Die OP habe ich überstanden. Was kann jetzt noch kommen?
Zunächst einmal von den Strapazen der Operation erholen. Ich checke mich Körperlich wie geistig ab. Alles was mir bisher selbstverständlich schien -gehen, denken, essen - ist nicht mehr möglich!
Überhaupt gehören die Krankenschwestern, Pfleger, Therapeuten und Personal einmal besonders erwähnt. Sie leisten unglaubliche Arbeit, sind stets freundlich, auch wenn die Arbeit oft stressig ist. Darum kann ich nicht nachvollziehen, dass man als Patient unfreundlich ist. Man ist ja angewiesen auf sie.
Für mich ist es nicht selbstverständlich, dass mir so viele Handgriffe abgenommen werden. Auf jeden Fall bin ich jedem einzelnen unendlich dankbar für ihre/seine Arbeit. Ein großes Lob den Krankenschwestern, Pflegern, Therapeuten und Putzfrauen. Ich habe ein neues Bild von ihrer Arbeit und ihrem Tun bekommen. Es begleiteten mich in dieser Zeit viele. Ich habe mir kaum einen Namen gemerkt, aber die Gesichter vergesse ich nicht.
Es geht aber auch anders. Einige Tage nach meiner OP, kurz vorm Wochenende, kommt ein mir bis dahin unbekannter Arzt zur Visite. Wir sind alleine im Zimmer. Er sieht sich die Befunde an und meint, alles gut gelaufen, ich könne am Wochenende nach Hause gehen.
Ungläubiges staunen bei mir. Ich und nach Hause? Ich äußere Bedenken, aber er meint nur, "Was wollen sie noch hier? Erholen können sie sich auch zu Hause, dafür brauchen sie kein Spital!". Ich kann noch nicht so weit denken und bin total verwirrt. Auf jeden Fall weiß ich, in meinem Zustand nach Hause, dass geht auf keinen Fall.
Ich kann nicht einmal aufstehen, geschweige denn, komme ich alleine aufs Klo. Wer soll mir helfen? Die Situation wirkt so komisch und unreal, dass ich lachen muss. Der Arzt geht wieder und ich versuche meine Gedanken zu ordnen. Ich möchte zwar heim, aber gleichzeitig weiß ich, dass geht noch nicht. Wie soll ich mit den Defiziten zu Hause klar kommen. Das kann er nicht ernst gemeint haben. Was soll das?
Am Nachmittag schaut meine Tante vorbei. Sie war vor ihrer Pensionierung im Medizinischen Bereich tätig und klärt vieles für mich ab und behaltet die Übersicht. Ich schildere ihr den Vorfall und trotz der Tragik, müssen wir lachen, das die Tränen fließen. Ich kann nicht alleine aufstehen und soll nach Hause gehen. Es ist zu komisch. Sie wird versuchen alles abzuklären.
Der Vorfall oben war nicht typisch. Es sind einige Ärzte mit meinem Fall betraut, ein Hirnabszess ist ja doch recht ungewöhnlich. Besonders erwähnen möchte ich den Chef der Universitätsklinik für Neurologie, Univ.Prof.Dr. Franz Fazekas. Immer wieder schaut er vorbei und seine Worte beruhigen mich.
Besonders in Erinnerung bleibt mir Dr.med.univ. Mohamed Dergham. Seine ruhige und bedächtige Art tut mir gut. Er war immer für mich und meine Angehörigen da und hat großen Anteil daran, dass ich soweit alles gut überstand. Ich bedanke mich hier bei allen beteiligten Ärzten für Ihre Arbeit, Unterstützung und Hilfe in allen Bereichen.
In den folgenden Tagen erhole mich langsam. Am dritten Tag nach der OP wird mir eine Physiotherapeutin zugewiesen. Sie hat eine etwas ruppige Art, aber ich komme ganz gut klar damit. Unter ihrem Training steige ich zum ersten Mal Stufen hinauf. Allerdings, ich muss sie auch wieder hinunter. Und das hat Folgen für mich. Ich habe derart verkürzte Muskeln und außerdem keine Kraft, das Bergab gehen fast unmöglich ist. Ich muss aber wieder hinunter.
Erst, wenn ich auf der unteren Stufe den Fuß ganz aufsetze, kann ich auch den oberen entlasten und nachziehen. Ich würde sonst umfallen. Eine riesige Belastung für die Bänder und Muskeln. Der Schwindel ist sowieso immer gegenwärtig. Ich habe mir dabei nicht nur einen Muskelkater geholt, sondern auch die linke Wade gezerrt. Stufen steigen ist in den nächsten Tagen somit gestrichen und auch im Flachen gehen wird schwierig.
Die Unwissenheit belastet mich. Niemand weiß genau was los ist, immer wieder höre ich anderes. Muss ich nach Hause, komme ich zurück auf die Neurologie, komme ich auf Reha nach Judendorf. Keiner weiß etwas, will oder kann es mir sagen. Ich bin so verwirrt und kann nicht denken. Wieder einmal.
