Camino France 2023 - Von Pamplona nach Burgos, 2.Teil

16. Februar 2023
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9 Minuten Lesezeit

Camino France 2023 - Von Pamplona nach Burgos, 2.Teil

Nach meinem Ruhetag in Pamplona geht es früh morgens los, in Richtung Burgos. Ich habe keine Eile, denn die erste Etappe sind nur 25 Kilometer, bis nach Puenta de la Reina. Ich bin bestens erholt, nach dem Camino Baztan.

Denn Sonnenaufgang am Alto de Pleia versäume ich zwar wieder, aber auf dem Weg dorthin geht die Sonne auf und die Lichtstimmung ist genau so toll, wie die Jahre zuvor.

Berg auf dem Weg nach Burgos

Mein Plan, weniger Rehabilitation, dafür mehr Leben

Zum ersten Mal achte ich nicht mehr so auf die Bewegung und die Behinderung. Ich lasse mehr das Leben auf mich einfließen und das Erleben bekommt einen neuen Stellenwert. Bisher war ich so mit meiner Bewegung beschäftigt, dass das Leben nebenher stattfinden musste.

Seit dem therapeutischen Tanzen im letzten Jahr, konnte ich einen entscheidenden Schritt nach vorne machen. Meine Wahrnehmung hat sich stark verbessert, so erlebe ich das, was ich sehe, auf intensivere Art.

Auf dem Weg nach Burgos

Plaio del Alto

Der Plaio del Alto ist immer wieder aufs Neue ein Erlebnis, die Aussicht und Lichtstimmung sind toll. Beim Aufstieg habe ich einen Spanier kennengelernt, den ich die nächsten Tage immer wieder treffen werde und mit dem ich mich gut unterhalten kann. Diese einzelnen Begegnungen sind für mich sehr wertvoll, denn sie helfen mir weiter, sozialen Kontakt zu halten.

Allerdings, mehr als drei Leute um mich herum stressen mich. Aber dadurch lerne ich immer öfter soziale Kompetenz und komme Schritt für Schritt weiter.

Am Übergang des Alto del Plaia schaue ich weit ins Land hinein, wo ich die nächsten Tage gehen werde. Solche Fernblicke tun der Seele gut, drum ist es so wichtig nach draußen zu gehen und ins Land zu schauen. Nach dem Alto del Pleia geht es wieder den berüchtigten Schotterweg runter. Ich muss diesmal  nicht so sehr aufpassen, nicht umzuknicken, sondern um nicht zu emotional zu werden.

Alto del Plaia, auf dem Weg nach Burgos

2018 habe ich hier noch bei jedem Schritt vor Schmerzen geschrien, da meine Knöchel noch so schwach waren und ich immer wieder umknickte. So sehr ich wieder leben möchte, so sehr sind diese Momente genauso präsent, wo nicht alles glatt ging oder schwer und unerträglich war. Schritt für Schritt wurden Sie erträglicher, dafür brauchte ich allerdings Millionen und Aber Millionen Schritte, bis es soweit war.

Zu groß sind die Eindrücke gewesen, denen ich ausgesetzt war. Heuer ist es erstmals, daß ich es besser zu-, einordnen und verstehen kann. Der Playo del Alto war damals 2018 ein Hindernis, welches mir ordentlich Respekt einflösste, besonders der Abstieg.

Rioja, das Weingebiet

Diesmal gehe ich, zumindest am Anfang, nicht so weit und lege keine so großen Distanzen zurück, wie in den letzten Jahren. Eher langsam und verträumt gehe ich am Weg und lasse mich voll darauf ein, was die wunderschöne Landschaft bietet. Das Weinbau Gebiet Rioja, mit seiner Landschaft um Logrono, genieße ich und lasse mich immer wieder nieder, um einen Kaffee zu trinken. Wein trinke ich noch immer selten, obwohl mich die Weinhänge und der Weinanbau fasziniert.

Wenn es passt und ich finde ein geöffnetes Cafe, schreibe ich an meinem Buch weiter. Die Schreib-App am Handy und eine faltbare Tastatur muss allerdings reichen, mehr ist aus Gewichtsgründen nicht möglich. Bisher gelingt mir das Schreiben recht gut, besser als erwartet.

In Logrono bleibe ich diesmal nicht, durchquere es nur, um nach Najera zu gelangen. Es sind nur wenige Pilger unterwegs und an diesem Tag sehe ich keinen einzigen unterwegs auf dem Weg.

