Nun folgt der Abschnitt zum südlichsten Punkt in Kärnten. Ich hatte zwar das Gefühl, mit dem Walkabout und dem Erreichen des westlichsten Punktes von Österreich mein persönliches Ziel erreicht zu haben, aber natürlich wollte ich die Runde um Österreich zu Ende gehen.
So hatte jeder Abschnitt seine bestimmte Aufgabe und ab jetzt konnte das Leben und das Genießen im Vordergrund stehen. Dadurch, dass ich schneller war als gedacht, konnte ich auch öfter ein Zimmer nehmen, was es für mich viel einfacher machte, obwohl ich das Zelten liebte. Die Regeneration war doch um einiges besser und ich musste einsehen, dass mein Körper noch nicht so funktionierte, wie ich gerne gehabt hätte.
Es war "mein" Walkabout und das machte ihn so besonders. Es ging zum ersten Mal nicht darum, etwas verbessern, therapieren oder trainieren zu wollen, wie bisher am Jakobsweg. Ich hatte nur das Ziel, durch Österreich zu gehen und die entferntesten Orte aller Himmelsrichtungen zu besuchen. Allerdings, dass wirkliche Ziel lag in mir selbst. Kilometer, Tage, Strecke waren mir eigentlich egal. Ich entschied immer erst in der Früh, welche Strecke ich nehmen wollte oder tagsüber wie weit ich ging. Ich wollte frei sein und mich meiner Fesseln der Krankheit entledigen.
Ich wusste es zwar, aber richtig aufgefallen ist es mir erst in Bangs/Vorarlberg, als ich auf dem Weg zurück nach Feldkirch plötzlich die Sonne von vorne hatte. Bisher war ich mit der Sonne im Rücken nach Westen unterwegs. Ab sofort sollte mir die Sonne am Morgen ins Gesicht scheinen. Ein wesentlicher Unterschied, denn damit war ich, physisch wie psychisch, auf dem Weg nach Hause.
Noch lagen über 800 Kilometer vor mir, je nachdem, welchen Weg ich einschlagen wollte. Für mich war es fix, ich wollte den Jakobsweg zurück über Südtirol versuchen. Das war irgendwie auch im Sinne des Walkabout, meine Identität zu finden. Denn eine meiner Wurzeln liegt in Südtirol, genauer gesagt in Meran, wo meine Vorfahren herkamen. Nur rund 50 Kilometer ging ich daran vorbei, wahrscheinlich auch deshalb meine Liebe zu den Bergen.
Es war ein eigenartiges Gefühl, dass mich jeder einzelne Schritt näher nach Hause brachte. Ich ging von Früh bis Abends und legte, für mich, große Strecken zurück.
An einem Tag ging es von Feldkirch zurück bis an den Fuß des Arlberg. Ich übernachtete in Stuben, wo ich mir ein Zimmer über booking.com buchte. Da die meisten Hotels erst im Laufe des Juli aufsperren werden, wurde ich nicht im gebuchten, sondern im Haupthaus untergebracht. Ein Luxus, den ich nicht erwartete, hatte ich doch aufs Geld zu schauen.
Mit durchgeschwitzten Gewand und abgekämpft saß ich im Empfangsbereich eines gut ausgestatteten Hotels und trank Kaffee, während mein Zimmer vorbereitet wurde. Meine Erscheinung passte nicht ganz hierher, aber das machte nichts. Trotzdem fühlte ich mich wie ein Waldläufer, der nach Wochen der Wildnis wieder einmal die Stadt betrat.
Die Annehmlichkeiten des Zimmers nutzte ich voll aus, wusch meine Kleidung und bereitete mich auf den nächsten Tag vor, der Überquerung des Arlberg. Schon um 5 Uhr früh schlich ich mich aus dem Hotel, welches noch im Tiefschlaf lag.
Der Aufstieg zur Passhöhe stand mir bevor und danach wollte ich Landeck erreichen, was einen langen Tag bedeutete. Mein Weg führte mich zuerst Großteils über die Straße, da ich den Aufstieg über die Schneefelder meinen Knöcheln, wegen der fehlenden Tiefensensibilität, nicht zumuten konnte und wollte.
