Die kleinen Schritte. Ja, es ist eine wahre Kunst, sich darin zu üben. Auch die Gedanken.
"Bewahre mich vor der Angst, ich könnte das Leben versäumen. Gib mir nicht was ich mir wünsche, sondern was ich brauche. Lehre mich die Kunst der kleinen Schritte."
Auszug aus einem Gebet von Antoine de Saint-Exupéry
Ich kann es oft noch immer schwer akzeptieren, dass diese Schritte so klein sind. Ich ahnte nicht, dass es so kleine überhaupt gibt. Machte mir kaum Gedanken darüber.
Brauchte ich auch nicht, denn ich lebte mit einer Geschwindigkeit, da war es mir unmöglich, zurückzuschalten. Oder ist das doch nicht so? - Ein ehrliches Innehalten und einmal kleinere Schritte tun - das wäre sicher oft hilfreich.
Zurückgeschalten habe ich nur vom vierten in den dritten Gang. Aber wirkliche Erholung und Orientierung habe ich nicht gefunden. Das wäre nur im ersten Gang möglich gewesen.
Leider wird einem die Zeit für Veränderung nicht gegeben. Man ist damit beschäftigt, sich im Hamsterrad zu bewegen. Ich wusste zwar um die Problematik, hatte aber keine Möglichkeit für mich gefunden, es zu lösen. Mir die Zeit zu nehmen, kam mir gar nicht mehr in den Sinn. Ich "kämpfte" lieber weiter, zwar sinnlos, aber zumindest kämpfen.
Auch möchte ich wieder mit Golfen beginnen. Es ist eine gute Übung im HIER und JETZT zu leben. Die Gedanken sind nur auf den Ball, den Schwung und das Ziel fokussiert. Eine gute Übung. Leider habe ich es vor 15 Jahren aufgegeben.
Minigolf habe ich mittlerweile gespielt. Es dient hervorragend zum Trainieren des Gefühls. Für echtes Golf fehlt noch die Kraft und Ausdauer.
Eineinhalb Jahre sind seit dem Ausbruch des Hirnabszesses vergangen. Vor bald einem Jahr kam ich aus dem Krankenhaus nach Hause. Es war und ist nichts wie zuvor.
Ich habe keinen Beruf mehr. Keinen Sport mehr. Ich darf von 0 beginnen. Gehen, Denken und mich wieder bewegen lernen. Alles neu eben. Mein Leben hat sich total gewandelt.
Die Erinnerung an die Wochen vor dem Abszess sind dunkel. Ich war müde. Müde von den Terminen, von dem Gehetze, von dem Druck, immer perfekt funktionieren zu müssen. Ich hatte viele Pläne, das Eine oder das Andere angedacht, vieles umgesetzt, manches nicht fertig gemacht, einiges nicht erledigt.
Innerlich war ich unausgeglichen und es herrschte Chaos in mir. Zu viele Gedanken. Ein nicht endender Gedankenstrudel.
Wollte ich zu viel? Was wollte ich eigentlich? Ich weiß es nicht mehr. Denn es kam sowieso anders.
Ich weiß noch, ich bin am Strand gelaufen. Beim Laufen kann ich wunderbar abschalten oder, wenn notwendig, auch Probleme lösen. Das habe ich schon früher beim Radtraining so gemacht. Beim Losfahren war noch das Problem da, nach zwei, drei Stunden wurde es schon weniger, nach vier, fünf Stunden hatte ich die Lösung. So einfach konnte es sein.
Ja, so einfach war es damals. Aber für diesmal hatte ich keine Lösung. Die kam damit, dass ich mich hinlegte und fünf Monate lang nicht mehr aufstehen konnte.
Dazu war "Denken" nur im HIER und JETZT möglich. Ich war befreit von Zukunft und Vergangenheit. Es gab keine Termine, ich hatte kein Gehetze mehr und es gab keinen Druck mehr.
Ich konnte nicht sofort nachvollziehen, was passiert war. Ich akzeptierte das Geschehene, es blieb mir eh nichts anderes übrig. Es nicht zu akzeptieren war mit meinem Denkmuster nicht vereinbar. Ich wusste vom Anfang an, ich hatte eine Grenze überschritten, mein Körper hatte ein Machtwort gesprochen. Die kleinen Hinweise hatte ich nicht verstehen wollen.
Heute wird mir klarer, dass es diese gegeben hat. Ich brauchte kein leichtes Tatscherl mehr auf die Schulter. Ich bekam die Hammer-Lösung serviert.
Das Universum hatte das genau Richtige für mich ausgesucht. Mein blockierter Kopf hat die haargenau richtige Herausforderung bekommen. Seit einigen Monaten beginne ich langsam zu verstehen. Gleich langsam wie ich für das Gehen und Laufen lernen benötige, entwickelt sich auch das Denkvermögen.
