen lernen
Am Camino Frances

Besonders der aufrechten Haltung widme ich viel Aufmerksamkeit. Es kann Ausdruck von innerer Stärke und Sicherheit sein. Auf meinem ersten Camino hat mich in den ersten Tage kaum wer angesprochen, weil ich mit gesenktem Kopf unterwegs war und die Mit-Pilger dachten, ich wollte meine Ruhe. Dabei habe ich nur meine Füße beobachtet, um Gehen zu können. Meine Aufmerksamkeit war so vertieft in den Bewegungsablauf, dass ich für anderes nichts übrig hatte.

Camino Frances, Pyrenäen
Camino Frances, Pyrenäen - 2018

Das therapeutische Tanzen und Propriozeption

Eine meiner größten Fortschritte machte ich beim therapeutischen Tanzen, wo es ja um die Eigenempfindung geht. Das vergangene Jahr war nicht unbedingt leicht, denn neue Trainingskonzepte mussten her. An Therapien blieb nur das therapeutische Tanzen, daher konzentrierte ich mich in erster Linie darauf.

Besonders die Leichtigkeit steht im Mittelpunkt. Leichter durchs Leben zu gehen, war mein Ziel von Anfang an. Eine gestörte Propriozeption macht sich auch unter anderem darin bemerkbar, dass sich der Körper schwer anfühlt. Die ersten Jahre war alleine das Aufstehen vom Sitzen ein Kraftakt, der mich ans Limit brachte.

Jeder Schritt entgegen der Schwerkraft erfordert Überwindung, so ist es auch beim Tanzen. Langsam wird es besser, dieses Besser werden aber immer in meiner Geschwindigkeit und oft ist damit gemeint, dass ich besser damit klar komme. Hat mein Tagesablauf mit der Zeit als Leistungssportler viel gemein, so gilt das nicht für den Fortschritt. Ich musste neue Maßstäbe anwenden lernen und akzeptieren.

Das Tanzen tat unheimlich gut, mit den Körperwahrnehmungsübungen. Ein wichtiger Teil ist es, die Kontrolle zu verlieren. Mein ganzes Gehen ist aber auf Kontrolle aufgebaut, daher war es besonders bis in den Herbst hinein, nicht leicht zu erkennen, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Ich musste Kontrolle aufgeben, um Leichtigkeit zu finden. Eine Kontrolle, die mir das Gehen bisher ermöglichte.

Auch wenn man es von außen nicht sieht, innerlich ist mein Gehen Roboterhaft und sehr kontrolliert. Mehr Leichtigkeit ist daher ein Ziel, dass ich über die Körperwahrnehmung beim therapeutischen Tanzen erreichen möchte.

Die Bewegung, nur eine Seite

Die andere Seite ist das Denken und Sprechen. Zwischen wenig und gar nicht sind da die Fortschritte. Besonders beim Pilgern konnte ich die Propriozeption in Verbindung mit dem Sprechen sehr gut üben. Ich tue mich schwer, jetzt im Lockdown und der Corona-Krise, denn der soziale Abstand setzt mir zu und verzögert mein Vorwärtskommen, abseits der Bewegung.

Besonders das Pilgern war die beste Möglichkeit, Bewegung, Denken und Sprechen zu fördern. Wie immer, mache ich aber das beste daraus und widme mich derzeit ganz der Verbesserung der Propriozeption und versuche in spielerischer Form Verbesserung zu erreichen.

Propriozeption und Klettern
Propriozeption und Klettern

Die Bewegung ist aber eben nur eines, auch in Zukunft muss ich immer genau abwägen, was ich machen darf und kann.

Es bleibt spannend, wie ich in Zukunft Rehabilitation, Corona und das Leben unter einen Hut bekomme. Zu tun ist genug!


Lockdown, Leben und Rehabilitation - in der Natur!


