Für den Weg von Logrono nach Burgos, benötigt man einige Tage. Zuerst noch schön, wechselte bald das Wetter. Es wurde bitterkalt und es begann zu schneien. Schnee hatte ich bisher noch nicht einmal auf meinem Wintercamino erlebt.
Als am 1.April der erste Pilger in der Herberge aus dem Fenster blickte und sagte das Schnee liegt, glaubte jeder an einen Aprilscherz. Es war aber Realität.
Von Logrono aus der Stadt hinaus, übte ich sehr foccusiert an meinem rechten Beinabdruck. Seit den Nierenkoliken ist meine Halbseitenlähmung wieder stärker spürbar und ich muss das rechte Bein stärken. Konnte ich schon recht gut in nicht zu schweren Gelände gehen, so musste ich mich jetzt selbst auf Asphalt, auf jeden Schritt konzentrieren. Schon von den Pyrenäen weg habe ich mich daher nicht viel mit anderen Pilgern unterhalten, den die
ses Multitasking, Gehen und Sprechen, strengte an. Viele Kilometer legte ich so alleine und in Stille zurück. Es sind zum Glück nicht allzuviele Pilger unterwegs, so ist meine Kommunikation auf ein Minimum gestellt. Es ging durch zahlreiche Dörfer, die ich mittlerweile ja schon recht gut kenne.
Dazwischen wechselten steile Anstiege mit Abstiegen ab. Es war einfach nur wunderschön in dieser Gegend zu sein, an meinen Defiziten zu arbeiten und das Leben zu genießen. Der März fällt noch in den Winter, daher hat nur hin und wieder eine Bar, ein Cafe oder Herbergen geöffnet. Es waren aber schlußendlich doch viel mehr, als auf meinem Wintercamino, im Jänner und Februar 2020.
So ging ich von Dorf zu Dorf, aber selten mehr als 20 bis 25 km. Eigentlich wollte ich unterwegs gerne schreiben und malen, aber zum Hinsetzen war es zu kalt und die Pausen in den Bars inspirierten mich nicht. So achtete ich in erster Linie auf meine Propriozeption, meine Bewegung im allgemeinen und schaute auf die Kleinen Dinge am Wegesrand.
In Granion, einer Herberge in einer alten Kirche, nahm ich wiedereinmal Quartier. Hier spiegelt es das frühere Herbergs Leben am besten. Man nächtigt auf Turnmatten am Boden und es wird gemeinsam mit den PilgerInnen am Abend gekocht und gegessen.
Danach sitzt man zusammen im Kreis und jeder erzählt etwas über sein Leben oder etwas am Weg Erlebtes. Dabei ist es finster und nur der Sprechende bekommt eine Kerze in die Hand. Da ich der einzige Deutschsprachige war, habe ich natürlich wenig verstanden, was die anderen sagten. Aber allein am Ausdruck der Gesichter konnte man erkennen, wie sehr der Weg manche bisher verändert hat.
Für mich war es der Augenblick, wo ich erkannte, dass mein Ziel "zurück ins Leben" eigentlich erreicht ist. Mit meinen Defiziten bewege ich mich mal besser, mal schlechter durchs Leben. Es darf mich aber nicht vom Leben abhalten.
"Es ist wie es ist, weil es ist und nicht weil es gut ist."
Da ich noch immer "Dranbleiben" möchte, um das Erreichte zu halten oder zu verbessern, kann ich lange auf dieses "zurück ins Leben" warten oder eben gleich Leben. Dazu gehört eben einmal Therapie und an mir arbeiten. Wieder Leben zu können, macht eigentlich nur der mentale Zustand aus. Also zu Ende mit dem "zurück ins Leben" und einfach damit glücklich sein, mit dem was ist. Glücklich sein auch mit Therapie und mit dem allem, was dazu gehört. Es gehört zu mir, wie alles andere auch. Bisher haz es mich vom Leben abgehalten.
Diese Erkenntnis hatte ich in Granon und konnte sie diesmal auch Verinnerlichen. Denn gewußt habe ich es schon länger, bis zur Umsetzung und zur Verinnerlichung dauert es eben.
Am Morgen wachen wir mit Schnee auf. Minusgrade und leichte Schneegrundlage auf den Wegen und der Landschaft ließen mich als äußerste Schicht den Anorak oft auch Tagsüber verwenden. Der kalte, schneidende Wind machte es nicht gerade angenehm.
