Das Gehen brachte mich mittlerweile viermal zum Jakobsweg nach Spanien. Dort konnte ich die für mich wichtigsten Emotionen, nämlich Glück und Freude, in einem guten Umfeld kultivieren. Corona hat das verändert und so bin ich zu Hause unterwegs, am Mariazellerweg.
Es ist zwar nicht dasselbe wie in Spanien, aber zumindest versuche ich das Glücklichsein und die Freude auch hier zu Leben. Aus Budgetären Gründen übernachte ich im Zelt oder Biwaksack und investiere das Geld lieber in Essen und Verpflegung.
Mitte Juni war ich das letzte Mal für mehrere Tage am Weststeirischen Jakobsweg unterwegs. Es wurde wieder einmal Zeit, dem Alltag zu entkommen und etwas anderes zu machen. Nur so bleibt mir die Motivation erhalten, dranzubleiben.
Mitte Juni war ich das letzte Mal für mehrere Tage am Weststeirischen Jakobsweg unterwegs. Es wurde wieder einmal Zeit, dem Alltag zu entkommen und etwas anderes zu machen. Nur so bleibt mir die Motivation erhalten, dranzubleiben.
Ich habe mich sehr kurzfristig dafür entschieden, dass ich losgehen wollte. Zurzeit sind immer sehr viele Gewitter, so nutze ich mögliche Tage dazwischen, die nach Möglichkeit Gewitter frei sind.
Da ich von meinem Zuhause den Weststeirischen Jakobsweg oder nach Mariazell Pilgern kann, war diesmal der Mariazellerweg dran. Ob ich ganz nach Mariazell gehen wollte, entschied ich erst unterwegs, da gemischtes Wetter vorhergesagt wurde.
Der Mariazellerweg führt über die Berge, die 1000 bis 2000 Meter hoch sind. Mein Gesundheitszustand ist noch nicht so, dass ich genug Reserven habe, um für schlechtes Wetter in alpinen Gelände gerüstet zu sein. Dazu kommt das Gewöhnen an das Schlafen im Freien. So toll es ist, es kostet in Kombination mit dem Gehen zu viel Energie.
Ich wollte einfach losgehen, denn jeder Schritt und jeder Meter, den ich gehe, hilft mit in der Rehabilitation. Nicht Bewegen bedeutet bei mir Rückschritt. Wenn ich nicht mehr weiter kann oder möchte, gehe oder fahre ich eben wieder nach Hause. Das wichtigste ist Freude zu haben.
Im ersten Licht gehe ich los. Mein erstes Ziel ist Semriach, von dem mich aber zwei Berge trennen. Ich kenne die Gegend noch vom Radfahren, trotzdem ist es zu Fuß anders, denn man erhält einen völlig anderen Blickwinkel. So genieße ich den erwachenden Morgen und gehe unter dem Zwitschern der Vögel, bei blauem Himmel, durch die Hügel hinter Gratkorn.
Nach etwa drei Stunden bin ich in Semriach angelangt. Am Brunnen neben der Kirche fülle ich meine Wasserflaschen auf, denn mittlerweile ist es schon sehr warm. Auf der Straße geht es weiter zum Rechberg, dem nächsten Zwischenziel.
Am Weg ziehen schwarze Wolken auf und für 13 Uhr ist ein Gewitter vorausgesagt. Ab dem Pass geht es meist auf Forststraßen in Richtung Teichalm weiter. Unterwegs bereite ich mich darauf vor, mich irgendwo unterzustellen zu können. Um Punkt 13 Uhr fängt es an zu Regnen und ein komischer Donner beginnt, nicht mehr aufhörend.
Ich stelle mich unter, um vom ersten Regenguss nicht durchnässt zu werden. Blitze sehe ich keine, nur der Donner begleitet mich noch lange, auf dem Weg zur Teichalm. Es regnet nur leicht und so gehe ich weiter, auf ein schwarzes Wolkenmeer zu, dass nichts Gutes erhoffen lässt. Kaum habe ich die Teichalm erreicht, beginnt es wie aus Kübeln zu schütten.
