In letzter Zeit ist es etwas ruhiger geworden auf meinem Blog. Die Traumaverarbeitung ist seit Corona ins Stocken gekommen und ich habe mich auf die körperliche Rehabilitation konzentriert. Mein "Leben lernen" hat auch mit der Traumaverarbeitung zu tun. Es sind noch zu viele Dinge, die ich vermeide oder aufzuarbeiten habe.
Corona hat viel verändert, was auch seine Auswirkungen auf das Schreiben hatte. Gerade die Konzentration hat im letzten Jahr gelitten. Schreiben, Bücher lesen oder etwas gestalten wollen, ist im Moment kaum möglich.
Es hat keinen Sinn, es herbeizwingen zu wollen. Daher versuche ich mich in der Bewegung auszudrücken, dabei hilft mir das therapeutische Tanzen und lange Einheiten beim Gehen.
Laut Wikipedia und in der Psychologie wird Trauma eine seelische Verletzung genannt. Sie wird meist durch eine körperliche Verwundung hervorgerufen, aber auch durch eine psychische Erschütterung, ein sogenanntes Psychotrauma.
Meine Traumatisierung zeigt sich auf verschiedene Arten. Schon kleinere Stimulationen können zu heftigen Empfinden führen, die Wut, Angst, Furcht oder Panik auslösen. Das hat wiederum zur Folge, dass ich leicht überreagiere, mich verschließe oder in Starre verfalle. Diese Momente heißt es zu erkennen und richtig darauf zu reagieren.
Zumindest habe ich gelernt, nicht auf alles sofort zu reagieren, deshalb erscheine ich oft eher teilnahmslos. Stück für Stück taste ich mich vorwärts, um einen normalen Umgang zu lernen. Mein Alltag steht noch immer unter den Folgen verschiedener Traumas.
Alle an das Trauma erinnernde Situationen, lösen noch immer körperliche Erregung oder Fluchtbereitschaft aus. Es ist nach wie vor nicht leicht, daher auch das gesteigerte Bedürfnis, wieder mehr Vertrauen im mich zu finden. Das kann ich nur langsam steigern und braucht seine Zeit. Corona hat eben viel verändert, vor allem im sozialen Umgang. Seit einem Jahr war ich praktisch nicht mehr in der Stadt, Social Distancing bleibt mir bis heute erhalten und lässt mich in die körperliche Rehabilitation flüchten.
Das Gehen, vor allem das Pilgern, hat mir bis Corona am meisten geholfen, besonders in der Traumaverarbeitung. Ich konnte mich dosiert an Situationen gewöhnen, die mich wieder an soziale Kontakte gewöhnen ließen. Von einem Tag auf den anderen war es durch Corona anders. Die Traumatherapie wurde abgesagt.
Die Folgen treten nach traumatischen Erlebnissen auf. Von einem Tag auf den anderen aus dem Leben gerissen, verbrachte ich fünf Monate im Krankenhaus. Ich war nicht fähig, über das Vorgefallene nachzudenken. Es hinterließ jedoch Spuren, die ich erst nach zwei Jahren aufzuarbeiten beginnen konnte.
Ein Jahr nach dem Krankenhaus begann ich den Blog zu schreiben, der einer Verarbeitung des Geschehen dient. Schreiben als Therapie, hilft mir sehr. Seit damals berichte ich darüber, was ich in meinem Therapie-Leben mache.
Schreiben wurde zu einer Therapie, die mich nach wie vor begleitet. Das Buch-Schreiben ist vorläufig in den Hintergrund getreten, besonders seit Corona. Diese Ausnahmesituation veränderte alles, wo für mehr als die körperliche Rehabilitation nichts übrig blieb. Mein Gehirn ist nach wie vor die größte Herausforderung, denn "Leben lernen" ist eigentlich nichts anderes, als das Arbeiten an diesen posttraumatischen Belastungsstörungen.
Gerade das Pilgern war die beste Therapie dafür. Jeder Camino war eine Steigerung des letzten, körperlich wie geistig. Auch für die Bewältigung der Traumen war es hilfreich. Am Camino gilt die Regel, du bekommst, was du brauchst, nicht was du willst. Beim ersten Camino habe ich mich noch relativ fern von allen Menschen gehalten und mich immer zurückgezogen. Ich war zu schnell körperlich und emotional erschöpft. Diese ständige somatische Stressreaktion bewirkt jedoch, dass ich meinen Körperempfindungen nicht vertrauen konnte. Ich hatte zu lernen, wieder angemessen zu handeln und meine Emotionen entsprechend einzusetzen.
