Seit dem Lockdown wurde die Natur für mich noch wichtiger, als je zuvor. Eine Biwak-Nacht am Schöckl war der Startschuss zu neuen Zielen.
Automatisches Gehen zum Beispiel. Ich habe viel von meinen kognitiven Eigenschaften in den letzten Monaten verloren. Zum Glück ist Radfahren endlich wieder möglich, denn das schult meine kognitiven Fähigkeiten sehr. Außerdem hilft mir die Natur, auf meinem Weg zurück ins Leben.
Die Natur ist schon lange meine beste Medizin und seit der Corona-Krise besonders. Das im letzten Jahr hart erarbeitete Angewöhnen an die Stadt, an den Trubel oder ins Kino gehen und wieder zu Leben lernen, ist ab März in wenigen Wochen wieder verschwunden.
Ich fühle mich derzeit wie am Beginn. In der Natur fühle ich mich wohl, aber nur ein Tag unter stressigen Bedingungen lässt mich mehrere Tage flachliegen und nur das notwendigste unternehmen. Deshalb habe ich mich entschieden, im Moment nicht in die Stadt zu fahren oder mich stressigen Situationen auszusetzen.
Lieber gehe ich in den Wald oder versuche mich ans Radfahren zu gewöhnen. Das Pilgern tut mir gut, aber die Anforderungen in Österreich sind größer, nicht nur körperlich, auch finanzieller Natur. Am Weststeirischen Jakobsweg hat es mir gut gefallen, besonders mit Zelt ist es toll, allerdings muss ich erst meinen Körper langsam daran gewöhnen, es kostet mir noch zu viel Energie.
Diese mussten dringend her. Ohne ein Ziel fehlt die Motivation etwas zu erreichen. Ein Ziel gibt mir den Sinn, warum ich so viel trainiere. Viele Ziele sind mir in der Corona-Zeit abhanden gekommen. Da fehlt dann auch der Antrieb, etwas zu erreichen.
Von mir daheim schaue ich direkt auf den Gipfel des Schöckl. Seit dem Hirnabszess im März 2016 war ich nicht mehr oben. Es führt zwar eine Seilbahn nach oben, aber ich wollte nur zu Fuß hinauf.
Von Judendorf sind es etwa 17 Kilometer und ziemlich genau 1000 Höhenmeter.
Am Weststeirischen Jakobsweg habe ich schon gesehen, dass meine körperliche Konstitution im Moment nicht die beste ist und mir die 17 Kilometer zu weit sind. Daher habe ich beschlossen, es von St.Radegund anzugehen. Es war auch organisatorisch leichter, da mich mein Freund Bernd begleitete.
Von St.Radegung aus sind es trotzdem noch ca. 700 Höhenmeter hinauf. Wir konnte uns dafür Zeit nehmen, denn als Highlight wollten wir oben übernachten. Denn wo kommt man der Natur näher, als bei einem Biwak unter Sternenhimmel.
Wir wählten den normalen Aufstieg, nicht den direkten Weg unter der Gondel. Die vielen Steine ließen großteils nur ein Steigen zu, kaum ein Gehen. Das war gut für das Training, aber es strengt enorm an.
Ich habe schon am Camino in Spanien an verschiedenen Tagen über 1000 Höhenmeter täglich zurückgelegt, aber noch nie durchgehend so weit bergauf. Es ist doch was anderes, wenn es ständig auf und ab geht, als in einem bergauf.
Der Körper kann sich in den unterschiedlichen Belastungen immer wieder erholen, was für mich wegen der Muskelschwäche wichtig ist. Deshalb sind die hohen Berge für mich noch tabu, ich habe keinerlei Reserven dafür.
Daher war der Schöckl ein toller Anfang und ich war motiviert, es durchzuziehen. Bisher hatte ich Scheu davor, denn es war mir zu anstrengend. Solch eine Überanstrengung soll ich vermeiden, um wegen der Muskelschwäche nicht Kraft zu verlieren. Es ist mir fast nicht möglich, verlorene Kraft aufzubauen.
Deshalb vermeide ich noch so viele Dinge, dass für Außenstehende oft nicht verständlich ist. Es ist wichtig da bei mir zu bleiben. Ich kenne mich mittlerweile so genau, dass ich genau weiß, was mir guttut und was nicht.
Ab dem Losgehen erfasst mich eine Anspannung, die bis zum Ende angehalten hat. Danach braucht mein Körper allerdings einige Tage Erholung.
Wir konnten einen wunderschönen Sonnenuntergang beobachten. Langsam verschwand die Sonne in allen Rottönen. Gleichzeitig überraschte uns in der entgegengesetzten Richtung ein roter Fast-Vollmond, tief unter uns am Horizont.