Morgenaufgänge

Es wird hier recht spät hell, viel später, als ich von zu Hause gewohnt bin. So breche ich fast immer als einer der ersten von der Herberge auf, noch im Dunklen. Während die anderen Pilger noch beim Frühstück sitzen, erlebe ich das Erwachen des Tages draußen in der Natur.

Ein Morgen ist schöner als der andere und niemals gleich. Es ist zwar kalt, aber die Natur entschädigt für so vieles. Es ist meine liebste Zeit am Camino, wenn die Sonne beginnt, sich zu erheben. Das bringt mich immer wieder zur Zeit im Krankenhaus. Monatelang konnte ich nur den Kopf zur Seite zum Fenster neigen und den Beginn des Tages erleben, ohne nach draußen gehen zu können. Daher erlebe ich es jetzt so intensiv, wie kaum was anderes.

Jeder Morgen ist ein neuer Anfang und erinnert mich, den Tag voll auszukosten, egal was ist. Auch in dunkelsten Momenten sehe ich etwas positives und halte daran fest. Denn nicht jeder Tag beginnt mit Sonnenschein, sondern manchmal bewölkt oder mit Regen, sinnbildlich für das Leben. Allerdings schreite ich gerade dann fröhlich vor mich hinsummend oder manchmal auch laut singend, dahin. Dann scheint die Sonne eben in mir drinnen, denn ich darf gerade wieder einen neuen Tag erleben, unabhängig davon, wie das Wetter ist oder die Lage um mich herum.

Bei Sonnenaufgang unterwegs zu sein, zählt für mich mit zu den schönsten Erlebnissen am Camino. Oft bin ich verwundert zu hören, dass manch einer noch kaum einen zu sehen bekam, weil er so spät aufsteht. Ja, auch das gibt es am Camino, jedem wie es gefällt.

Jeder erlebt das, was er braucht, nicht was er sich wünscht, sagt ein Camino Spruch.

Frühstück und Regen

Im Winter haben viele Bars geschlossen und Dörfer präsentieren sich als Geisterstädte. Oft sind es viele Kilometer bis zur nächsten Gelegenheit, ein Frühstück zu bekommen. Dann heißt es, sich auf einer Bank bequem zu machen und trotz der Kälte, etwas zu sich zu nehmen.

Oft ziehe ich es allerdings vor, im Gehen zu essen. Schon in der Früh richte ich mir alles griffbereit her und brauche so nur in die Taschen um mich herum zu greifen, um Brot, Käse oder Wurst zu erreichen. Einzig der Kaffee, mein Lebenselexier am Camino, geht mir dann ein bißchen ab. Aber das nächste Dorf kommt bestimmt und dann wird das eben nachgeholt.

Bei Belorado erwischt mich ein wenig der Regen. Der Poncho ist ebenfalls in Griffweite und schnell übergezogen. Es ist oft ein rauf und runter, je nach Wetter, denn oft sind es nur kurze Schauer, in Abständen. Mein Pilgerfreund Pau aus Spanien, schilderte das Anlegen des Poncho auf eine lustigen Art, dass der gesamte Pilger-Tisch in Tränen vor Lachen ausbrach.

"Ich blieb unter einer neugebauten Brücke stehen, um mir den Poncho anzulegen. Aber irgendwie schaffte ich es nicht, ihn über den Rucksack zu bekommen und ihn herunterzuziehen. Schlussendlich hängte ich mir den Rucksack auf die Arme, der Poncho über mir und vorsichtig versuchte ich den Rucksack hochzuziehen, aber ich verhedderte mich nur noch mehr in Rucksack, Poncho und mir selbst. Nach zehn Minuten Kampf gab ich erschöpft von den vielen Versuchen auf und ergab mich meinem Schicksal.

Erst da bemerkte ich eine Hebebühne, die auf der Brücke über mir stand. Zwei Bauarbeiter beobachteten meinen verzweifelten Versuch, den Poncho anzulegen. In Zeitlupentempo fuhr die elektrische Hebebühne mit einem Arbeiter zu mir herunter. Keine Regung in seinem Gesicht war während der gesamten Fahrt zu sehen, die rund zwei Minuten dauerte. Bei mir angelangt, der ich noch immer erschöpft am gleichen Punkt stand, stieg er aus, zog mit einem kurzem Griff meinen Poncho über den Rucksack, sagte nur "Itś ok!", stieg wieder ein und fuhr im Zeitlupentempo nach oben. Es war eine Slapstick Nummer vom Feinsten. Ich sah im nach, bedankte mich, bis er nach oben wieder entschwand und ging baff weiter."