Im Schnee kommt die fehlende Propriozeption stärker zur Geltung, besonders bergauf. Egal ob Schnee, tiefer Sand oder hohe Wiese, ich tue mich schwer und es erschöpft mich schnell.
Schon so früh am Morgen den Arlberg zu überqueren, war ein tolles Gefühl. So alleine zu sein zwischen den hohen Gipfeln, inmitten des Schnees und der grünen Wiesen - ich war glücklich das Erleben zu dürfen.
Mir stand aber auch ein weiter Weg bis nach Landeck bevor. Bis dorthin wollte ich nämlich kommen, um wieder am dortigen Campingplatz zu übernachten. Ab Sankt Anton führte mich der Weg entlang der Rosanna zurück nach Landeck, meist am Radweg. Die letzten Kilometer ging es noch auf Single-Trails überraschend steil bergauf, bergab, ehe ich Landeck erreichte. Zufrieden schlug ich dort mein Zelt auf, hatte ich doch nur zwei Tage von Feldkirch hierher gebraucht.
Gehen war mein Leben geworden und gab mir Sinn. Wenn ich genug gehe, funktioniert auch alles andere besser. 10 Minuten stehen oder mit der Straßenbahn fahren, kann so anstrengend sein, weil ich dafür jeden Muskel für die Stabilisierung brauche und schnell ermüde. Durch die Muskelschwäche kann ich diese aber nicht wirklich trainieren. Gehen ist noch das Einfachste, wenngleich mir noch immer die Automatik fehlt.
Einen Fuß vor den anderen setzen, ist eigentlich alles. Im Prinzip schleudert der andere dann von alleine nach vorne und ich brauche kaum Kraft dazu. Was anderes ist Höhersteigen. Hier muss ich aktiv das Bein noch vorne oben bewegen. Daher gerate ich bei Bergen sehr schnell ans Limit, wenn es steil wird. Mich am Limit zu bewegen ist begrenzt, daher habe ich gehörig Respekt vor den hohen Bergen. Der Grad zwischen "geht" und "geht nicht mehr" ist sehr gering. Darum führe ich auch Biwaksack und Zelt bei mir, um mich jederzeit niederlegen und den Tag beenden zu können, egal wo ich bin.
Auch am nächsten Tag bin ich erneut wieder früh aufgebrochen, ich wollte erneut Stams erreichen und im dortigen Stift übernachten. Hier gab es ein Pilgerzimmer, für das ich mich am Vortag anmeldete. Am späten Nachmittag kam ich an und wurde von Frater Lukas herzlich empfangen. Ich entschied mich spontan im Stift einen Ruhetag einzulegen, der mir vor dem Weg durch Südtirol sicher guttat.
Ich konnte am Stiftsleben teilnehmen, was sehr interessant war. Gemeinsames Essen mit den Mönchen, Chorgesang und viel Ruhe taten mir gut. Es war eine willkommene Abwechslung und mein erster richtiger Ruhetag am Walkabout. Trotz der vielen Kilometer die ich täglich ging, stand das Leben und Genießen im Vordergrund.
Mit Frater Lukas gab es tolle Gespräche und Einblick in das Stiftsleben. Zur selben Zeit war eine Gruppe von BloggerInnen zu Gast im Stift und sie berichteten über das Stift. Hier ein Bericht von https://www.travelworldonline.de/auszeiten-kloster/, in dem auch ich mit meinem Walkabout vorkomme.
Vor Südtirol stand allerdings noch der Brennerpass am Programm. Ich kannte ihn bisher nur von Autobahnfahrten, mit viel Verkehr und laut. So war mir das Stubaital in Erinnerung, als schneller Alpenübergang. Es wurde dann eine faszinierende Wanderung durch ein Tal, dass Abwechselnd ruhig war und dann wieder von der Autobahn beherrscht.
Es war toll, zumindest die österreichische Seite, mit den Füßen zu entdecken. Allerdings waren die Wege nicht sehr viel begangen und deshalb oft sehr zugewachsen. Das erschwerte das Vorwärts kommen. Besonders die Abschnitte, die nur für den Jakobsweg waren, gab es dieses Jahr nicht, da dieses Jahr anscheinend kaum wer unterwegs war.
