Camino Portugiese, 2.Teil - von Porto nach Santiago de Compostela

10. Juni 2023
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5 Minuten Lesezeit

Camino Portugiese -  von Porto nach Santiago de Compostella

Der Camino Portugiese, den ich bereits im März absolvierte, hat eine Menge Herausforderungen für mich bereitgehalten, besonders auch danach. In Porto beginnt ja der "schöne" Camino Portugiese, zumindest der leichter begehbare, wo ich mehr genießen konnte.

Nach dem immensen Energie Aufwand von Lissabon bis Porto, wollte ich es ab hier ruhiger angehen. Dafür passte es, dass mein Freund Alexander Rüdiger dazu kommt, der extra für den Camino Portugiese nach Porto kam, um mich hier zu treffen und mit mir die restlichen, knapp dreihundert Kilometer, zu gehen. Bisher waren wir beide zusammen auf allen möglichen österreichischen Jakobswegen unterwegs, diesmal, zum ersten Mal, auf der Iberischen Halbinsel.

Für mich auch ein Novum, denn alle großen Caminos in Spanien, habe ich bisher alleine bestritten, nun erstmals mit Begleitung.  Wir wählen den Küstenweg, meist am Meer entlang führend, mit wundervoller Landschaft. Und so schön dieser Weg auch werden sollte, so ereilte mich unterwegs etwas, das ich gGefühlsmäßig kaum verarbeiten könnte. Aber dazu später.

Am Camino Portugiese

Städte, Dörfer und die Landschaft, am Camino Portugiese

Porto war nach den vielen Tagen alleine ein bisschen viel für mich. Am frühen Morgen ging ich hinunter zum Meer, wo ich mich mit Alexander treffen wollte. Ich war praktisch alleine unter der bekannten Brücke von Porto, bestellte mir einen Kaffee und wartete.

Bald kam er daher und wir gingen gleich los, fort vom inzwischen beginnenden Trubel. Es ging immer entlang des Meeres, manchmal unterbrochen von Holzstegen, die Kilometerlang die Sanddünen säumten. Immer wieder tauchten Dörfer auf, die man durchquerte, um gleich darauf wieder am Grün gesäumten Meeresrand einzutauchen.

Das Wetter beinhaltete von allem etwas. Sonne wechselte mit Regen und einem stetig wehenden Wind ab. Vom kurzen Leiberl, bis zur Fleecejacke und Regenponcho kam alles zum Einsatz, ebenso die Temperaturen, die ein oftmaliges Umziehen erforderte.

Malerische Landschaften mit Meer zeigten mir einen neuen Jakobsweg und eine neue Landschaft. Dieses "neue" tut meinem Gehirn gut, wird aber immer wieder auch zur Herausforderung.

Menschen kennen lernen

Seit Herbst des Vorjahres habe ich eine neue Wahrnehmung, die jede Anstrengung der letzten Jahre wert war. Es ist die Bestätigung dafür, drangebleiben zu sein und nie aufgegeben zu haben.

Im Gruppentraining beim therapeutischen Tanzen lerne ich, wieder mit Menschen oder Dingen in Beziehung zu kommen. Dieses Wissen hilft mir auch am Jakobsweg, Schritt für Schritt, diese für mich neue Welt zu erkunden.

Da bin ich besonders meinen litauischen, französischen Pilgerfreunden und Alexander dankbar, wo ich viel dazulernen konnte. Das alles lässt mich wieder einen Schritt mehr ins Leben treten.

Camino Portugiese, unter Menschen

Die Konfrontation mit dem Tod am Camino Portugiese

Fünf Tage vor Schluss ereilt mich die Nachricht vom Tod meiner Tante. Sie stand mir sehr nahe, war meine Taufpatin und hat mir in den ersten Jahren nach dem Hirnabszess sehr geholfen.

Deshalb war es mir unmöglich, die letzten Wochen weiter am Camino-Bericht zu Schreiben. Mein Herz und Gehirn waren zu sehr damit beschäftigt, es zu verstehen, aufnehmen zu können und die Trauer zu verarbeiten. Trotzdem möchte ich ein bisschen darüber erzählen, über Dinge, die mir noch am Weg passiert sind.

Wir waren gerade am Meer unterwegs, da hatte ich das Bedürfnis, eine in Lissabon gefundene und zum Andenken mitgenommene, portugisische Scherbe am Weg, vielleicht an einem Kilometerstein, abzulegen. Als ich um eine Ecke biege, steht er plötzlich vor mir, ein mit zahlreichen bunt bemalten Steinen umgebener Kilometerstein. Da wußte ich sofort, hier wollte ich ihn ablegen.

Auf den letzten Schritten hin, stolpere ich noch fast über eine vom Winde verwehte Blüte, die ich aufheben und zur Scherbe dazulegte. Es ist für mich stimmig und passte.

Dann nur ein paar Stunden später, bekam ich die Nachricht vom Tod meiner Tante. Mein Ablegezeitpunkt der Scherbe, war um den Zeitpunkt ihres Todes.  Ich erinnerte mich noch daran, dass Sie oft in Portugal auf Urlaub war und eine besondere Beziehung zu diesem Land hatte. So bekam diese Scherbenniederlegung eine besondere Bedeutung für mich.

Meine Tante war es auch, die mir die letzten Vorbehalte vor meiner Reise zum Camino nahm und mir nachdrücklich sagte: "Mach es, mach es!"

Scherbe am Camino Portugiese abgelegt

Der Regenbogen

Für mich hieß es allerdings aufpassen, mir nicht zuviele Fragen wegen ihrem Tod zu stellen, denn da behindert mich noch immer das Nicht-Weiterdenken können. Ich durfte nur ja nicht in Gedankenschleifen verfallen, denn das konnte meinen Körper komplett durcheinander werfen.