Pilger Pau

Ja, solche Erlebnisse hält der Camino bereit für einen und macht selbst das Anlegen eines Poncho zum Erlebnis.

Mein Poncho und ich

Herbergen am Weg

Da ich am nächsten Tag vorhatte, in einem Rutsch nach Burgos zu gelangen, suchte ich nach einer offenen Herberge, ein Stück nach nach Belorado. Die Handy Apps sind zwar gut, zeigen aber nicht immer verlässlich an, ob eine Herberge offen hat oder nicht. Da ich mich noch immer mit dem Telefonieren schwer tue, gehe ich meist auf Vertrauen los und es hat mich noch nie getäuscht. Bisher habe ich immer etwas gefunden.

Da ich in Espinoza schon im Februar 2020 genächtigt habe, wollte ich auch diesmal mein Glück versuchen. Beim Herumspielen am Handy, entdecke ich eine Herberge, gedanklich darauf vorbereitet, dieselbe wie damals zu haben. Es gab die Möglichkeit über WhatsApp zu reservieren und so schicke ich auf gut Glück eine Nachricht ab. Und wirklich, es kommz eine Antwort, dass ein Bett zur Verfügung steht.

In Espinoza angelangt, ist es aber nicht die mir bekannte, sondern eine neue, gleich daneben. Sie wird von Sabine und Ulrich aus Deutschland geführt, die mir einen herzlichen Empfang bereiten. Das Haus ist auf eine angenehme Weise eingerichtet und als Pilger fühle ich mich sofort wohl. Die beiden hatten schon eine andere Herberge geführt und wieder einmal, an diesem Ort, eine behagliche Unterkunft geschaffen. Für mich ist es ideal zum Schreiben und später kommt noch Pau dazu und die zwei Koreanerinnen Sunny und Maria.

Schnee auf dem Weg nach Burgos

Schon beim Weggehen im Finsteren liegt Schnee, dabei wartet die lange Querung eines Gebirgszuges nach Villafranka noch auf mich. Im ersten Morgenlicht erreiche ich den Fuß des Berges. Eine tolle Winterstimmung auf den ersten Metern bergauf, lässt mich den Anstieg beginnen. Die folgenden zwölf Kilometer durch den Wald, lege ich durch Schnee zurück.

Normalerweise tänzle ich hier zwischen tiefen Schlammlöchern, diesmal ist aber alles gefroren. Ich bin früh genug dran, dass die morgendliche Kälte alles gefrieren lässt. Da heute ein sonniger Tag wird, werden es die nachfolgenden mit tiefem Boden und Schneematsch zu tun bekommen.

Zu Mittag bin ich in Atapuerca, einem Fundort der Neandertaler. Am Crux de Atapuerca, einer Hügelüberquerung, verweilte ich fast eine halbe Stunde am Kreuz. Tiefe Emotionen begleiten mich, denn wieder einmal wird mir mein Weg von 2018 bewusst und damit auch die Folgen der Krankheit.

Jeder Schritt damals war wie beim Höhenbergsteigen und erschöpft erreichte ich damals das Kreuz auf der Höhe. Damals legte ich meinen ersten Stein hier nieder und kroch mehr, als ich ging. Ich wusste noch nicht, wo mein Leben hinführen wird und wieweit ich ein "normales" Leben wieder führen würde können. Diese paar Höhenmeter, waren damals wie der Everest für mich. Trotz Muskelschwäche und neurologischer Probleme gehe ich diesmal ohne Schmerzen und viel sicherer.

Trotz der Schmerzen, der Gefühllosigkeit in den Füßen und allen anderen Handicaps, war ich damals glücklich, wie schon lange nicht mehr. Ich war überzeugt, alles schaffen zu können, auch wenn es noch lange dauern würde. Mit den Folgen des Hirntumors hatte ich Anfangs keine guten Aussichten, die erst mit der Fahrt zu meinem ersten Camino Frances 2018 eine unglaubliche Wendung nahm.