Corona, mit dem Lockdown, hat mein Leben dieses Jahr wieder einmal völlig auf den Kopf gestellt. Jetzt zum dritten Mal, seit dem Hirnabszess vor viereinhalb Jahren. Manchmal möchte ich von nichts mehr hören, denn immer wieder neu beginnen zu lernen, wird mir manchmal zu viel.

Dann ziehe ich mich gerne in meine Gedankenwelt zurück, denn ich denke dann gerne an den Camino zurück, wo ich auf die Basics des Lebens reduziert war. Nämlich Gehen, Essen und Schlafen. Dieses Gefühl versuche ich dann auf das Jetzt zu übertragen.

Zu Hause wird mein Gehirn, mit den vielen kleinen Dingen des Alltags überfordert und ich kann nur einen begrenzten Teil der Therapie und Rehabilitation widmen. Dadurch komme ich auch langsamer vorwärts. Der Alltag zu Hause ist meine Therapie. So versuche ich einen Mittelweg zu finden und in allem was ich mache, nicht unbedingt Therapie zu sehen.

Nach mittlerweile rund 7 Monaten Corona-Krise, kann ich ungefähr abschätzen, dass ich rund 30 bis 40 Prozent meiner Kondition und meines Denkens vom Februar am Camino verloren habe. Das meiste fiel unter Schadensbegrenzung, außer einiger Ausnahmen wie das Tanzen oder Radfahren, wo ich mir die Erfolge verschaffte, die ich brauche, um motiviert zu bleiben. Wichtig wurde einfach das DRANBLEIBEN.

Natur im Lockdown
Natur im Lockdown

Ziel "Gehen"

„Auf eingefahrenen Gleisen kommt man an kein neues Ziel.“

Paul Mommertz

Die ersten zwei Jahre lernte ich die Basics des Gehens. Im Jahr 2018 wurde dann Pilgern mein Ziel. Eigentlich wollte ich über die kurz zuvor vollzogene Trennung hinwegkommen, aber ich durfte schnell erkennen, dass der Camino mir so viel mehr zu bieten hatte. Bei meinem zweiten Camino, dem Camino Norte, konnte ich einen ersten Schritt zurück ins Leben vollziehen, dank meiner Mit-Pilger.

Der Camino ist eine besondere Herausforderung für Körper, Geist und Seele und ich konnte einzigartig unter lebensnahen Bedingungen trainieren. Obwohl ich alles neu lernen musste, fiel es mir nie als Therapie auf. Egal ob Denken, Sprechen oder die Bewegung. Der Jakobsweg hat seine eigene Magie.

Camno Frances 2020, Meseta
Camino Frances 2020, Meseta

Man sagt: "Der Camino beginnt zu Hause!"

Dieser Spruch hat seine Bedeutung. Auch für mich begann der WEG erst zu Hause. Besonders eine Frage stellte sich für mich, wie kann ich das dort gelernte zu Hause für mich umsetzen? Diese Frage bekam eine neue Wichtigkeit, als kurz nach meiner Rückkehr heuer vom Camino Frances, der Lockdown wegen Corona geschah. Pilgern wurde für mich unmöglich und eine neue Strategie war notwendig, wie ich mit dieser Situation umgehen kann.

Eines wurde im Verlauf der Monate schnell klar. Das von meiner Ergo-Therapeutin im April 2019 initiierte "wieder Leben lernen", war in dieser Form für mich plötzlich nicht mehr machbar, es wurde unmöglich. Social Distancing, der Fluch, der seit Beginn meiner Rehabilitation auf mir lastete, machte meine ganzen Bemühungen im Jahr 2019 zunichte, wieder das Leben zu erfahren.

Dieses sozial Abstand halten war das Ende meines Anfangs. Mein Gehirn kam mit der Situation nicht zu Recht und schaltete in einen Überlebensmodus. Ich begann mich wieder auf die Rehabilitation zu konzentrieren, die ich in Eigenregie durchführen konnte. Ab Juni kam wieder das therapeutische Tanzen dazu und ich begann mit dem Radfahren.

