Mein Neuanfang des Lebens ist seit Corona ins Stocken gekommen. Hatte ich schon viel damit zu tun, mein Leben 2.0 zu meistern, so ist das neue Leben 3.0 zu einer wesentlich größeren Herausforderung geworden. Denn mit Corona hat definitiv ein neues Leben im Leben begonnen.
Seit bald einem Jahr versuche ich, mehr oder weniger, über die Runden zu kommen. Ich beschäftige mich intensiv damit, mein Gehen und meine Wahrnehmung zu verbessern. Anderes wurde zu kompliziert für mein Gehirn und die Rehabilitation trat wieder in den Vordergrund. Denn das gibt mir Halt und Sicherheit.
Es gab natürlich trotzdem Fortschritte und nicht nur Rückschritte. Ich konnte mit dem Radfahren beginnen und überhaupt lernte ich, mich sicherer im Wald und auf Straßen zu bewegen. Allerdings nur dort, wo kaum was los ist.
Kaum befinde ich mich unter Menschen oder in der Stadt, falle ich in ein vorsichtiges Verhalten und Rückzug zurück. Es wird mir sehr schnell alles zu viel. Oft hilft nur die Augen schließen, stehenbleiben, noch besser hinsetzen, um wieder zur Ruhe zu kommen.
Das Leben 3.0 wird anders als gedacht werden, aber es geht weiter, wie auch immer.
Die Hochsensibilität ist mein besonderes Thema. Jetzt verstehe ich verschiedene Verhaltensmuster von früher viel besser oder auch, warum ich als Energetiker arbeitete. Allerdings, wie kann ich diese Hochsensibilität, im Vergleich zu früher stark erhöhte, besser in den Griff bekommen?
Der Begriff des "Leben Lernen", ist so vielfältig. Wenn ich an die letzten Jahre zurückdenke, war es nicht selbstverständlich, dass ich nach dem Hirnabszess aufgestanden bin.
Noch heute erfahre ich von Dingen, wie knapp es mit dem Überleben damals zugegangen ist. Die Zeit im Krankenhaus war, im Nachhinein gesehen, eine gute Zeit, da ich aufgrund der fehlenden Schranken im Gehirn, besonders hochsensibel war. Dieser geschützte Bereich des Krankenhauses hat mir am Anfang das Überleben gesichert.
Aber es ist auch heute noch so, dass ich einen geschützten Bereich brauche, denn mein Gehirn verarbeitet Dinge anders, als zuvor. Ich muss mich vor Überforderung schützen, denn durch die Hochsensibilität ist mein Körper zu durchlässig für alles. Wenn ich nicht aufpasse, kann wochenlange Arbeit umsonst gewesen sein.
Das ist für Außenstehende nicht sichtbar, denn offensichtlich schaue ich ja gesund aus. Daher ist es wichtig auf mich zu achten und allem anderen einen Riegel vorzuschieben.
Es kommen immer wieder Ereignisse hoch, auf die ich sehr Feinfühlig reagiere. Heute kann ich es besser verstehen, passe aber auf, mich solchen Situationen weniger auszusetzen.
Meine Gesamtenergie ist seit letztem Jahr gesunken. Mein Ziel ist es, mit der Energie höher zu kommen, um die Hochsensibilität besser in den Griff zu bekommen. Auf über 50 % zu kommen, denn dann können mir Rückschläge nicht so viel anhaben.
Als Vergleich dazu, meinen ersten Camino Frances begann ich mit etwa 20 % und war am Ende bei 25- 30 % angelangt. Ein Jahr später, am Camino Norte, war ich auf etwa 35 % und letztes Jahr, als ich im März vom Camino Frances heimkam, bei rund 40 %.
Die Ausnahmesituation mit Corona hat mich wieder auf 25 - 30 % zurückgeworfen.
Mein Tagesablauf beinhaltet Struktur und Routinen, denn Veränderungen kosten mir unnötig Energie. Allerdings gehören sie dazu, aber dann, wenn ich es für gut befinde. Dann verlasse ich immer wieder meine Komfortzone, um Veränderung doch zu Erfahren. Sie ist wichtig, um weiterzukommen.
Von Zeit zu Zeit verändere ich auch meine Strukturen, um nicht in der Gewohnheit hängen zubleiben. Denn die Gewohnheit ist der Tod des Neuen.
Deswegen hat mir Pilgern auch so gutgetan, denn dabei ist man immer wieder mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Corona war allerdings eine zu große Veränderung, für die ich lange brauchte und eigentlich noch immer brauche, um sie zu verstehen. Dieses Neue hat mich aus meiner Komfortzone gebracht, ohne das es von mir selbst ausging. Das ist vor allem psychisch anstrengend, aber ich habe jetzt das Leben 3.0 zu lernen.