So stand ich vor einem mit Hüfthohen Gras bewachsenen Hang ohne Weg. Eine entfernt sitzende Bäuerin rief mir zu und deutete mir, geradeaus nach oben durch die Wiese zu gehen. "Es san no net viele heuer vorbeikommen, einfach grod die Wiesen hoch!", rief sie mir zu. Normalerweise gehe ich durch keine Wiese mit hohem Gras, aber die Bäuerin winkte energisch nach oben. Also stapfte ich Schritt für Schritt den Hang hinauf, wo das tiefe Gras sich wie tiefer Pulverschnee anfühlte.
Solche Abschnitte bringen mich ans Limit, denn mein Gehirn kann die Eindrücke nicht zusammenbringen, die auf mich einwirken. Das Sehen, das Empfinden und das Fühlen, alles auf einen Nenner bringen. Da kann ich nur abschalten und muss durch, bis ich nicht mehr kann. Dann Pause, Augen zu, den Puls zur Ruhe kommen lassen (zumindest der Versuch), versuchen alle äußeren Reize auszuschalten und nach einigen Minuten wieder weiter.
Zu oft am Tag darf ich das allerdings nicht machen, denn ich bin allzu schnell auf Null und dann geht gar nichts mehr. Wegen der Muskelschwäche muss ich extrem aufpassen. Daher tut mir Gehen als Ausdauertraining gut, denn mit gesteigerter Ausdauer kompensiere ich fehlende Kraft. Das lässt mich auch zuhause im Alltag länger durchhalten.
Den Brenner erlebte ich so anders, als ich ihn bisher kannte. Viele Steige und Wege führen abseits der Autobahn und zeigten mir ein völlig anderes Bild, als ich vom Brenner im Kopf hatte. Da kam es wieder einmal zum Vorschein, was es ausmachte, sich die Heimat zu Fuß, Schritt für Schritt, zu erwandern. Es gab auch Abschnitte neben oder unter der Autobahn, im Gegenzug dazu aber auch stille und ruhige Wege, abseits vom Verkehrslärm, inmitten grüner Wiesen.
Einige "Wahrnehmungstests" standen auch am Programm, besonders eine lange Hängebrücke blieb mir in Erinnerung. Mein Gehirn kann noch nicht die Bilder zusammenfügen, vom Blick in die Tiefe, der Luft um mich herum und das ich sicher stehe. Am Camino del Norte 2019 brauchte ich einmal 30 Minuten Erholung, um nach einer langen Brücke über einen Meeresarm weiterzugehen. Eine Brücke wie diese hier, hätte ich vor zwei Jahren kaum geschafft.
Ich erreichte später als gedacht die Passhöhe am Brenner und war überrascht vom Treiben auf italienischer Seite. Viele offene Cafés, mit Sitzgelegenheiten im Freien und voll mit Menschen. Ich kaufte ein wenig Verpflegung für den Moment ein, denn ich wollte noch das 15 Kilometer entfernte Sterzing erreichen. Am Radweg ging es entlang ins Tal, nicht wissend, dass ich viele Kilometer in den nächsten Tagen auf Asphalt verbringen würde. Das war die italienische Seite, völlig anders als im Stubaital.
In mir reifte der Entschluss, auf diesem Radweg Italien so schnell wie möglich hinter mir zu lassen. Nach einem wilden Abstieg auf einem schmalen Pfad, vom mittlerweile auf einer ehemaligen Bahntrasse führenden Radweg, erreichte ich Gössensaß. Von hier war es nicht mehr weit nach Sterzing. Kurz kam mir in den Sinn, über den Jaufenpass in Meran vorbeizuschauen, um von dort über Bozen, wieder nach Österreich zu gelangen. Die Corona Situation war zwar gerade gut, aber für mich war das Handling mit den Regeln im Ausland doch zu schwierig und ich verwarf den Plan. Um meine Identität zu finden, war der Weg durch Österreich genug, wenn es auch interessant gewesen wäre, meine Südtiroler Wurzeln zu suchen. Dafür gibt es ein andermal, da bin ich mir sicher.
Von Sterzing führte mich der Radweg vorbei an Franzenfeste mit seiner Festung, weiter nach Aicha und Sankt Sigmund, wo ich übernachtete. An solchen Tagen wünschte ich mir, Laufen zu können. Für Nachmittag bis Abend waren schwere Gewitter vorausgesagt und die schwarzen Wolken trieben mich lange vor sich her. Mein Schritt war nicht schnell genug und das Gewitter holte mich auf den letzten Kilometern ein.
Ich fand in St. Sigmund sogar eine Pension für Jakobsweg-Pilger und war wieder einmal gut aufgehoben. Am nächsten Tag lag Bruneck auf meinem Weg. Es war die erste Gelegenheit des Tages, an Kaffee und ein Frühstück zu kommen. Zunächst noch alleine durch ein paar Gassen, steuerte ich schnurstracks auf die Innenstadt zu. Plötzlich stand ich inmitten des Treibens und bekam fast eine Schock. Fast alle Menschen auf der Straße waren mit Maske unterwegs, nur auf den Sesseln vor den Cafés nahmen sie sie ab. Was für ein Unterschied zu Sterzing und die ersten zwei Tage in Südtirol.
Hier hatte alles eine Schwere, was mit der bisherigen Lebensfreude in Italien nicht zusammen passte. Meine Erfahrung über Italien bekam einen Dämpfer. In jedes Geschäft durften nur drei Personen, der Rest hatte draußen zu warten. Mein Gehirn kam nur langsam damit zurecht, denn ebendiese Veränderungen waren der Grund, dass ich nicht weiter weg in Ausland, zum Camino in Spanien, gegangen bin.
Mein Gehirn braucht zu lange, um es zu verstehen und reagieren zu können. Darum wollte ich eigentlich in Österreich bleiben und wagte nur den kurzen Abstecher nach Südtirol. Meine Kaffeepause ließ ich mir aber nicht vermiesen, trotzdem kehrte ich der Stadt recht bald den Rücken und war wieder alleine am Radweg unterwegs. Hier fühlte ich mich besser aufgehoben und in meinem Element. Zu Gehen bedeutete mir viel, viel mehr als alles andere.
Die meiste Zeit ging ich am Radweg. Kilometer um Kilometer verstrichen und ich genoss es, zu gehen. Dass es Asphalt war, war mir egal. Ich wollte unterwegs auf einem Campingplatz übernachten, aber dort angekommen, war kein Platz mehr für mein kleines Zelt frei. Für € 25,- hätte ich allerdings einen 90 m2 Platz bekommen, mit Strom und Sat-Schüssel Anschluss. Für ein 1-Mann Zelt ein bisschen überdimensioniert und außerdem war es mir zu teuer. Lachend lehnte ich dankend ab und spazierte weiter.
In Toblach fand ich zuerst nichts, außer Hotels über € 100,- die Nacht, was mir dann doch auch zu teuer war. In Gedanken bereitete ich mich schon auf eine Nacht im Zelt vor, als ich plötzlich eine Jugendherberge fand. Ein altes, früher großes Luxus-Hotel, wurde zu einem Hostel umfunktioniert. Wegen Covid war pro Zimmer nur eine Person erlaubt und es kostete mich nur € 30,-.
Erleichtert und glücklich ließ ich mich ins Bett fallen, denn für diese Nacht waren Gewitter vorausgesagt. In der Nacht tobten dann wirklich Gewitter und ich war froh, nicht im Zelt übernachtet zu haben. Am nächsten Morgen ging es seit langer Zeit wieder mit recht frischen Temperaturen los. Traumhafte Wege begleiteten mich in Richtung Grenze, wo sich auch der Ursprung der Drau befand. Zunächst war es mir noch nicht bewusst, aber das kleine Rinnsal neben mir war die Drau. Sie sollte ich bis zum Verlassen von Österreich fast immer an meiner Seite haben.
Vom Ursprung waren es nur 8 Kilometer bis zur Grenze von Österreich. Von rechts schauten die Berge rund um die Drei Zinnen auf mich herunter, zunächst noch vom Nebel bedeckt, der sich aber bald verzog. Auch der Radverkehr nahm zu. Ausgestattet mit E-Bikes, bevölkerten unzählige Radfahrer den Weg. Kaum jemand hatte sein Rad wirklich unter Kontrolle. In Kurven waren die meisten überfordert, da sie mit Elektrounterstützung weit schneller unterwegs waren, als mit einem normalen Bike. Es wäre interessant die Unfallstatistik zu lesen, vor allem die Unfallhäufigkeit mit oder ohne E-Bike.
Mein nächstes Ziel war Lienz. Die Drau war in der Zwischenzeit zu einem mächtigen Fluss angewachsen, zumindest für österreichische Verhältnisse. Es gab nicht viele alternative Wege, daher war es am besten der Drau zu folgen, nach Lienz, Spittal und später Villach.
In Villach beschloss ich, rund um den Faakersee einen weiteren Ruhetag einzulegen. Noch stand mir der südlichste Punkt bevor, der gar nicht weit von der Grenze zur Steiermark lag. Da der Schluss nochmal besonders viele Höhenmeter beinhaltete, wollte ich noch einmal Kraft sammeln.
Ja und nein! Ich dachte den ganzen Walkabout nicht ein Mal daran, dass ich in irgendetwas besser werden wollte. Mein Ziel lag nicht in der Verbesserung meiner Defizite, sondern ich wollte etwas machen, ohne den Gedanken an Therapie zu haben. Ich wollte den Walkabout machen, weil ich ihn für mich machte.
Weil ich es für mich machte, kam ich nie in eine Ermüdung oder Erschöpfung, deshalb brauche ich auch keine Erholung. War ein schwieriger Abschnitt, erholte ich mich danach im moderaten Gehen. Außerdem hatte ich, praktisch jeden Tag, meine 10 Stunden Ruhe oder Schlafenszeit. Besonders seit es ab Vorarlberg wärmer geworden ist, tat ich mich auch im Zelt leichter zu übernachten.
Es stand das Leben wieder im Vordergrund, das Aufarbeiten war zu Ende und ich wollte es ab jetzt gemütlicher angehen. Dinge wieder versuchen, die ich schon lange nicht mehr gemacht habe, wie zum Beispiel faul am See zu liegen. Das Leben zelebrieren fiel mir immer wieder ein, das hatte ich 2019 am Camino Norte erstmals wieder kennengelernt und am Camino France 2020 weitergeführt. Dann kam allerdings Corona und machte es mir unmöglich, weiter das Leben zu lernen.
Daher mein Walkabout durch Österreich, der einen Schlussstrich unter fünf Jahre Rehabilitation ziehen sollte. Das Gehen ist meine Erholung, daher brauchte ich auch keine Pause oder Erholung davon. Trotzdem besteht das Leben aus mehr, als nur Gehen. Das wollte ich auch am Weg praktizieren, denn hier konnte ich mein Gehirn darauf konditionieren, wieder zu Leben und nicht nur im Gedanken der Therapie zu sein.
Nach fast zwei Tagen Pause, wo ich das Treiben rund um den See genießen konnte, war ich wieder auf Achse. Am Campingplatz von Gotschuchen verbrachte ich meine bisher angenehmste Nacht im Zelt und erreichte am nächsten Tag Bad Eisenkappel, den südlichsten Ort von Österreich. Damit hatte ich die entferntesten Orte aller Himmelsrichtungen von Österreich erreicht, die auch als Kardinalpunkte bezeichnet werden.
Dafür brauchte ich 1850 Kilometer und die letzten ca. 250 Kilometer nach Hause in der Steiermark sollten auch kein Problem mehr darstellen. Erst dann war die Runde beendet. Zuerst wollte ich mich aber noch am südlichsten Punkt versuchen. Dieser liegt auf rund 2000 Meter Seehöhe und war von den Vier Punkten der am schwierigsten erreichbare.
Vorher aber feierte ich meinen Erfolg mit Kaiserschmarren und einem Glas Rotwein. Emotional ging mir vieles durch den Kopf, besonders vom Anfang meiner ersten Schritte und wie lange ich dafür brauchte. Immer mehr wurde es mir bewusst, dass es keine Selbstverständlichkeit war, was ich in den letzten Jahren erreichte und jetzt hier bei einem Glas Wein sitzen durfte. Es wurde nur durch meinen starken Willen möglich und daran, dass ich dranblieb.
25 Jahre Bewusstseinsbildung und mentales Training im Sport bildeten die Grundlage für meine Rehabilitation, ohne die kaum alles möglich gewesen wäre. Ich prostete mir selber zu, denn es war Zeit zu feiern. Dankbar beendete ich diesen Tag, mit dem Wissen, dass die letzten Jahre nicht umsonst waren.
Der Ort war erreicht, den Punkt wollte ich natürlich auch versuchen zu erreichen. Hin und zurück vom Gasthof waren es 34 Kilometer. Davon ging es die ersten 14 Kilometer das Tal hinein, von 500 bis 1000 Meter Seehöhe. Dann begann der steile Aufstieg durch den Wald, hoch zur Baumgrenze.
Eine Rinne querend, stieg ich in ausgesetztem, felsigen Gelände höher. Der Weg war durch ein Stahlseil gesichert. Hier stieß ich an meine Grenzen und musste aufpassen, diese nicht zu überschreiten. In etwa 1500 Meter Höhe ging es nicht mehr weiter, ich wollte mein Limit nicht herausfinden. Aufkommender Schwindel zeigte mir, dass ich besser umdrehen sollte. Erst als ich mich umdrehte und in die Tiefe blickte, wurde es mir bewusst, wie sehr ich mich am Limit bewegte.
Langsamer als aufwärts, stieg ich nach unten. Jeder Schritt musste angedacht werden und erst wenn ich mir sicher war, konnte ich den Fuß auch belasten. Angespannt und steif erreichte ich den Einstieg. Die ersten Meter torkelte ich auf der Forststraße dahin. Zum Glück hatte ich die Stöcke, um mich auszubalancieren. Wie als wollten sie mir was sagen, tanzten zahlreiche Schmetterlinge um mich herum und erinnerten mich an die Leichtigkeit.
Zufrieden mit mir und der Welt ging ich zurück nach Bad Eisenkappel. Mit Kärntner Kasknödel feierte ich erneut.
Zu Beginn habe ich lange nicht verstanden, was das bedeuten soll und es erklärte mir auch niemand. Hier brauchte ich nicht viel der Erklärung. Eindrucksvoll wurde es mir näher gebracht. Mit geschlossenen Augen verbrachte ich einige Zeit auf einem Felsen angelehnt und sitzend. Immer wieder durch die Augen blinzelnd, versuchte ich mich an den Ausblick zu gewöhnen und wieder Sicherheit zu erlangen.
Die Erinnerung an den März 2018 kam auf, als ich zum ersten Mal am Jungfernsprung bei der Burgruine in Gösting stand. Ich traute mich nicht, trotz Gitter, an den Rand heran. Ich wollte mich am Gitter festhalten, konnte aber die Entfernung dorthin nicht abschätzen und griff ins Leere. Am Boden kriechend, versuchte ich es zu erreichen. Ich zog mich daran hoch, traute mich aber nicht, daran angelehnt zu stehen. Mit einer Armlänge Abstand blieb ich stehen. Diese Momente gingen mir durch den Kopf.
An dieser Wahrnehmung im Raum arbeite ich noch immer. Dazu gehört das Gehen und Bewegen im Raum besonders. Es ist ein Hinderungsgrund, dass ich noch nicht Laufen kann. Durch gezielte Steigerungen kann ich mich immer besser daran gewöhnen. Das ist zwar keine Behebung, aber diese Gewöhnung daran ist eine Verbesserung, die nur mit dranbleiben, möglich ist.
So brachte mir der Walkabout viele neue Erkenntnisse über mich selbst. Die größte Erkenntnis aber ist, solange ich Körper und Geist bewege, solange bleibe ich in einem guten Zustand. Dieses Dranbleiben ist so wichtig für meinen Gesundheitszustand. Im Gehen habe ich eine optimale Bewegung gefunden, obwohl ich vom Laufen noch immer träume.
...ist das Thema des nächsten Beitrags. Leider kann ich jeden Tag nur ein paar Zeilen schreiben, daher dauert auch so lange. Es geht zwar besser als gedacht, trotzdem möchte ich mich noch steigern. Gut Ding braucht aber Weile.
[…] südlichsten Punkt konnte ich einige Erfahrungen mitnehmen, aber auch meine Begrenzungen wurden mir eindrücklich […]