Das Radfahren war wie Gehen lernen

Die ersten Wochen zählte ich die Meter, die ich jedes Mal mehr zurück legen konnte. Nach zwei Monaten konnte ich schon eine halbe Stunde fahren. Langsam erreichte ich immer mehr innere Stabilität.

Anfangs litt das Gehen darunter. Das nahm ich aber in Kauf, da die Vorteile des Radfahrens überwogen. Meine Reaktion verbesserte sich, dadurch konnte ich zum Beispiel leichter die Straße überqueren. Erfolge, die mir gut getan haben.

Leider ist es aktuell zu kalt fürs Radfahren und ich habe wieder das Gehen forciert. Im Moment ist es wichtig, dass ich genug mache, um mit einer möglichst guten Kondition in den Winter zu kommen.

Radfahren im Lockdown

Gehen lernen

Es war von Anfang an so fest in meinem Kopf, dass ich alles tun wollte, um es wiederzuerlangen. Allerdings kam im Sommer 2019, nach dem Camino del Norte, heraus, dass ich an Muskelschwäche litt. Davor waren die Krankheit mit den Folgen des Hirnabszesses zu mächtig und verschleierten andere Probleme.

Die fünf Monate andauernde intravenöse Antibiotika Gabe im Krankenhaus, waren Gift für die Nerven und Muskeln. Dieser Schleier der Krankheit musste erst einmal abfallen. Übrig blieb eine Propriozeption, die in Verbindung mit der Muskelschwäche besonderes schwierig zu Verbessern ist.

Das Gehen lernen, bzw. der Umgang mit den Defiziten, wurde immer mehr zur Herausforderung. Das konnte man im Außen nicht sehen oder verstehen, hatte ich doch mit dem Camino Frances und dem Norte doch schon zwei der großen Caminos begangen. Ich lernte dort zwar besser gehen, aber noch mehr, besser damit umzugehen. Das erleichterte natürlich vieles, aber Ziel ist heute noch immer, Gehen zu lernen und nicht nur, besser damit umzugehen.

Und dann kam Corona mit dem Lockdown

Mit dem Beginn der Corona-Krise war alles vorangegangene für mich vorbei. Pilgern, mich an die Stadt und Menschen zu gewöhnen und meinen körperlichen Zustand zu verbessern. Was sollte jetzt neues her? Fast alle Therapien wurden ausgesetzt, nur das therapeutische Tanzen wurde so lange wie möglich beibehalten. Dieser Input half mir sehr über diese Zeit und ich bin meiner Therapeutin sehr dankbar für alles, was ich dort erfahren durfte.

Überhaupt bildet das therapeutische Tanzen die Grundlage für all mein Training in der Corona Zeit und bis heute.

Therapeutisches Tanzen auch beim Gehen
Therapeutisches Tanzen auch beim Gehen

Neuerlicher Lockdown im November

Pilgern wurde für den Rest des Jahres für mich unmöglich. Meine mühsam über die Jahre erarbeitete Grundlage konnte ich daher nicht behalten. Mein Gehirn braucht lange, um diese Vorgänge zu verstehen und neue Routinen zu lernen, die mir helfen.

Um mich nicht zu überfordern, habe ich beschlossen, bisher vertrautes zu übernehmen, nämlich die Rehabilitation. Das "Leben zu lernen", wie es mir meine Ergo-Therapeutin voriges Jahr empfohlen hatte, fällt damit nach wie vor ins Wasser.

Was mir hilft, sind Wanderungen und Spaziergänge in der Natur. Ich bin in den letzten Monaten beinahe die meisten der Wanderwege und Gipfel rund um mein Zuhause gegangen.