Dieses lernen beinhaltet vieles nicht mehr, was vorher wichtig war. Kino gehen oder mich an Menschen gewöhnen, war plötzlich nicht mehr wichtig. Wichtiger sind jetzt der Umgang mit der Maske, dass Abstand halten, richtig einkaufen gehen oder richtig Hände waschen. Alles Vorherige, zum Leben gelernte, war nicht mehr gültig.
Das alles zu verstehen, ist mir heute noch schwer. Denn mit NEU lernen habe ich Schwierigkeiten. Früher gekonntes und gelebtes ist hingegen leichter für mich zu lernen.
Mir ist noch immer das Gehen und die Bewegung wichtig. Es bildet einfach die Grundlage für alles, auch für das Denken. Ich versuche immer wieder, unterschiedliche Bewegungsmuster einzubauen. Gehen - Langlaufen - Gymnastik - Balance-Park - Radfahren - Klettern - Dehnen und vieles mehr.
Wie gesagt, Gehen bildet noch immer die Basis. Ich kann gar nicht oft genug automatisches Gehen üben, denn in der Neurologie gilt: Viel, ist viel!
Die besten Erfolge hatte ich beim Pilgern, denn die oft weiten Strecken waren eine Aneinanderreihung von Schritten, wo mich ein jeder einzelne weiterbrachte und meine Automatik schulte. Gerade die Meseta mit ihren langen, flachen Geraden, war ideal zur Automatik üben.
Da jetzt seit einem Jahr das Pilgern fehlt, versuche ich es anderweitig zu verbessern. Es ist Erfolg da, aber viel langsamer. Es hat sich alles verändert und die neue Situation geht nur Stück für Stück in meinen Kopf.
Ich war wieder einmal Radfahren, trotz der Kälte. Es hilft sehr für die sonst gleichbleibende Bewegung des Gehens. Es ist ein Bewegungsmuster, dass mir guttut.
In meiner Wahrnehmung machte ich damit einen großen Schritt nach vorwärts und ich freue mich auf die Zeit, wenn wieder mehr Radfahren möglich ist.
Das war bis vor einigen Wochen noch möglich, bis es auch in der Höhe zu warm wurde. Die gleitende Bewegung hat mir ebenfalls gutgetan und war hervorragend geeignet, um mich noch mehr an Kälte zu gewöhnen.
Sonst habe ich noch mit Gymnastik und Dehnen begonnen, bzw. weiter gemacht.
Es findet meist am Computer oder Handy statt. Einerseits noch mein altes Computerspiel aus der Reha, andererseits habe ich mehrere Apps am Handy. Auch Computerspiele können mir gut helfen, spiele ich aber nicht so gerne. Es ist ein wesentlich langsameres herantasten beim Denken, als auf der körperlichen Seite.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass ich mich an das Didgeridoo-spielen erinnert habe. Von meinen mehreren Aufenthalten in Australien habe ich mehrere originale Didgeridoos mitgebracht.
Allerdings sind sie für mich nicht spielbar. So habe ich mir ein einfaches besorgt, dass ich besser handhaben kann. Allein das Gewicht der Originalen kann ich nicht halten und es braucht einen größeren Atemdruck.
Allerdings ist selbst das einfache für mich nicht leicht zu spielen. Die Halbseitenlähmung ist für mich im Gesicht dabei spürbar, aber das Training tut mir gut. Die Gesichtsmuskeln werden dabei trainiert und der Mund wird weicher. Das wird mir auch mit der Zeit beim Essen helfen.
Obwohl ich mich so schwer fühle, bin ich nicht gut geerdet. Das Didgeridoo hilft mir, wieder mehr Erdverbundenheit zu bekommen und die Lebensenergie ins Fließen zu bekommen. Der tiefe, vibrierende Ton, kann auch tief sitzende Blockaden lösen und durch Alpha- und Theta-Wellen, gestörte Energieströme wieder herstellen.
Vom richtigen Spielen bin ich noch weit entfernt, aber ich bin überzeugt, dass es meinen Körper weiter harmonisieren wird. Gut Ding braucht eben Weile. Außerdem ist es im Lockdown ein guter Zeitvertreib.
Dieser Spruch sagt einfach alles. Ich bin auch nicht froh über die Situation, die uns Corona beschert hat. Aber ich befinde mich nun schon seit fünf Jahren in einer Art Lockdown und im Krankenhaus lernte ich eines:
"Das Leben geht immer weiter, manchmal weiter, als man denkt!"
Michael Richter, deutscher Zeithistoriker
Mit meinem Leben 3.0, gehe ich in eine neue Runde. Eine etwas andere als erwartet, aber es geht immer weiter!