Trotzdem pfeife ich beim Gehen fröhlich dahin. Das Wetter kann mir nichts anhaben, egal wie es ist. Erinnerungen aus dem Krankenhaus kamen allerdings immer wieder hoch. Aufstehen war mir damals unmöglich, geschweige denn konnte ich gehen, noch hatte ich eineAussicht darauf. Ich war Bettlägrig, ein Pflegefall und das für längere Zeit. Von alldem bekam ich nichts mit und konnte ich auch nicht denken. Beim Blick aus dem Fenster war immer wieder auf einen entfernt liegenden Hang mit Wiese und Obstbäumen gerichtet. Das Grün sog ich auf und inhaliert es. Auch wenn alles triest aussah, ich wollte wieder auf eigenen Füßen spazieren können. Derweil musste der Blick darauf genügen.
Niemand wollte oder konnte mir sagen, wie es um mich steht. In Wirklichkeit war es ein Kampf um Leben oder Tod, den ich aber nicht mitbekam. Ich akzeptierte mein Befinden und tat alles, was ich konnte, um es zu verbessern. Das gilt auch heute noch.
Der Schneefall hier in Spanien glich dem im Krankenhaus. Der grüne Hang gegenüber, war eines Tages plötzlich bedeckt vom Schnee. Es hatte Ähnlichkeit mit der Überzuckerten Landschaft hier in der Gegend um Granon.
Während des Gehen drückte es mir oft die Tränen heraus, denn die Gefühle von damals sind noch stark in mir vorhanden - und auch jetzt beim Schreiben kollern mir die Tränen herab. Ich konnte zwar schon viel am Walkabout verarbeiten, aber die Krankenhauszeit war doch sehr intensiv und ich hatte noch keine professionelle Hilfe dazu.
Das ist mein vierter großer Camino und er ist noch immer nah am Wasser gebaut. Den Tränen lasse ich freien Lauf, denn zulange waren meine Emotionen und Gefühle aufgetaut oder konnte sie nicht zulassen. Da habe ich viel nachzuholen.
Am frühen Morgen stieg ich den Anstieg zum Kreuz hoch. Der Schneebedeckte Weg machte den Aufstieg einfacher, als die Jahre zuvor im Trockenen. Beim Losgehen noch Schneefall, stand ich beim Kreuz von Wolken umringt. Irgendwo an diesem Haufen unter dem Kreuz liegt auch ein Stein von mir, von 2018. Wieder kommen Erinnerungen von damals hoch, wie ich mich hier hochschleppte, mühsam auf den Beinen hielt und jeden Schritt mir hart erkämpfen musste.
Die Gedanken gingen wirr umher und es überraschte mich, dass ich noch immer so stark auf alte Geschichten reagierte.
Das Plateau war mit Schnee voll und ich machte mich nach einer Fotopause an den Abstieg. Ich merkte mein rechtes Bein, welches merklich schwächer war, als das linke. Die Anstrengung des Aufstiegs und die Kälte hatten auf das von der Halbseitenlähmung geschwächte Bein ihre Auswirkungen.
Vorsichtig und langsam stieg ich bergab. Jetzt wartete noch die 10 Kilometer Gerade nach Burgos. Die Hauptstraße vermied ich und nahm den Alternative entlang des Flughafens und später am Fluss entlang. So spazierte ich unter aufkommende Sonne dahin und kam mitten in Burgos an der Kathedrale an. Einen Stempel holte ich noch und ab ins Quartier.
Somit habe ich 285 Kilometer seit dem Start in Frankreich hinter mir und rund 6.000 Höhenmeter.
Am 03.04.2022 hat Leon-Kastilien eine Inzidenz von 270. Im Vergleich dazu Österreich mit über 1800.
Es besteht Maskenpflicht in Innenräumen, wie zum Beispiel in Bars, außer am Sitzplatz. In den Herbergen ist ebenfalls Maskenpflicht, aber es es gibt kaum noch Beschränkungen bei der Belegung der Betten.
Kommt man durch größere Städte, sieht man mehr Maskenträger auf der Strasse. Es bleibt einem aber frei, ob man eine aufsetzt. Speziell ältere Menschen haben eine medizinische Maske auf, selbst im Park, bei großem Abstand. Allerdings hat es derzeit auch "Vorteile", wegen der Kälte.
Jetzt freue ich mich auf die Hochebene, die meist auf 800 bis 900 Höhenmeter liegt. Rund 250, großteils flache, Kilometer warten auf mich und unter anderem die Stadt Leon.