Mit Gefühlen und Emotionen tue ich mich noch heute schwer. In den meisten Momenten gibt es noch immer nur Null oder 100%. Daher muss ich mir lange Zeit lassen, wenn Emotionen im Spiel sind. Kleinste Stimulationen lassen mich überreagieren oder in den Fluchtmodus wechseln. Man nennt es auch den Verlust der Affektregulierung. Man wird Über-Wachsam, Schreckhaft und Ruhelos. Ich fühle mich nicht nur, ich bin wie ein kleines Kind, das noch viel zum Lernen hat.
Die Auswirkungen sind auch körperlich zu spüren. Anfangs hatte ich einen extrem hohen Ruhepuls von 75 bis 80 Schlägen. Ich war ständig in einem innerlichen Fluchtmodus, was ja kein Wunder war. Ich wurde im Krankenhaus alle paar Stunden, auch in der Nacht, zum Wechseln der Antibiotika-Infusionen, aufgeweckt. Das geschah fünf Monate lang, jeden Tag. Ich konnte nie länger als drei, vier Stunden durchschlafen.
Ich brauchte über drei Jahre, um meinen Puls zu beruhigen. Nach dem zweiten Camino fiel er, fast drei Jahre nach dem Hirnabszess, auf ein relatives Normalmaß von 55 bis 60 Schläge. Seither verbessert er sich immer mehr. Aktuell liege ich in Ruhephasen um 50 bis 55. Als Vergleich dazu hatte ich als Radrennfahrer etwa 35 Schläge in der Minute. Später, als ich mit dem Rennfahren aufhörte, waren es rund 45 Schläge.
Die unzähligen Pilgerkilometer bisher, waren ein hervorragendes Ausdauertraining und beruhigten meinen Körper. Gelassenheit nahm immer mehr von mir Besitz und ich kann seither dem Alltag besser begegnen.
Ein Trauma äußert sich vor allem in der Vermeidung von Situationen und von Orten. Das Pilgern half mir, mich im Alltag langsam wieder besser zurechtzufinden. Dabei habe ich immer die Wahl, etwas zu vermeiden oder mich dem zu stellen. Ich war jetzt mehrere Jahre nicht mehr im Krankenhaus und habe eine Scheu, hinzugehen. Ich wurde dort wirklich gut behandelt, vor allem von den Krankenschwestern und Therapeutinnen.
Trotzdem ist es mit zu vielen Erinnerungen verbunden, die ich nicht erwecken möchte. Das Gleiche ist mit vielen Orten in Graz, wo ich viele Erinnerungen an die Zeit mit meiner Familie habe. Die Trennung hat Traumen verursacht, denen ich mich noch nicht stellen kann. Diese zusammen mit den Folgen des Hirnabszess, lassen mich nur in kleinen Schritten vorwärtskommen.
Gerade der letzte Camino zeigte mir viel auf. Jedes Jahr stand ich vor der Kathedrale in Santiago, aber die Angst in den Innenraum zu gehen, war zu groß. Vier Jahre nach dem Hirnabszess war es so weit. Erstmals traute ich mich in Begleitung von meinem Pilgerfreund Pedro hinein. Wenn ich das heute schreibe, kommen mir die Tränen. Es war ein emotionaler Erfolg, auf den ich lange hingearbeitet habe. Dem war aber noch nicht genug, denn einen Tag später besuchte ich mit einer Pilgerfreundin das Pilgermuseum in Santiago. Ich konnte damit wichtige Dämonen besiegen und mich ihnen stellen.
Die zahlreichen Exponate zu besichtigen, brachte mich zwar ans Limit, aber es waren wichtige Schritte für die Zukunft. Das Pilgern, das viele Training und Üben und die viele Arbeit an mir, zeigte endlich seine Wirkung. Ich konnte die Vermeidung erstmals erfolgreich Besiegen, nach fast vier Jahren, auf meinem dritten großen Camino.