Mit einem so langanhaltenden Gewitter habe ich nicht gerechnet, denn über drei Stunden zieht es sich jetzt schon hin. Ich setze mich in den dortigen Gasthof, um das Unwetter abzuwarten.
Nach über einer Stunde breche ich beim ersten Aufhellen auf und überlege was ich jetzt mache. Die nächste Busstation ist über zwei Stunden entfernt und den letzten Bus erreichte ich dort somit nicht mehrt. So bleibt mir nichts anderes übrig, als weiterzugehen und es schaut gar nicht so schlecht aus.
Es klart auf und wird wieder schön. Die Wiesen, Almen und Wege sind zwar nass, aber gut begehbar. Einzig der Wetterbericht macht mir Sorgen, denn er sieht für die Nacht noch ein Gewitter um ein Uhr früh vor. Es ist aber die den ganzen Tag herrschende Schwüle weg und mein Gefühl sagt mir, dass es eine Nacht ohne Gewitter wird.
Da ich zum Gasthof ein paar Meter vom Weg abgewichen bin, bin ich nach einem kurzen Umweg wieder am Mariazellerweg. Eine tolle Lichtstimmung genieße ich und lasse mir Zeit.
Mit was ich nicht gerechnet habe, zeigt mir gnadenlos die Defizite auf. Der Weg ist übersät mit Kuhfladen. Ich komme nicht umhin, immer wieder über einige drüber zusteigen. Wenn ich dann nicht sauber den Fuß hebe, streife ich unweigerlich mit dem Schuh durch den Dreck.
Da ist es vorbei mit dem automatischen Gehen. Ich muss genau auf die Füße schauen und das Anheben beobachten und willentlich steuern. Durch das nasse Gras bleiben meine Schuhe einigermaßen sauber, allerdings riechen sie streng. So komme ich immer wieder in Situationen, in denen mich meine Defizite behindern. Lieber hätte ich Augen für die Schönheit der Landschaft gehabt, aber wieder einmal klebt meine Sicht am Boden.
Ich habe noch keinen Weg in Österreich erlebt, wo so viele Kreuze und Marterln stehen. Das ist halt ein richtiger Wallfahrerweg.
Ich war mir unschlüssig, soll ich biwakieren oder die Nacht durchgehen. Es war die Nacht der Perseiden und sicher sehenswert. Trotzdem stoppte ich um 21 Uhr und legte mich hin. Es war bereits finster. Der Tag war schwerer als gedacht und kostete mir mehr Energie, als angenommen.
An einem Rastplatz unter Bäumen legte ich meinen Biwaksack hin, blies die Matte auf und stieg in den Schlafsack. Augenblicklich schloss ich die Augen und dämmerte dahin. Ich war neugierig, wie ich auf das Schlafen im Freien reagierte. Denn soviel ich Gehen konnte, es bedarf noch viel Erholung, die ich im Zelt oder Biwaksack bisher nicht fand.
Nach Mitternacht wachte ich auf und obwohl ich unter Bäumen lag, war der mit Sternen überhäufte Himmel zu sehen. Ich war aber so gerädert vom Vortag, dass ich nicht aufstand, um die Sternschnuppen der Perseiden zu beobachten. Da der Himmel recht klar war, brauchte ich mich nicht um die vorhergesagten Gewitter in der Nacht zu sorgen.
So blieb ich im Biwaksack liegen und fand einen unruhigen Schlaf, der bis in die Früh hinaus dauerte. Um fünf Uhr stand ich auf, packte zusammen und war nach 15 Minuten wieder unterwegs.
Da ich recht hoch oben war, sah ich die Sonne zwischen den Bäumen sehr früh aufgehen. Die Täler unter mir waren im Schatten, unter einer dicken Nebeldecke.
Am Berg war es traumhaft schön und erzeugte eine glückliche Stimmung in mir. Trotz der Mühen und Müdigkeit, war ich voller Freude, das erleben zu dürfen. In solchen Momenten spüre ich Demut, denn es ist nicht selbstverständlich, an dieser Stelle zu stehen. In solchen Momenten bin ich dankbar dafür, in der Rehabilitation immer weiter gemacht zu haben, auch wenn alles dagegen sprach.