Gratkorn
Gratkorn
Camino Feeling zu Hause
Camino Feeling zu Hause

Rundweg Gratkorn

Der Rundweg Gratkorn ist einer dieser Wege, wo ich verschiedene Aspekte des therapeutischen Tanzen oder andere Übungen trainiere. Dabei versuche ich es nicht unter dem Aspekt der Therapie zu sehen, sondern wie am Jakobsweg, mit Spass und Freude den Alltag zu erleben.

Eines ist das Sammeln von Müll. Dosen und Plastik liegen überall herum. Je nachdem wie viel herumliegt, wende ich zwischen 20 und 45 Minuten dafür auf. Länger geht noch nicht, denn es hängt davon ab, wie oft ich mich niederbücken muss. Etwa 50 Mal geht, dann ist genug Kraft verbraucht und ich muss es beenden.

Wenn ich eine Dose vom Boden aufhebe, dann ist mir danach beim Aufstehen schwindlig. Es ist ein gutes Training, um mich daran zu gewöhnen. Begonnen habe ich es am Camino del Norte und führe es jetzt zu Hause mehrmals die Woche weiter. Es ist gleichzeitig ein Koordinations-, ein Kraft- und ein Feinmotoriktraining und ich kann gleichzeitig damit etwas Gutes tun. Vielleicht wäre es auch für den ein oder anderen eine Tätigkeit, sich körperlich im Lockdown zu betätigen.

Der Müll von 500 m Waldweg
Der Müll von 500 m Waldweg

Natur statt Stadt

Es war eine gute Entscheidung, praktisch nur mehr in die Natur zu gehen. Ich merke zwar, dass ich merkbar sensibler gegenüber Menschen und der Stadt geworden bin, aber dafür hat sich meine Wahrnehmung verbessert, seit ich täglich in den Wald gehe und nicht mehr in die Stadt.

Im Wald beim Lockdown

Mein Kino ist jetzt der Wald und die Natur um mich herum. Ich könnte es mir nicht vorstellen in der Stadt zu wohnen. Der Wald hilft mir so sehr, jetzt weiß ich endlich, wieso ich schon als kleiner Junge gerne tief im Wald, in einer Blockhütte, in Kanada leben wollte.

So versuche ich im Lockdown und der Corona-Krise das Beste aus der Situation zu machen und die nächsten Wochen werde ich versuchen, mich weiter zu stabilisieren. Schön wäre es trotzdem, wenn es wieder mehr "Leben lernen" gäbe. Aber, das es nicht so ist, daran muss ich mich wohl oder übel gewöhnen.

Daher bleibt die Natur auch weiterhin mein größtes Rehazentrum der Welt!


1000 Posts auf Instagram

Es ist wieder einmal Zeit für ein Resümee über die letzten 1570 Tage, seit dem Thalamus-Abszess im Gehirn. Ein weiterer Anlass ist mein 1000er Post auf Instagram, wo ich meinen Weg der Rehabilitation in Bildern festhalte.

Die Welt hat sich verändert und auch ich und meine Ziele, denn das Pilgern hat ein vorläufiges Ende gefunden. Das, was mir am meisten geholfen hat, um zurück ins Leben zu finden, ist für mich vorläufig zu Ende.

1570 Tage oder 4 Jahre, 3 Monate und 20 Tage, so lange dauert mittlerweile mein Weg zurück ins Leben. Auf eine gewisse Art bin ich zurück im Leben, habe ich seither doch so viel erlebt. Andererseits fehlt noch viel, um ein "normales" Leben zu führen.

Instagram Tagebuch

Therapie und Rehabilitation

Ich startete mein neues Leben am 27.3.2016. Es begann alles mit der Einlieferung ins Krankenhaus. Das Ödem drückte damals so stark auf den Thalamus, dass ich neurologische Ausfälle bekam. Innerhalb eines Tages konnte ich nicht mehr Laufen, Gehen und meine Gedanken waren verwirrt.