Es war ein bewegendes Schauspiel der Natur. Ein Glücksgefühl und eine Dankbarkeit machte sich in mir breit, dass Erleben zu dürfen. Die fünf Monate im Krankenhaus kamen mir immer wieder in den Sinn. Damals konnte ich es nicht erwarten, wieder das Gras zu berühren oder in der Sonne im Freien zu liegen. Jetzt hier am Schöckl zu liegen und so etwas beobachten zu dürfen, war einmalig.
Solche Erlebnisse wie das Biwak am Berg, lassen mich vergessen, nicht mehr Arbeiten oder etwas anderes Produktives machen zu können. Ständig mit Rehabilitation beschäftigt zu sein, es quasi als meine Arbeit zu sehen, ist manchmal belastend. Solche Ausbrüche aus meinem Reha-Alltag lassen mich wieder versuchen ein normales Leben, allerdings mit Reha und Behinderung, zu leben.
Mit den Sternen über mir, fühlte ich mich in etwas Großes eingebettet zu sein und ich lag lange wach, um den Himmel zu beobachten.
"Die Zukunft steht in den Sternen!"
, sagt man.
Es verweist auf etwas, das uns im Inneren beschäftigt. Diese unendliche Weite über mir und die Frage nach dem Sinn des Lebens, kam mir in den Sinn.
Das Gehirn verweigert über die Antwort nachzudenken, so genoss ich es einfach, hier liegen zu dürfen. Der Mond schien so hell, dass ich im Sitzen einen langen Schatten warf und mich später zum Schlafen tief in den Schlafsack verkroch.
Bei beginnendem Licht erwachte ich und konnte nicht davon ablassen zuzuschauen, wie der Morgen langsam hervorkam. Eine traumhafte Kulisse erwartete Bernd und mich mit dem Aufgang der Sonne.
Es zeigte mir wieder, wie wichtig der Aufenthalt in der Natur ist. Es tut meinem Nervensystem gut, das merke ich besonders in der Bewegung. Meine Feinmotorik und Koordination sind dann besser und ich fühle mich auch so. Nicht umsonst symbolisiert die Sonne Vitalität und Lebensfreude und steht auch für Ausdauer, Standhaftigkeit und Fortschritt.
Wenn ich auf die letzten Jahre zurückblicke, dann war es oft nicht einfach. Zu viel ist passiert, was ich noch nicht im Gehirn verarbeiten kann, aber in mir herumschwirrt. Seit dem Hirnabszess lebe ich nur im JETZT und jegliche Gedanken an Vergangenes verweigert mein Gehirn.
Den Gehirnabszess überlebt zu haben, stellt alles andere meines Lebens in den Schatten. Ich beginne jeden Tag neu, aber dieser Morgen war einer der schönsten seit langem.
Gerade solche Emotionen sind sehr wertvoll für die Gesundheit und die finde ich derzeit am ehesten in der Natur. Der Stadt, vielen Menschen und Trubel weiche ich bewusst aus und konzentriere mich nur auf das, was mir guttut. Allem anderen setze ich mich einfach nicht aus.
Diese Biwak-Nacht war mein bisheriges Highlight in der Corona-Krise.
Mein Fazit ist sehr positiv. Näher kann man der Natur kaum kommen. Speziell mein Nervensystem reagiert besonders gut darauf. Allerdings muss ich meinen Körper erst daran gewöhnen und das geht nicht von heute auf morgen.
Ich werde auch in Zukunft öfter im Zelt oder Biwaksack nächtigen. Es hilft mir sehr, in der Wahrnehmung stabiler zu werden und auch der Schwindel ist geringer. Zurück in der "Zivilisation" trifft es mich noch schwer, Verkehr und Menschen belasten mein System. Die Wochen des Lockdown haben mich wieder mehr sensibel gemacht. Der Schöckl hat mir gezeigt, wie sehr mir die Natur hilft.
Am nächsten Tag war ich sehr müde und alles tat mir weh. Die Tour war grenzwertig und zeigte mir, dass das Pilgern mit Zelt noch eine Zeitlang warten muss. Trotzdem war es ein Erfolg, denn es hat mich neurologisch weiter gebracht und ich konnte viele neue Erkenntnisse gewinnen!
Bei Bernd bedanke ich mich recht herzlich für die tolle Unterstützung, es war ein einzigartiges Erlebnis!
Gratuliere! Deine Energie ist bewundernswert
Danke,
was bleibt einem in Corona Zeiten auch anderes übrig!
Lg Jörg
[…] Schöckl war das zweite Mal seit dem Hirnabszess mein Ziel. Wie schon beim ersten Mal, hat mein Freund Bernd die Idee dazu gehabt und ich war natürlich gerne dabei. Mit meinem Sohn […]