Wenn ich die letzten Jahre rückwirkend betrachte, dann war für die Folgen des Hirnabszesses, das Pilgern die beste Therapie. Corona macht es aber seit einem Jahr unmöglich und ich brauchte lange, um die Situation erfassen und verändern zu können. Ich musste meine Rehabilitation überdenken, neu gestalten und etwas Neues musste her. Aber wie kam ich auf den Walkabout?
Vor einigen Monaten kamen Erinnerungen an meine Australien Reisen hoch, von denen ich ein Didgeridoo mitbrachte. Ich borgte mir ein leichter zu handhabendes von meinem Bruder aus und begann zu üben.
Einher kamen mir Erinnerungen an einen Walkabout in Australien, den ich aber, um es kurz zu machen, nie verwirklichte. Die Pilgerwege in Spanien sind wegen Corona zu und auch das Losgehen von zu Hause nach Santiago ist (für mich) unmöglich. Deshalb werde ich, im Sinne eines australischen Walkabout, durch Österreich gehen. Die Kultur dahinter spricht mich an und hat mit Pilgern viel gemein.
Alle Planungen sind vorläufig und gelten nicht als fix. Corona veränderte unser aller Leben und beeinflusst natürlich auch solche Touren. Auch ich plane nur unter dem Motto: Nix is fix!
Es kann jede Woche anders ausschauen, wie wir derzeit wieder sehen und danach richte ich mich. Aktuell wird es einen weiteren Lockdown nach Ostern geben und darüber hinaus. Wie es wirklich weitergeht, weiß niemand. Diese Unwägbarkeit der Situation war letztes Jahr kaum zu verstehen für mein Gehirn und ich brauchte lange, um mich an die Situation anzupassen. Mittlerweile kann ich wesentlich besser damit umgehen.
Für die Aborigines hat er eine wichtige Tradition. Mittels einer "Songline", einem gesungenen Lied, wird die Heimat auf einem festgelegten Pfad durchwandert. Dieses Lied weist durch markante Beschreibungen den korrekten Weg. Es ist laut den Aborigines ihr "Traumpfad" im Land.
So eine Wanderung kann Wochen, Monate oder in manchen Fällen, auch jahrelang dauern. Man wandelt so auf den Spuren der Vorfahren. Der Walkabout ist ein Ritual und bewahrt die Kultur der Aborigines. Er gibt ihnen Identität.
Durch Veränderungen der Natur und Landschaft, wird es aber immer schwieriger, dieses Ritual aufrechtzuerhalten. Baumaßnahmen, Häuserbau, Landschaftsbau und andere Veränderungen gleichen einem Heimatverlust und einem Verlust der Identität. Traditionelle Aborigines leben entlang ihrer bekannten "Songline", es ist ihre normale Lebensweise. Sesshafte Aborigines benutzen den Walkabout, um ihre Identität zu bewahren.
Für mich hat dieser Walkabout den Sinn, meine eigene Identität wiederzufinden.
Vorbild ist der Australische, allerdings adaptiert auf Österreich und besonders auf mich. Am Jakobsweg in Spanien konnte ich schon eine gute Grundlage dafür bilden, er war ja auch so etwas wie ein Walkabout. Den ersten Camino ging ich, um mich wieder selbst zu finden. Der Hirnabszess nahm mir jede Identität, sodass ich nicht wusste, wer ich eigentlich bin. Mein Leben bestand nur aus Therapie, wer war aber ich?
Mich mit Behinderung wieder im Leben zu finden, ist mir bis heute in Ansätzen gelungen. Es wurde wichtig, trotzdem jeden Tag mit Freude und Glücklichsein zu erleben. Das ist die Grundlage für Heilung. Da mein Gehirn nicht mehr so arbeitet wie vorher, wurde die Bewegung immer wichtiger. Gleichzeitig hilft das Gehen auch dem Denken. Die Bewegung des Körpers überträgt sich auf das Gehirn und diese Bewegung unterstützt das Denken.
Corona tat dann allerdings das seine dazu, dass ich mich quasi wieder an den Anfang begeben musste. Ich nenne es immer wieder "das Leben lernen". Von einem Tag auf den anderen, konnte ich das nicht mehr. Aber wie damit umgehen? Ich fühlte mich in die Anfänge des Hirnabszesses zurückversetzt.
Seit Februar 2019 arbeite ich speziell daran. Ich sollte lernen, Freunde zu treffen, mit dem Zug zu fahren und ins Kino zu gehen. Therapie sollte seine eigene Zeit bekommen, der Rest war Leben.
Am Camino del Norte bekam ich nach drei Wochen Gehen, wieder das Gefühl zu spüren, was Leben heißt. Der Herbst wurde eine Entdeckung des Lebens. Gleich darauf, im Februar 2020 am Camino Frances, besuchte ich dann zum ersten Mal die Kathedrale in Santiago und das Pilger-Museum. Pilger-Freunde begleiteten mich und ich überwand meine Vermeidung und Hochsensibilität. Ich hatte solche Freude am Entdecken des Lebens gefunden.
