Ich habe eine richtige Sehnsucht nach dem Gehen. Die Kälte, das Training, das Üben, den Alltag handeln - es ist zurzeit recht viel, was auf mich einprasselt. Dann überlege ich, was mir am liebsten ist. Es ist das Gehen.
Ich muss täglich Prioritäten setzen. Das Gehen oder in Zukunft auch Laufen, ist die meine. Dafür habe ich eine Menge zu Tun. Es heißt allerdings umdenken. Nicht alles, was im Sommer gelang, geht auch jetzt.
Wenn du krank bist - sollst du nicht denken: "Ich bin krank", sondern - "Ich befinde mich in einem Heilungsprozess" - Die Krankheit ist die Heilung,
Safi Nidiaye
Über diesen Satz muss ich oft nachdenken. Ich bin noch immer in einem Heilungsprozess, der noch längere Zeit in Anspruch nehmen wird. So etwas wie Normalität kann ich noch immer nicht leben. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Familie. Wir lernen damit umzugehen, was oft nicht leicht ist oder erst gelernt sein möchte.
Gerade zur Weihnachtszeit meint man, so viel tun zu müssen. Über allem anderen steht jedoch noch immer das Gesund werden an erster Stelle. Ein gesunder Egoismus hilft mir da weiter. Nicht zu allem JA sagen. Auch einmal NEIN sagen, nicht allen Verpflichtungen nachkommen wollen. Vieles sage ich ab, weil es mir mehr Kraft kostet, als ich habe. Ich schaue auf mich und lerne bei mir zu bleiben.
Im Buch der damaligen ARD-Moderatorin Monica Lierhaus, ist es Silvia aufgefallen, dass es ihr immens wichtig war, wieder richtig sprechen zu können und ein Interview vor der Kamera zu führen. Nur zwei Jahre nach ihrer Gehirnblutung war es so weit. Sie sprach mit Joachim Löw in Rio de Janeiro, nach dem Gewinn der Fußball WM. Das Interview zu führen war ihr so wichtig, es war ihr Antrieb zu üben. Ihr Focus lag darauf. Trotz ihrer Handicaps schaffte sie es. Das ist Bewundernswert.
Auch bei mir werden es bald zwei Jahre. Mein Antrieb ist es, wieder gehen und laufen zu können. Mein Focus liegt nicht so sehr beim Sprechen, wie bei Lierhaus. Ich könnte noch kein Interview führen, wie früher. Es ist nicht nur wegen dem Sprechen, auch meine Denkleistung ist noch verlangsamt und der Zugriff zum Wissen fehlt mir in vielen Bereichen. Gerade im Moment werde ich immer wieder daran erinnert. Als Videojournalist für Puls4, hatte ich öfter die Gelegenheit, die Politiker Kurz und Strache, zu Interviewen. Das wieder zu können, hat aber für mich keine Priorität.
Gehen und Laufen hingegen ist mir wichtig. Mich uneingeschränkt bewegen zu können. Daran hängt mein Lebensgefühl, auch wieder mobil zu sein. Niemand kann es wirklich nachvollziehen, was es heißt, nach Monaten im Krankenhaus, zum ersten Mal wieder ins Feie zu dürfen. Ich habe den Winter, den Frühling und einen sehr heißen Sommer, im Zimmer verbracht.
Das erste Mal bin ich Mitte Juli mit dem Rollstuhl für 15 min. von Silvia vor die Neurologie geschoben worden. Ich war so happy, man kann es kaum beschreiben, was in mir vorging. Danach war ich erschöpft, aber von dem Gefühl zehrte ich noch lange. Es sollte wieder zwei Wochen bis zu meinem nächsten Ausflug dauern.