Jeden Tag, jede Woche, jeden Monat, ja, jedes Jahr ein bisschen mehr. Ich kann nichts erzwingen, keine Schritte überspringen. Es braucht so lange wie es braucht. Ich darf mir Zeit lassen.
Ich denke über vieles anders als früher. Das Denken hat einen zentralen Stellenwert in meinem Leben bekommen. Ich trainiere es ja täglich. Meine Gedanken sind auf den Moment fokussiert. Sie sind nicht in der Vergangenheit und kaum weiter vorne in der Zukunft. Berufliche Gedanken habe ich auf die Seite gelegt. Ich komme ja doch zu keinem Ergebnis. Manchmal beschäftigt es mich, aber ich komme in diesen Gedankengängen nicht weiter. Es hat derzeit keinen Sinn, sich damit auseinanderzusetzen.
Im Moment versuche ich die Gedanken zu ordnen. Manchmal gelingt es, manchmal nicht. Das Denken ist noch immer Therapie für mich. Weiterführende Gedanken sind nur manchmal möglich. Ich habe mich damit arrangiert. Außenstehende merken fast nichts davon. Wenn ich aber alleine bin, will ich mehr. Dann versuche ich Zusammenhängendes zu überblicken oder am Computer zu trainieren.
Das Programm bringt mich an die Grenze, zeigt mir meine Limits auf. Anfangs war ich enttäuscht darüber, als ich merkte, dass nichts weiter geht. Ich hatte die Kleinheit der Schritte nicht bemerkt. Jetzt freue ich mich auch über kleine Fortschritte und kann sie meist auch erkennen.
Unter Menschen zu gehen strengt mich noch an. Noch immer treffe ich mich sehr selten mit Freunden oder begebe mich in die Stadt. Ich stoße schnell an Grenzen, die mich überfordern.
Überforderung zeigt sich, indem der Kopf abschaltet und sich weigert, noch mehr aufzunehmen. Ich überlege lange, ob was geht und was nicht. Darauf achte ich genau. Trotzdem komme ich schnell an meine Grenze.
Aus diesem Grund möchte ich versuchen, nicht mehr jeden Tag ans Limit zu gehen. Wenn das auch bedeutet, den restlichen Tag in Ruhe zu Hause zu verbringen. Keine schwierigen Gespräche zu führen, mich zu schonen und den Tag mit Ruhe zu beenden.
Auch früher hätte ich mehr darauf schauen sollen. Oft habe ich bis spät in die Nacht noch Filme geschnitten, um Termine einzuhalten. Hatte sehr oft zeitlichen Druck, etwas fertig zu stellen und bin deswegen zu lange aufgeblieben und habe gearbeitet.Mein "krasser" Weg
Schon letztes Mal habe ich die Bedeutung meines Namen angeschnitten. Krasser = Extremer. Daran möchte ich heute nochmal anknüpfen. Es war seit dem letzten Jahr ein wirklich "krasser" Weg.
Wie gesagt, Krasser bedeutet auch Extrem. Also ist mein Weg unter anderem ein Extremer. Das Hirnabszess gehört mit Sicherheit dazu. Es hat mein Leben extrem verändert. Ich habe viel erlebt bisher, aber das letzte Jahr hat alles geschlagen, stellte alle anderen extremen Abenteuer in den Schatten.
Ich habe immer Extremes unternommen, dabei kommt zwangsläufig auch die Frage auf: Wo liegt mein Limit?
Nun, mein Limit habe ich immer für mich selbst festgelegt. Egal ob es um eine Besteigung eines Berges ging, um die Länge eines Radrennens oder anderes. Ich versuchte immer ein bisschen besser zu sein, als die Herausforderung war. So war ich immer sicher, nicht an meine Grenze zu gelangen. Noch eine Reserve zu haben.
Mit der Krankheit musste ich allerdings mein Limit, meine Grenzen neu überdenken. Mein Limit ist plötzlich weit unten angesiedelt. Das zu Verstehen ist schwer.
Ich habe erst in letzter Zeit registriert, dass es seit vorigen Jahr nur wenige Tage gab, an denen ich nicht am Limit war. An meinem persönlichen Limit. Das ich oft über meine Grenze gehen musste. Von außen erkennt das niemand.
Ich habe gelernt, NEIN zu sagen, nicht immer ja zu sagen.
Einerseits recht verständlich. Eine Stunde im Wald, mit ein paar Übungen, bringt mich bereits ans Limit. Alles weitere kann ich nur mehr limitiert machen. Limitiert in Gedanken und Bewegung. Habe ich etwas vor, mache ich davor nichts oder weniger. Zumindest sollte ich. Geht aber meistens eh nicht. Irgendwie rette ich mich über den Tag.
Das Limit liegt weit unter dem, was ich früher gewohnt war. Das ist neu für mich und ungewohnt. Deswegen kann ich auch noch nicht an Arbeit denken. Was soll ich mit einer Stunde Konzentration am Tag?
Ich freue mich an dem, was derzeit ist!
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