Ja, selbst das Leben habe ich zu Lernen. Das hätte ich mir am Anfang leichter vorgestellt.
Wenn ich vom Bett aufgestanden bin und 15 Meter in die Küche ging - es war alles Therapie. Jede kleinste Bewegung musste ich andenken, denn ein normales Leben fand für mich nicht statt.
Das erste Mal bekam ich dieses Jahr von meiner Ergotherapeutin den Auftrag, etwas nicht unter dem Gesichtspunkt der Therapie zu machen. So einfach es klingt, so schwer ist es.
Selbst wenn ich diese Zeilen jetzt tippe, bin ich gedanklich so stark dabei, dass es mir nicht leicht fällt, es NICHT unter dem Gesichtspunkt der Therapie zu sehen. Es beinhaltet besser zu werden.
Das erste Mal war es der Versuch ins Kino zu gehen, einen normalen Alltag zu Leben. Mit dem Bus in die Stadt schaffte ich schon nicht mehr. Die Öffis sind selbst im Sitzen so anstrengend, dass ich bei jeder Fahrt an die Handicaps erinnert werde.
Die paar Hundert Meter zu Fuß konnte ich allerdings Gehen, ohne zu viel daran erinnert u werden. Ich schlenderte einfach durch die Stadt und versuchte es für mich zu tun.
Die Karte zu kaufen war schon schwerer. Besonders das Anstellen an der Kasse machte mir zu schaffen. Ich kann nicht lange stehen. Den im Stehen werden trotzdem unzählige Muskeln benötigt, um das Gleichgewicht zu halten. Das ist extrem anstrengend und ich gehe dabei fast in die Knie dabei.
Der Weg in den Kinosaal war ebenso nicht leicht. Ich versuchte es normal zu gestalten, aber es gelang nicht. Das gedämpfte Licht ließ mich hochkonzentriert sein. Von "normalen" Leben weit und breit nichts zu merken. Alleine ist es nicht entspannend, sondern nach wie vor ein Herausforderung. Wie kann ich das als normales Leben sehen?
Ich laufe ständig auf Hochtouren. Mit einer Ausnahme. Den Film konnte ich genießen und mich auch gedanklich darauf einlassen.
Alleine ist es mir noch nicht möglich, es mit Lockerheit zu sehen. Einmal begleitete mich mein Sohn Elvin ins Kino, da ging es mir besser. Hatte ich Schwierigkeiten, half er mir. Das war dann näher dran am Leben.
Ich versuche mehr Leichtigkeit ins Leben zu bringen. Das gelingt am besten im Wald, wo dann auch die Schritte nicht so schwer sind. Im Allgemeinen ist es ein großer Unterschied zwischen der Stadt und der Natur.
Auf Gehsteigen in der Stadt fühle ich sofort eine Schwere im Körper und stehe wie unter Strom.
Im Wald ist Bergauf gehen auch nicht leicht, aber es ist nicht dieselbe Schwere wie in der Stadt.
Ich kann mich nur langsam heran tasten und es immer wieder versuchen. Es findet ja nur im Kopf statt. Meine Einstellung dazu ist entscheidend. Das bewusste entscheiden ist wichtig, mache ich was für mich oder für meine Gesundheit?
Die ersten zwei Jahre nach dem Hirnabszess standen nur darunter, wieder einigermaßen zu funktionieren. Jeder Schritt und Tritt musste angedacht werden, da war ich dem normalen Leben noch fern.
Indem ich es jetzt immer wieder einfließen lasse, versuche ich das normale Leben zu lernen. Jedesmal wenn ich es schaffe, und sei es nur einen kurzen Augenblick lang, komme ich näher an dieses Gefühl ran.
Aber wieder einmal ist der Zeitraum ein eigener. Hier zählen nicht Tage oder Wochen, sondern Monate, wenn nicht Jahre.
Diese Zeilen schreibe ich in einem Cafe in Paris. Ich bin unterwegs zum Camino del Norte, der von der Spanisch-Französischen Grenze dem Meer entlang nach Santiago führt.
Dieses Jahr steht an, unter vielem anderem, wieder phasenweise zu versuchen zu Leben. Mir ist klar, Verbesserungen am Gehen und im Denken sind vordergründig, als zu Leben. Aber ich möchte doch auch immer wieder ein normales Leben einfließen lassen. Man wird sehen ob es gelingt.
Ich werde den Camino Tag für Tag nehmen. Ohne mich auf Kilometer zu konzentrieren oder mich sonst wie unter Druck zu setzen. Ich kann mich hier unter anderen Voraussetzungen bewegen, als zu Hause, wo der tägliche Überlebenskampf an der Tagesordnung steht.
Die nächsten Wochen werde ich Leben und das in Kombination mit therapeutischen Übungen versuchen. Von der Ergo- und Physiotherapie habe ich ja genug Input mitbekommen. Das Gehen am Jakobsweg ist daher ideal, für die Bewegung wie das Denken.
Ich bin in der größten Reha-Anstalt der Welt unterwegs, nämlich in der Natur. Gespräche mit anderen Pilgern sind eine unbezahlbare Psychotherapie. Es ist wie ein stationärer Reha-Aufenthalt, mit allen erdenklichen Therapien. Dazu kommt die Möglichkeit, normal Leben zu leben, wenn ich es zulasssen kann.
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In diesem Sinne,