Nach einer Woche war ich rechtsseitig gelähmt und konnte nicht mehr klar denken. Die Lähmung betraf auch das Gesicht und das Reden wurde schwieriger. Die neurologischen Ausfälle betrafen die Gliedmaßen rechts und links, dazu kam die Hemiparese rechtsseitig.

Gedanken an die Vergangenheit oder Zukunft wurden im Gehirn unterbunden und alle Energie wurde für das Überleben gebraucht. Auf der Intensivstation war ich wie ein regungsloser Fleischklumpen, ohne Kraft und Koordination. Ich konnte mich im Bett nicht alleine aufrichten oder umlegen. Mein Gehirn schützte mich vor allem Belastenden und ließ einfachste Gedankengänge nicht zu.

Nach etwa zwei Monaten entschieden sich die Ärzte für eine Operation, alleine mit Antibiotika bekam man es nicht mehr in den Griff. Fünf Monate im Krankenhaus waren notwendig und ab September 2016 war ich wieder Zuhause.

Mein Gehirn MRT

Gehen lernen und Waldbaden

Fünfzig bis Hundert Meter konnte ich nach dem Krankenhaus gehen. Es sollte zwei Monate dauern, bis ich den nahen Wald erreichte und zum ersten Mal darin eintauchen konnte. Der Begriff "Waldbaden" existierte damals für mich noch nicht, aber es wurde mein wichtigster Teil in der Rehabilitation und sollte mich bis heute nicht loslassen.

Der Wald ist extrem wichtig für mein Nervensystem geworden. Bildlich gesprochen erreichte ich jeden Tag einen Meter weiter, in Richtung Wald. Es war eine Steigerung, die fast nicht messbar für mich war. Wieder Gehen zu können, setzte sich in meinem Gehirn so fest, wie kaum etwas anderes.

Es war allerdings nicht nur das Gehen zu lernen, sondern wesentlich mehr. Gehen lernen bedeutet, die Technik zu beherrschen und das beanspruchte viel Zeit. Der Arzt sagte zu mir, wenn ich wieder einmal ungeduldig war: "Wie lange braucht ein Kind, bis es gehen kann? Das saß und ich gab mir die Zeit, die von nun an eine andere Bedeutung bekam.

Waldbaden, die Bäume brauche ich!

Gehen lernen am bekanntesten Pilgerweg

Im Juni 2018 fuhr ich dann das erste Mal zum Camino Frances in Spanien. Meine ehemaligen Radrennkollegen sammelten für mich und ermöglichten mir die Fahrt zum Camino. Da ich nur die Berufsunfähigkeitsrente bekomme, sind viele Therapien für mich nicht bezahlbar. Dass der Camino ein so guter Ersatz dafür wurde, hoffte ich zwar, aber wusste ich nicht.

Meine damalige Lebensgefährtin trennte sich von mir und die Folge war, dass ich nur ein Monat später, im Juni, zum Jakobsweg fuhr. Vom ersten Tag an, war es ein Gehen an der Grenze. Es war aber das Beste, was mir passieren konnte. Meine Mit-Pilger waren zuerst überzeugt davon, dass ich nichts mit ihnen zu tun haben wollte, weil ich immer auf den Boden starrte und Begegnungen oft nicht wahrgenommen habe. Dabei musste ich nur so konzentriert gehen, dass ich rundum nichts wahrgenommen habe.

Erst im Laufe der folgenden Tage kam ich mit einigen ins Gespräch und sie erfuhren den Grund. Es sprach sich herum und von da an hatten sie immer ein Auge auf mich oder halfen mir über Schwierigkeiten hinweg. Ich war glücklich hier zu sein und mir rannen immer wieder Tränen der Freude herunter.

Mein erster Camino Frances, auch auf Instagram
Mein erster Camino Frances, auch auf Instagram

Ich merkte hier zum ersten Mal wirklich, dass ich ein Problem damit hatte, Emotionen frei zu empfinden. Es gab keine Abstufungen. 0 oder 100%, anderes war nicht möglich. Da ich nicht jedes Mal wegen allem Möglichen in Tränen ausbrechen konnte, entwickelte sich über die Zeit ein Vermeidungsverhalten. Bis heute arbeite ich daran, Gefühle wieder zuzulassen und Emotionen auszuleben.