Wieder zu Hause, wollte ich meinem Üben und Training eine neue Richtung geben und intensiver an der Traumaverarbeitung weitermachen. Corona aber hatte etwas anderes vor. Ich entschied mich, dem Körper Vorrang zu geben und konzentrierte mich auf die Verbesserung der körperlichen Defizite.
Es kam eine beschädigte Propriozeption heraus, wegen der ich unter anderem die Schwierigkeiten in der Bewegung bisher habe. Es war sinnvoll daran zu arbeiten, denn Corona veränderte alles, besonders die Traumaverarbeitung. Termine für Therapien wurden abgesagt, aber nach einiger Zeit begann das therapeutische Tanzen wieder. Nur mit wenigen Lockdown Ausnahmen, ist es meine wöchentliche Therapie.
Nicht nur für die Propriozeption (Wahrnehmung), sondern es ist auch eine gute Unterstützung, um an den Traumen zu arbeiten. Meine schon so lange dauernde Übererregung, störte die Fähigkeit mich zu konzentrieren und aus Erfahrungen lernen zu können. Diese bekam ich, durch das Pilgern, immer besser in den Griff. Allerdings war Pilgern plötzlich nicht mehr möglich.
Ich benötigte bis ins heurige Jahr, um mich wiederzufinden und dem "Leben lernen" eine neue Richtung geben zu können. Ganz habe ich es immer noch nicht geschafft, aber die Wege werden immer klarer.
Die Herausforderungen in den letzten Jahren waren enorm und sie sind noch lange nicht zu Ende. Denn die größte Frage für mich ist, wie soll ich mich wieder sozialisieren, wenn es nicht erlaubt ist. Das wird eine besondere Herausforderung, für die ich langsam Antwort bekomme. Die wird es in einem der nächsten Blogs geben.
Die Behinderung ist für mich gar nicht so das Thema, denn ich habe sie annehmen können und arbeite daran, sie zu verbessern. Es ist eben nicht mehr alles möglich wie früher und damit komme ich klar. Die Langsamkeit hat mir ein neues Leben gegeben, was aber nicht heißt, es nicht verbessern zu wollen.
Behindert zu sein heißt vor allem, mit der Vergangenheit im Reinen zu sein. Da die Folgen des Hirnabszess mich aber im Hier und Jetzt halten, sind Gedanken an die Vergangenheit noch immer kaum möglich. Daher lasse ich sie, denn ich komme damit ja doch nicht weiter. Akzeptanz und Gelassenheit sind wichtige Eigenschaften geworden.
Wie beim Pilgern auf einem 1000 km langen Weg, gehe ich in allem Schritt für Schritt weiter. Was heute nicht geht, geht vielleicht morgen oder eben später. Eines habe ich über die Jahre gemerkt: Mit Druck geht gar nichts!
Mein Gehirn gibt nach wie vor das Tempo vor und Stress verträgt es überhaupt nicht. Ich nehme es, wie es ist und vermeide stressige Situationen. Wobei ich unterscheiden lerne, zwischen wirklichen Stress und der Vermeidung, wo ein Trauma im Spiel ist.
Ich habe mittlerweile gelernt, mit der Behinderung umzugehen. Es gibt zum Beispiel noch immer Ampeln, wo ich nur unter Anstrengung bei Grün über die Straße komme. So etwas kann mich in Stress versetzen. Seit Corona halte ich mich fast nur mehr in der Natur auf und das tut mir gut.
Es geht nur Schritt für Schritt. Das wichtigste sind Sicherheit und Beruhigung. An hilfreiche Gewohnheiten anknüpfen und ja nicht wieder in eine Dauerbereitschaft fallen. Man erlebt vieles als eine Art Film, das durch Gerüche, Farben oder Gefühle angestoßen werden kann. Für mich als ehemaligen Filmer besonders schwierig, da ich in Filmen denke. Vielleicht auch daher die Vermeidung vor dem Filmen. Zu schnell kommt altes Hoch, denn ich erlebe alles als Film.
Die Auswirkungen von einem Trauma sind nicht steuerbar. Stress und Traumatisierung können Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen zur Folge haben, was ich im Moment an mir bemerke. Ich habe mehrere Bücher seit Monaten zu lesen, kann mich aber nicht darauf konzentrieren. Ein, zwei Seiten, dann lege ich es wieder weg. So und auf noch ganz andere Art äußern sich die Traumen.