Mir kam das eine oder andere Erlebnis mit Ihr in Erinnerung und immer öfter kam die Frage auf, ob es ihr jetzt gut geht? Vielleicht könnte sie mir ein Zeichen geben, so wie mir immer wieder die Krafttiere erscheinen, um mir etwas mitzuteilen.

Am nächsten Tag ging ich mit Alexander einige Höhenmeter über dem Meer, auf das wir immer wieder hinunterschauten. Es war regnerisch und zwischendurch schien die Sonne. Auf einmal sehe ich eine große Brücke unter mir, mit einem großen Regenbogen  über sich, wie ich ihn in einer solchen Pracht noch nie gesehen habe. Die Bilder können es nur Ansatzweise zeigen, wie es wirklich war. Es ist, als ob meine Tante damit herunterschaut, um mir zu sagen, dass alles OK ist.

Es sind komische weitere Tage, wo ich die Trauer im Gehen verarbeite. Die Gespräche mit Alexander bringen mich immer wieder auf andere Gedanken. Mit Begegnungen am Weg tue ich mich noch schwer, versuche aber mich darin zu üben, um dem Leben mehr Chancen zu geben. Trotzdem verbringe ich immer wieder viele Kilometer alleine, um meine Gedankengänge verarbeiten zu können.

Die letzten Kilometer nach Santiago

Da ich mich seit dem Hirnabszess in einem ständigen Lernprozess befinde, speziell um auch wieder mit Gefühlen umgehen zu können, war es diesmal eine besondere Herausforderung, mit dem Gefühl der Trauer umgehen zu können. Bis heute kann ich in Bezug auf die Trauer noch nicht weinen, was so viel erleichtern würde.

Der Weg nach Santiago war noch nie so wie diesmal. Ich genoss die Strecke und kurz vor Santiago eröffnet sich ein schöner Blick auf die Kathedrale. Den Einzug auf dem Platz vor der Kathedrale war ich nachdenklich und still und ich zog mich an den Rand zurück, wo ich mich hinsetzte.

Camino Portugiese, vor Santiago. Die Kathedrale im Blickfeld.

Einige Pilgerfreunde waren anwesend und man freute sich gemeinsam über das erreichen des Zieles. Alex und ich holten uns die Compostela und verabredeten uns mit anderen Pilgern für den Abend zum Essen und anschließend für den Gottesdienst in der Kathedrale.

Es war das erste Mal, dass ich daran teilnehmen wollte. Die Jahre zuvor war es mir nicht möglich und diesmal nur Aufgrund der Gruppe. Den schwingenden Weihrauch Kessel erlebte ich bisher noch nie live, aber durch meine Verbesserte Wahrnehmung wollte ich es unbedingt versuchen. Es wurde ein Erlebnis, nach so vielen Caminos zum ersten Mal den Botafumo zu sehen.

Resümee

Der Camino Portugiese war zusammen mit dem Camino Frances ein weiterer Meilenstein in meiner Rehabilitation. Im großen und ganzen ging ich erstmals diese zwei Monate in einer neuen Wahrnehmung.

Das ist für mich umso bemerkenswerter, da ich dieses Mal nicht auf Verbesserung fokussiert war. Dafür war ich noch mehr auf die kleinen Dinge aus, die mir den Tag verschönern. Das waren Schmetterlinge und Insekten am Weg, aber auch Pflanzen und Blumen oder sonstige Wegbegebenheiten und Ausblicke.

Ich genoss diese bessere Wahrnehmung und am meisten freute mich, dass der Schwindel viel seltener auftrat. Jahrelang ging es nur in kleinsten Schritten vorwärts und das Ergebnis freute mich, immer drangebleiben zu sein und motiviert mich, auch weiterhin Dranzubleiben.

Allerdings bin ich mit dem Tod meiner Tante an Grenzen gestoßen, die den Fortschritt relativieren. Vorsichtig zu sein, wird auch in Zukunft wichtig sein und meinen Zustand gut zu spüren und wie weit ich gehen kann. Denn mein Limit kann unverhofft schneller da sein, als ich oft glaube.

Camino Portugiese, am Praza do Obradoiro in Santiago angelangt.

Überschreite ich dieses Limit, setze ich alles aufs Spiel und brauche danach lange, um wieder dorthin zu kommen, wo ich war. Daher bleibt es oft noch immer eine Gratwanderung, wie ich vor wenigen Wochen erfahren durfte.

Auf den Erfahrungen dieser zwei Monate kann ich aber aufbauen und trotz mancher Rückschläge, geht es vorwärts. "Gehen als Medizin", habe ich noch nie so intensiv gespürt, wie diesmal.

Also bleibe ich dem Gehen treu, denn es bildet die Basis für meine Genesung.

Ultreia


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2 comments on “Camino Portugiese, 2.Teil - von Porto nach Santiago de Compostela”

  1. Deine Berichte sind faszinierend, es kommt mir vor, als ob ich selbst dabei bin. Danke für deine ausführliche Schilderung, das Gesehene und deine Gefühle. Alles Liebe
    CJ

    1. Danke, dabei war der letzte für mich schwer zu schreiben.
      Demnächst kommt wieder mehr, denn ich bin die nächsten Wochen und (hoffentlich) Monate in Schottland und England unterwegs, meiner bisher längsten Wanderung.
      🙏🤗

Ich bin Jörg, wohne in der Nähe von Graz und blogge hier über meinen Weg zurück ins Leben, das ein Hirnabszess 2016 völlig auf den Kopf gestellt hat.
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