Am Camino Norte ein Jahr später, bekam ich zum ersten Mal das Gefühl, was es bedeutet, wieder zu Leben. Bis dahin bestand mein Leben aus Therapie.

Camino Norte
Camino del Norte

Posten auf Instagram

Ich musste lange üben, um wieder Schreiben zu lernen oder ein Handy zu bedienen. Im April, Mai 2017 war es dann so weit. Ich begann meinen Blog von0auf101 und postete die ersten Bilder auf Instagram.

Die ersten Monate hatte ich noch Probleme mit dem Schreiben. Ich konnte oft einen Gedanken nicht zu Ende bringen. Es war aber gleich wie mit dem Gehen. Dranbleiben hieß das Zauberwort. Langsam besserte sich alles.

Instagram wurde fast mein Tagebuch in Bildern. Ich bin dabei, es als Buch zu fassen. Denn die Bilder sind ein Zeugnis darüber, was ich alles erreicht habe und es macht Spass, es in Buchform durchzublättern.

Denn oft kann ich nicht sehen, was ich alles erreicht habe. Für mich ist behindert eben behindert sein, egal ob mehr oder weniger. Sehe ich aber, wie lange ich durchgehalten habe, um ein paar Meter mehr zu schaffen, dann kann ich es besser nachvollziehen und sehe es.

Instagram

Wieder mehr Bloggen

In Zukunft möchte ich wieder mehr Bloggen und Instagram nicht mehr jeden Tag bedienen. Corona hat viel verändert, besonders hat es meine Konzentrationsfähigkeit gemindert und damit auch das Schreiben.

Für Instagram brauche ich nur kurze Texte. Das ist mir speziell in den letzten Monaten zurechtgekommen. Es ging immer um den Tag, für mehr spielte mein Gehirn nicht mit. Das ist auch der Grund, warum ich kaum längere Texte verfassen konnte. Es geisterten viele Themen im Kopf herum, aber sie ließen sich nicht greifen.

Schauen wir mal, wo mich die nächste Zeit hinbringt. Langsam reifen wieder Ziele, aber Corona kann alles wieder unmöglich machen. Auf jeden Fall bin ich wieder motiviert mehr zu Schreiben und es warten eine Menge neuer Themen, da ich auch neue Therapien in Angriff genommen habe, aber dazu in einem eigenen Blog-Bericht!


Zwei Bücher haben mir geholfen, den Weg zurück ins Leben zu verstehen. Das erste ist das Buch von Monica Lierhaus, deren Satz, "Die Länge des Weges nicht thematisieren!", mir sehr geholfen hat.

Das andere ist von Gela Allmann, das mir, in der ersten Zeit nach dem Krankenhaus, das Erlebte besser verstehen ließ. Durch das Buch wurden viele Erlebnisse hervorgeholt und ich konnte viele Dinge besser verarbeiten.

Viele Einzelheiten und Erlebnisse aus dem Krankenhaus wurden für mich wieder greifbar. Es war emotional sehr aufwühlend, aber tat mir gut, weil es mir Verständnis für meine Lage gab.

Bin ich noch ich - Monica Lierhaus

Der Spruch aus Ihrem Buch, "Die Länge des Weges nicht thematisieren", wurde für mich prägend.

Es war mir in der ersten Zeit nicht möglich, das Geschehen zu erfassen. Denken und Körper waren wie getrennt. Ich konnte nur auf das unmittelbare auf mich eintreffende reagieren. Ich verfing mich immer wieder in einer Denkschleife, aus der es mir nicht gelang rauszukommen.