So schön der Morgen bisher war, sollte mir noch allerhand bevorstehen. Die Wanderwege wurden steiniger und es wurde ein Sensomotorik-Training daraus. Konzentriert stieg ich über die den felsigen Weg.
Ich erinnerte mich an meinen ersten Camino Frances. Auch dort hatte ich felsigen Untergrund, über den ich damals mehr stolperte, als das ich gehen konnte. Noch spürt mein Fuß nicht die Stellung am Boden, aber es geht besser als vor zwei Jahren. Viel bringt mehr, das habe ich mittlerweile gelernt.
Nach einer kurzen Pause kam das nächste, der Abstieg nach Mitterdorf. Er war sehr lang und bedeutete Schwerstarbeit für meine Oberschenkel. Der Weg brachte mich an die Grenze, aber ich schaute darauf, dass es mir trotz der Anstrengung guttat. Dieses Gespür, was mein Körper verträgt, habe ich in den letzten Jahren optimiert.
Manchmal muss ich auch über diese Grenze gehen, denn nur dort ist Fortschritt möglich. An diesen beiden Tagen war es wieder einmal soweit. Mehrere Tage Erholung sind dann notwendig, aber dann habe ich wieder einen weiteren Schritt auf meinem Weg zurück ins Leben erklommen.
Am Schluss tauchte ich dann im Wald in den Nebel und war bald darauf in Mitterdorf. Ich hatte mich schon in der Nacht entschlossen, von hier nach Hause zu fahren. Die beiden Tage waren gut dafür, mich an diese Verhältnisse zu gewöhnen. Ich hatte ungefähr den halben Weg am Mariazellerweg von Graz nach Mariazell geschafft.
So steht in erster Linie das Gewöhnen an die hiesigen Verhältnisse am Programm. Im Moment konzentriere ich mich voll und ganz auf die Natur und versuche hier Verbesserungen zu erzielen. Jeder Schritt und Tritt ist dafür da, wieder ein einigermaßen "normales" Leben führen zu können. Der Weg dorthin ist oft steinig, aber ich bin mehr als froh und dankbar, schon so weit gekommen zu sein.
Lieber Jörg! Du hast wieder einmal dein Schriftstellerisches Talent zu Papier gebracht.Deine bildhafte Sprache bringen sofort das von dir erlebte,dem Leser/ in vor Augen. Über deinen Blog und über dein Buch,das in Arbeit ist,wirst du vielen Menschen,die auch in einer schweren Lebensphase sind Zuversicht und Mut und den Antrieb immer wieder von vorne zu beginnen oder, und weiter an Defiziten zu arbeiten ,und diese immer mehr zu Stärken werden zu lassen. Auf unseren oft steinigen Lebenswegen liegen immer wieder kleine Geschenke des Glücks und der Freude für uns bereit.Halten wir unsere Augen und Herzen offen für diese.
Danke für die Wunderschönen Stimmungsbilder von der sagenhaften Natur und deine bildhafte Beschreibung von deiner Wanderung am Weg Richtung Mariazell .
Ich wünsche dir weiterhin viel Motivation verbunden mit Momenten des Glücks & der Freude & der Erfolg deines Tuns möge immer sichtbarer und spürbarer für dich werden.
Alles Liebe
Andrea
Danke für deine Worte,
ja, die Augen offen halte für die kleinen Geschenke des Lebens. Das wurde wichtig,für uns alle besonders seit Corona.
Alles Liebe
Jörg
Super!!! Bewundernswert, was du schaffst, Bravo und nur nicht aufgeben
Danke!
Aufgeben geht nicht. Da kommt mir immer der Spruch vor Augen:
Dann würde ich ja nicht wissen, was noch alles möglich wäre!
Es geht alles sehr langsam, aber es geht voran.
Dranbleiben ist das Geheimnis!
Danke und viele Grüße, vielleicht sehen wir und wieder einmal auf einen Kaffee.
LG Jörg