Der Hirnabszess hat mich vor zwei Jahren mitten aus dem Leben gerissen. Nichts ist mehr wie zuvor, kein Stein blieb auf dem anderen. Für mich, aber auch für meine Familie, für die sich viel veränderte. Derzeit lebe ich von einer "Pension", der sogenannten EU-Pension (Erwerbsunfähigkeitspension). Da ich noch nicht genug Zeiten zusammengebracht habe, ist es gleichzeitig die sogenannte Mindestpension.
Wie es weiter gehen wird? Ich habe keine Ahnung! Ich muss noch zu viele Fähigkeiten an mir trainieren. Es fehlt an alles Ecken und Enden. Erst wenn das einigermaßen passt, kann ich mich mit dem Beruflichen auseinandersetzen. Zu Zeit bin ich Gedanklich zu eingeschränkt.
Die Schulmedizin kann mir in solchen Fällen nur beschränkt weiter helfen. Akutfall mäßig ist sie gut, denn sie hat mir das Leben gerettet. Aber für den Weg danach, für die weitergehende Rehabilitation, hat sie nur beschränkte Möglichkeiten.
Diesen Weg kann ich hervorragend mit Alternativmedizin bestreiten, der allerdings von der Krankenkasse nicht bezahlt wird. Viele hervorragende Möglichkeiten werden von der Schulmedizin nicht anerkannt. Das ist schade, denn so vieles kann helfen. Daher wäre ein Miteinander sinnvoll.
Das bei mir so etwas eintreten könnte, glaubte und wollte ich natürlich nicht. Aber was man nicht möchte, das zieht man an. Schon in der Zeit als Radrennfahrer und Extremsportler, aber auch später in der Filmproduktion, war meine Einstellung - "Ich gehe sowieso nie in Pension!". Ich war und bin noch immer der Meinung, dass ich immer was tun werde, auch in der Pension.
Diese Einstellung hilft mir jetzt weiter und wie ich erfahren durfte, auch in Japan geht man nicht wirklich in Pension. Selbst der mittlerweile 88ig jährige Hirnforscher Eric Kandel meint, "Meiden sie den Ruhestand!"
Ich möchte auch im hohen Alter noch gestalten und Gestalter meines Lebens bleiben. Das sitzt tief in mir und möchte gelebt werden. Auch jetzt noch, nach dem Hirnabszess. Es war für mich schlimm, von einer EU-Rente abhängig zu sein.
Das war einer der schwierigen Augenblicke, so etwas annehmen zu können, neben der Behinderung. Das alles zu verstehen hat gedauert. Mit meiner verringerten Denkleistung keine leichte Aufgabe.
In Japan gibt es ein Wort: Ikigai
Es bedeutet eine große Leidenschaft zu haben, dass unserem Leben einen Sinn gibt. Haben wir dieses Ikigai gefunden, schenkt es uns Zufriedenheit und Glück. Es gibt auch ein Buch darüber. Darin stehen 10 Regeln für ein langes Leben.
Und in der Tat, es gibt kaum ein Land, wo es so viele Hundertjährige gibt. Hundertjährige, die in diesem hohen Alter noch Gestalter ihres Lebens sind.
Ein Baustein dafür ist, dass in Japan ein sehr aktives Leben im Rentenalter gelebt wird. Es gibt keinen Ruhestand und man arbeitet solange weiter in dem Bereich, der einem gefällt und solange es die Gesundheit zulässt.
Das klingt gut und ist genau nach meinem Geschmack. Nach dem Hirnabszess habe ich nicht aufgegeben, an ein weiterleben zu denken. Zunächst konnte ich nur im HIER und JETZT leben. Ich durfte erfahren, was es heißt, den Moment zu genießen.
Das habe ich bis heute beibehalten. Langsam kommen Ziele und Wünsche dazu, aber das vorherrschende bleibt das JETZT.
Es wäre ein leichtes gewesen, mit den damaligen Handicaps aufzugeben. Für mich aber war vom ersten Moment an klar, das ich weiterleben möchte, dass es weiter gehen wird, egal wie. Damals ahnte ich nicht, was auf mich zukommt.
Jetzt, zwei Jahre danach, habe ich mehr erreicht, als die meisten Patienten in ähnlichen Situationen. Vieles spielt sich dabei im Kopf ab. Erst jetzt kann ich Behinderten-Sportler verstehen, die ein glückliches und inhaltsvolles Leben leben. Ich durfte viele kennen lernen, die mir vorzeigen, dass es möglich ist, mit Handicap genauso glücklich zu sein.
Ein Fehler bei 100 km/h in einem Rennen bergab - und vorbei kann es sein. Die Gefahr ist immer anwesend. Wie oft bin ich in einem MTB-Rennen mit dem Kopf voraus vom Rad abgestiegen und haarscharf an einem Baum vorbei gesegelt oder war in andere Stürze verwickelt. Ich erlitt selten schwere Verletzungen, meistens nur Prellungen oder Schürfwunden. Es waren kleine Hinweise das etwas nicht stimmte.
Damals war einem diese Gefahr nicht bewusst und man dachte nicht daran. Später kam ich zu der Meinung, dass einem nur das geschieht, was einem zusteht. Oder anders gesagt, was man für seine Entwicklung braucht.
Früher waren die Radprofis vom Kopfschutz ausgenommen. Heute besteht auch für sie Helmpflicht und man wird schief angeschaut, wenn man keinen Helm trägt. Trotzdem geschehen auch weiterhin Todesfälle. Mit und ohne Helm. Es geschieht eben nur, was du brauchst. Das kann unter Umständen der Tod sein oder wie in meinem Fall, ein Hirnabszess.