Es war unmöglich das Geschehene zu verstehen oder zu realisieren, wie lange es noch dauern würde. Als ich zum Ersten mal den Satz las, ließ er mich nicht mehr los. Ich habe ihn in mein Notizbuch auf die erste Seite geschrieben. Dadurch werde ich immer daran erinnert, wenn der Fortschritten .

Es wird nie mehr so wie es war!

Jetzt, nach drei Jahren, ist alles klarer geworden. Hätte ich die Dauer damals als Thema für mich wichtig gemacht, ich wäre daran zerbrochen.

Mittlerweile weiß ich, es wird nie mehr so sein wie es war. Die Schwierigkeit ist für mich, dass in seiner Gesamtheit zu verstehen. Mein Gehirn macht einfach nicht mit. Ich befinde mich wie in einer Warteschleife. Ich kann gewisse Dinge nicht weiter oder zu Ende denken.

Das zu akzeptieren ist nicht leicht. Oft möchte ich es verstehen, aber ich kann es nur Sein lassen. Ich darf mich nicht in Gedanken verstricken, aus denen ich sowieso nicht raus finde.

Die Chance auf einen Neuanfang!

Der Hirnabszess bedeutete für mich einen Neuanfang. Ich musste alles umkrempeln, was mir bisher etwas bedeutete. Ich musste mein Leben ändern und es sollte sich ändern.

Diese Chance auf einen Neuanfang war nicht nur eine Chance. Wollte ich über- und weiterleben, durfte ich nicht in alten Strukturen bleiben.

Trotz Hirnschädigungen, die mich unter anderem nur im Hier und Jetzt halten, wurde es ein Neuanfang. Ich kann noch immer nichts planen, nur reagieren und im jetzt leben. Was an und für sich ja nicht schlecht ist, aber die einfachsten Pläne sind mir kaum möglich.

Das ist oft frustrierend und lässt mich in einer Denkschleife zurück. Da raus zu kommen ist oft nicht leicht.

Schreiben als Therapie

Mit dem Schreiben versuche ich zu verstehen. Wie alles andere auch, ist das nur langsam möglich. Es ermöglicht mir, vieles besser zu verstehen. Es dauert oft Wochen, bis mir ein Thema klarer wird.

Wenn ich so vage darüber schreibe, dann nur deswegen, weil mir vieles noch unklar ist. Ich möchte versuchen, es zu verstehen. Erst dann kann ich darüber schreiben.

Das ist die andere Seite meines Weges zurück ins Leben, die Gedankliche. Ich erzähle darüber selten, weil es zuviel nachdenken erfordert, was mir nicht immer gelingt. Oft füge ich ein Bruchstückchen ans andere. Das Schreiben hilft mir dabei.

Schreiben

Die Länge des Weges

Es ist ein langer Weg, den ich zu gehen habe. Wie lange er noch dauert? Ich weiß es nicht. Zu fragen hätte keinen Sinn, es kann mir sowieso niemand beantworten.

Jeden Tag mein Bestes geben und darauf vertrauen, dass es mich weiter bringt. So schaut es aus.

Meine Rehabilitation

Mein Weg besteht noch aus Rehabilitation. Die Behinderungen sind Allgegenwärtig. Ich kann keinen Schritt machen, ohne das ich daran erinnert werde.

Ich versuche mich weiterzubilden, wie mein Nervensystem funktioniert. Das gehört auch zu meiner Rehabilitation. Wobei, noch wichtiger ist der Energiefluss, denn bringe ich die Energie wieder zum Fließen, dann habe ich viel gewonnen.

Ich muss mich immer nach meinem Befinden am Tag richten. Erst danach entscheide ich, was ich tun kann.

Lieber sage ich Training zu meiner Rehabilitation. Es hat mehr mit dem Leben zu tun, als das Wort Rehabilitation, das mehr mit Krankheit zu tun hat.

Eines ist mir wichtig geworden. Ich darf niemals

"...die Länge des Weges thematisieren!"


