Das "Leben lernen" ist nach vier Monaten, wo ich mich auf die Therapie konzentriert habe, wieder vonnöten. Da ich es im Prinzip ohne Betreuung oder Anleitung von Außen mache, versuche ich das Beste daraus zu machen. Einzig das therapeutische Tanzen geschieht unter Aufsicht , es gibt mir wertvolle Impulse fürs Leben.
Sonst ist mein Gehirn derzeit gefordert, den Überblick über die Lebenssituation zu behalten. "Leben lernen" heißt nicht, deswegen mit Therapien aufzuhören. Es ist vielmehr der Versuch, nicht mehr alles unter dem Aspekt der Therapie zu machen und zu sehen.
Lange Zeit war meine Therapie vom Bett aufstehen, jede kleinste Bewegung war Therapie. Dieser Gedanke hat sich in mir festgesetzt und diesen heißt es jetzt umdenken.
Wenn du bei null anfängst, ist am Anfang jede kleinste Bewegung ausreichend, um besser zu werden. Bis ich Aufstehen und erste wenige Schritte zurücklegen konnte, vergingen Monate. Jeden Tag versuchte ich weiterzukommen. Die Muskelschwäche erschwert dabei das Training gegen den Schwindel und die Gleichgewichtsstörungen. So komme ich nur langsam voran.
Viele Bewegungen mache ich, um mich wieder daran zu gewöhnen, den Körper zu stärken oder meine Wahrnehmung zu verbessern. Hin und wieder mache ich eine Wanderung ohne Nachdenken und konzentriere mich voll und ganz auf die Natur und die Freude am Gehen.
Das "ohne Nachdenken" geht aber nur mit einem gewissen Maß an Automatik, die mir ja bekanntlich zum größten Teil fehlt. Deshalb übe ich das automatische Gehen praktisch jeden Moment. Allerdings bin ich dann immer im therapeutischen Denken und weniger im "Leben lernen".
Meine Ergotherapeutin erkannte das Anfang 2019 und motivierte mich dazu, auch etwas ohne diesen therapeutischen Aspekt zu tun. Wenn man allerdings drei Jahre damit verbrachte, um wieder Gehen zu lernen, dann ist das in einem angelegt und dieser therapeutische Gedanke immer vorhanden.
Denn es ist ja nicht nur ein muskuläres Defizit, sondern auch ein Geistiges. Ich musste erst mein Gehirn mit den Muskeln gleichschalten lernen, um Gehen zu können. Wenn Reize nicht ankommen, dann muss ich die Beine sehen und bewusst und willentlich versuchen, die richtigen Muskeln anzuspannen und die richtige Technik des Gehens anzuwenden.
Das ist dann natürlich weit weg vom Leben lernen, es geht eher darum, überleben zu können. Unter solchen Umständen ist es natürlich nicht einfach, nichts zu Wollen.
Einfach etwas zu machen, ohne etwas lernen, verbessern oder therapieren zu wollen, das ist Teil meines Trainings und gar nicht so einfach.
Eines ist mir bewusst, es ist und wird anders, als im letztes Jahr sein. Es geht in erster Linie darum, dass ich wieder etwas machen kann, um des Machen willen und nicht, um etwas Verbessern zu wollen. Vier Monate unter therapeutischen Gedanken brachten mich wieder schnell in altes Fahrwasser.
Das möchte ich jetzt umstellen, um wieder zu mehr Lebensqualität zu gelangen. Es ist zurzeit vor allem eine mentale Belastung, Corona hat doch sehr viel verändert.
Pilgern, wie zum Beispiel meine drei großen Caminos und die unzähligen kleinen, seit Juni 2018, ist für mich nicht mehr möglich. Damit ist meine beste Therapie der letzten Jahre weggefallen. Noch habe ich keinen adäquaten Ersatz gefunden. Das lange Gehen und Pilgern fehlt mir. Zu Hause muss ich mich doch um viele andere Dinge kümmern, als wenn ich von Dorf zu Dorf pilgere.
Radfahren tut mir gut, allerdings dauert es noch, bis ich wirklich daran gewöhnt bin. Es ist immer ein "Für und Wider", wegen der Muskelschwäche. Eine Stunde Ausfahrt lässt mich den Rest des Tages nur mehr im Bett verbringen. Selbst Kochen kann dann schon zu viel sein.
Das Gute am Radfahren ist der andere Bewegungsablauf. Es bringt neue Motivation in mein Training, allerdings ist die Muskelschwäche ein Hindernis. Radfahren möchte eben gleich wie das Gehen, neu gelernt werden.
Zumindest das Gleichgewicht und den Schwindel habe ich erstmals seit Jahren einigermaßen unter Kontrolle. Darüber bin ich sehr froh, denn noch vor einem Jahr hat es anders ausgeschaut. Ich muss aber aufpassen und darf mich nicht übernehmen, es ist und bleibt ein Arbeiten an der Grenze.
Es wurde mir seit Corona besonders bewusst. Schon Hippokrates sagte:
"Gehen ist des Menschen beste Medizin"
Hippocrates
Gehen ist der Psyche und dem Körper dienlich. Es mag mir vielleicht nur so vorkommen, aber mein Gehirn funktioniert besser, wenn ich viel gehe und meine Lebensqualität steigt.
Gehe ich weniger, leidet auch die Psyche darunter. Darum versuche ich mich immer zu Bewegen. Der Herbst steht nun bevor und es wird wieder kühler, mit den Folgen, dass meine Gelenke darunter leiden, besonders die Fußgelenke. Das Gehen wird damit anspruchsvoller.
Ich bin neugierig, wie ich heuer darauf reagiere. Spüren tue ich es jetzt schon, aber noch nicht so stark, der Teletubbi-Gang bleibt mir vorläufig noch erspart.
Ich hätte noch einiges vor, um mich Körperlich auf den Winter vorzubereiten. So wollte ich in zwei Tagen zum Grünen See wandern, an den wohl letzten warmen Tagen, dieses ausklingenden Sommers.
Allerdings wurde das Wetter nicht wie vorhergesagt. Viel Bewölkung statt warmen Sonnenschein, ließ es kühl bleiben. Ich startete schon um 5h30 in der Früh und freute mich auf die ersten Sonnenstrahlen. Es wurde jedoch nicht wärmer und der Gang wurde unrunder.
Über einen Berg ging es nach Übelbach, dort entschied ich mich wieder einmal abzubrechen. Es ergab keinen Sinn weiterzugehen, wenn ich meine körperliche Situation nicht gefährden wollte. Die Kunst besteht oft darin, zu wissen, wann es keinen Sinn ergibt. Ich kenne meinen Körper und weiß, wann es nichts mehr bringt.
Im Moment ist es halt so, dass ich zu akzeptieren habe, wenn es mal nicht so gut läuft und das es manchmal auch Stillstand gibt.
"Lebe lernen" ist nicht immer ein Honigschlecken, ich habe einiges dafür zu tun und manchmal ist eben weniger mehr!