Nach Burgos

Auf dem Weg nach Burgos war ich nur glücklich. Das Gehen ging leicht und ich war voller Freude darüber. Ich "tanzte" auf dem Weg dahin, dass es eine Freude war. Ich bin wie in einem neuen Leben angelangt. Natürlich muss ich noch aufpassen, denn solche Zustände halte nicht ewig an und es kann schnell anders werden. Aber wichtig ist das Jetzt und diesen Zustand so gut wie möglich zu erleben.

Da ich merkte, dass das viele Schreiben manch alte Sachen hochbringt, vor allem aus dem Krankenhaus, verlegte ich mich mehr aufs Gehen, was ich die nächsten Tage beibehalte.

Schon im letzten Jahr hatte ich hier meine Erfahrungen mit dem Aufkommen von alten Traumas. Diese konnte ich damals am besten mit dem Gehen begegnen, wie auch diesmal, denn es hält mich ganz im Hier und Jetzt.

Ja nicht wieder in Gedankenspiralen geraten, die ich nicht weiter denken kann, wie im Vorjahr. In der Freude und im Glücklichsein bleiben, ist die beste Therapie und das bringt mir das Gehen. Noch schützt mich mein Gehirn, mich intensiver mit diesen Themen befassen zu können. Es ist kein Verdrängen, nur ein Vertrauen darauf, dass alles zur rechten Zeit passiert. Wenn es sein soll, wird es passieren und ich kann es aufarbeiten und verstehen. Bis dahin heisst es, sich in Geduld zu üben und alles so nehmen wie es ist.

Weiter geht es links neben dem Flughafen, in Richtung Burgos. Es ist eine Alternativroute, die viele nicht kennen. Statt entlang einer Straße mit viel Verkehr, wandere ich entlang einem Fluss, gesäumt von einem Park und Bäumen.

Der Weg bringt mich bis kurz vor die Kathedrale in Burgos. Trotz der 50 Kilometer, tun mir die Füße nicht weh. Es ist kaum beschreibbar, in welcher Gefühlslage ich mich befinde. Ich bekomme ein Bett in der Herberge, gehe duschen und danach meine Vorräte aufstocken.

Wieder zurück, esse ich nur eine Tütensuppe, denn ich bin dank der vielen kleinen Happen unterwegs, nicht hungrig.

Die folgenden Tage auf der Meseta, werde ich mich mehr aufs Gehen konzentrieren und weniger aufs Schreiben. Die Gefahr, dass die Traumata überhand nehmen, möchte ich nicht eingehen. Ich folge seit dem Hirnabszess immer meiner Intuition und es hat mich noch nie getäuscht. Darauf kann ich vertrauen.

Ein großer Dank gebührt meiner Therapeutin Hanna Treu vom therapeutischen Tanzen, wo ich die meisten meiner Grundlagen fürs Leben lerne. Am Camino habe ich die Möglichkeit diese auch außerhalb dieses geschützten Rahmen anzuwenden und genauso zu dosieren, wie es mir guttut und anders als Zuhause.

Mein Winter Camino 2020 war schon toll, wird aber von 2023 geschlagen. Was sich seither, trotz Pandemie, in der Wahrnehmung getan hat, ist unglaublich. Dieser Camino ist eine Bestätigung für meinen Weg, wobei das therapeutische Tanzen einen großen Anteil hat.

Wen ich heute daran denke, dass mir eine Ärztin 2017 erklärte, dass sich nicht mehr viel verbessern würde, denn die meisten Fortschritte sind im ersten Jahr danach möglich. Damals konnte ich 300 Meter mit Pausen am Stück gehen und war ein Pflegefall.

Es hat vielleicht lange gedauert, viele Jahre und viel Training, aber mit der Tanztherapie hat sich seit 2019 ein völlig neues Kapitel aufgetan und mir zu einem neuen Leben verholfen.

All mein Gelerntes werde ich auf der Meseta umsetzen und meinem Gefühl vertrauen, was mir gut tut, aber davon dann im nächsten Bericht.

Buen Camino


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2 comments on “Camino France 2023 - Von Pamplona nach Burgos, 2.Teil”

  1. Ich wünsche dir noch viele, weitere und schöne Sonnenaufgänge auf deiner Reise zur inneren Zufriedenheit. Kämpfe weiter, es zahlt sich aus.
    Liebe Grüße Wolfgang Donner

Ich bin Jörg, wohne in der Nähe von Graz und blogge hier über meinen Weg zurück ins Leben, das ein Hirnabszess 2016 völlig auf den Kopf gestellt hat.
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