Ich habe mit dem Schreiben ein paar Monate nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus begonnen. Zuerst war es mein Antrieb, wieder mit einem Stift Buchstaben um Buchstaben auf Papier zu bringen. Ich hatte keine Ahnung warum, aber der Antrieb war da. Ich wollte wieder Schreiben zu lernen. Schreiben als Therapie.

Schon im Krankenhaus habe ich versucht das Geschehen festzuhalten. Es blieb aber beim Versuch. Ich musste erst wieder die Technik lernen, einen Stift zu halten und Schreiben lernen.

Ich kann bis heute nur begrenzt mit der Hand schreiben. Die Finger ermüden schnell und dann wird es unleserlich. Aus diesem Grund habe ich begonnen, auf einem Tablet zu tippen. Gleich darauf kaufte ich mir eine Tastatur. Damit wurde es möglich länger zu Schreiben und die vielen Fehler auszubessern.

Schreiben

Schreiben lernen

Der Anfang war frustrierend. Ich brauchte für jedes Wort so lange, dass ich nicht mehr wusste, was ich schreiben wollte. Ich musste mich auf jeden einzelnen Buchstaben im Wort konzentrieren. Längere Wörter brachten mich an die Grenze.

Oft lasse ich Buchstaben aus. Erst beim wiederholten Durchlesen wird es mir bewusst, dass sie fehlen. An manchen Tagen geht es besser, an manchen schlechter.

Ich schreibe mit dem Zweifingersystem. Meine Finger, wie mein ganzer Körper, sind von den Schädigungen des Zentralnervensystems betroffen. Feinheiten erledigen sind mir noch immer kaum möglich. Ich übe zwar den Umgang, aber das Aufheben einer Nadel wird zum Geduldspiel.

Ist Schreiben meine neue Gabe?

Das Schreiben als Therapie

Das Schreiben wurde auch zur Therapie für mich. Ich versuche positiv zu schreiben und das verankert sich in mir drinnen. Es gibt mir auch die Möglichkeit zu reflektieren, was oft wichtig ist. Dadurch kann ich mein Gehirn trainieren, Gedankenwege zu finden. Ein Problem ist es noch weiterführende Gedanken zu verfolgen. Beim Schreiben muss ich mich damit auseinandersetzen. Jeder Satz wird so zur Herausforderung.

Mittlerweile haben sich bereits so viele Blogartikel, Aufzeichnungen und Notizen angesammelt, dass ich über ein Buchprojekt nachdenke. Es macht mir einfach Freude und ist etwas, was ich ausführen kann.

Gedanken

Zurzeit sind viele Veränderungen im Gange. Mit manchen davon komme ich nicht klar. Deshalb heißt es jetzt besonders auf meine Gedanken aufzupassen. Mit meinen Gedanken habe ich den Hirnabszess kreiert. Mit meinen Gedanken kann ich aber auch positives kreieren. Darum ist es so wichtig, was ich denke.

Veränderungen tun mir im Moment nicht gut. Trotzdem stehen sie an. Einen goldenen Mittelweg zu finden ist daher wichtig und das Umgehen wird immer wieder eine Herausforderung. Mit meinen Handicaps wird eigentlich alles zur Herausforderung. Denn es sind nicht nur die Geh- und Bewegungseinschränkungen, das schwerer wiegende ist das Gehirn.

Im Wald

NEUES Leben leben

Mit den Einschränkungen komme ich für mich klar, allerdings werde ich immer wieder vor Herausforderungen gestellt, die mein derzeitiges Potenzial weit übersteigen. So wandle ich nach wie vor oft am Limit dahin.

Auf jeden Fall bewege ich mich, Schritt für Schritt, vorwärts in ein neues Leben.


Ich bin Jörg, wohne in der Nähe von Graz und blogge hier über meinen Weg zurück ins Leben, das ein Hirnabszess 2016 völlig auf den Kopf gestellt hat.
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