"Lieber Leben!" - Ein Titel, der auf mich zutrifft. Trotz des Schicksalsschlags freue ich mich aufs Leben wie nie zuvor. Lieber Leben, als damit zu Hadern. Was dazugehört, nämlich die Inklusion, haben wir allerdings noch Aufholbedarf in Österreich.
"Lieber Leben" ist aber auch der Titel eines Films, der gerade im Kino angelaufen ist. Und diesem Film ist mein heutiges Thema gewidmet.
Er handelt von Ben, der nach einem Unfall querschnittsgelähmt ist. Die Tragikomödie konzentriert sich auf seine Zeit im Krankenhaus und seinen Umgang mit einem eingeschränkten Leben. Die Protagonisten nehmen ihr Schicksal nicht nur mit Witz, sondern mit einem tiefschwarzem Humor.
Mit genauem Blick und gutem Witz erzählt der Regisseur Fabian Marsaud viel von seiner eigenen Geschichte. Nach einer schweren Verletzung musste er durch das ganze Prozedere der Rehabilitation. Den Alltag in einer Rehaklinik, den Außenstehende meist so nicht mitbekommen, bringt er sehr authentisch und tragikomisch näher.
Mit einer perfekten Dosis Galgenhumor werden die Zuschauer mitgenommen in das Universum der kleinen Bewegungen und des großen Glücks.
Der Film spielt in Graz im Geidorf Kino. Für mich ein "Must see" Film! Kann ihn nur empfehlen.
Der Film erinnert mich an so viel selbst erlebtes. Diesen Weg bin auch ich gegangen. Ich kann jeder Szene nachfühlen, wie es ist. Der Film brachte mich zum Lachen und Weinen. Er gibt einem die Möglichkeit, zu verstehen wie es in der Reha-Klinik zugeht und das auf doch recht lustigen Weise. Ich habe mich mehrmals in diversen Situationen sehen können und es erinnerte mich sehr an die Zeit in der Reha.
Besuche von mir bekamen niemals mit, was ich für Therapien im Krankenhaus machte oder wie der Ablauf in der Rehaklinik vor sich geht. Wie anstrengend es war und oft auch ernüchternd. Es gab eigene Besuchszeiten, der Rest fand quasi hinter verschlossenen Türen statt. Einerseits richtig, um die Privatsphäre zu wahren und beim Training und Üben keine Ablenkung zuzulassen, andererseits nicht so gut, da Menschen mit "Behinderung" einfach weggesperrt werden. Es ist für die Gesellschaft nicht normal, mit Behinderung oder Handicap umzugehen.
Der Film hat wieder einige Erinnerungen hochgebracht. In einer Szene kann Ben in der Nacht die Decke nicht hochziehen, seine Hände können sie nicht fassen. Es erinnerte mich ans Krankenhaus, wo ich in der ersten Zeit mit den Lähmungen ebenfalls Schwierigkeiten mit dem Hochziehen der Decke hatte. Wie mühsam etwas früher so einfaches sein kann.
Etwas anderes im Film, ein Running Gag sozusagen, der Zuruf beim Essen: "Gib mir mal das Salz bitte!".
Es erinnert mich zurück an den Reha Aufenthalt, an das gemeinsame Essen im Speisesaal. Da merkt man, was wirklich wichtig wird im Leben. Damals war und wurde es wieder wichtig, einen Salz- oder Zuckerstreuer weiter zu reichen. Und man lachte ungezwungen, wenn man sich potschert benahm. Am Tisch saßen wir alle im gleichen Boot.
Es war egal, was einen behinderte. Der eine konnte kaum Greifen, weil er sich die Schulter zerstörte, der andere, weil er einen Schlaganfall hatte oder ich, weil ich aufgrund eines Hirnabszesses neurologische Störungen habe.
Der Film zeigt, wie es zugeht in der Reha. Er nimmt das Schwere weg und zeigt das Umdenken auf, dass in einem vorgeht. Dass es auch nach vermeintlichen Schicksalsschlägen ein Leben danach gibt. Es heißt nicht, dass es zwangsläufig schwerer wird. Nur eben ANDERS als vorher.
Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch ganz natürlich dazu gehört und das jeder mitmachen kann. Diese Selbstverständlichkeit geht mir in Österreich ab. Jeder muss funktionieren und wenn er das nicht tut, wird er weg geschubst.
Nicht immer und überall, aber doch in der Allgemeinheit. Handicaps sind dort nicht erlaubt. Sie sind störend und halten auf. Das ist nicht erwünscht.
Abseits von der Bewegung sind meine Handicaps kaum zu sehen. Nicht so schnell denken können, langsames reagieren, zusammenhängendes begreifen, tunnelblickartiges Sehfeld. Alles braucht seine Zeit.
Beim langsamen einsteigen in die Straßenbahn fühlt man sich als Hindernis. Oft komme ich nicht bei laufender Grünphase über die Straße. Komplett alleine in der Stadt unterwegs zu sein, ist für mich eine Herausforderung. Allerdings setzte ich mich dem immer wieder aus, in der Hoffnung, mich wieder daran zu gewöhnen.
Im folgenden Video wird in 80 sec. erklärt, was Inklusion ist.
Leichter würde es mit einer funktionierenden Inklusion gehen. Der Weg dorthin ist aber noch ein weiter. Es ist zwar in der UN-Konvention festgehalten, aber wenn man sich anschaut, wie Menschen mit Handicap behandelt werden, ist noch viel Aufklärungsarbeit notwendig, um ein miteinander zu ermöglichen.
Ich wünsche allen ein gesundes und erfolgreiches neues Jahr 2018.
Euer Jörg