Zwei Jahre dauert jetzt schon mein Weg zurück ins Leben und noch ist kein Ende in Sicht. Ende August 2016 kam ich, nach 5 Monaten Aufenthalt im Krankenhaus nach Hause.
Mein Weg zurück ins Leben hat begonnen, von dem ich aber noch immer keine Ahnung habe, wie lange er dauern wird. Daher ist es wieder einmal an der Zeit, einen Zwischenstand zu erheben.
Das ist immer schwer zu sagen, seit Anfang an. Als Ausgangspunkt nehme ich die ersten Tage zu Hause, nach dem Krankenhaus, als Vergleich dazu.
Wenn ich sehe, was sich seit damals getan hat, so kann ich auf der einen Seite sagen, es hat sich viel getan. Auf der anderen Seite muss man das immer in der Relation sehen. Und diese Relation ist so anders, als das allgemeine Verständnis.
Und dazu gibt es das Wörtchen ABER. Als Beispiel: Ich kann von außen gesehen gehen, aber .......!
Es sind die Relationen, die in meinem Fall gerne verkannt werden. Gehen ist zum Beispiel nicht unbedingt Gehen. Das musste ich kennen und erfahren lernen. Ich habe mich bisher nur fortbewegt. Gehen beginnt jetzt. Darum lerne ich noch immer Gehen und das seit über zwei Jahren.
Alle Zeiterfahrungen gelten nicht mehr. Zeit hat eine andere Bedeutung bekommen.
Mein Zwischenstand ist also immer in Relation zu sehen.
(Zum Beitrag: Die Sehnsucht nach dem Gehen)
Ein bisschen anders schaut die andere Seite aus. Dieses "viel getan" muss man in der Relation sehen. Mir selbst wurde es nur nach und nach bewusst, wie schwer die Defizite nach dem Hirnabszess wirklich sind. Ich bin ja noch immer vor zu vielem Denken geschützt. Ich verstehe nur so viel, wie mir zumutbar ist. Vieles kann ich noch nicht einordnen oder muss es neu lernen.
Besonders das Denken ist noch immer mein großes Handicap. Hier merke ich am leichtesten, wenn ich ans Limit stoße. Mein Gehirn lässt nur eine gewisse Menge Denken zu, dann schaltet es ab. Es lässt es gar nicht zu, dass ich mehr, als ich vielleicht möchte, denken kann. Mein Zwischenstand im Denken ist der, dass ich viel erreicht habe und noch viel lernen muss, möchte ich je wieder etwas arbeiten oder nur mit Lebensqualität leben.
Hier muss ich großen Dank an meinen Physiotherapeuten aussprechen. Er begleitet mich in der Reha und vermittelt mir, wieder Vertrauen in mich zu finden. Ich habe für Monate Übungen, die mir mehr Vertrauen in die Bewegung geben. Erneut heißt es aber: Üben, üben und üben. Jetzt geht es langsam wirklich ans Gehen. Im Nachhinein ist bisher alles unter Fortbewegen gefallen. Richtiges Gehen ist wesentlich komplizierter.
Zuerst war ich froh, mich überhaupt fortbewegen zu können. Ich musste erst lernen, dass ich keinen Schritt auslassen kann. Alles braucht seine Zeit und überspringen geht nicht.
Es ist alles ein sehr komplexer Vorgang und ich neige dazu, über alles nachzudenken. Das hat natürlich mit meinem Alter zu tun, aber auch das Kind in mir zuzulassen. Ich glaube nicht nur mir, es ergeht auch vielen anderen so. Wir haben das spielerische Lernen verlernt.
Unsere Gedankenkonstrukte machen alles schwer. Dabei könnte es so spielerisch einfach sein. Das sollte ich wieder in mir finden. Der Zwischenstand beim Gehen ist der, dass ich jetzt erst richtig Gehen lerne. Bisher war es nur Fortbewegen.
Ich habe nie gelernt zu tanzen. Dabei würde mir diese Bewegung sehr viel helfen. Einfach die Lockerheit und Leichtheit in mir zulassen. Es würde mir das Gehen sehr viel leichter fallen. Besonders im Oberkörper ist das Zusammenspiel der Muskeln gestört. Die Koordination würde unterstützt werden.
Zur Zeit versuche ich es mit Pendeln der Arme beim Gehen, Tanzen wäre ideal für mehr Leichtigkeit. Ich sollte es wirklich einmal versuchen.
In der Rehabilitation habe ich sehr viel gelernt. Aber um ein Ding komme ich nicht herum. Ich muss endlich das Gefühl der ewigen Reha abwerfen und mich auch darum kümmern, zu Leben. Hier einen Zwischenstand zu ziehen, ist mir wichtig. Denn erstmals seit zweieinhalb Jahren lerne ich, mit meinen Behinderungen zu leben.
Zu Leben bedeutet, am öffentlichen Leben teilhaben. Bisher war ich zu sehr mit mir beschäftigt. Ich habe zu lernen, dass ich trotzdem am Leben um mich herum teilnehmen kann.
Ich werde im September noch einmal zum Jakobsweg aufbrechen. Diesmal möchte ich versuchen, mich auf die Menschen und die Kultur einzulassen. Mir Zeit dafür zu nehmen. Es ist Zeit, mich wieder in das Leben zu integrieren. Mit meinem Tempo. Die Schnelligkeit der Gesellschaft darf für mich kein Hindernis sein.
Es geistern noch viele Themen in meinem Kopf herum, aber ich schaffe es nicht, es zu verbalisieren oder Niederschreiben. Aber wie so oft, kommt Zeit kommt Rat. Ich darf nach meinem Tempo leben und darf akzeptieren das mehr zur Zeit nicht möglich ist.
"Das beste Mittel für ein langes Leben ist Laufen: Der Gesundheit hinterher- und der Krankheit davonlaufen!"
Helmut Glaßl (geb.1930), Maler und Aphoristiker