Auf den endlosen Geraden hat man viel Zeit zum Überlegen und nachdenken oder aber auch, nicht zu denken. Bin schon neugierig, wie ich das hinbekomme.
Buen Camino, auch allen Zuhause gebliebenen!
Link zu: Über die Pyrenäen
Link zu: Das Glück des Augenblick am Camino Frances
Toll, wie du das alles meisterst! Viel Erfolg und bleib gesund, komm gut heim
„Ja, wir weben unseren eigenen Lebensteppich. In jeden Faden, den wir ziehen, stecken Freud & Leid, all unsere Erfahrungen lassen dieses, mein, dein individuelles Muster entstehen. Viele Tränen bedecken den so entstehenden Teppich, so auch Freudentränen, die den Teppich auch bunt in schillernden Farben zum Erleuchten bringen. Dann ,ein langer ,oder kurzer schwarzer Faden bringen die notwendige Stille Zeit mit hinein, indem HeilWerdung entstehen darf.Jeder Teppich von jedem Menschen ist Einzigartig, denn wir Alle sind Göttliche Wesen& irgendwann wird mein letzter Faden gezogen werden& ich gehe wieder nachhause zum Ursprung zur göttlichen Quelle zurück.Ja, der Zeitpunkt wird kommen, indem mein letzter Faden reißen wird, möge ich diesen Augenblick auch gut Annehmen können.
Darum bete & bitte ich& erfreue mich zur Zeit noch am Weben meines bunten Lebens Teppichs.“
Lieber Jörg!
Ich habe bei meinem letzten Kommentar vergessen, mich bei dir für die speziellen EindrucksVollen Aufnahmen zu bedanken und die Schilderungen „ Deines speziellen Weges!“
Der Baum mit den vielen knorrigen Alten Ästen, auf denen sich unzählige Geist Wesen zeigen.
Die Pilger Unterkünfte in ihrer kargen Einfachheit machen mich demütig , und lassen mich erkennen, in welchem Luxus wir leben, und trotz der Fülle, in der wir uns befinden manchmal uns bejammern wegen Kleinigkeiten ,die uns angeblich fehlen , um endlich glücklich sein zu können.
Da wir doch Alle mittlerweile wissen sollten, dass das wahre Glück nur in uns Selbst zu finden ist. Und, dass es an der Zeit ist, endlich im Hier & Jetzt anzukommen.
Im Augenblick, diesen besagten Augenblick schön gestalten , denn aus diesem entsteht doch ein zufriedenes Morgen.
So einfach und doch so schwer ist diese Übung umzusetzen.
Du erscheinst mir ein Guru zu sein. So wie du vor dem brennenden Kaminfeuer in totaler Zufriedenheit in die Kamera blickst, so ein Blick, der sagt:“ Ich komme mit meinem wahren Selbst immer mehr in Kontakt, werde Eins mit diesem und bin glücklich, so wie es Jetzt gerade ist!!“
Du bist für mich „ Der Pilger“ ,der allen Widrigkeiten trotzt, der Kälte mit dem Schnee...der jede Wetterlage in Gelassenheit annehmen kann und sich einfach FreudVoll , nach dem Motto“ Das Ziel ist der Weg“ auf den Weg gemacht hat , einfach um des Gehen Willens unterwegs zu sein, und Eindrücke wie einen Schwamm aufzunehmen. Dankbarkeit macht sich in deinen Aufnahmen breit:“ Am Leben zu sein,“jeder Herausforderung MutVoll zu begegnen,
Um irgendwann „ am Ziel“ anzukommen. Das Du Selbst bist in All Deiner Göttlichkeit & wahren Inneren Schönheit, die du bereits nach Außen ausstrahlst!
Namaste‘
„ Ich verneige mich vor dem Ort in dir, indem der Ganze Kosmos wohnt.Ich verneige mich vor dem Ort der Liebe, des Lichts und des Friedens.Ich verneige mich
vor dem Ort wo, wenn du an dieser Stelle bist & ich an dieser Stelle bin, es nur das Eine von Uns gibt!“
Ja, Dankbarkeit gegenüber dem Leben ist wohl am meisten in mir.
Gehen ist meine Medizin und der Camino mein Therapieplatz. Er gab mir das Leben zurück.
Mein Luxus ist es, am Leben zu sein und ich bin glücklich darüber. Ich brauche nicht viel und kann besonders hier, mit sehr wenig, viel Freude erfahren.
LG Jörg 🙏