Ich muss im Freien Abstriche gegenüber zum Sommer machen. Durch den Schnee habe ich unterwegs nicht viele Sitzgelegenheiten und wegen der Kälte muss ich die Distanz verringern. Ich habe mich noch immer nicht an die Kälte gewöhnen können. Das Nervensystem reagiert sehr sensibel auf das kalte Wetter. Ob Greifen, Gehen oder eine andere Bewegung, alles wird wieder langsamer als schon gekonnt. Da heißt es umdenken und akzeptieren, dass es halt nicht so geht. Oft nicht einfach, weil ich mich ja eigentlich verbessern möchte.
Nach einem Arztbesuch in der Stadt, entschloss ich mich kurzfristig, gleich daneben auf den Schlossberg zu gehen. Eine Abwechslung zum Fitnessstudio. Statt Beinpresse, Stiegen steigen. Die Stufen hinauf sind anstrengend, aber nicht mehr unmöglich. Es war eine Herausforderung und die Möglichkeit, mich wieder im Freien zu betätigen.
Stiegen steigen ist ein sehr gutes Training. Ich muss zwar oft eine Pause einlegen, aber schön ist, dass ich es hinauf schaffte. Silvia war stolz auf mich und ich ebenso. Das Fitnessstudio zeigt Wirkung.
Von verschiedenen Ärzten bekam ich Lob für meine Entwicklung. Das tut gut zu hören. Sie beurteilen den Hirnabszess natürlich anders und wissen wie lange der Weg zurück dauern kann. Ich selbst sehe halt kaum die Fortschritte und sehe meist nur das, was ich noch nicht kann.
Die Ärzte sehen mich alle paar Monate und können daher Fortschritte besser erkennen. Für mich sind diese sehr klein, aber wie gesagt, Ärzte wissen um die Dauer und können das besser einschätzen, was ich schon kann. Es motiviert mich, gesagt zu bekommen, was sich gegenüber vor einigen Monaten verbessert hat.
Der Wunsch zu Pilgern ist noch immer da, allerdings bin ich noch immer nicht dazu fähig. Die Defizite sind zu groß. Einen Rucksack zu tragen bringt mich noch immer aus dem Gleichgewicht und ein Gewicht von 8 kg fühlt sich an wie 25. Bergauf ist mir damit nicht möglich.
In Blog 21 erzähle ich über eine fünf Kilometer lange Wanderung von Graz nach Mariatrost. Es war toll und machte Lust auf mehr. Gleichzeitig musste ich aber einsehen, dass ich zum Pilgern noch nicht fähig bin. Jetzt, 3 Monate später, habe ich kaum Verbesserungen.
Schuld war einerseits der beginnende Winter, der mir das Gehen erschwert. Aber mein Motto: "Never give up!" gilt auch hier. Was noch nicht ist, kann ja noch werden. Ich hantele mich eben von Zwischenziel zu Zwischenziel. Mein langfristiges Ziel bleibt bestehen, aber um nicht die Motivation zu verlieren, darf ich den kurzfristigen Zielen mehr Gewicht geben. Messbare, erkennbare Fortschritte werden dann auch gefeiert.
Eines dieser Ziele ist die Beinpresse im Fitnessstudio. Erstmals habe ich 120 kg gestemmt, mit 10 Wiederholungen. Das war es Wert zu Feiern. Immerhin habe ich vor einem Jahr, noch in der Reha, mit 20 kg begonnen. Meine spindeldürren Beine vertrugen nicht mehr. Konsequentes Beintraining war notwendig, denn damit bin ich kräftiger geworden und falle nicht mehr so leicht um.
In den letzten Jahren wandelte ich mich vom Radrennfahrer zum Läufer. Den Sinn, aufzubrechen, habe ich, seit ich 2013 mit dem Laufen begann. Etwa zur selben Zeit begann auch die Überlegung, nach Santiago zu gehen. Pilgern bekam, neben dem Laufen, seinen Platz. Im Grunde genommen ist jeder Lauf ein Pilgern. Es ging nie wirklich um Zeiten, Kilometer oder Höhenmeter - es ging ums Erleben.