Nach meiner Heimkehr vom Camino, war plötzlich Social Distancing, Abstand halten und Regeln einhalten angesagt, die mich und mein Gehirn überforderten. Ich flüchtete mich in die körperliche Therapie, denn "das Leben lernen", war mir unmöglich geworden. Ich musste neue Strategien und Routinen lernen, für die ich lange brauchte, bis ich sie verinnerlicht hatte.
Wichtig ist, "Leben unter neuen Voraussetzungen", zu lernen. Dabei war ich doch nur kurz vorher im Begriff, mich selbst wiederzufinden. Also alles neu und zurück an den Start.
Schon im letzten Jahr begann ich alle Berge meiner Umgebung zu erkunden. Berge, die ich früher nicht einmal kannte, wurden meine neue Spielwiese, um weiterhin Gehen zu lernen. Ich versuchte mich auch an heimischen Pilgerwegen, war zum Beispiel für wenige Tage am Weststeirischen und am Burgenländischen Jakobsweg unterwegs.
Wie lange Corona dauern würde, konnte damals niemand abschätzen. Diese Ungewissheit war nicht leicht zu verarbeiten, soweit konnte mein Gehirn nicht denken. Ich begann aus diesem Grund mit Übernachtungen im Zelt oder Biwaksack, musste aber recht bald einsehen, dass mein Körper noch nicht so weit war. So landete ich wieder beim körperlichen Training, um mich zu festigen. Schleichend verließ mich aber die Konzentration. Es ging immer schlechter Bücher zu lesen oder zu schreiben.
Die Langsamkeit hält mich weiterhin gefangen, alles schnelle, wie das Laufen, funktioniert noch immer nicht. So bleibt Wandern und Pilgern meine Tätigkeit, immer auch mit dem Gedanken dahinter, mein Denkvermögen zu verbessern. Das Denken hat seit dem ersten Corona-Lockdown sehr darunter gelitten.
Austria - Australien und dazu der Walkabout. Diese Idee reifte in mir immer mehr. Meine "Songline" sollte eine Verbindung zwischen den entferntesten Punkten Österreichs, in allen vier Himmelsrichtungen, sein. Als Trailrunner wäre ich gelaufen, so wird es aber ein Thruehike, also ein Weitwanderweg. Da ich noch immer unter der Muskelschwäche leide, werde ich trotzdem kaum mehr Gepäck tragen, als ich es laufend gemacht hätte. Ultra light ist das Zauberwort.
Mein Weg führt mich von Judendorf zunächst am Neusiedlersee vorbei, zum östlichsten Punkt von Österreich, Deutsch-Jahrndorf. Von dort geht es, zum Teil auf Jakobswegen, bis zum nördlichsten Punkt, in die Nähe von Haugschlag, an der Grenze zu Tschechien.
Dann warten einige Berge auf dem Weg zum westlichsten Ort, Bangs in Vorarlberg, unter anderem wird der Arlberg überquert. Wieder retour, wartet der anstrengendste Teil des Weges, die Überquerung der hohen Tauern, zum südlichsten Punkt, in Vellach. Von dort geht es nach Hause, in die Steiermark.
Der Weg ist grob 2.000 km lang. Viele Änderungen vor Ort werden die Strecke aber auf bis zu 2.500 Kilometer anwachsen lassen.
Auf die Idee brachte mich der amerikanische Ultraläufer Rickey Gates. Er hat 2017, bei der Amtsübernahme von Donald Trump, die USA zu Fuß durchquert und sich die Stimmung der Menschen auf seinem 5.000 Kilometer langen Weg angeschaut. Für ihn war damals eine wichtige Frage, wie ist die Stimmung im Land, nach der Amtsübernahme von Donald Trump.
Seine Begegnungen hat er eindrucksvoll in seinem Buch festgehalten.
Für mich steht an erster Stelle, nach fünf endlosen Jahren der Rehabilitation, endlich wieder meinen Platz im Leben zu finden. Der "Walkabout durch Austria", soll ein weitere Schritt dazu werden. Das ist die vorrangige Idee dazu.
Es interessiert mich aber auch, wie sehr Corona die Stimmung im Land verändert hat? Es sind viele Ähnlichkeiten mit seinem Lauf durch Amerika, nach der Amtsübernahme von Trump, weiche das Land gespalten hat.
Vor Corona bin ich immer wieder von der Straße weg zum Übernachten eingeladen worden. In der Corona-Zeit bin ich mir nicht mehr sicher, ob das möglich ist. Es wird interessant, das Erleben zu dürfen, besonders mit Behinderung, meiner Hochsensibilität und der veränderten Wahrnehmung. Natürlich werde ich nichts herausfordern, denn in erster Linie muss ich auf mich schauen und wie ich mit den Folgen des Hirnabszesses zurechtkomme.