Ich bin abhängig davon, dass für mich gedacht und entschieden wird. So sehr ich mich auch mit dem Denken anstrenge, ich komme zu keinem Schluss. Ich weiß nicht, wie ich weiter denken kann. Ich habe auch nicht die Kraft dazu, besonders jetzt nach der OP.
Wer so etwas nicht selbst erlebt hat, kann es nur schwer nachfühlen. Mein Umfeld versteht es kaum, dass es mir nicht möglich ist, einen Gedanken zu Ende zu bringen, dass er plötzlich weg ist.
Am Montag, den 2.Juni, dann die Erlösung. Ich darf zurück auf die Neurologie in mein altes Bett. Endlich ist alles geklärt. Meine Tante konnte alles regeln. Es war ein Missverständnis zwischen Neurochirurgie und der Neurologie.
Über Mittag werde ich in mein altes Zimmer überstellt. Meine Zimmerkollegen haben inzwischen gewechselt. Alle Betten haben neue Besitzer. Ich bin körperlich so schwach, dass ich kaum jemand wahrnehme, geschweige denn mit jemand reden kann. Wieder einmal möchte ich nur schlafen.
Auch die folgenden Tage unterhalte ich mich kaum mit jemanden. Therapien sind nur kurz zwischen den vielen Antibiotika möglich. Ich bekomme ungefähr 15 Infusionen täglich. Verschiedene Antibiotika und das fünf mal am Tag. Deswegen auch die große Müdigkeit. Ich fühle mich wie von einem anderen Stern. Die OP war anstrengender als gedacht.
Es ist noch ein Rest des Abszesses im Gehirn. Es war bei der OP bereits Gel artig und sie haben nicht alles herausbekommen. Die Ärzte möchten noch eine Bebrütung der Flüssigkeit abwarten und dann eine Umstellung wagen.
Am 7. Juni 2016 gehe ich zum ersten Mal eine längere Strecke. Unter den Augen der Physiotherapeutin schlage ich mich wacker. Es sind an die vierzig Meter, die ich in einem Stück schaffe. Zurück brauche ich allerdings mehrere Sitz pausen.
Ich trainiere hart in den nächsten Tagen. Aber was ist hart? Mehr als eine halbe Stunde bin ich nicht belastbar. Trotzdem ist es hart. Ich möchte es fast mit Intervall Training im Sport früher vergleichen. Mein Puls ist sofort oben, bei der geringsten Bewegung. Die vielen Infusionen tragen ihr übriges dazu bei. Die Logopädie kann ich auch während der Infusionen machen.
Beim Ergo Training ist nach 15 Minuten Schluss. Selbst der Weg zum Ergo Raum zählt zum Training. Obwohl es nur Zwanzig Meter sind. Nach einer halben Stunde bin ich erledigt. Zurück werde ich meist im Rollstuhl geschoben.
Nach einer weiteren Woche entscheiden die Ärzte, dass ich auf die Zahnklinik soll. Mein Abszess ist von Bakterien aus dem Mundraum entstanden. Die Zähne gehören dringend saniert. Wie ich jetzt erfahre, wurde mir bereits im März ein Zahn gezogen. Ich kann mich daran nicht erinnern. Das einer fehlt, habe ich bis jetzt nicht wahrgenommen.
Mit dem Rollstuhl geht es zur Zahnklinik. Zum ersten Mal so weit im Freien im Rollstuhl fahren, es ist eine Wohltat. Ich atme die frische Luft ein und genieße den Weitblick.
In der Zahnklinik dann etwas Bangen. Zwei Zähne sollen gezogen werden. Ich sitze am Stuhl und lasse wieder einmal alles über mich ergehen. Allerdings, wie der zweite Zahn gezogen wird, überkommt mich eine Art Befreiung. Ich fühle mich plötzlich leicht und frei. Ich bekomme noch auf einem Zahn eine Wurzelbehandlung und werde dann mit dem Rollstuhl zurück gefahren.
Trotz der Behandlung, ich habe noch immer ein eingespritztes Gesicht, geht es mir großartig. Mit dem Ziehen der Zähne habe ich im selben Augenblick eine neue Lebensqualität bekommen. Nach langer Zeit bekomme ich das Gefühl, das es Aufwärts geht.
Die Moral von dieser Geschichte, wie schon im vorigen Beitrag erwähnt:
"Pass auf was du denkst!"
und
"Der Körper ist der Übersetzer der Seele ins Sichtbare!"
Christian Morgenstern, 1871 - 1914
Unser denken wird im Körper sichtbar! Wir könnten vieles schon früher ändern. Spätestens wenn es am Körper sichtbar wird, ändern die meisten. Mancher geht aber auch da noch drüber.