Eigentlich wollte ich Silvias und meinen 50. Geburtstag auf dem Franziskusweg feiern. Der Hirnabszess kam dazwischen. Jetzt steht es als Zwischenziel vor mir, als hätte es auf mich gewartet. Es ist in der Tat ein Ansporn, in den nächsten Monaten körperlich so weit fit zu werden, wenigstens eine Woche nach Italien fahren zu können.
Mein Motto, niemals aufgeben!
Manch einer fragt sich, wie ich das alles überstehe. Dabei fällt es mir gar nicht so schwer. Ich war im Sport gewohnt, viel zu trainieren und das täglich. Jeden Tag etwas für mich zu tun. Und wenn es nur war, daran zu denken, besser zu werden.
Daher fiel es mir auch diesmal nicht schwer, wieder vom Anfang an zu üben und zu trainieren. Schon auf der Intensivstation war klar, nur wenn ich dafür auch bereit bin, werde ich weiter kommen. Ich konnte damals nicht wirklich denken, aber mein Unterbewusstsein hatte ich schon Jahre davor darauf trainiert, nie aufzugeben.
Meine ersten Übungen, meistens Ergotherapie, dauerten 5 - 10 Minuten. Es waren Fingerübungen gegen die Lähmung, mit kleinen Bällen oder Finkerklemmen. Danach war ich für den Rest des Tages erschöpft. Genau weiß ich es gar nicht mehr, denn vieles von dieser Zeit ist mir entfallen. Ich habe zwar geglaubt alles mitzubekommen, aber in Wirklichkeit war ich oft weggetreten.
Nicht einmal den Transport zur Zahnklinik und das Ziehen eines Zahnes habe ich mitbekommen. Erst Monate später kam ich drauf, bei Gesprächen mit Silvia.
Mein Weg ist auch der Weg zurück zur Leichtigkeit des Lebens, zurück zum Weg des Herzens. Ein Parameter ist für mich der körperliche Zustand. Im Moment beobachte ich mein Gangbild, die Koordination und Ausbalanciertheit, aber auch, wo ich Schmerzen und Gebrechlichkeit spüre.
Es ist wichtig dies alles in meinem Genesungsprozess mit einzubeziehen. Einseitig antrainierte Körperstrukturen schaden und entsteht Schmerz. Die 5 Monate im Krankenhaus konnte ich meist nur liegen. Das war extrem einseitig und brachte Beschwerden und Bewegungseinschränkungen. Besonders die Rückenmuskulatur erschlaffte und eine beim Radfahren erlittene Wirbelverletzung bringt Schmerzen.
Schmerzen sind aber ein Hinweis darauf, dass etwas nicht stimmt. Das gehört jetzt in Ordnung gebracht. Aber nicht nur die Muskeln oder der Rücken, auch der Bereich, der dahinter steckt. Wer den Weg des Herzens geht, geht seinen Weg mit Leichtigkeit.
Im Moment gehört an mir noch allerhand repariert. Am Anfang konnte ich mich nur Schritt für Schritt erholen. Jetzt komme ich langsam wieder in die Lage, meine körperlichen Belastungen zu beeinflussen, mein Training zu steuern. Zuerst war alles schwer. Mit zunehmenden Training wird alles leichter. Im August 2016 war es ein Kraftakt, vom Krankenzimmer in den 30 Meter entfernten Aufenthaltsraum zu gelangen. Für Außenstehende kaum vorstellbar, wenn ich davon erzähle.
Vieles geht auch heute nicht leicht. Aber manches, was so schwer war, geht heute leichter. Zähne putzen, umrühren, Stiegen steigen - vor nicht allzu langer Zeit nur schwer machbar. Es geht noch nicht perfekt, aber zumindest kann ich es wieder. So geht es in kleinen Schritten weiter.
Das Abenteuer Hirnabszess ist noch lange nicht vorbei!
Auf jeden Fall wünsche ich allen ein schönes Weihnachtsfest, viel Gesundheit und Leichtigkeit im Leben!
...und denkt immer dran:
"Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts!"
Schopenhauer Josef