Ich war bis Corona auf einem guten Weg, meine traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten. Seither muss ich meinen Weg erst wieder finden. Das therapeutische Tanzen ist mir dabei eine große Hilfe. Es ist die einzige Therapie, die mir erhalten geblieben ist. Es schafft positive Gegenbilder in mir, hilft zum Stressabbau und fördert meine Kreativität. In erster Linie, hat mich das therapeutische Tanzen über das letzte Jahr gebracht.
Schritt für Schritt komme ich so weiter und mache das Beste für mich daraus. Die Natur und das Gehen sind eine weitere große Hilfe, in diesem aus unzähligen Puzzleteilen bestehenden Leben. Es braucht eine neue Strategie, diese vielen Teile zusammenzusetzen. Wie bei einem Puzzle muss ich meine Strategie erst finden, wie ich die Traumaverarbeitung mit Corona angehen kann.
Hallo Jörg ,
Ich habe diesen Beitrag noch nicht gesehen gehabt . Zu dem Thema Trauma wollte ich dir noch was schreiben.
Sagt dir REM etwas ?
▶️REM – Phasen (Rapid Eye Movement- schnelle Augenbewegungen).
Normalerweise geschieht die Verarbeitung unserer belastenden Tageserlebnisse nachts, während unseres Schlafs in den sogenannten REM-Phasen (REM = Rapid Eye Movement). Stress und belastende Erfahrungen werden während dieser Phase im Gehirn reguliert. Nehmen die Stressfaktoren bei einem Menschen zu, ist eine ausreichend Stressbewältigung während unserer nächtlichen Ruhephasen nicht mehr möglich und die reibungslose Zusammenarbeit zwischen der rechten und linken Gehirnhälfte ist gestört.
Dr. Francine Shapiro begründete bereits 1987 die ✨EMDR Therapie✨, welche heute weltweit zur Behandlung von Traumata und Angstzuständen anerkannt ist. Dr. Shapiro -selbst belastet von traumatischen Erlebnissen- entdeckte beim Beobachten von sich orientierenden Zugvögelschwärmen den entlastenden Effekt von schnellen Augenbewegungen über physische, akustische und optische rechts-links Signale an den Körper. Über diese Signale findet eine schnelle Verknüpfung der beiden Gehirnhälften statt und eine effektive Aufarbeitung belastender Traumata, Bilder, Erinnerungen und Angstzuständen wird möglich.
Fazit der Entdeckung :
▶️Augen bewegen die Psyche
▶️ Wiedervernetzung von rechter und linker Gehirnhälfte über schnelle Augenbewegung.
▶️ Die Aufarbeitung belastender Erlebnisse und Gefühle wird so ermöglicht.
Weil beim EMDR mehr über geistige Bilder gearbeitet wird, kann es besonders bei schweren Belastungen angewandt werden, aber auch bei täglich zu verarbeitenden Erlebnissen und Ängsten
Ich selbst habe vor ein paar Jahren eine Ausbildung als wingwave-Coach gemacht, Die “wingwave”-Methode ist eine Light-Version der EMDR-Traumatherapie. „Wingwave“ wendet man nur bei leichten Fällen an.
Für dich wäre eine professionelle EMDR-Therapie bestimmt hilfreich.
Alternativ kannst du mal was ausprobieren .
Wenn du mal wieder von etwas stark emotional angetriggert bist, kannst du dir auf YouTube von Wingwave ein Video kostenlos aufrufen . Es geht dabei um die Musik . Du musst die Klänge mit Kopfhörer anhören . Die Töne kommen abwechselnd aus dem linken und rechten Kopfhörer. Es funktioniert auch über die Ohren. Die Musik geht 20 Minuten . Probiere es aus. Das kostet dich nichts und es ist ohne Anstrengung möglich.
Hi, danke dafür!
Wird sicher was zum Ausprobieren sein. Muss aber noch aufpassen, wenn was zu schnell geht, auch zu schnelle Augenbewegungen, keine Doppelbilder zu bekommen.
Werd ich aber versuchen!
Danke und liebe Grüße
Jörg
Bei dem YouTube Beitrag von Wingwave geht es um die Musik . Du kannst dabei deine Augen schließen und nur auf die Klänge achten, die immer aus einer anderen Richtung kommen.