Mein Gehen schaut von außen ja schon recht gut aus, aber niemand kann erkennen, welcher Aufwand dazu noch immer nötig ist. Meine Behinderung ist ja geblieben. Die fehlende Propriozeption verlangt mir große Konzentration ab, gehen zu können und Konzentration ist Energie. Energie, die ich noch immer genau einteilen muss, um über den Tag zu kommen. Auch wenn es so ist, bin ich froh und dankbar dafür, überhaupt gehen zu können. Es hat mir das Leben zurückgebracht.
Was anderes sind Begegnungen mit Menschen. Sie sind mir auch wichtig. Es wird anders als früher, aber trotzdem nicht weniger intensiv. Wie gehe ich mit den neuen Umgangsregeln um? Traue ich mich auf Menschen zugehen?
Es wird weniger in den Städten sein, die ich sowieso vermeiden werde, als vielmehr am Land. Die Bäuerin beim Wiese mähen, der Wanderer unterwegs, der Briefträger und so weiter. Mich interessiert: Wie sehen sie Corona, was hat sich in ihrem Leben verändert und was würden sie sich wünschen?
Als Zeitrahmen ist das Frühjahr bis Sommer vorgesehen. Losmarschieren würde ich gerne am 1. Mai, da aber Corona nicht berechenbar ist, lasse ich es mir offen, wann es wirklich losgeht. Ich werde mich spontan entscheiden. Einziges Limit, ich muss schauen, dass ich im Sommer durchkomme, ehe es im September zu kalt in den Bergen wird.
Die Dauer wird zwei bis drei Monate betragen. Da ich es nicht mit Pilgern in Spanien vergleichen kann, werde ich auch diesmal, wie eigentlich immer bisher, alles auf mich zukommen lassen. Was ich jedoch im Auge behalten werde, wenn es gar nicht geht, werde ich abbrechen und aufhören. Meine persönliche Gesundheit steht an erster Stelle, den die Tour hat ja den Sinn, mich darin zu verbessern.
Zelt, Schlaf- und Biwaksack werden meine bevorzugte Übernachtung sein. Ultra light (Run-)Hiking habe ich schon lange vorher betrieben. Als Trailrunner war ich immer darum bemüht, mit leichtem Equipment unterwegs zu sein.
Ich habe allerdings vor, mir alle paar Tage ein Zimmer zu nehmen, sofern etwas offen hat. Ein bisschen Komfort darf sein. Eine warme Dusche, Strom für Handy und Fotoapparat und ein Bett für bessere Erholung.
Da ich vorhabe zu fotografieren, muss ich mit dem Strom haushalten. Ich habe eine kleine Powerbank bei mir und für den Notfall ein Solarpaneel, damit bin ich begrenzt autark. Allein der Fotoapparat mit Stromversorgung wiegt allerdings einen Kilogramm.
Ich habe lange überlegt, wegen des Gewichts nur mit dem Handy zu gehen. Da kam aber mein ursprünglicher Beruf als Videojournalist durch und ich entschied mich dagegen. Aber wer weiß, ich reagiere zu spontan und vielleicht gehe ich doch mit leichterem Gepäck! 🙂
Ob ich einen Kocher mitnehme, hängt davon ab, ob ich offene Gaststätten vorfinde. Ihn zu Hause zu lassen, wäre in jedem Fall eine Gewichtsersparnis. Mit dem Gewicht bin ich am absoluten Limit für mich, aber es ist trotzdem mehr, als im normalen Fall. Die Nachwirkungen des Hirnabszesses lassen mich ein paar extra Sachen einpacken, weil mein Körper noch immer anders reagiert wie früher.
Die gesamte Ausrüstung werde ich noch gesondert vorstellen. Das Basisgewicht des Rucksacks wiegt im Moment 5 kg, inklusive Fotoapparat, aber ohne Wasser und Verpflegung.
Allein die Vorbereitung war bisher eine sehr gute Therapie für mein Gehirn. Das richtige Material zu finden und zu bewerten, die Streckenplanung und das zu Corona-Zeiten.
Viele Kleinigkeiten müssen bedacht sein, denn ich stecke es nicht mehr so leicht weg, wenn etwas fehlt. Der Hirnabszess bzw. die Behinderung verzeihen keine großen Fehler. Es wird sich zeigen, wie ich das Übernachten im Freien dieses Jahr vertrage. Keine zu großen Kilometerleistungen sind am Anfang wichtig, denn obwohl mir dieser direkte Kontakt mit der Natur guttut, kostet mir das Nächtigen Energie.
Auch wenn noch alles unabsehbar ist, freue ich mich auf den Walkabout. Er soll mich wieder, trotz Corona, ein wenig näher an das Leben zurückbringen. Mein persönlicher Lockdown beträgt immerhin schon 5 Jahre. Auf der einen Seite kann ich oft besser damit umgehen, auf der anderen fehlt mir mittlerweile besonders der soziale Kontakt und das Leben, so wie es mittlerweile allen fehlt.
Auf jedem Fall beginnt das Abenteuer, wo Pläne enden!