Der Hirnabszess war früher 100 % tödlich. Seit der Entdeckung des Antibiotika ist die Überlebensrate stark gestiegen. Ich habe damit mein altes Leben nicht verloren, sondern ein neues Leben geschenkt bekommen, wenn auch mit Behinderungen.
So gesehen kann ich Dankbar sein. Dankbar aber nur, wenn ich erkenne, dass es nicht so weiter geht wie davor. Weitere Änderungen stehen noch an.
Darum ist mit „Pension = Leben ende", wie viele glauben, mein Leben noch lange nicht zu Ende. Was es auch bringen wird, ich darf dankbar sein.
Auf Instagram habe ich einen Spruch, der in einen Stein gemeißelt wurde, gepostet:
"Seid wachsam, ihr kennt weder den Tag noch die Stunde"
Steininschrift am Friedhof
Der Stein steht auf dem Friedhof von St.Bartolomäh. Dieser Spruch sagt nichts anderes, als das man voll und ganz im HIER und JETZT leben soll, also im Augenblick. Denn man weiß nie, wann es zu Ende ist.
Aufschieben bringt nichts. Wenn ich es wirklich möchte, dann mache ich es gleich.
Diesem "im Augenblick leben", bin ich lange nach gelaufen. Im Sport habe ich es noch gelebt. Du kannst als Sportler keine Leistung in der Vergangenheit oder Zukunft bringen. Es zählt nur der Moment.
Natürlich muss man lange trainieren, um ein Ziel zu erreichen. Das Ziel liegt in der Zukunft. Aber leben und trainieren tue ich im Moment. Nur er bringt mich weiter. Nur was ich JETZT mache, bringt mich dem Ziel näher.
Dann im Beruf und mit der Familie konnte ich es plötzlich nicht mehr. Die Pflichten nahmen überhand.
Oft oder meistens sind unsere Gedanken und Energie in der Vergangenheit oder in der Zukunft.
Die Wörter "dann", "sollte" oder "möchte" können gefährlich sein. Sie halten uns in der Zukunft gefangen. Wenn wir dann nicht ins JETZT wechseln können bleiben wir in Träumereien gefangen. Denn nur im Jetzt können wir gestalten.
Der Hirnabszess hat mich eindrücklich spüren lassen, was es heißt, im Jetzt zu leben. Es hält mich ab, mich zu viel mit der Vergangenheit oder der Zukunft zu beschäftigen. Ich lebe fast nur im Moment, denn dieser zählt. Daher kann ich auch aus der Behinderung viel für mich mitnehmen. Ich sehe sie nicht negativ. Sie hat mir mehr Einblick ins Leben ermöglicht, als alles zuvor.
Achtsam und einen klaren Weg für sein Leben zu finden, dass möchten wir wohl alle. Aber oft bleiben wir in der Zukunft oder Vergangenheit stecken. Suhlen uns im Mitleid und möchten bemitleidet werden. Dem zu entrinnen ist schwer.
Besser ist es, uns in Dankbarkeit zu üben. Sie macht uns gesünder und rundum glücklicher. Dankbarkeit verfestigt das Gute in uns und hält uns im positiven. Ohne Dankbarkeit bewegen wir uns in einer negativen Wahrnehmung und in einem Anspruchsdenken. Das laugt uns aber körperlich aus.
Dankbarkeit richtet die Aufmerksamkeit auf das was wir haben, anstatt uns immer wieder in dem zu verstricken was uns fehlt.
Wir fallen immer wieder in alte Muster zurück. Diesen gewahr zu werden, ist der erste Schritt zur Heilung. Ich habe mit dem Hirnabszess eine Chance für ein neues Leben bekommen. Aber nur, wenn ich meine destruktiven Gedankenmustern wahr nehmen und ablegen kann.
Dazu zählen auch nicht so sehr beliebte Themen, die ordentlich Staub aufwirbeln können. Trotz meiner Defizite ist es an der Zeit, diese anzugehen.
Die Zukunft wird weisen, ob ich am richtigen Weg bin. Einiges habe ich erledigt, anderes steht noch an. Besonders die Beziehung gehört sich angeschaut. So schön es ist, haben sich aber viele nicht so schöne Dinge eingeschlichen. Das ist eine besondere Herausforderung, der ich mich stellen muss.
Es wird sich zeigen, was ich richtig oder falsch mache. Ich habe jetzt mehr Vertrauen in mich und meine Zukunft. Ich sehe mein Leben mit der EU-Pension noch nicht zu Ende. Das wäre es nur, wenn ich nicht an mir arbeite.
Dazu habe ich schon zu lange Bewusstseinstraining gemacht und viel erfahren dürfen. Natürlich geht es jetzt sehr viel langsamer. Mein Gehirn ist noch nicht in der Lage, alles zu erfassen. Auch hier kann ich "Step by Step" gehen.
Noch kann ich nicht alles Wissen abrufen, viele Verbindungen, sprich Synapsen, fehlen dazu. Aber ich bin dran und werde manches eben neu lernen müssen. Es ist und bleibt eine spannende Zeit.
Wenn ich meine anfänglichen Posts lese, merke ich, wie ich mittlerweile mehr Erfassen kann und was weiter gegangen ist. Es spiegelt sich noch nicht so im Alltag wider, aber ich sehe einen Fortschritt im Allgemeinen.
Daher mein Resümee: Mein Leben ist trotz der Defizite noch nicht zu Ende!
Einer meiner Hashtags in Instagram Posts lautet nach wie vor: