Der Camino - Du bekommst, was du brauchst!

19. Juli 2019
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5 Minuten Lesezeit

Was kann ich vom Camino del Norte mitnehmen, was habe ich gelernt?

Ich konnte in allen Bereichen mein Leben verbessern, zumindest am Camino. Wie ich es Zuhause erlebe, werde ich noch sehen.

Der am Thalamus sitzende Abszess störte das gesamte Körper System. Somit habe ich in allen Bereichen zu trainieren. Meine vorrangigste Arbeit ist es, alles zu Harmonisieren. Auch wenn ich nur im Single-Tasking Modus unterwegs bin, werden auch alle andere Bereiche harmonisiert, mit dem, was ich tue.

Vor der Kathedrale
Vor der Kathedrale in Santiago de Compostela

Ich geh dann mal Leben!

Mit diesen Worten startete ich den Camino und hatte die nächsten Wochen die Zeit und das Ziel dafür, wieder am Leben teilhaben zu können. Ich hatte das Gefühl, dieser Camino würde eine wichtige Rolle in meiner Rehabilitation spielen und ich sollte Recht behalten.

So startete ich also in den Weg, dessen Ziel unendlich weit vor mir lag und den ich "Step by Step" bewältigen wollte. 

Das Leben zelebrieren
Das Leben zelebrieren!!!

Fragen über Fragen

Viele Fragen stellten sich mir in den Tagen vor der Reise. Beantworten würde sie aber nur die Zeit und der Camino selbst. "Du bekommst, was du brauchst, nicht was du möchtest", das sollte sich immer wieder bewahrheiten.

Meine ersten Fragen waren noch sehr auf die Reise bezogen. Das sollte sich aber ändern.     

  • Wie werde ich die Stöcke verwenden können?
  • Wie sehe ich den Camino diesmal. Therapie oder Leben?
  • Kann ich mein Gehen verbessern?
Mit Stöcken am Camino
Mit Stöcken am Camino

Die erste Frage...

...tauchte bereits am ersten Tag auf. Ich nahm diesmal Trailrunning Stöcke mit. Sie sollten mir in den steilen Anstiegen helfen das Gleichgewicht zu bewahren. Letztes Jahr am Camino Frances bin ich in jede Gatschlacke (Dreckpfütze) gefallen, weil ich nicht springen konnte oder über Baumstämme balancieren konnte. Dabei sollten mir die Stöcke helfen.

Dieses Jahr hatte ich aber auch eine andere Einstellung zum Dreck. Was ist schon Dreck? Ich konnte froh sein, ihn überhaupt erleben zu dürfen.

Nichtsdestotrotz, waren mir die Stöcke in manch heiklen Situationen eine sehr gute Hilfe. Ich musste sie allerdings zwischendurch immer wieder wegpacken, um mich nicht zu sehr daran zu gewöhnen. Mein Gleichgewicht verschlechterte sich sofort damit. Darum habe ich am Camino France keine verwendet, um mein Gleichgewicht besser schulen zu können.

Mit Stöcken am Camino

Therapie oder Leben?

Eine weitere, für mich sehr wichtige Frage? Sah ich den Weg als Therapie oder konnte ich ihn auch als wieder Leben sehen. In den letzten Monaten hatte ich ja die Aufgabe, zwischen Leben und Therapie zu unterscheiden. Diese Frage sollte sich als sehr spannend herausstellen. Konnte ich das Pilgern als das Leben sehen oder ist es mehr, wie im letzten Jahr, Therapie?

Therapie

Die ersten 14 Tage des Camino waren definitiv als Therapie zu sehen. Der Weg war ungewohnt steil, hinauf wie hinunter, es sollte kein Honiglecken werden. Das stand gleich einmal fest.

Bereits die ersten Tage zeigten, dass dieser Camino ein anderer war, als wie ich ihn am Camino France erlebte, den ich als einzigen kannte.

Auf und Ab

Es war zwar wie erwartet, aber trotzdem kam es unerwartet. Ständiges Auf und Ab überraschte mich trotz aller Vorbereitung. Aufgrund zahlreicher Berichte anderer, erwartete ich es. Allerdings überraschten mich meine Körperdefizite, das Gehen war weit anstrengender als gedacht.

Es war mir unbekannt, wie mein Körper auf diese Menge an Bergen reagierte. Nach drei Jahren Rehabilitation und Training bedeutete noch jeder Hügel und jeder Berg nach wie vor eine Anstrengung, wie ein Höhenbergsteiger in 7-8000 Meter braucht.

Klettern als Therapie, auch am Camino

Wie werde ich wohl die An- und Abstiege meistern? 

Es kam wie es kam. Bergauf kämpfte ich um jeden Meter und bergab ....war es dasselbe. Ich konnte es nicht "laufenlassen". Schritt für Schritt musste ich auch nach unten steigen. Es war gleich anstrengend wie hinauf. 

Ich war zwar überrascht, aber gleichzeitig motivierte es mich. Denn nur durch TUN konnte ich Verbesserungen erzielen. Dass es eine Herausforderung werden sollte, wusste ich schon vorher.

Der Tagesablauf

Es war überhaupt alles anders, wie am Camino France. Dort war es frühes Aufstehen, dann einige Kilometer bis zur ersten Bar, wo ich Kaffee und Tortillas essen konnte und dann weiter.

Das sollte es hier nicht spielen. Meinen Tagesablauf musste ich umstellen. Als einer der Ersten ging ich gegen sieben Uhr los, das war ungewohnt spät. So früh nehme ich um diese Zeit kein Frühstück zu mir, aber damit wartete bereits die erste große Herausforderung auf mich.

Oft erst gegen Mittag war es möglich, die erste Mahlzeit einzunehmen oder einen Kaffee zu trinken. Bis dahin gab es Nüsse, mein oft trockenes Brot und Wurst. Für solche Fälle hatte ich immer eine Not-Ration dabei, die allerdings zu oft herhalten musste. Es gab viele Herbergen ohne Essen oder Einkaufsmöglichkeit in der Nähe, da musste dann das reichen, was ich als Not-Ration dabei hatte.

Das war eine große Umstellung, denn es gab zwar Dörfer, aber keine mit einer offenen Bar. So konnte ich mich nie darauf verlassen, dass ich bis Mittag etwas zu Essen oder Trinken bekam.

Endlich Pause

Der Camino - Du bekommst, was du brauchst!

Dieser Camino hielt wirklich jederzeit für mich bereit, was ich brauchte, nicht immer das, was ich mir wünschte. Es war beinahe unheimlich, wie er immer wieder das getroffen hat, was ich WIRKLICH brauchte.

In den letzten beiden Wochen war es ein geflügeltes Wort unter uns. Ich war die letzten beiden Wochen und speziell die letzte Woche mit Günter, einem Bildhauer unterwegs. Wir diskutierten viel über das Leben und das Wie und warum es so und nicht anders, mit uns spielt.

Dieses Reflektieren war für mich besonders wichtig, denn es war ein Austausch möglich, wie es mir die letzten Jahre nicht möglich war. Dieses Reden können war die wohl wichtigste Errungenschaft am Camino. Ich brauchte es und habe es bekommen. Es war kein einseitiges Nehmen, ich konnte auch geben. So wurde es ein Geben und Nehmen, das auf Gegenseitigkeit beruhte.

Daher ist der Camino in so vielem die beste Therapie. Er ersetzt natürlich keine professionelle Hilfe. Aber ich bin der Meinung, viele Therapien wären nicht nötig, würden die Menschen den Camino gehen.

Camino versus Reha

Ich "therapierte" dasselbe, wie in der Reha. Physio-, Ergo- und Psychotherapie standen hier täglich am Programm und das unter lebensnahen Bedingungen.

Der Camino gibt dir das, was du brauchst. Man wird täglich damit konfrontiert, bis man es lernt. Ich habe enorm viel gelernt. Am Anfang hatte ich besonders Fuß- und Gelenkschmerzen. Füße, Knie und Hüfte stehen für den geraden Gang durchs Leben. Habe ich dort ein Problem, so hindert es mich an etwas.

Kann ich es lösen, verschwinden auch die Probleme. Sie sind nur ein Aufzeiger dafür, das etwas nicht stimmt. Meine anfänglichen Schmerzen verschwanden komplett. Besonders der rechte Fuß machte Schwierigkeiten. Schmerzen hängen mit dem Denken zusammen.

Ich nahm sie für mich als Thema und arbeitete geistig, anstatt eine Ruhepause einzulegen, wie es viele unterwegs vom Arzt geraten bekommen. Ich ging durch den Schmerz durch und löste es geistig. Von einem Tag auf den anderen war der Schmerz weg und ist bis heute nicht wieder gekommen.

Die Füße zeigten mir, wo es lang geht

Viel zu Erzählen

Es gibt so viel zu erzählen, aber ich schaffe das noch nicht. Mein Denkvermögen ist noch verringert und um das, was ich denke, auch in Worte oder Sprache umzusetzen, fehlt mir noch der Wortschatz.

Ich werde in einem weiteren Teil darüber mehr berichten.


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Ich bin Jörg, wohne in der Nähe von Graz und blogge hier über meinen Weg zurück ins Leben, das ein Hirnabszess 2016 völlig auf den Kopf gestellt hat.
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